Strategie & Management

New Work

Wie neue Arbeitswelten im Betriebsalltag etabliert werden

Beim Etablieren einer neuen Form der (Zusammen-)Arbeit in Unternehmen handelt es sich um einen Changeprozess, der ausser der Struktur- auch die Kulturebene umfasst. Das zeigen unter anderem die Erfahrungen während der Corona-Pandemie.
PDF Kaufen

«Wie wollen wir künftig in unserer Organisation (zusammen-)arbeiten?» Mit dieser Frage beschäftigten sich schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie die Personalverantwortlichen in zahlreichen Unternehmen. Eine zentrale Ursache hierfür war die Erkenntnis: Die jungen Frauen und Männer der Generationen X, Y und Z, die bereits für uns arbeiten beziehungsweise die wir gerne als Mitar­beiter hätten, «ticken» oft anders als unsere älteren Mitarbeiter.

Neue Anspruchshaltung

Sie wollen mit ihrer Erwerbstätigkeit zwar auch ihren Lebensunterhalt verdienen, doch ein «gutes Gehalt» allein genügt ihnen nicht beziehungsweise steht nicht an erster Stelle. Sie wollen ihre Arbeit vielmehr auch als «sinnvoll» respektive «erfüllend» erfahren und möchten sich in ihr verwirklichen und entfalten können. Und bei allem Engagement, das sie im Job zeigen, legen sie mehr Wert auf ihre Work-Life-Balance als noch die Generationen zuvor. Ihr Privatleben soll dabei sozusagen «nicht zu kurz kommen».

Der Anlass, sich mit dem Thema «New Work» zu befassen, waren also – unter anderem aufgrund des Mangels an qua­lifizierten und hochmotivierten Fach- und Führungskräften – vor allem Personalmarketing-Fragen:

  • Wie sollte die (Zusammen-)Arbeit bei uns strukturiert sein, damit wir für die Personen, die wir gerne als Mitarbeiter hätten, ein attraktiver Arbeitgeber sind? Und:
  • Welche Rahmenbedingungen müssen wir ihnen bieten, damit sie sich mit unserem Unternehmen und ihrer Arbeit identifizieren können und nicht schon nach kurzer Zeit den Arbeitgeber wechseln?

Entsprechend stark kokettierten viele Unternehmen, sofern vorhanden, in ihrer Aussendarstellung mit solchen aus Bewerbersicht oft attraktiven «Nice-to-have-Faktoren» wie 

  • einem Billardtisch oder Kicker in der Teeküche, 
  • flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie 
  • der Möglichkeit, auch mal eine Auszeit zu nehmen.

Im Arbeitsalltag änderte sich in den meisten Unternehmen, sieht man von einigen Start-ups und Garagenfirmen einmal ab, bezogen auf die Arbeitsorganisation und die Arbeitsgestaltung aber wenig, ausser dass bei der Zusammen­arbeit aufgrund der zunehmenden Vernetzung im Gefolge der fortschreitenden Digi­talisierung und Glo­balisierung die moderne Informations- und Kommunikationstechnik eine immer grös­sere Rolle spielte.

Corona veränderte Motivlage

Doch dann kam Corona. Und spätestens nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 mussten die Unternehmen viele Prozesse, die zuvor oft wie in Stein gemeisselt schienen, neu gestalten. Und plötzlich, scheinbar über Nacht, waren viele Dinge möglich, die zuvor im Rahmen der New-Work-Diskussion zwar schon oft angedacht, aber im Betriebsalltag selten realisiert worden waren.

 So zum Beispiel, dass

  • ein grosser Teil der Mitarbeiter seine Arbeitszeit (weitgehend) zuhause im Homeoffice und nicht im Büro verbringt,
  • die Homeworker ihre Arbeit oft ausserhalb der gewohnten Bürozeiten verrichten (weil sie in ihnen selbst zum Beispiel ihre Kinder betreuen mussten),
  • die Zusammenarbeit weitgehend über solche Collaborationtools wie Micro­soft-Teams organisiert wird,
  • die erforderliche Kommunikation mit Kollegen, Mitarbeitern, Kunden, aber auch externen Dienstleistern weitgehend digital erfolgt und
  • solche Förder- und Entwicklungsmassnahmen wie Trainings und Coachings, aber auch Feedbackgespräche statt bei persönlichen Treffen in Online-Ses­sions zum Beispiel via Zoom stattfinden.

Und die erstaunliche Erfahrung vieler Unternehmen war: «Es funktioniert irgendwie – zumindest wenn die erforderliche technische Infrastruktur steht und wir und unsere Netzwerkpartner uns mental hierauf einlassen.»

Change-Notwendigkeit erkannt

Eine weitere Folge des Corona-Schocks war, dass in das Bewusstsein der Entscheider in den Unternehmen zunehmend die Erkenntnis drang: Wir leben tatsächlich in einer von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Vuka-Welt, in der solche «Schwarzen Schwäne», also unvorhergesehen Ereignisse wie die Corona-Pandemie uns jederzeit treffen können. Deshalb genügt es nicht, wie zuvor oft gedacht, nur unsere Leistungserbringungsprozesse flexibler und agiler zu gestalten. Wir müssen vielmehr unser Handeln, die dahinter stehenden Werte sowie unsere Arbeitsorganisation viel grundsätzlicher hinterfragen, um als Unternehmen «zukunftsfit» zu sein. 

Das Thema «New Work», das vor der Corona-Pandemie sozusagen primär auf der Agenda der Personaler und ihrer Berater stand, steht heute also auch auf der Agenda der Top-Entscheider in den Unternehmen – auch weil ihnen bewusst ist: Der Geist, der coronabedingt aus der Flasche kam, lässt sich nicht mehr in ihr verschliessen, denn durch die Pandemie hat sich das Denken unserer Partner verändert – unabhängig davon, ob es sich dabei um unsere Mitarbeiter oder Geldgeber, Kunden oder Lieferanten handelt. 

Sie haben in vielen Bereichen wie der wechselseitigen Information und Kommunikation, der Zusammenarbeit und Führung die Erfahrung gesammelt: Es geht auch anders, und es muss auch anders gehen. Deshalb haben sich auch ihre diesbezüglichen Erwartungen verändert – und zwar nachhaltig.

Insofern liegt in der Corona-Krise, so abgedroschen dies klingt, auch eine Chance, weil sich in ihr 

  • die Motive für die Beschäftigung mit dem Thema «New Work» gewandelt haben und 
  • die Paradigmen bzw. Rahmenbedingungen hierfür geändert haben.

Mehr reale Veränderung

Inwieweit die Unternehmen nach dem Abklingen der Pandemie diese Chance real ergreifen oder wieder – soweit möglich – zum «Business as usual» zurückkehren, ist noch ungewiss, denn in der Zeit vor und während der Pandemie zeigte sich auch: Solche kosmetischen Veränderungen an der Oberfläche, die den Aufbruch in eine neue Zeit signalisieren sollen, wie 

  • «Wir stellen in unsere Kantine einen Kicker» oder 
  • «Künftig dürft ihr bei der Arbeit auch Sneaker tragen» oder 
  • «Fortan duzen wir uns», sind zwar schnell verkündet, doch wenn es um eine reale Kulturveränderung geht, wird es meist schwierig.

Aus vielerlei Gründen. Aktuell ist der Begriff «New Work» noch weitgehend eine Black Box, in die jeder alles stopfen kann, was seinen individuellen Vorlieben, Interessen und Vorstellungen entspricht. Deshalb wird er von neo-liberalen Denkern, die die Arbeitsmärkte weitestgehend de­regulieren möchten, ebenso gerne gebraucht wie von Sozialromantikern, die die Arbeitswelt primär als einen Ort der Selbstverwirklichung sehen. Daher müssen sich Unternehmen, die sich mit dem Thema ernsthaft befassen möchten, zunächst fragen: Wovon reden wir überhaupt, wenn wir von New Work sprechen? Denn eindeutig definiert ist dieser Begriff nicht.

«New Work» mit Inhalt füllen

Zwar werden im Gefolge des Sozialphilosophen Frithjof Bergman, der den Begriff in den 1990er-Jahren prägte, in Zusammenhang mit ihm immer wieder solche Vokabeln wie Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft beziehungsweise Gesellschaft genannt; zudem werden Forderungen laut, wie dem Einzelnen sollen

  • die erforderlichen Freiräume zur kreativen Entfaltung seiner Persönlichkeit geboten werden sowie
  • die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume eingeräumt werden, um einen sinnvollen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, doch konkretisiert und operationalisiert werden diese Forderungen meist nicht.

Dies erweist sich im Betriebsalltag auch durchaus als schwierig, weil die Ziele und Erwartungen, die zum Beispiel die Unternehmensführung und die Mitarbeiter mit dem Thema New Work verbinden, funktions- und positionsbedingt oft stark divergieren. Das heisst, in der Praxis gilt es in der Regel die betrieblichen Notwendigkeiten und die Interessen der Mitarbeiter unter einen Hut zu bringen und den damit verbundenen Prozess zu moderieren.

Neue Konflikte

Hinzu kommt: Beim Neugestalten der (Zusammen-)Arbeit divergieren oft auch die Interessen der Mitarbeiter. Auch dies zeigte sich in der Corona-Pandemie. Während zum Beispiel manche Mitarbeiter die Möglichkeit, fortan im Homeoffice zu arbeiten, begrüssten und hierauf auch künftig nicht verzichten möchten, sehnen andere den Tag herbei, an dem sie endlich wieder im Büro arbeiten dürfen – sei es, weil ihnen der persönliche Austausch und Kontakt mit den Kollegen fehlt oder weil sie sich zumindest auf Dauer durch die Heimarbeit überfordert fühlen. Das heisst, auch in der Mitarbeiterschaft tun sich, wenn es um das Beantworten der Frage geht, wie wollen wir künftig (zusammen-)arbeiten, Konfliktlinien auf. 

Diese werden sich verschärfen, wenn so manche Veränderung, die im Zuge der Corona-Pandemie noch eher einen provisorischen Charakter hatte, im Zuge der systematischen Beschäftigung mit dem Thema New Work zum neuen Normal-Zustand werden soll. Denn dann stellen sich auch Fragen wie: Brauchen die Mitarbeiter, die einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice arbeiten, noch ein eigenes Büro, einen persönlichen Schreibtisch im Betrieb? Aus rationalen Gründen vermutlich nicht, aus emotionalen Gründen eventuell schon! 

Moderatoren erforderlich

Ebenso stellen sich dann Fragen wie:

  • Wer bezahlt die laufenden Kosten wie Miete, Energiekosten, den Internet­anschluss für das Homeoffice? Und:
  • Nach welchen Kriterien werden künftig die Mitarbeiter entlohnt?

Darauf weisen solche Begriffe wie «New Payment» hin, die im Kontext der New-Work-Debatte oft fallen. Ausgehen kann man davon, dass die Arbeitgeber unter dem Strich nicht möchten, dass ihre Personalkosten steigen. Also wird es auch in diesem Prozess Personen geben, die sich eher als Change-Verlierer denn als Change-Gewinner sehen. 

Das heisst, im Zuge der New-Work-Debatte werden zumindest mittelfristig auch Privilegien, Besitztümer sowie liebgewonnene Routinen zur Disposition stehen. Also sind in ihr auch Konflikte vorprogrammiert. Auch deshalb muss der damit verbundene Changeprozess in den Unternehmen moderiert werden. 

Das bedeutet, es müssen in ihm Personen existieren, die eine Mittlerfunktion in diesem Prozess wahrnehmen und bei ihrer Arbeit 

  • die Interessen der Mitarbeiter und die betrieblichen Notwendigkeiten sowie
  • die Auswirkungen gewisser Entscheidungen auf andere Bereiche, die Leistungs- und Marktfähigkeit usw. im Blick haben.

Struktur- und Kulturwandel

Dies hat auch folgenden Grund. Die Praxis zeigt, dass es sich beim Neugestalten der (Zusammen-)Arbeit in den Unternehmen faktisch um einen Changeprozess handelt, der ausser der Strategieebene ebenso die Prozess-, Struktur- und die Kulturebene tangiert. Auch dies sei exemplarisch anhand der während der Corona-Pandemie gesammelten Erfahrungen illustriert. So mussten zum Beispiel, nachdem die Grundsatzentscheidung gefallen war , dass «fortan unsere Mitarbeiter weitgehend zuhause arbeiten mussten», nicht nur die Arbeitsprozesse teils neu definiert werden, es musste auch die technische Infrastruktur hierfür geschaffen werden. Das geschah in der Regel recht schnell. 

Als diese stand, zeigte sich jedoch rasch: Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen müssen wir auch unser bis­heriges Kommunikations- und Informationsverhalten überdenken und hierfür neue Regeln formulieren. Zudem müssen die Führungskräfte ihr bisheriges Führungsverhalten reflektieren und sich fragen, ob sie hiermit in der veränderten Ist-Situation noch die gewünschten Wirkungen erzielen. 

Das war häufig nicht der Fall. Also mussten auch sie ihr Führungsverhalten neu justieren und teilweise sogar ihr Selbstverständnis ändern – beispielsweise um zu verhindern, dass bei manchen Mitarbeitern mit der Zeit die Identifikation mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber bröckelt und der Teamspirit verloren geht. 

Aus der Grundsatzentscheidung «Fortan arbeiten unsere Mitarbeiter weitgehend von zuhause aus» resultierte also auch ein grosser Lernbedarf bei den Führungskräften und den Mitarbeitern. Sie mussten sich zudem teilweise neu definieren; ihr sogenannter Mindset musste sich ändern.

Neuer Lernbedarf

Ähnlich verhält es sich, wenn die Unternehmen zum Beispiel unter dem Stichwort «Empowerment» mehr Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse auf die Mitarbeiter übertragen. Auch dann geht damit ausser einem Strukturwandel auch ein Kulturwandel einher, der gezielt geplant, gesteuert und «befeuert» werden muss, damit die Veränderungsenergie nicht erlahmt. Zudem resultiert hieraus ein Lernbedarf auf der individuellen und organisationalen Ebene, der befriedigt werden muss. 

Um ein solches Changeprojekt zu meistern, bedarf es in den Unternehmen bereichsübergreifend Personen, 

  • die sich mit den damit verbundenen Zielen voll identifizieren, 
  • die den damit verbundenen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess über den hieraus resultierenden Changebedarf mit den Betroffenen moderieren und 
  • diese bei dessen Bewältigung unterstützen.

Es bedarf also Promotoren des angestrebten Changes auf der operationalen Ebene, die zugleich als Sounding Board der Interessen und Wünsche, aber auch Ängste und Befürchtungen der Mitarbeiter und Bedürfnisse gegenüber der Unternehmensleitung fungieren.

«New Work Pioneers» etablieren

Solche «New Work Pioneers» auf der operativen Ebene sind zur Steuerung des Gesamtprojekts auch nötig, 

  • damit das sogenannte Employee Voice in dessen Planung einfliesst und 
  • damit die Veränderungen auf der operativen Ebene sich an den gemeinsamen, übergeordneten Werten und Zielen orientieren. 

Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Bereiche in der Organisation bezüglich ihrer Kultur und Arbeitsweise zunehmend ein Eigenleben führen oder die Veränderungen nicht nachhaltig sind. Das helfen «New Work Pioneers» zu vermeiden.

Porträt