Strategie & Management

Künstliche Intelligenz

Wie Algorithmen die Wirtschaft beeinflussen

Intelligente Systeme gewinnen immer mehr an Bedeutung in der Wirtschaft: Sie gestalten Preise, beeinflussen Kaufentscheide in Finanzmärkten, bewerten Risiken und Chancen und sind sogar Mitglieder von Verwaltungsräten. Algorithmen werden zunehmend zum Motor für die wirtschaftliche Entwicklung.
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Seit über einem Jahr sitzt Vital im Verwaltungsrat der Firma «Deep Knowledge», einer Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Hongkong. Vital steht für «Validating Investment Tool for Advancing Life Sciences» und ist das erste intelligente System, welches als vollwertiges stimmberechtigtes Mitglied eines Verwaltungsrates die Oberaufsicht über ein Unternehmen mitbeeinflusst.

Die Firma investiert in medizinische Unternehmen und laut Dmitry Kaminskiy, einem anderen Mitglied des Verwaltungsrates, wird die Meinung von Vital «wahrscheinlich als die Wichtigste gelten». Eine andere prominente künstliche Intelligenz steht seit vier Jahren im Rampenlicht. Es handelt sich um Watson, ein kognitives System von IBM, welches sich am 16. Februar 2011 gegen zwei Champions im Spielquiz «Jeopardy» durchgesetzt hatte. Heute wird Watson in der Medizin und im Finanzbereich eingesetzt.

Beide Beispiele stehen für den zunehmenden Einsatz von intelligenten Systemen in der Wirtschaft. Der Chefanalyst von Gartner, Peter Sondergaard, hat diesen Trend an seiner Eröffnungsrede zum Gartner-Symposium im Oktober vergangenen Jahres beschrieben: «Stellen Sie sich einen Markt vor, auf dem Abermillionen von Algorithmen zur Verfügung stehen. Jeder davon ist ein Stück Software, welches ein Problem löst oder eine Marktchance eröffnet.» Und er geht davon aus, dass der nächste Innovationsschub durch den breiten Einsatz dieser Algorithmen bei der Auswertung von Daten aus dem Internet der Dinge (IoT) erfolgen wird.

Mitte Dezember 2015 hat IBM bekannt gegeben, 1000 neue Arbeitsplätze im Geschäftsbereich Watson IoT in München zu schaffen mit dem Ziel, «über kognitive Fähigkeiten vernetzte Geräte, Systeme und Sensoren intelligent zu machen und neue Marktchancen zu erschliessen». Hochfrequenzhandel an Börsen, automatisierte Preisgestaltung und die Auswertung sehr grosser Datenmengen sind bereits heute wichtige und gut etablierte Einsatzgebiete intelligenter Systeme. Weitere werden folgen.

Algorithmen im Einsatz

Unter Hochfrequenzhandel wird der Börsenhandel zwischen Computern verstanden. Sie kaufen und verkaufen immer schneller vollautomatisch Wertpapiere. Die Steuerung erfolgt über Algorithmen, die aufgrund einer Vielzahl von Informationen sehr schnell entscheiden, welche Wertpapiere zu welchem Kurs wann zu erwerben respektive zu verkaufen sind. Bereits vor zwei Jahren wurde die Hälfte des Handelsvolumens in den USA über solche Systeme abgewickelt. In Europa war es damals ungefähr ein Viertel.

Die automatisierte oder auch dynamische Preisgestaltung bedeutet, dass Preise abhängig von einer Vielzahl von Faktoren wie beispielsweise der Nachfrage, dem Wetter, dem Angebot oder der Uhrzeit sehr schnell angepasst werden. Im Prinzip wird die Zahlungsbereitschaft der Kunden durch Algorithmen laufend geprüft und die Preise werden entsprechend angepasst. Uber-Chef Travis Kalanick erklärte im ‹Tages-Anzeiger› den Einsatz von Algorithmen so: «Wir setzen nicht den Preis. Der Markt legt den Preis fest. Und wir haben Algorithmen, die bestimmen, was der Markt ist.»

Die Auswertung sehr grosser Datenmengen durch Algorithmen erlaubt Unternehmen, kluge Entscheidungen auf Basis umfassender Informationen zu fällen. So werden beispielsweise Bedarfs- und Absatzplanungen sowie die Optimierung von Abläufen und technischen Prozessen durch den Einsatz statistischer Analyseverfahren unterstützt. Oder es werden zukünftige Ereignisse (z. B. anstehende Vertragskündigungen) durch Algorithmen vorausgesagt. Unternehmen können aufgrund dieser Informationen rechtzeitig handeln und damit einen Kunden besser binden. Kreditkarten- und Telekommunikationsunternehmen nutzen seit Langem eine Vielzahl von intelligenten Systemen, um Betrugsfälle sehr schnell aufzudecken oder gar zu verhindern.

Die Vorteile

Die Vorteile des Einsatzes von Algorithmen liegen auf der Hand: Sie können Entscheidungen auf Faktenbasis sehr viel schneller und nachvollziehbarer ausführen. So führt der Hochfrequenzhandel gemäss der Studie «High Frequency Trading and End-of-Day Price Dislocation» der Ökonomen Zhan, Cumming und Aitken dazu, dass Marktmanipulationen behindert werden. Die dynamische Preisbildung eröffnet Unternehmen ein interessantes Instrument, um Produkte sehr viel näher am Markt zu bepreisen und damit erfolgreicher als die Konkurrenz zu operieren. Sie wird aus diesem Grund auch zunehmend in der Schweiz getestet und eingesetzt. Beispielsweise im Onlinehandel durch Galaxus / Digitec, Brack und Coop oder in der Touristikbranche.

Die kluge Auswertung der vielen Daten als weiteres bewährtes Einsatzgebiet von Algorithmen, die im und um das Unternehmen herum anfallen, hilft Unternehmen, den Kunden und den Markt besser zu verstehen, Produkte und Services schneller und gezielter zu platzieren, Kosten zu sparen, Umsätze zu steigern und Wettbewerbsvorteile auszubauen. Aus diesem Grund ist dieses Einsatzgebiet, welches auch «Big Data Analytics» genannt wird, sehr interessant für alle Unternehmen. Und es etabliert sich darüber hinaus eine neue Berufsgattung, die sich ausschliesslich mit der klugen Anwendung von Algorithmen zum Zwecke der Informationsgewinnung auseinandersetzt, sie nennt sich «Data Scientist».

Die Nachteile

Der zunehmende Einsatz von Algorithmen in der Wirtschaft hat jedoch nicht nur Vorteile: Es ist nicht immer gesagt, dass sämtliche Entscheidungen, welche durch intelligente Systeme getroffen werden, auch in jedem Fall die besseren Entscheidungen sind. So kann zum Beispiel an der Börse in Krisensituationen der Hochfrequenzhandel durch das schnelle und hohe Transaktionsvolumen die Krise noch zusätzlich verstärken.

Dynamische Preisbildung kann den Wettbewerb verzerren, wie beispielsweise die Untersuchung «Antitrust and the Robo-Seller: Competition in the Time of Algorithms» des amerikanischen Rechtsprofessors Salil Mehra zeigt. Der Bereich «Big Data Analytics» ist derart stark in Entwicklung, dass belastbare Studien über gravierende Nachteile in diesem Anwendungsgebiet für Algorithmen noch nicht sehr verbreitet sind. Bemerkenswert ist jedoch, dass in Europa viele Verbraucher der Profilbildung durch Unternehmen kritisch gegenüberstehen. Die Beurteilung des Verbraucherverhaltens durch intelligente Systeme als Basis für Preis- und Produktgestaltung wird so für Unternehmen zur Herausforderung.

Fazit

Es gilt, die Vorteile gut zu erklären und das Vorgehen für den Kunden und den Gesetzgeber nachvollziehbar zu gestalten. Der Einsatz von Algorithmen in der Wirtschaft steckt nur scheinbar noch in den Kinderschuhen. Bewährt haben sich Algorithmen längst in den drei Bereichen computergestützter Börsenhandel, dynamische Preisbildung und Big Data Analytics. Jedes Unternehmen, welches diese Anwendung intelligenter Systeme in Betracht zieht, ist gut beraten, sich die entsprechenden Lösungen sehr genau an­zusehen und eine Adaption in Betracht zu ziehen. Anders sieht es jedoch in den neuen Anwendungsgebieten aus. Viele grosse Hersteller wie beispielsweise IBM, Microsoft, Bosch, die gesamte Automobilbranche und viele andere sind im Begriff, neue Einsatzgebiete für Algorithmen zu finden. Das wird in naher Zukunft zu innovativen Lösungen führen.

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