Strategie & Management

Unternehmenskrisen, Teil 7/8

Strategische Neuorientierung: Der Blick nach vorn

Für einen erfolgreichen Turnaround braucht es im Normalfall strategische Anpassungen oder sogar eine strategische Neuorientierung. Wie wird ein Strategiewechsel im Kontext einer Krise gemacht? In diesem siebten Teil unserer achtteiligen Serie zu Unternehmenskrisen werden Vorgehen und Einflussfaktoren vorgestellt.
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Braucht jedes Krisenunternehmen zwingend eine neue Strategie? Die Antwort lautet: meistens ja, aber nicht immer.

Im vorliegenden Beitrag ist eine strategische Neuorientierung notwendig, weil das Unternehmen schleichend an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat und in die Krise gerutscht ist. Es gibt auch den Fall, bei dem das Krisenunternehmen im Kern gesund ist, aber aufgrund eines Ereignisses (zum Beispiel Cyberangriff, dolose Handlung) oder eines existenzgefährdenden Fehlers (zum Beispiel Fehlin­vestition, missglückte M&A-Transaktion) in Schwierigkeiten geraten ist. Ein solcher Fall wird als «Special Situation» bezeichnet. Eine Lösung bedingt neben einer Finanzspritze Anpassungen in der Corporate Governance und beim Risikomanagement. Diese Aspekte werden eingehender in der nächsten Ausgabe (11–12/2025) thematisiert.

Lebenszyklen als Massstab

Bei einer Unternehmung, die schleichend in die Krise gerutscht ist, bietet sich ein Blick auf relevante Lebenszyklen an. Dazu gehören selbstredend Lebenszyklen von Produkten und Dienstleistungen, Absatzmärkten, neuen Kundenbedürfnissen oder Technologien. 

Klassische Lebenszyklus-Modelle verlaufen in den Phasen Einführung, Wachstum, Reife/Sättigung und Rückgang. Bei Produkten oder Innovationszyklen ist dieser Verlauf weitgehend erfassbar und anhand der Marktvolumen und Marktanteile zu einem gewissen Grad sogar messbar. Viele Unternehmen in einer Ertragskrise und später in einer existenz­bedrohenden Krise haben mit Bezug auf Produkt-­Relaunches oder Neuentwicklungen Fehleinschätzungen in der Zyklusplanung gemacht. 

Aus Sicht der Prüfung der Sanierungswürdigkeit lohnt sich ein Blick auf den Lebenszyklus von Management und der Eigentümer. Die aktuelle Geschäftsleitung mag die vorhergehende, ursprünglich erfolgreiche Phase begründet und geführt haben. Es ist aber genau hinzuschauen, ob das Management auch über das notwendige Wissen (Digitalisierung, KI-Zeitalter) und die Motivation verfügt, um eine strategische Neuorientierung erfolgreich durchzuziehen. Mit dem ist auch angesprochen, dass erfolgreiche strategische Neuausrichtungen neben neuen Ideen auch frisches Blut, neue Vorbilder und motivierende Führungsdynamiken brauchen.

In Bezug auf die Eigentümerschaft können latente Nachfolgeproblematiken behindernd auf die Strategieentwicklung wirken; dies generell und speziell bei einem Turnaround. Wird die strategische Neuorientierung mit «bewährtem» Führungspersonal gemacht, ist ein fundamentales Neudenken der strategischen Ausrichtung von Beginn weg eingeschränkt. 

Es bleibt jedoch anzumerken, dass Gründer, Geschäftsführer und Eigentümerschaft in vielen Fällen identitätsstiftend sind und gerade im KMU-Umfeld nicht einfach ersetzt werden können.

Ziele als Leitplanken 

Ziel der Strategieentwicklung ist es, einen «Fit» zwischen (zukünftigen) Marktbedürfnissen, bestehenden und aufzubauenden Kompetenzen und den Rentabilitätsansprüchen der Kapitalgeber herzustellen. Die Strategie muss aber nicht nur stimmig sein. Sie muss vor allem geradlinig sein, damit sie im schwierigen Umfeld eines Turnarounds umsetzbar ist.

Eine Strategie ist somit nie Selbstzweck. Sie zeigt die Stossrichtung, wie die ver­fügbaren Ressourcen einzusetzen sind, um ein vorgegebenes Unternehmensziel zu erreichen. Im Fall des Turnarounds prä­sentiert sich die Aufgabenstellung beispielhaft so: aktuell wird ein EBIT von minus 5 Prozent erzielt; der branchenübliche EBIT liegt bei 10 bis 15 Prozent. Wie kann die Rentabilitätslücke von 15 bis 20 Prozent geschafft werden? Oder anders gefragt: in welche Richtung müssen die verfügbaren Ressourcen ausgerichtet werden, damit das geforderte EBIT-Ziel erreicht und nachhaltig gehalten werden kann? 

An diesem vereinfachten Beispiel zeigt sich die spezielle Situation des Unternehmens im Turnaround: es ist keine freiwillige Neuorientierung, sondern der Zwang, sich mit wenigen Ressourcen auf die überlebensnotwendigen Ziele zu fokussieren. Im vorliegenden Beispiel gilt es, mithilfe von Restrukturierungsmassnahmen (vor allem Kostensenkungen) und der strategischen Neuorientierung die branchen­adäquate Rentabilität zu erreichen. Nur wenn beides machbar erscheint, werden Eigen- wie Fremdkapitalgeber weiterhin bereit sein, Kapital zur Verfügung zu stellen. Kein seriöser Investor und schon gar nicht die Banken oder Lieferanten werden weiteres Geld in ein Krisenunternehmen stecken, welches nicht klar aufzeigen kann, wie es Minimalziele erreichen kann.

Abbildung 1 zeigt, wie wichtig die fokussierte Ausrichtung aller Ressourcen auf ein Ziel ist. Ein solches Bild wirkt auch in der Kommunikation. Für die Führung ist es ebenfalls relevant, denn sobald der Fokuspunkt definiert ist, lassen sich die verschiedenen Teilstrategien für Marketing, Produktion, Personal et cetera ableiten und begründen.

Strategische Grundsätze

Für die Strategieanalyse oder die Strategieentwicklung können allgemein bekannte Instrumente wie die SWOT-Analyse, die PESTEL-Analyse, BCG-Matrix, die Ansoff-Matrix, Canvas-Methode oder Michael Porters Branchenstrukturmodell (Five Forces Model) angewendet werden.

Ein klassischer Ansatz, der sich gut für Turnaround-Projekte eignet, ist die SEP-Methode von Cuno Pümpin. Das Akronym SEP steht für Strategische Erfolgs­positionen. Dieser Ansatz vereint kompetenzorientierte und wettbewerbsorientierte Strategieansätze auf verständliche Weise. Die Methode propagiert strategische Grundsätze, die im Turnaround verstärkte Gültigkeit erlangen. Dazu gehören – in adaptierter Form:

  • Attraktive Nutzenpotenziale finden
  • Strategische Erfolgspositionen (SEP) auf bestehenden Stärken aufbauen
  • Konzentration der Kräfte
  • Leadership spürbar machen
  • Zeitfaktor ist entscheidend

Ausgangspunkt ist die Suche nach in­ternen wie externen Quellen von Wertschöpfung – sogenannte Nutzenpotenziale. Diese Nutzenpotenziale sind dann attraktiv, wenn ihre Ergiebigkeit hoch ist und sie für das Unternehmen erschliessbar sind. 

Beispiele für interne sowie externe Nutzenpotenziale finden sich in Abbildung 2. Im konkreten Turnaround-Fall muss das interne Kostensenkungspotenzial zwingend adressiert werden. Das kann beispielsweise in Kombination mit den Immobilien- oder Bilanzpotenzialen im Hinblick auf Aufwertungs- oder Cashflow-Möglichkeiten geprüft werden. 

Bei der Prüfung von externen Potenzialen werden mit Sicherheit Marktpotenziale diskutiert. Dabei kann die Analyse zum Schluss kommen, dass bisherige Stammmärkte oder -kunden die Anforderungen an ein attraktives Nutzenpotenzial nicht mehr erfüllen (zum Beispiel aufgrund Sättigung oder Nachteilen in der Kostenstruktur durch Zölle). Dafür öffnet sich möglicherweise ein attrak­tives Nutzenpotenzial im Bereich der Ökologie- und Nachhaltigkeit. Spannend wird es, wenn interne mit externen Nutzen­potenzialen im Einklang stehen und kombiniert werden können. Ein Beispiel kann sein, dass sich neue Produkt-/Marktpotenziale mit dem Kooperationspotenzial und vorhandener interner Expertise kombinieren lassen.

Konzentration der Kräfte

In einem zweiten Schritt werden diese Potenziale mit bestehenden Kompetenzen kombiniert. Finden sich solche attraktiven Kombinationen, werden diese als Strategische Erfolgspositionen (SEP) gefestigt und gezielt ausgebaut. 

Eine SEP kann als Bündel von Befähigungen wie Wissen, Erfahrungen, Ideen oder Beziehungen verstanden werden. Eine SEP erlaubt es dem Unternehmen, sich von anderen Unternehmen im Wettbewerb abzugrenzen; sie kann auch als Kernkompetenz gesehen werden. Beispiele für SEP sind ausserordentliche Fähigkeiten in der Beschaffung (zum Beispiel Handelsunternehmen), eine hohe Technologiekompetenz oder eine starke Leistungskultur. Es gibt Unternehmen, die mit kooperationsorientierten SEPs leistungsstarke, flexible Wertschöpfungsketten aufbauen können. Oder es gibt Unternehmen, die erfolgreich eine ausgeprägte Kostenorientierung als SEP pflegen (zum Beispiel Ikea, Aldi, Easyjet). Erfolgreiche strategische Erfolgspositionen bedingen eine konsequente Konzentration der Kräfte.

Ein weiteres zentrales Prinzip im Strategieansatz von Cuno Pümpin ist die Multiplikation. Ein klassisches Beispiel bietet McDonald’s mit der globalen Multiplikation ihres Gastronomiesystems: das gleiche Angebot in gleicher Qualität weltweit.

Finden sich in der Strategieanalyse keine relevanten SEPs, hat man entweder nicht kreativ oder gut genug geschaut – oder die Sinnhaftigkeit der strategischen Neuorientierung ist kritisch zu hinterfragen. In einem solchen Fall könnte das Unternehmen aufgrund zahlreicher Sparrunden sprichwörtlich ausgeblutet dastehen. Die Sanierungsfähigkeit wäre nicht gegeben. 

Umsetzung als Knackpunkt

Eine strategische Neuorientierung bei einem Krisenunternehmen lässt sich auf dem Papier attraktiv und schlüssig präsentieren – ist aber in der Praxis in vielen Fällen nicht umsetzbar. Die zügige Umsetzung bildet somit den Knackpunkt einer erfolgreichen strategischen Neuorientierung im Turnaround.

Entscheidend für die Umsetzung sind Leadership und der Faktor Zeit. Die Führung muss ausserordentlich sein, denn das Unternehmen in der Krise ist geschwächt. Viele gute Führungskräfte und Mitarbeitende haben das Schiff verlassen. Die Verbliebenen sind möglicherweise müde oder erschöpft – oder sie gehören nicht zu den Kräften, auf die ein Unternehmen gewartet hat. 

Entsprechend wichtig ist die Frage, ob die Unternehmung die richtigen Führungskräfte hat, die als Vorbilder und Treiber die neue Strategie umsetzen können. Eine weitere entscheidende Frage in der Abschätzung der Sanierungsfähigkeit lautet: Besteht im Unternehmen eine Leistungskultur, die geweckt werden kann und dann tragend wirkt?

Fazit

Ein erfolgreicher Turnaround braucht in den meisten Fällen eine strategische Neuorientierung. Krisenunternehmen können zwar mit verschiedenen Massnahmen wieder profitabel getrimmt werden. Kostensparaktionen sind aber selten nachhaltig und ihr Potenzial ist schnell erschöpft. Eine strategische Neuorientierung versucht, neue Nutzenpotenziale zu finden und diese mit bestehenden ­Fähigkeiten zu erschliessen. Damit kann das Unternehmen in einen neuen Lebenszyklus eintreten und den Blick wieder nach vorne richten.

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