Strategie & Management

Aus- und Weiterbildung 1

Wichtige Handlungsfelder gegen den Fachkräftemangel

Vor allem der demografische Wandel, aber auch die technologischen Entwicklungen führen zum Fachkräftemangel in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie. Es fehlen Fachkräfte bei den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Berufen wie auch den Technikern. Entsprechend gross sind die Anstrengungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung.
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Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) ist eine facettenreiche und innovative Technologie-Branche. Zahlreiche Schweizer MEM-Unternehmen gehören zu den weltweit führenden Anbietern von technologisch hochstehenden Produkten und Dienstleistungen. Die Branche bietet ihren rund 320 000 Beschäftigten viele spannende und anspruchsvolle Jobs. In der MEM-Branche besteht allerdings bereits heute ein Fachkräftemangel.

Zudem verändern sich im Zuge der Di­gitalisierung die Anforderungen an die Fähig- und Fertigkeiten der Mitarbeiter. Gezielte Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung sind für die MEM-Branche wichtige Handlungsfelder, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Doch sind die Aus- und Weiterbildungsstrukturen bereit dafür?

Herausforderungen

Mit dem jüngsten Aufschwung hat sich die Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Branche wieder erhöht. Der gute Auftragseingang, die hohe Kapazitätsauslastung und die vielen offenen Stellen deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach qualifiziertem Personal weiter steigen wird. Gleichzeitig besteht in der MEM-Branche bereits heute ein Fachkräftemangel. Dieser wird sich in den nächsten Jahren durch die hohe Anzahl or­dentlicher Pensionierungen zusätzlich verschärfen, weil weit weniger Menschen aus dem Nachwuchs in den Arbeitsmarkt nachrücken.

Parallel dazu unterliegt der Arbeitsmarkt in der Schweiz einem stetigen Wandel. Mit der fortschreitenden Digitalisierung verändern sich die Berufsbilder und die Berufsmobilität nimmt zu. Einerseits sind gewisse Fähigkeiten viel weniger oder nicht mehr gefragt. Andererseits steigt die Nachfrage nach Kompetenzen, die im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. Unter dem Strich hat der Fachkräftemangel somit eine quantitative und eine qualitative Dimension.

Für viele Industriebetriebe wird es angesichts dieser Entwicklung immer schwieriger werden, genügend adäquat ausgebildete Fachkräfte zu finden. Gelingt dies allerdings nicht, droht sich die Innovationskraft, die Leistungsfähigkeit und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der MEM-Unternehmen zu vermindern. Gezielte Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung sind für die Branche und die Unternehmen die wohl wichtigsten Handlungsfelder, um dieser Herausforderung zu begegnen.

Schlüsselaktivität Bildung

Der Strukturwandel und die technologische Entwicklung in der MEM-Industrie bringt es mit sich, dass künftig immer weniger niedrigqualifizierte und immer mehr hochqualifizierte Mitarbeiter be­nötigt werden. Mangel besteht heute bereits bei den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Berufen sowie bei den Technikern. Kritisch ist der Mangel auch bei Berufen in der Automation und der Informatik, wo aufgrund der zunehmenden Digitalisierung ein beachtliches Beschäftigungswachstum zu erwarten ist.

Der Zufluss an Technikern und Ingenieuren erfolgt grossmehrheitlich aus der beruflichen Grundbildung. Das sind Männer und Frauen mit einer Ausbildung als Elektroniker, Automatiker, Polymechaniker, Anlagen- und Apparatebauer oder Konstrukteur, die sich danach weiterbilden. Dieses Reservoir an Nachwuchsfachkräften konnte in den letzten Jahren nie mehr ausreichend aufgefüllt werden. Im Schnitt blieben fünf bis sieben Prozent der angebotenen Lehrstellen unbesetzt.

Die technischen Berufe in der MEM-Industrie stellen teilweise gleich hohe Anforderungen an die intellektuelle Leistungsfähigkeit wie die Gymnasien. Abgestimmt auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden existieren zwei, drei und vierjährige Berufslehren, welche zu einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder einem eidgenössischen Berufs­attest (EBA) führen. Im Anschluss daran gibt es mehrere Wege, um sich zum Techniker oder Ingenieur weiterzubilden.

Die Höhere Berufsbildung bietet ausgewiesenen Fachkräften eine vielseitige fachliche Vertiefung sowie Spezialisierung. Hinzukommen die Fachhochschulen, die berufsorientierte Bildungsgänge in den Ingenieurwissenschaften anbieten. Und nicht zuletzt bilden auch die Universitäten sowie die ETH und die EPFL Ingenieure aus.

Neue Personenkreise gewinnen

Der Fachkräftemangel ist somit nicht die Folge von fehlenden Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Vielmehr ist es der demografische Wandel, welcher zu einem Nachfrageüberhang führt. Es muss deshalb das Ziel der MEM-Branche sein, neue Personenkreise anzusprechen. Das bestehende Bildungssystem deckt zwar erfolgreich die Erstausbildung sowie die Weiterbildung innerhalb eines bestimmten Berufsfeldes ab. Es ist aber nicht für einen Wechsel des Berufsfelds durch eine Zweitausbildung ausgelegt.

Swissmem hat deshalb ein Umschulungsmodell erarbeitet. Ziel ist es, die Berufsmobilität zu erleichtern und so zusätzliche Fachkräfte für die MEM-Industrie zu gewinnen. Das Swissmem-Modell fokussiert auf die bereits qualifizierten Personen. Es richtet sich sowohl an die Beschäftigten mit einem Berufsabschluss als auch an Per­sonen mit einem Tertiärabschluss und ist somit keine Berufslehre im her­kömm­lichen Sinn. Es ermöglicht eine er­wachsenengerechte Zweitausbildung mit entsprechendem Abschluss unter Berücksichtigung und Anerkennung der bereits vorhandenen Fähigkeiten.

Dieses Umschulungsmodell schliesst eine der wenigen Lücken im insgesamt gut strukturierten MEM-Bildungssystem. Die Grundzüge des Modells wurden in diesem Jahr im neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der MEM-Industrie verankert. Unter dem Begriff «MEM-Passerelle 4.0» werden die GAV-Vertragsparteien in Zusammenarbeit mit den Behörden und Netzwerkpartnern in den kommenden Monaten die notwendigen Strukturen und Instrumente entwickeln. Ziel ist es, im kommenden Jahr mit Pilotprojekten zu starten.

Lerninhalte und -methoden

Die Strukturen sind jedoch nur eine Antwort auf die Frage, ob die Branche in Bezug auf Aus- und Weiterbildung zeitgemäss aufgestellt ist. Letztlich geht es auch um die Lerninhalte und Lernformen. Sicher ist: Die Curricula in der beruflichen Grundbildung und in der berufsorientierten Weiterbildung entsprechen den heutigen Anforderungen, denn sie werden stark durch den Arbeitsmarkt beziehungsweise die Unternehmen geprägt. Die rollende Überprüfung der Curricula sorgt für deren technologische, digitale und methodische Aktualität.

Demnächst startet der ordentliche Prozess der Überprüfung der technischen MEM-Berufe, die in der Regel alle fünf Jahre durchgeführt wird. Im Zuge davon werden die Bedürfnisse der Betriebe in allen Landesteilen erfasst und auf dieser Grundlage Innovationen und Anpassungen der Berufsbilder, der Ausbildungssystematik und -inhalte vorgenommen. Die Aktualisierung der Kaufmännischen Grundausbildung ist bereits im Gange.

Neben den Lerninhalten müssen auch die Lernformen und -methoden den heutigen Anforderungen angepasst werden. Die Ausbildung muss zunehmend individuell und situationsgerecht erfolgen. Der Trend geht in Richtung kurzer, intensiver Lern­einheiten, welche den konkreten Anwendungsfall im Fokus haben. Anwendungswissen und Problemlösefähigkeit zählen heute mehr als reine Fachtheorie, welche sowieso per Mausklick im Internet jederzeit verfügbar ist.

«Blended Learning» unterstützt diese Anforderungen. Dieses integrierte Lernkonzept fügt die heute verfügbaren Lehr- und Lernmöglichkeiten in einem Gesamtarrangement zusammen. Losgelöst von Ort und Zeit sowie angepasst an die individuellen Bedürfnisse der Lehrgangsteilnehmer kombiniert es verschiedene Ausbildungsmethoden und -medien, wie zum Beispiel klassisches Präsenztraining, Online-Angebote sowie Erfahrungsaustausch unter Teilnehmern. Swissmem bietet bereits heute sämtliche Lehrinhalte für die beruflichen Grundbildungen online an.

Der Fokus liegt auch im Bereich der Weiterbildung auf Handlungskompetenzen in der direkten Anwendung am eigenen Arbeitsplatz. Dadurch wird das Lernen nachhaltiger, abwechslungsreicher und hat den Vorteil, dass der Mitarbeitende weniger lang betriebsabwesend ist. Innerhalb der Unternehmen braucht es dafür allerdings einen angemessenen Rahmen, der den Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, direkt Umsetzungserfahrungen zu sammeln. Vor allem Führungskräfte sind hier in der Mitverantwortung, diesen Rahmen zu schaffen. Die Swissmem Academy passt alle ihre Angebote Schritt für Schritt entlang dieses Konzepts an.

Fazit  

Die heutigen Aus- und Weiterbildungsstrukturen der MEM-Industrie sind inhaltlich und methodisch geeignet, der qualitativen Dimension des Fachkräftemangels erfolgreich zu begegnen. Das Prinzip «kein Abschluss ohne Anschluss» ist flächendeckend umgesetzt. Egal, welche schulischen und beruflichen Voraussetzungen eine Person mitbringt, ein Ein-, Auf-, und/oder Umstieg ist oder wird grundsätzlich immer möglich sein. Zudem kann der Werdegang hin zu den gefragten Techniker- und Ingenieurkom­petenzen auf verschiedensten Wegen beschritten werden. Moderne Lernformen und -methoden etablieren sich ebenfalls in angemessener Art und Weise. Die MEM-Passerelle 4.0 hat im Weiteren das Potenzial, auch die quantitative Seite etwas zu entspannen.

Dennoch bleiben auch die Unternehmen gefordert. Die Investitionen in Employer Branding, in attraktive Arbeitsbedingungen und für Raum, Zeit sowie die finanzielle Unterstützung für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden werden mitentscheiden, ob die Betriebe künftig genügend adäquat ausgebildete Fachkräfte rekrutieren und halten können.

Im Zusammenspiel der Unternehmen, mit Verbänden und Bildungsinstitutionen kann so das inländische Fachkräftepotenzial bestmöglich ausgeschöpft werden. Allerdings wird dies nicht ausreichen, um die Nachfrage der Schweizer Wirtschaft nach Fachkräften vollständig zu befriedigen. Die Unternehmen müssen auch künftig die Möglichkeit haben, unbürokratisch Spezialisten im Ausland rekrutieren zu können. Aus diesem Grund müssen die bilateralen Verträge mit der EU und insbesondere die Personenfreizügigkeit erhalten bleiben.