Strategie & Management

Unternehmenskrisen, Teil 8/8

Krisenprävention: Regeln und Grundsätze

Das Unternehmen hat sich während der Krise verändert. Insbesondere Corporate Governance und Risikomanagement haben Entwicklungsschritte erfahren. Im abschliessenden Teil unserer achtteiligen Serie zu Unternehmenskrisen werden Regeln und Grundsätze diskutiert, die zukünftige Krisen verhindern sollen.
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Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance (GRC) auf der einen Seite und Unternehmenskrisen auf der anderen Seite sind wie zwei gleichgepolte Magnete: sie stossen sich gegenseitig ab. Fällt das Unternehmen trotzdem in eine Krise, haben GRC-Strukturen zu Teilen oder als Ganzes versagt. Dies gilt sowohl für das schleichende Abrutschen wie auch für existenzbedrohende Probleme, die aufgrund eines Einzelereignisses (zum Beispiel missglückte Integration einer Akquisition) ausgelöst werden. 

Selbstredend hat eine (existenzgefährdende) Krise grosse Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Corporate Governance und auf das Risikomanagement. Die Veränderungen zeigen sich in der inhaltlichen Ausgestaltung und der personellen Zusammensetzung – und zwar in den drei Phasen vor, während und nach der Krise.

Governance vor der Krise

GRC-Strukturen und Prozesse sollen Krisen verhindern und gleichzeitig dem Unternehmen ermöglichen, angestrebte Erfolge zu verwirklichen. 

Gemäss dem KMU-Portal des Seco de­finiert die Corporate Governance das ­Verhältnis zwischen den Aktionären, dem Verwaltungsrat und der Geschäftsführung. 

Das umfasst sämtliche Grundsätze und Regeln, mit deren Hilfe das Verhalten der obersten Führungskräfte gesteuert und überwacht werden können. In der Praxis beinhaltet das die Gesamtheit der ver­einbarten formellen Regelwerke sowie der gelebten informellen Prozesse. 

Während die formellen Regeln wie Or­ganisations- und Kompetenzreglemente die Bandbreiten abstecken, dominieren im Alltag informelle Prozesse. Dazu gehören jahrelang gelebte Praktiken (zum Beispiel das Strategie-Site-off im Sommer), Meinungen des tonangebenden Innenzirkels oder politische Seilschaften. Aber auch Persönliches wie Neid und Konflikte zwischen den Entscheidungsträgern findet Eingang und hat einen Einfluss auf die Entscheidungs- und Kontrollprozesse (vergleiche dazu Abbildung 1 zu den Krisenursachen in «KMU-Magazin», Ausgabe 1–2/2025).

Häufig werden die schriftlich festgehaltenen, formellen Governance-Regelwerke erst aus der Schublade gezogen, wenn Konflikte offen und Krisenherde virulent sind. Zu diesem Zeitpunkt hat das Risikomanagement möglicherweise bereits versagt. Das Risikomanagement ordnet – wiederum gemäss dem KMU-Portal des Seco – die kontinuierliche Beurteilung und Einschätzung von Ereignissen sowie Handlungen und Entwicklungen, die eine Unternehmung hindern könnten, die Zielsetzungen zu erreichen und die Strategie erfolgreich umzusetzen. 

Risikomanagement und Corporate Go­vernance bauen einen Schutzschirm auf; dieser kann jedoch nicht alle Krisen verhindern. Neben unvorhergesehenen, externen Auslösern (zum Beispiel Corona) ist der Schutzschirm bei Tabuthemen wie bei Nachfolge­fragen, der Zusammensetzung von VR und Geschäftsleitung oder anderen Elefanten im Raum weitgehend machtlos. Das zeigt, dass keine GRC-Struktur perfekt ist.

Governance während der Krise

Die Ursachen für die Unternehmenskrise finden sich normalerweise in einer Kombination von internen Schwächen und plötzlichen adversen externen Einwirkungen. In den meisten Fällen haben die Governance und das Risikomanagement während Jahren ausreichend funktioniert und grössere Schäden verhindert. Es ist aber meistens eine Frage der Zeit, bis ein (ausserordentlich) starker Sturm auftritt und das «Dach wegfegt». Damit werden auch verdeckte oder ignorierte Schwächen offengelegt. Im sechsten Artikel («KMU-Magazin», Ausgabe 9/2025) wurde argumentiert, dass die offene Krise der endlos schwelenden Krise vorzuziehen sei: «Endlich brennt es!» 

In der Krise bleiben die gesetzlich definierten Governance-Rollen formell bestehen. Erst wenn der VR sich für ein gesetzliches Nachlassverfahren oder die Bilanzdeponierung (hier bei Nichthandeln des VR auch durch die Revisionsstelle) entscheidet, werden Rechte und Pflichten der Organe aufgehoben. 

Obwohl also der VR die Rechte und Pflichten formell in der Krisenbewältigung ­behält, verändern sich die materiellen Machtverhältnisse komplett. Zum Beispiel sind es nun Lieferanten mit fälligen offenen Forderungen, die mit dem Verlangen von Vorkasse oder einem Lieferstopp ein Unternehmen in die Knie zwingen können. Häufig sind es die Banken, die durch die Androhung der Fälligstellung von Krediten die formellen Leitungsgremien (namentlich den VR und indirekt die Eigentümer) zum Handeln drängen. 

Materiell hat sich die Governance verschoben, denn es sind externe Stakeholder, die die Bedingungen nennen. Als Beispiele lassen sich die gestellten Voraussetzungen für ein Stillhalteabkommen oder für ein Bridge-Loan (Überbrückungskredit) nennen. Im Rahmen der Krisenbe­wäl­tigung sind es die meist externen Um­setzer (Berater, Ad-interim-Manager), die die entsprechende Autorität erhalten, Massnahmen gemäss vereinbartem Turn­around-Konzept umzusetzen. Der Verwaltungsrat gibt nur formell sein Okay. Somit ist auch das Corporate-Risk-Management faktisch ausgesetzt. Es wird während des Turnarounds durch das (operative) Risikomanagement im Rahmen des Umsetzungs-Controllings ersetzt.

Governance nach der Krise

Nicht alle Turnarounds enden erfolgreich. Viele Unternehmen finden im Rahmen eines Teilverkaufs (Carve-out) oder eines Notverkaufs neue Eigentümer, die es in ihre etablierten Strukturen und GRC-Prozesse eingliedern. 

Bei erfolgreichen Turnaround- und Transformationsphasen bietet sich ein umfassender Aufwisch der Governance- und Risikomanagementstrukturen an. Vorzugsweise werden strukturelle und personelle Anpassungen bereits im Rahmen der Prüfung der Sanierungswürdigkeit angesprochen und geplant. Dies ist notwendig, wenn das bisherige Management das Handtuch wirft oder das Vertrauen verloren hat. Entweder übernehmen externe Ad-interim-Manager – oder es gelingt, in Eile interne oder externe Führungskräfte für die Umsetzungsphase zu gewinnen. 

Viele Führungskräfte können sich in der Turnaround-Umsetzung auszeichnen und stehen dann auch für die Kontinuität beim Neuanfang. Ad-interim-Manager(innen) ziehen aber gerne nach Projektabschluss weiter. Entsprechend wichtig ist, dass die neuen Governance-Gefässe frühzeitig geplant und die passenden Personen gefunden werden.

Kommen im Turnaround neue Investoren dazu, bringt das automatisch Änderungen in der Governance mit sich. Die neuen (Mit-)Eigentümer gehen ein gros­ses Umsetzungsrisiko ein und sichern sich entsprechend in Verträgen sowie Re­glementen ab. Professionelle Private- Equity-Investoren sind diesbezüglich sehr einfallsreich und ausgeklügelt. Diese Go­vernance-Regeln bleiben dann auch langfristig bestehen und werden erst bei einem Verkauf des Unternehmens oder bei einem Aktionärswechsel geändert.

Die «Special Situation»

In diesem Zusammenhang lässt sich eine «Special Situation» einordnen. In dem Fall ist das Unternehmen an sich kern­gesund, ist aber wegen eines Fehlers oder eines einzelnen Ereignisses in die existenzgefährdende Krise geraten. Beispiele sind Fehlinvestitionen, eine gescheiterte Akquisition oder eine betrü­gerische Handlung, deren Opfer es geworden ist. In dem Fall braucht es eine unverzügliche, oft nur temporäre Finanzspritze, um die Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder eine Überschuldungssituation zu heilen. Weil in solchen Situationen oft eine grosse Unsicherheit herrscht, sind Banken hier zurückhaltend und unterstützen nur, wenn von bisherigen oder neuen Aktio­nären ein angemessener Beitrag kommt.

Es gibt zahlreiche Investmentgesellschaften (Private Equity/Debt oder Family Offices), die gezielt solche Fälle suchen und die erforderliche Geldspritze einbringen können. Deren Überlegung ist einfach: sie können sich in ein operativ weitgehend gesundes Unternehmen zu Vorzugskonditionen einkaufen. Der neue Miteigentümer mag dabei neue Ideen einbringen wollen, aber eine grundlegende Neuorientierung der Unternehmensstrategie steht nicht im Vordergrund. Typischerweise wird aber über die Zusammensetzung des VR und die Bestellung der Geschäftsleitung sowie über Klauseln im Investment-Vertrag signifikanter Einfluss auf die Governance genommen. 

Abschluss des Turnarounds

Ein ausgereiftes Turnaround-Konzept plant genau, wann und wie der Turn­around zu Ende kommt. Natürlich sind während der Umsetzung immer wieder Plananpassungen notwendig, aber jede Partei – inklusive der Lieferanten, Kunden und Mitarbeitenden – wünscht sich einen normalen Geschäftsalltag herbei. Mit anderen Worten: Es muss fühlbar sein, wenn das Unternehmen wieder auf eigenen Beinen steht und aus dem Turnaround-Korsett entlassen wird. Das Projekt-Office wird abgebaut; Risikomanagement oder Controllingaufgaben gehen wieder in die vorgesehenen Linien- oder Stabseinheiten zurück. Typischerweise wird im gleichen Zug auch das Risikomanagement auf die neuen Ziele und Strategien kalibriert.

Es werden Lehren gezogen und die neuen Verantwortlichen in VR und Geschäftsleitung erarbeiten Krisenpläne. So können Szenarien entwickelt werden (zum Beispiel Top-drei-Kunde geht in Konkurs; Produktion fällt über Monate aus) oder es werden Trigger-Punkte und Massnahmen definiert. Die GRC-Schutzwälle sind aktualisiert und für kommende Herausforderungen ausgerichtet.

Fazit

Mit der Installation der neuen Führungsgremien und der angepassten Governance, des neuen Risikomanagements und der angepassten Compliance-Richtlinien ist der Turnaround abgeschlossen. Das Unternehmen nimmt wieder Fahrt auf. Das zeigt sich im Selbstverständnis der Belegschaft und spiegelt sich in der internen wie auch der externen Kommunikation. Damit schliesst sich der Zyklus von Krisenausbruch zu Turnaround-Analyse zur Erarbeitung eines Konzept und zur erfolgreichen Umsetzung.

Porträt