Strategie & Management

Benchmarking II

Was Finanzinstitute von KMU lernen könnten

Sinkendes Kundenvertrauen, fehlende Innovationen, mangelnde Servicequalität – die Finanz­industrie steht vor grossen Herausforderungen. Obwohl die Institute über deutlich mehr finanzielle Mittel verfügen, sind ihnen KMU in vielen Fällen überlegen. Dieser Beitrag zeigt, was KMU besser machen und in welchen Bereichen Finanzinstitute daraus lernen können.
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Nachdem sich die Finanzindustrie während vielen Jahren in einem prosperierenden Umfeld entwickeln konnte, haben sich seit der Finanzkrise die Vorzeichen geändert. Die Reputation und das Vertrauen wurden nachhaltig geschädigt und die Profitabilität reduziert. Heute müssen die alten Geschäftsmodelle aufgegeben, Interessenkonflikte reduziert und die aggressiven Anreizsysteme hinterfragt werden.

Neue Führungskultur nötig

Es geht also um Innovation, um Servicequalität, um die Erarbeitung des Kundenvertrauens und um die Begründung der Leistungen. Hinzu kommen die internen Herausforderungen. Die Führungsaufgaben in der Finanzindustrie hatten sich mancherorts darauf beschränkt die Mitarbeitenden mit hohen Boni und Salären bei der Stange zu halten. Die schwierigere Ertragssituation aufgrund neuer Regulierungen und der aktuellen Zinssituation schmälert die Möglichkeiten in diesem Bereich und erfordert eine neue Führungskultur, damit die Anforderungen des Marktes erfüllt werden können. Aus Kundensicht ist diese Entwicklung erfreulich, offen bleibt aber, wie weit die Finanzinstitute versuchen werden, Kosten auf die Kunden zu überwälzen.

Finanzinstitute müssen sich fokussieren, rechtschaffen arbeiten und mit motivierten Mitarbeitern gute Leistungen erbringen. Der Reflex der Finanzinstitute auf die neuen Rahmenbedingungen ist aber manchenorts immer noch in der alten Kultur verhaftet. Es wird versucht, das Unabwendbare hinauszuzögern, die alten Rezepte nochmals aufzufrischen und nötige Anpassungen am Geschäftsmodell zu vermeiden.

KMU an Wandel gewohnt

Für KMU sind starke Veränderungen im Marktumfeld seit vielen Jahren regelmäs­sig wiederkehrende Ereignisse, welche die Geschäftsmodelle und die Kultur infrage stellen. Die Anpassungsfähigkeit von kleineren Unternehmen wird regelmässig auf die Probe gestellt und deren Reaktionsfähigkeit entscheidet über das wirtschaftliche Überleben. In mancher Hinsicht sind KMU deshalb vielen Finanz­instituten in der Anpassungsfähigkeit überlegen. Weshalb gelingt es nun einigen Unternehmen besser auf neue Herausforderungen zu reagieren als anderen? Der Schlüssel liegt meines Erachtens in der Informationsverarbeitung, im unterschiedlichen Rollenverständnis der Entscheidungsträger, in der Kultur und in den Werten der Unternehmen. Ausserdem sind knappe Ressourcen von Vorteil, um innovative Lösungen zu finden und umzusetzen. Betriebswirtschaftliches oder technisches Wissen ist zweitrangig. Es kann in unserer heutigen Informationsgesellschaft mit guter Qualität beschafft werden, ausser vielleicht bei absoluten «leading edge», Technologien.

Beginnen wir bei der Informationsverarbeitung, den Sensoren und den Nervenbahnen eines Unternehmens. Bei den meisten KMU sind die wichtigen Führungskräfte direkt im Kontakt mit ihren Kunden, sind in Verkaufssituationen in­volviert und können häufig auch bei Produktions- und Lieferproblemen in­haltliche Beiträge leisten und die richtigen Fragen stellen. Somit erreichen die Signale an der Basis die oberste Führung direkt und rascher, als dies bei grösseren Finanzinstituten der Fall ist, wo die obersten Führungsebenen den direkten Kontakt mit den Kunden oder der Leistungserbringung nur in Ausnahmefällen pflegen.

Da die meisten KMU inhaber- oder familiengeführt sind, kommt noch ein weiteres Element hinzu. Die Führung ist an echten inhaltlichen Problemlösungen interessiert und hat eine langfristige Perspektive. Deshalb ist die Informations­verarbeitung unverfälschter als bei managementgeführten Organisationen, wo ein ständiger Druck besteht, in jeder Situation gut dazustehen. Häufig müssen Manager die Folgen von längerfristig wirksamen Entscheidungen nicht tragen, da sie ihre Aufgaben in kurzer Folge wechseln und für Altlasten in Hinterlassenschaften nicht zur Verantwortung gezogen werden. In solchen Kulturen besteht ein starker Anreiz, negative oder beunruhigende Signale aus dem eigenen Verantwortungsbereich nur in abgeschwächter oder geschönter Form weiterzuleiten.

Hier wird klar, dass KMU im Vergleich zu Finanzinstituten häufig über ein bes­ser entwickeltes Sensorium verfügen, da schon die ersten schwachen Signale von wichtigen Veränderungen aus dem Markt- oder Produktbereich die oberste Führungsebene rasch und unverfälscht erreichen.

Herausforderungen annehmen

Wie werden diese Signale nun weiter­verarbeitet? Auch hier bestehen grosse Unterschiede. Während die Reaktion in der Finanzindustrie beim Entscheidungs­träger zuerst eher Fragen auslöst wie «Was hat das mit mir zu tun?», oder «Wie komme ich selbst ungeschoren aus dem Problem?», steht bei KMU die Frage nach der Bedeutung der Signale für das ganze Unternehmen im Vordergrund. Die längerfristige Perspektive hilft auch zu sehen, dass ein festgestelltes Problem nicht von selbst weggeht, sondern dass man sich der Herausforderung stellen muss.

Ist einmal erkannt worden, dass neue Rahmenbedingungen eine Anpassung erfordern, geht es darum, mögliche Lösungen zu entwickeln, zu bewerten, aus­zuwählen und umzusetzen. Neues und Besseres entsteht vor allem dann, wenn die Ressourcen und Möglichkeiten beschränkt sind. Die Beschränkung zwingt die Führung dazu, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen, Bestehendes fundamental infrage zu stellen und auch radikal neue Vorgehensweisen zu überprüfen. Genauso wie beim Lernen passiert Innovation nicht in der Komfortzone, sondern meist ausserhalb dieser.

Mehr Mut für Innovationen

Manager bei Finanzinstituten streben eine gut abgesicherte und rational nachvollziehbare Lösung an und suchen deshalb häufig externe Unterstützung durch Berater. Dabei sind die Berater selbst auf eine starke Absicherung der Lösung angewiesen und greifen deshalb gerne auf sogenannte «Best Practice»-Ansätze zurück, welche andernorts umgesetzt wurden. Dies führt in den wenigsten Fällen zu kreativen Lösungen. Je kreativer und innovativer eine Problemlösung ist, desto höher ist das Risiko des Managements und der Berater, sich dafür einzusetzen.

Wirkliche Innovation benötigt Mut und fordert nicht nur die rationale und nachvollziehbare Logik heraus, sondern er­fordert auch die Intuition der Führungskräfte in hohem Masse. Gute Unternehmer spüren, wenn bekannte Wege nicht zum Ziel führen und können sich auch ohne vollständige logische Legitimation und Absicherung für neue, unbekannte und schwierige Wege entscheiden. Geschäftsleiter von KMU mit Mut und einem guten Gespür für Kunden und Märkte haben hier grosse Vorteile gegenüber den institutionell verstrickten Managern von Finanzinstitutionen. Es kann bei schwierigen Herausforderungen auch ein Risiko sein, keine Entscheidung für einen wirklich innovativen Weg zu fällen. Hier könnten Finanzinstitute von KMU lernen.

Schwierige Zeiten mit Anpassungsdruck erfordern den Einsatz aller Mitarbeitenden. «Change Management» ist hier der technische Ausdruck für die Durchführung solcher Veränderungen. Die einschlägige Literatur stellt hier hilfreiche Modelle zur Verfügung. Entscheidend sind aber die Loyalität und die Unterstützung durch alle Mitarbeitenden. Diejenigen Führungskräfte, deren persönlicher Einsatz durch die Mitarbeitenden positiv erfahren wird, können auf eine breitere Unterstützung zählen als ein Management, das sich durch kurzfristiges op­portunistisches Verhalten und durch die Optimierung der eigenen Bezüge auszeichnet. Um die Unterstützung durch die Mitarbeitenden zu fördern, benötigt es in solchen Umfeldern zusätzliche finanzielle Anreize, welche die Kosten erhöhen. Diese Anreize erhöhen aber nicht notwendigerweise die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen. Wenn monetäre Werte zuoberst stehen, können Mitarbeiter von Konkurrenzunternehmen einfach abgeworben werden, besonders in Zeiten von Veränderungen.

Wenn Mitarbeitende ihren Beitrag zum Unternehmen als inhaltlich bereichernd empfinden, sie die Resultate ihrer Arbeit beim Kunden sehen können und ihre Tätigkeit und die Leistungen der Firma als sinnvoll für die Gesellschaft erachten, so werden diese ihren Einsatz auch dann weiter leisten, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen enger werden und mehr Einsatz von ihnen gefordert wird. Bei vielen KMU gehören solche Elemente zur Firmenkultur. Finanzinstitute könnten sich an dieser Stelle über­legen, ob hier nicht auch für sie ein paar fundamentale Erfolgsfaktoren für die Zukunft liegen könnten.

Auch wenn Finanzinstitute über grössere finanzielle Mittel und viele hervorragend ausgebildete Mitarbeiter verfügen, sind ihnen KMU in vielen Fällen überlegen, wenn es um Innovationen, rasche An­passung an neue Marktumfelder und um eine längerfristige Ausrichtung geht. Hier könnten Finanzinstitute einiges von KMU lernen und in geeigneter Form übernehmen. Dies würde wohl auch dem Finanzplatz Schweiz zugute kommen.

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