In den letzten Wochen wurden wir drastisch auf das hingewiesen, was wir im Grunde wissen, aber gerne ignorieren: Das Leben birgt Überraschungen. Es kann so kommen, wie wir es geplant haben, die Urlaubsreise, das Sommerfest im Verein oder der Tag der offenen Tür im Unternehmen – aber es kann auch etwas dazwischenkommen. Dann heisst es flexibel sein, auf das reagieren, was gerade ist, und dabei hilft es definitiv nicht, an einem alten Plan zu hängen. Trotzdem wird in vielen Unternehmen so getan, als ob es dort Überraschungen nicht gäbe. Fixe Zielvereinbarungen, Fünf-Jahres-Pläne, Standard-Prozesse. Und das in Zeiten, in denen sich Kundenwünsche, technische Standards und Rahmenbedingungen öfter ändern denn je.
Blaue Aufgaben
Es ist spannend, zu beobachten, wie in
den Unternehmen mit der Überraschung
Corona umgegangen wird. Hat sich die Organisation flexibel angepasst, indem Regeln und Prozesse ausser Acht gelassen wurden, die hinderlich waren? Haben Mitarbeiter das Machtvakuum genutzt, um selbst nach Lösungen zu suchen, und sind sogar Innovationen entstanden? Oder sind Unternehmen noch immer gelähmt und warten, dass endlich jemand die richtigen Entscheidungen trifft oder Handlungen ergreift? Entscheidend für das Mass an Freiheit, Zusammenarbeit und Könnerschaft, die Mitarbeiter benötigen, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, ist eine Frage: Welche Aufgaben gibt es im Unternehmen eigentlich?
In der modernen Organisationsentwicklung gibt es Aufgaben, die als formale, tote oder blaue Aufgaben bezeichnet werden. Einfach oder kompliziert, diese Aufgaben können mit eigenem Wissen, das man aufbaut, oder Expertise, die man dazu holt, gelöst werden. Ein Beispiel ist die Abrechnung von Löhnen, auch unter der Berücksichtigung von Kurzarbeitergeld. Dafür gibt es Regeln und es ist klar, was richtig und falsch ist. Die Aufgaben können in Schritte zerlegt werden.
Gute Zusammenarbeit bedeutet, dass jeder seine Arbeit zuverlässig nach Plan erledigt. Auch wenn es scheint, dass das Wichtigste ist, dass man sich an Prozesse hält, sollten Mitarbeiter nicht darauf reduziert werden. Schliesslich haben wir alle gerade erlebt, wie schnell wir mit einer neuen Situation konfrontiert sein können, in der wir auf die Kreativität und Kollaboration aller angewiesen sind. Wenn Mitarbeiter wissen, dass dies gefragt ist, sind sie eher motiviert, beides auch in Zeiten erhöhten Innovationsbedarfs zu nutzen.
Rote Aufgaben
Sogenannte rote, dynamische oder lebendige Aufgaben können nicht mit explizitem Wissen oder vorhandenen Prozessen gelöst werden. Sie sind neu und überraschend, wie besondere Kundenwünsche, die Innovation eines Mitbewerbers oder der Umgang mit der Corona-Krise. Hier gibt es nicht die eine richtige Lösung. Hier kommt es auf Intuition an. Wenn ein Mitarbeiter rote Aufgaben bravourös erledigt, zum Beispiel der Concierge in einem Hotel beim Umgang mit schwierigen Kunden, und wir ihn fragen, wie er das macht, wird er antworten. «Es kommt ganz darauf an.» Da hilft keine Checkliste. Hier braucht es Ideen. Hinzu kommt, dass es sich heute bei diesen Aufgaben meist um vielfältig vernetzte Themen handelt. Lösungen entstehen nur durch Ko-Kreation. Zusammenarbeit, das Wir wird zum Schlüsselfaktor für Erfolg.
Die Zahl der roten Aufgaben nimmt für die meisten Beschäftigten zu und die Zahl der blauen Aufgaben geht zurück, da sie immer mehr von Maschinen übernommen werden. Dem muss sich auch die Organisationsstruktur und die Führung anpassen. Strikte Prozesse und Dienstwege, Hierarchie, die klassische abteilungsgebundene Organisation, das passt zur Lösung blauer Aufgaben, aber nicht zu roten Herausforderungen.