Strategie & Management

Unternehmenskrisen, Teil 1/8

Grundlegende Aspekte einer Unternehmenskrise

Angestrebte Unternehmenserfolge entwickeln sich nicht immer nach Plan. Sind negative Abweichungen jedoch so stark, dass die Fortführung des Unternehmens infrage gestellt werden muss, sprechen wir von einer Unternehmenskrise. Der Start dieser achtteiligen Serie zu Unternehmenskrisen beginnt mit einer Auslegeordnung.
PDF Kaufen

Gemäss einer Untersuchung des Wirtschaftswissenschaftlers Hauschildt (siehe Box «Quellenhinweis») lassen sich rund zwei Drittel der Unternehmenskrisen auf personengeprägte oder institutionelle Ursachen zurückführen. Dazu gehören Führungsmängel, zu enge Beziehungen, Konflikte im Team oder schlicht Rivalitäten, Missgunst und Neid. Wichtige Krisen­ursachen finden sich bei Fehlern in der ­Expansion, bei der Integration einer Akquisition oder bei der Diversifikation in neue Produktmärkte. Niedergänge von Unternehmen lassen sich auch auf un­geeignete Organisationsstrukturen, Verkrustung mit einhergehender unzureichender Flexibilität oder Schwächen in der Personalentwicklung zurückführen.

Krisen vor allem hausgemacht

Damit ist die Liste der selbstverursachten Probleme noch nicht abgeschlossen. Weitere rund 20 Prozent der Ursachen für ­Unternehmenskrisen begründen sich mit operativen Fehlleistungen. Beispiele sind Mängel im Management-Handwerk bei Marketing und Vertrieb, Produktion oder der Produktentwicklung. 

Bemerkenswert ist somit, dass weniger als zehn Prozent der untersuchten Fälle auf externe Ursachen wie schlechte Marktbedingungen oder ungünstige konjunkturelle oder geopolitische Entwicklung zurückgeführt werden konnten. Mit anderen Worten, Unternehmenskrisen sind hauptsächlich hausgemacht.

Damit rücken die Unternehmer, Eigentümer und das Management in das Zentrum der Ursachensuche. Um fair zu bleiben: Natürlich entstehen Unternehmenskrisen mehrheitlich multikausal – und sie ent­wickeln sich im Normalfall über viele Jahre hinweg. Meistens sind Symptome frühzeitig wahrnehmbar. Insbesondere Mitarbeitenden, aber auch Kunden und Lieferanten bleiben diese nicht verborgen. Das Management ist zu oft im Tagesgeschäft absorbiert und vielen Eigen­tümern fehlt es an Leidensdruck. Kol­lektives Wegschauen und Verleugnen sind natürliche Reaktionen.

Es ist oft ein einzelnes Ereignis, das die ­latente, schwelende Krise auf einen Schlag offen zutage treten lässt. Das kann ein Rechtsfall, ein Produktionsausfall oder ein «unerwarteter» Abgang eines wichtigen Kunden sein. Vielen KMU wird die Unternehmenskrise erst bewusst, wenn fällige Lohnzahlungen nicht mehr fristgerecht bezahlt werden können. Jetzt, im Moment der fehlenden Liquidität, wird der Ernst der Lage erkannt. Der logische nächste Schritt, nämlich der Anruf bei der Hausbank mit Bitte um eine temporäre, ausserordentliche Limiten­erhöhung, endet nicht immer positiv. Denn nicht immer spielt die Bank mit. Was nun? Die Logik von Bankentscheidungen diskutieren wir im zweiten Teil dieser Serie («Situationsanalyse», Ausgabe 3/25).

Rechtliche Einordnung 

Wir beziehen uns in den folgenden Ausführungen auf die Aktiengesellschaft (AG) nach Schweizer Recht (Art. 716a OR und Art. 725 OR) und fokussieren auf den Verwaltungsrat (VR). Die Aussagen gelten sinngemäss aber auch für andere Gesellschaftsformen.

Die Aktionäre wählen im Rahmen der ­Generalversammlung (GV) den Verwaltungsrat. Dem Verwaltungsrat als Gremium obliegt die Oberleitung der Gesellschaft (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR). Mit der Oberleitung sind zentrale unübertragbare und unentziehbare Rechte und Pflichten verbunden. Dazu gehören neben der Festlegung der Strategie insbesondere Ernennungen und Abberufungen von Geschäftsleitungen sowie die Finanzplanung und Finanzkontrolle mit entsprechender Berichterstattung.

Wenn der VR nur verwaltet 

Typisch bei KMU ist, dass der Hauptei­gentümer auch im VR-Gremium Einsitz nimmt und meistens auch den Vorsitz innehat. In kleineren Firmen übt er häufig auch die Funktion des Geschäftsführers aus. Nicht selten haben auch Familienmitglieder Einsitz im VR oder das Gremium setzt sich (ausschliesslich) aus Vertrauensleuten des VR-Präsidenten zusammen. In beiden Fällen ist die fachliche Abdeckung – gerade in rechtlichen oder finanziellen Bereichen – oft lückenhaft und konsequente, kritische Stimmen sind Mangelware. 

Natürlich ist es nicht immer die Schuld des Verwaltungsrates, wenn eine Unternehmung in Schwierigkeiten rutscht. Verkrustete Machtkonzentration, mangelhafte Kontrollen zwischen VR und Management und Verlass auf «eingespielte» Prozesse begünstigen dies aber im Zeitlauf. Letztlich ist es die ultimative Verantwortung der VR, den Weg aus der Krise zu bahnen – oder die Konsequenzen einer unfreiwilligen Liquidierung, eines Nachlassverfahrens oder im schlimmsten Fall eines Konkurses zu schultern. 

Das führt zu einer ersten Handlungsempfehlung im Bereich der Krisenprävention: 

  • Kritisch hinterfragen, ob Zusammensetzung und Funktionsweise des VR stimmen
  • Prüfen, ob sich der Beizug eines Coaches oder eines (nicht stimmberechtigten) Beirats anbietet 
  • Prüfen, ob eine neue Phase im Lebenszyklus des Unternehmens anbricht und eine Blutauffrischung im VR und im Management angezeigt ist.  

Weitere Aspekte der Früherkennung und der Bewältigung von Unternehmenskrisen unter Berücksichtigung der Corporate Governance, der Eigentümer- und Unternehmensstrategie und des Stakeholder Managements werden in den Beiträgen der Ausgaben 9/25, 10/25 und 11–12/25 vertieft diskutiert. 

Finanzielle Messgrössen

Die für die Beurteilung von Unternehmenskrisen entscheidenden rechtlichen Leitplanken beziehen sich ausschliesslich auf finanzielle Messgrössen. Das betrifft explizit die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) gemäss Art. 725 Abs. 1 OR und der Vermeidung der Überschuldung (negatives Eigenkapital gem. Art. 725b OR). 

Frühwarnsystem verpflichtend

Art. 725 OR ist der klassische «Krisenartikel» im Privatrecht. Er definiert, welche Massnahmen der VR bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder einer möglichen Überschuldung zu ergreifen hat. Die am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Aktienrechtsrevision strebt an, Gläubiger vor Verlusten zu schützen und das frühzeitige Einleiten von Sanierungsschritten zu fördern. In diesem Zusammenhang wurden dem VR mehr Rechte übertragen (wie die Einleitung eines Nachlassverfahrens), aber auch die Pflicht zur permanenten Überwachung der Zahlungsfähigkeit explizit auferlegt. 

Ein Unternehmen gilt als zahlungsunfähig, insolvent oder illiquide, wenn fällige Zahlungen nicht in nützlicher Frist beglichen werden können. In der Praxis trifft man üblicherweise auf drei Kategorien von fälligen Verpflichtungen: überfällige Kreditorenrechnungen (präziser: Verpflichtungen aus Lieferungen und Leistungen [VLL], Verpflichtungen gegenüber Versicherungs- und Sozialwerken wie der AHV oder der Pensionskasse sowie offene Steuern oder Abgaben wie die Mehrwert- oder Verrechnungssteuer. Mit Bezug auf die letzteren Gegenparteien müssen sich Verwaltungsräte bewusst sein, dass sie bei Schaden solidarisch mit ihrem Privatvermögen haften. Typischerweise ist die monatliche Gehaltszahlung der grösste Zahlungsposten eines Un­ternehmens. Werden Löhne nicht pünktlich bezahlt, kommt es unverzüglich zu Reklamationen und Betreibungen durch Mitarbeitende. Zahlungsverzögerungen von Löhnen hat in der Regel nicht heilbare rechtliche und vertrauensmässige Konsequenzen. 

Die Rentabilitätskrise

Viele Unternehmen mit wiederkehrenden Liquiditätsengpässen leiden schon länger unter unzureichender Rentabilität oder Ertragsschwächen. Von ungenügender Rentabilität – oder verschärft von ­einer Rentabilitätskrise – wird gesprochen, wenn das Unternehmen zwar noch (kleine) Gewinne ausweist, aber der Ak­tionär während mehrerer Jahre un­frei­willig ohne Dividende ausgeht. Ein solches Unternehmen kann gerade noch die Fremdkapitalgeber befriedigen, ist aber nicht in der Lage, Gewinne (respektive Free Cashflows) zu generieren. Somit sind die Möglichkeiten, a) Dividenden zu zahlen, b) Reserven zu äufnen und c) anstehende Ersatz- oder Neuinvestitionen zu tätigen, sehr eingeschränkt. Möglicherweise wird die knapp erreichte schwarze Null nur dank dem Auflösen von stillen Reserven erreicht.

Die Ertragskrise

Eine Faustregel des Praktikers besagt, dass ein Unternehmen alle fünf bis sieben Jahre von einer Krise heimgesucht wird. Diese Regel ist empirisch wenig fundiert und abhängig von der Unternehmens­grös­se, der Zyklizität der Branche und der Definition des inflationär gebrauchten Begriffs «Krise». Im KMU-Bereich kann die Regel aber als wertvoller Orientierungspunkt angewendet werden. 

Wird im Zusammenhang mit Stakeholder-, Strategie- und auch Rentabilitätsproblemen von Krisen gesprochen, kann das durchaus als verfrühte Panikmache interpretiert werden. Bei einer Ertragskrise verfällt aber dieses Recht auf Verdrängen, denn eine Ertragskrise ist für alle gut erkennbar. Sie ist gekennzeichnet durch sinkende Umsätze, schwindende Margen und insbesondere durch operative Verluste. Begleiterscheinungen sind anschwellende Lager und steigende Verpflichtungen gegenüber Lieferanten. Wichtige (Kader-)Mitarbeitende verlassen das schwankende Schiff und die Stimmung ist schlecht. 

Das Unternehmen schafft ein scheinbar positives Ergebnis höchstens noch durch Bilanzkosmetik wie das Zurückschrauben von Abschreibungen oder durch ­aus­serordentliche Erträge durch das Auf­lösen von stillen Reserven. Das Eigen­kapital, in seiner Natur als Residualka­pital, wird in der Folge angeknabbert. Passiert das nur während eines oder weniger Geschäftsjahre halten sich die Folgen meistens in Grenzen. Gerade wenn noch üppige Gewinnreserven aus den Vorjahren oder nicht betrieblich notwendige Sub­stanz vorhanden sind. 

In vielen Fällen wird das Produzieren von schlechten Ergebnissen zum neuen Normalzustand. In den Budgetdiskussionen und Ergebnis-Reviews bleiben Investitionen und Innovationen auf der Strecke und das Drehen an der Kostenschraube wird zum Mantra. Spätestens jetzt sollten die Alarmsirenen bei den Entscheidungsträgern, vornehmlich den Eigentümern und dem Verwaltungsrat, auf Gehör stos­sen. Jetzt ist es Zeit, auf den Panikknopf zu drücken.

Ausblick

Im Rahmen dieser Auslegeordnung haben wir einen ersten Überblick über Ur­sachen und Symptome von Unternehmenskrisen gegeben. Im nächsten Artikel (erscheint in «KMU-Magazin», Ausgabe 3/25) steht das Durchführen einer Si­tuationsanalyse im Zentrum. Auf Basis dieser Erkenntnisse fällt ein Vorentscheid, ob es sich überhaupt noch lohnt, in die Rettung beziehungsweise in die Fortführung des Unternehmens zu investieren, oder ob ein geordnetes Auflösen angezeigt ist. Wichtige Stichworte umfassen Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit.

Porträt