Strategie & Management

Verhandlungsprozesse

Wie das Entwickeln von Alternativen zum Erfolg führen kann

Glück bei einer Verhandlung spielt weit seltener eine Rolle, als allgemein angenommen. Per Definition steht Glück für einen Zufall oder einen (un)verdienten positiven Umstand – also für etwas, worauf man sich besser nicht verlassen sollte. Für die, die den Ausgang der nächsten Verhandlung nicht Fortuna überlassen wollen, bleibt die professionelle Vorbereitung.
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Parteien, die sich vor einer Verhandlung keine strukturierten Gedanken machen, sind nicht per se gegen eine Vorbereitung, sie haben einfach keine Zeit oder verstehen unter einer Vorbereitung einen weniger ausführlichen Prozess. Keine Zeit heisst, dass die Prioritäten woanders liegen, zum Beispiel beim Lösen operativer Probleme, der Berichterstattung oder der Auseinandersetzung mit innerbetrieblichen Abgrenzungen. Es mag sein, dass diese Prioritätensetzung punktuell richtig ist.

Berücksichtigt man die Tatsache, dass keine Tätigkeit mehr Umsatz generiert und Kosteinsparungen realisiert als das Verhandeln, ist die persönliche Auseinandersetzung damit, ob die gesetzten Prioritäten die richtigen waren, spätestens nach dem Ausgang der Verhandlung, in die man unvorbereitet ging, unumgänglich. Wer sich im Vorfeld einer Verhandlung vorwiegend mit den Themen Preis, Vertrag und Argumenten auseinandersetzt, darf nicht erstaunt sein, wenn sich die Gespräche dann auch nur auf diese Punkte beschränken. Beide Parteien argumentieren hin und her, wieso ihre Sicht der Dinge die richtige ist, der Prozess kommt ins Stocken und Machtkarten werden ausgespielt. Wer seine Position stärken, ausbauen und kreatives Potenzial ausschöpfen will, dem stehen interessante und wertgenerierende Modelle zur Verfügung. Auf eines wird hier im Speziellen eingegangen.

Das «Batna»-Modell

Der Prozess beginnt mit dem Suchen und Analysieren vorhandener Alternativen (Batna = Best Alternative To a Negotiated Agreement). Die Frage lautet: Was soll oder wird geschehen, wenn die bevorstehende Verhandlung zu keiner Einigung führt? Oftmals ist man versucht zu sagen, dass es in diesem oder jenem Fall keine Alternative gibt und eine Einigung um jeden Preis gefunden werden muss. Diese Sicht der Dinge ist nahezu immer falsch. In der Regel gibt es sogar mehrere Alternativen, diese mögen auf den ersten Blick nicht attraktiv aussehen, aber sie existieren.

Eine Alternative kann auch darin bestehen, nicht auf den Deal einzugehen und den Verhandlungstisch zu verlassen. Mit einem bewusst in Kauf genommenen Umsatzeinbruch inklusive einer einzuleitenden Umstrukturierung lässt sich eventuell besser leben als mit einem desaströsen Vertrag, der eine Firma über Jahre hinweg knebelt, limitiert oder eventuell an den Abgrund ihrer Existenz bringt.

Glücklicherweise sind im Alltag die meisten Alternativen weit weniger belastend. Im Gegenteil, wer sucht, der findet. Je mehr man sich mit möglichen Alternativen auseinandersetzt, sie analysiert und entwickelt, desto attraktiver können sie werden. Somit ist dieser Prozess nicht nur ein kreativer, sondern auch ein strategischer, denn aus Alternativen können Optionen und Chancen entstehen, die ohne diesen Prozess unentdeckt geblieben wären. Der Nutzen einer intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Alternativen liegt auf der Hand: Je besser eine realisierbare Alternative ist, desto stärker wird die eigene Verhandlungsposition. Man fühlt sich sicherer und verhandelt souveräner.

Ein Beispiel aus der Praxis

Um die Vorteile einer «Batna» zu erläutern, dient als Beispiel ein mittelgrosses Unternehmen ausserhalb von Zürich, das nach einem attraktiven Wachstum seine Büros näher zu seinen Kunden in die Innenstadt verlagern will. Erste Abklärungen haben ergeben, dass sich die Mietkosten in der Innenstadt nahezu verdoppeln würden. Der Traumstandort wird schnell gefunden. Der Preis wäre, wie erwartet, substanziell höher, der Lage aber angemessen und im Budget gerade noch verkraftbar – ein Glückstreffer sozusagen. Die Begeisterung steigt, vor dem geistigen Auge erscheinen helle Büros, toller Ausblick, prestigeträchtige Lage bis hin zum eingravierten Firmennamen beim Eingang, der von der Strasse aus toll aussehen wird – die emotionale Bindung hat soeben eingesetzt.

Ohne gut ausgebaute Alternativen wäre die Verhandlungsposition der Firma denkbar ungünstig. Hier liegt Geld in Form von Miete, Optionen, Dauer und weiteren Zusatzleistungen auf dem Tisch, zusätzlich Chancen, die aufgrund der isolierten Betrachtungsweise unerkannt bleiben würden. Wer in einer solchen Situation im Team ein Brainstorming über Alternati­-ven vornimmt, Ideen ohne Wertung zulässt, die Alternativen anschliessend entwickelt sowie konkretisiert, erhält mit Sicherheit weitere Optionen, die ebenso oder noch attraktiver sein können als der vermeintliche Favorit.

Der nächste Schritt in der Vorbereitung ist die Prüfung der Alternativen der Gegenpartei. Was würde diese machen, wenn der Deal nicht zustande käme? Man wäre naiv zu glauben, dass diese keine adäquate Alternative besässe. Je klarer das Bild über mögliche Alternativen der Gegenpartei wird, desto besser kann die Verhandlung gesteuert werden. Auch diese Auseinandersetzung wird wertgenerierende Erkenntnisse an den Tag bringen, die entscheidend für die Zukunft der Firma sein können. Es dreht sich auch hier nicht immer alles nur um den Preis.

Die Interessen ausloten

Nachdem die Alternativen beider Parteien bestmöglich geklärt wurden, sind die Interessen, die hinter einem Verhandlungsziel stehen, zu erforschen. Bei den neuen Büros in der Innenstadt sehen die Interessen des Mieters wie folgt aus: Kundennähe, Umsatzsteigerung, Prestige und Status. Die Interessen des Vermieters sind vermutlich ein seriöser Mieter, hohe Mieteinnahmen und keine Sorgen. Diese eher oberflächlichen Interessen sind nicht falsch, bieten in dieser Form aber keine Grundlage, den Verhandlungsgegenstand für beide Parteien noch attraktiver zu machen. Auf dieser Basis ist davon auszugehen, dass es beim Verhandlungsgegenstand, dem Mietobjekt, lediglich darum geht, ob ein Mietvertrag zustande kommt und falls ja, zu welchem Mietpreis. Vereinfacht gesagt, steht für eine zur Verfügung stehende Fläche der Preis und allenfalls der Mietbeginn sowie die Mietdauer zur Diskussion. Ein reines Seilziehen – was der eine mehr erhält, bekommt der andere weniger. Eine sogenannte Win-lose-Situation oder im Verhandlungsjargon: eine distributive Verhandlungsform.

Daran ist grundsätzlich nichts Falsches, sie ist einfach nicht sonderlich kreativ, nicht wertvermehrend und oftmals das Resultat einer ungenügenden Vorbereitung. Wer nicht mehr weiss, verhandelt über das, was er kennt, in diesem Beispiel über den Mietpreis. Wer glaubt, keine Alternativen zu haben, fühlt sich schwach und wird beim Mietpreis (Mieter zahlt zu viel oder Vermieter fordert zu wenig) Konzessionen eingehen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten.

Alternativen ausbauen

Anders sieht es aus, wenn man nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen und der Evaluation verschiedener Alternativen auf zusätzliche Ideen stösst, die den eigenen Horizont in Sachen Möglichkeiten und Interessen vergrössern. Im Fall der genannten Firma hatte dies zur Folge, dass nicht nur die Kundennähe, sondern die Bindung der Kunden als wichtig erachtet wurde. Die entwickelten Alternativen zeigten neue Wege auf, wie Begegnungen mit ihren Kunden künftig stattfinden könnten. Prestige und Tradition rückten in den Hintergrund, Kulturelles, Events, Tagungen und kreatives Begegnen in den Vordergrund. Eine Dynamik kam auf, die vor diesem Prozess nicht denkbar gewesen wäre. Der Mietvertrag am ursprünglichen Traumstandort kam zustande, aber in einer anderen, ergänzenden und für alle Parteien attraktiveren Form. In der an den Büros angebauten Liegenschaft befand sich eine Galerie, deren Eigentümer mit dem Gedanken spielte, aufgrund des mangelnden Kundeninteresses seine Ambition, Kunst auszustellen und verkaufen zu können, aufzugeben.

Heute sind Büros und die ehemalige Galerie zusammengeschlossen. Der Vermieter war bereit, bei der Miete Konzessionen einzugehen, und konnte dafür einen langjähren Streit über ein Wegerecht mit dem Nachbarn (Galeristen) beilegen. Für die längst überfällige Fassadenrenovation konnte eine gesamtheitliche Lösung gefunden werden, die das Erscheinungsbild und den Wert der Liegenschaft positiv beeinflussen wird. Die Firma profitiert dank ihrer Verhandlungsposition sowie der Vermittlerrolle von einer günstigeren Miete und übernimmt gewisse Kosten der ehemaligen Galerie und kann sie im Gegenzug für Tagungen, Events und Kreativanlässe nutzen. Die Firma ist heute nicht nur näher bei ihren Kunden, sondern hat ihr Image modernisiert und die Kundenbindung gefestigt. Die Galerie ist zwar keine Galerie mehr im klassischen Sinne, Kunst wird aber immer noch ausgestellt und verkauft. Die gemeinsame Nutzung und die übergreifenden Rahmenbedingungen haben sich auch für den «ehemaligen» Galeristen gelohnt.

Alternativen müssen entwickelt werden, sie liegen in der Regel nicht im Detail ausgearbeitet auf der Strasse. Eine solide, auch wirklich realisierbare Alternative ist mehr als nur eine Fallback-Strategie. Sie liefert neue Sichtweisen, Optionen und Chancen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Verhandlungen haben können. Beim Erforschen der Interessen geht es nicht darum, das Offensichtliche aufzulisten, sondern die tiefer liegenden Motivationen und Interessen zu verstehen, also, wieso man etwas möchte.

Das Ganze auch aus der Sicht der Gegenpartei zu sehen, bietet ebenfalls interessante und wichtige Hinweise. Sich in die Schuhe der anderen Partei zu stellen, generiert Empathie und kann die eigene, subjektive Sicht der Dinge in ein anderes Licht rücken. Die durch Marktabklärungen, Kundengespräche, Online-Research oder Brainstorming-Prozesse gewonnenen Informationen stärken nicht nur die eigene Verhandlungsposition, bei Verhandlungen mit Kunden oder Partnern lassen sich dadurch auch Markttendenzen rascher und klarer erkennen.

Die Alternativen und Interessen sind die Zaubermittel der Vorbereitung. Hierfür braucht man aber nicht auf den nächsten Standortwechsel oder eine strategische Verhandlung mit einem Kunden zu warten, sie lassen sich ebenso erfolgreich bei Mitarbeitergesprächen oder dem Aushandeln neuer Liefertermine einsetzen.

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