Strategie & Management

Unternehmensführung

Warum erfolgreiche Strategien ein Leitbild brauchen

Es hat viele Namen, unzählige Arbeitstische sind damit dekoriert. Um es zur Sprache zu bringen, druckt man es in auffällige Broschüren und kennt weder in Kreativität, Form noch Farbe Grenzen. Fast jedes Unternehmen verfügt in der Regel eines und trotzdem gibt es inhaltlich kaum etwas Unbekannteres: das Leitbild.
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Zunächst zur Frage: Was ist denn nun ein Leitbild per Definition? Das Leitbild ist vergleichbar mit einer Klammer, die die Vision und Mission verbindet. Während die Vision das Fernziel der Unternehmung festlegt, formuliert die Mission die nutzenbringende Handlung der Firma daraus. Verbunden werden die beiden Elemente mittels des Leitbildes, das aussagt, mit welchen Werten und welchem Verhaltenscodex diese Ziele verfolgt werden sollen. Es ist sozusagen der Grundstein der Unternehmungskultur, der die Identität und Werte der Unternehmung den relevanten Anspruchsgruppen sichtbar machen soll.

Eine Werteorientierung

Das Leitbild hat demnach eine handlungsleitende sowie Orientierung gebende Funktion für Entscheidungen und den betrieblichen Alltag. Und für wen soll dieses Leitbild gut sein? Für Kunden und Anspruchsgruppen. Es stellt eine Selbstverpflichtung – um nicht zu sagen Versprechen der Unternehmung – dar. Eine Art von Mitteilung über die Unternehmungswerte, womit es auch zu einem Teil des Images wird.

In seiner Blütezeit – in den 1990ern – war es ein in Mode gekommenes Instrument zur Imagepflege fast jeden Unternehmens. Schliesslich waren Vision und Mission damals nebst dem Kunden auch um weitere Themen wie Ökologie und Lieferanten et cetera ergänzt worden. Unzählige Unternehmungsführungen erarbeiteten als obligatorische Folgemassnahme – meist gemeinsam mit einem externen Berater – ihr Leitbild. Dazu war der Unternehmungsführung kein Workshop zu schade. In Superlative ausformulierte Aussagen wie «Wir sind integer und offen.»; «Die Kundenzufriedenheit ist unser höchstes Gebot.»; «Unsere Mitarbeitenden sind unser wertvollstes Kapital.» oder «Mit unseren Partnern arbeiten wir fair, ehrlich und respektvoll.» dekorierten die Unternehmen auf kreativste Art und Weise.

Danach wurde es aber wieder ruhig um das Leitbild. «Natürlich», sagen die einen Geschäftsleiter, «unsere Werte ändern sich auch nicht wie der Markt und ausserdem, nur dort verdienen wir das Geld.» Andere wiederum argumentieren, dass das Leitbild eine selbstverständliche, normative Grundlage sei und den Mitarbeitenden hin und wieder «sogar» in Erinnerung gerufen werden würde, «spätestens vor Rezertifizierungen».

In diesem Zusammenhang stellt sich beispielsweise die Frage, zu welchem Zweck diese Werte überhaupt «hin und wieder» und nur bei den Mitarbeitenden in Erinnerung gerufen werden müssen? Und welche Aktivitäten werden für alle übrigen im Leitbild aufgeführten Anspruchsgruppen unternommen? Und warum werden manche dieser Anspruchsgruppen wie Partner und Kunden zynisch, wenn man sie auf die Inhalte des Leitbildes anspricht?

Auf diese Fragen fallen die Antworten seitens der Führung meist in unterschiedlich nachvollziehbarer Qualität aus, während Mitarbeitende, Kunden oder Partner mit einem Augenzwinkern auch vom «Leid»-Bild sprechen.

Mehr als nur Worthülsen?

Vergegenwärtigt man den Status eines Leitbildes mit seinem ureigenen Zweck, so ist häufig festzustellen, dass es offensichtlich bei Worthülsen geblieben ist. Der Zweck des Leitbildes scheint missverstanden oder in Vergessenheit geraten zu sein. Dabei wird gegenwärtig in vielen Fachzeitschriften deutlich gemacht, wie wichtig Faktoren wie Orientierung und Identifikation für die heutigen Mitarbeitenden sind. Doch zurück zu den Versprechungen im Leitbild.

Wenn im Leitbild Begriffe wie «Fairness», «Ehrlichkeit», «Zufriedenheit» und viele mehr Anwendung finden, dann sind das Attribute für und von Menschlichkeit. Warum aber sprechen Umfragen über das Gegenteil dieser Werte? Mitarbeitenden fehlt es an Werten und Sicherheit. Partner bemängeln Kommunikation und gemeinsame Interaktion. Kunden bemängeln Qualität im Servicegedanken oder im Umgang mit Beschwerden.

Wirkungsvoller Nachweis

Nach ISO 9001:2015 oder EFQM zertifizierte Unternehmen können ihr Leitbild als Instrument und Nachweis im Managementsystem einsetzen. Zwar sind weder die Vision noch das Leitbild explizite Anforderungen der Norm, doch sind sie ein wirkungsvolles Instrument zur Umsetzung von Anforderungen beziehungsweise Teilkriterien wie: ISO 9001:2015: Kapitel 4.1 Verstehen der Organisation und ihres Kontextes (interne und externe Themen), 5.1.1 Führung sowie Verpflichtung für das Qualitätsmanagementsystem; oder im EFQM-Modell: Befähiger-Kriterien 1–4.

In diesen Anforderungen geht es darum, nachzuweisen, wie es der Unternehmensführung gelingt, eine entsprechende Unternehmenskultur zu entwickeln, zu verbessern und zum integralen Bestandteil des Handelns zu machen. Die Entwicklung des Leitbildes stellt dabei einen Prozess dar, der schrittweise erfolgen sollte. Denn kaum ein Leitbild wird ein gelebtes Ergebnis aufweisen, wenn es in einem Anlauf erarbeitet wurde. Nur: Wie erweckt man das Leitbild zu neuem Leben und schlägt damit die Eckpfosten für die innere Funktionalität des Unternehmens so ein, dass gültige Massstäbe definiert sind, an denen Mitarbeiter ihr Handeln und ihre Arbeit messen können?

Die Leitbildentwicklung

Bereits bei einer Arbeitsgruppe zur Leitbildentwicklung ist die Zusammensetzung gut abzuwägen. Häufig bestehen Arbeitsgruppen ausschliesslich aus Führungsfunktionen. Wer aber vertritt die Interessen des «wertvollsten Kapitals», namentlich der Mitarbeitenden (wobei drei bis vier Generationen unterschiedliche Bedürfnisse haben)? Und wäre die partnerschaftliche Zusammenarbeit nicht unter Beweis gestellt, indem man bei der Leitbild-Entwicklung strategische Partner mit einbindet? Und da wäre noch das «höchste Gebot einer jeden Unternehmung», die Kunden. Wie besser könnte man nun einem – vielleicht sogar einem verlorenen – Kunden die Kundenorientierung unter Beweis stellen, als dass man diesen vormaligen Beschwerdeführer in eine Leitbildentwicklung einlädt? Das braucht zugegebenermassen Mut. Ich versichere aber, dass der Schaden bei dieser Handlung kann nicht grösser ausfallen, als wenn Versprechungen gegenüber Kunden, Mitarbeitenden und weiteren Anspruchsgruppen nicht eingehalten werden.

Im Gegenteil. Mit einer solchen Einbindung setzt man Zeichen, entwickelt gemeinsame Werte und verpflichtet sich auch implizit füreinander. Die Motivation, die durch die Einbindung bei Mitarbeitenden, Partnern und Kunden erzeugt wird, schafft von der bis dahin sachlichen Beziehung einen direkten Weg in eine emotionale Beziehung. Letzteres ist der Schlüssel für Bindung, Loyalität, Differenzierung und wirtschaftliche Erfolge.

Den Fokus laufend neu prüfen

Um ein Leitbild Erfolg versprechend einzuführen, ist es hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und zunächst auch anstehende Ziele, Projekte und Aufgaben zu reflektieren. Dabei hilft oft ein unvoreingenommener Blick von aussen. Wenn einmal alle Themen auf dem Tisch sind, geht es darum, die wichtigen von den unwichtigen Themen in Anlehnung an das Wertesystem zu trennen und die Balance zwischen wirtschaftlichen und qualitativen Zielen zu finden. Der Grad von Risiken (Gefahren) ist zwar ein massgeblicher Aspekt. Aber auch die Integrierbarkeit der Massnahmen in die Unternehmungskultur sollte Beachtung geschenkt werden.

Von Werten zu Aktionen

Die Werte in Leitbildern sind Handlungsaufforderungen. Sie müssen zum guten Ton einer Unternehmung werden und in Aktivitäten, Überlegungen und Entscheidungen einfliessen. Demnach sollte in sachlichen Entscheidungen auch Platz für menschliche Aspekte wie «Überforderung der Mitarbeitenden» enthalten sein. Gerade wo Zeit- und Kostendruck herrschen, wird der Ton und Umgang rauer und Entscheidungen fast ausschliesslich unter wirtschaftlichen Aspekten gefällt. Wahrt man aber genau in solchen Stresssituationen die Werte, wird eine natürliche «Kultur-Grenze» gesetzt, die nicht auf Kosten der gegenseitigen Wertschätzung geht, wodurch wiederum Spannungen, Werteverlust und Verunsicherungen vorbeugend vermieden werden können.

Konkret und konsequent gelebte Werte

Eine weitere Aktivität für ein handlungsleitendes Leitbild ist, zu den Unternehmungswerten auf allen Stufen zu stehen und diese Werte nicht gleichzeitig zum karrieretechnischen Risiko zu machen. Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe und fordert Aktivitäten auf allen Stufen. Die Grundlage dürfte initial die Schaffung des Bewusstseins aller sein, dass Wortwahl, Umgang und weitere Handlungen die im Leitbild beschriebene Kultur entweder unterstützen oder verhindern. Diese gelebten Werte sind dann auch der Motor in Krisenzeiten. Wenn es darum geht, sich aus einer Phase der Lähmung raus neu zu positionieren, braucht es loyale und überzeugte Mitarbeitende, die Vertrauen in ihre Organisation haben. Dafür muss das Unternehmen bereit sein, viel mehr in Humankapital zu vorinvestieren und dieses gleichzeitig mit wirtschaftlichen Zielen gleichrangig zu behandeln.

Statt allgemeine Floskeln kann ein weitergehendes Leitbild (Grundsätze) ganz konkrete Anleitungen geben, wie mit Konflikten umgegangen werden soll, welche Verhaltensformen erwünscht sind und wie beispielsweise Spott oder Sarkasmus thematisiert werden können (zum Beispiel mittels unabhängigen Mediatoren).

Werte besprechbar und entwickelbar machen

Wie unter dem Aspekt «konsequent gelebte Werte» beschrieben, darf nicht toleriert werden, dass sich Mitarbeitende nicht an diese Werte halten. Die Aufgabe der Führung ist es, Plattformen zu schaffen, wo solche Fälle thematisiert werden können und auch Mitarbeitende entwickelt werden können, die wiederholt dagegen handeln. Interne Mediations- oder Coaching-Angebote, Teamentwicklungsworkshops und Feedbackkultur bewähren sich in der Praxis, wenn es darum geht, die Werte zu manifestieren und Mitarbeitende um diese Aspekte zu stärken.

Review des Leitbildes

Ziele müssen messbar sein. Die Wirkung der im Leitbild enthaltenen Werte kann durch Kennzahlen, Umfragen sowie deren Integration in die Jahresziele der Mitarbeitenden kaskadiert und in Aktionen überführt werden.

Die Rahmenbedingungen und Struktur einer Unternehmung verändern sich kontinuierlich. Wenn auch nicht jährlich, so sollten in regelmässigen Abständen auch Leitbilder kritisch hinterfragt werden. Stellen Sie fest, an welchen Stellen das Leitbild oder die Unternehmungspolitik von der gelebten Realität abweicht. Korrigieren Sie gegebenenfalls die Unternehmenspolitik beziehungsweise das Leitbild und /oder vermitteln Sie den Mitarbeitern erneut die Notwendigkeit Ihres Leitbilds und Ihrer Politik.

Fazit

Sollen Leitbild und Führungsgrundsätze die Kultur und das Verhalten jedoch dauerhaft verändern, braucht es nicht nur einen starken Anfang, sondern die gezielte Umsetzung im Tagesgeschäft sowie den Willen für langes Durchhaltevermögen durch kontinuierliche Pflege der Unternehmungswerte.

 

Vereinfachte Anleitung für eine Leitbildentwicklung

1. Werte: Die Basis, auf der ein Leitbild aufgebaut ist, sind Werte. Die Herausforderung liegt darin, diese Werte zu finden.

2. Konkrete Inhalte: Kein Leitbild ist gut, von dessen Inhalten man nicht weiss, wie man sie erreichen soll. In diesem Fall haben Sie eine schöne Sammlung von Worthülsen. Damit in Ihrem Leitbild keine leeren Sätze stehen, sondern inspirierende, anleitende und vor allem handlungsleitende Leitsätze, fangen Sie klein an und schauen Sie auf das, was Sie bei Ihren nah gelegenen Anspruchsgruppen und Ihrem direkten Einflussbereich tun können. Mit welchen Regeln im Unternehmen möchten Sie die Vision/Mission erreichen (fair, verantwortlich, pünktlich, mit hoher Qualität etc.)?

Wenn Sie anfangs noch Schwierigkeiten haben sollten, sich Ihre Werte zu merken, basteln Sie sich aus den ersten Buchstaben ein leicht zu merkendes Wort (zum Beispiel «ROOMa», das ähnlich klingt, wie die italienische Stadt). Aus diesen fünf Werten kann beispielsweise folgender Satz entstehen: Ich begegne der Welt mit «Respekt, Offenheit, Optimismus, Mut und bin dabei authentisch. Ich versuche, sie zum Positiven zu verändern und die Menschen zu inspirieren».

3. Kommunikation sowie Beteiligung: Überführen Sie diese Werte in Massnahmen und vermeiden Sie, dass es bloss eine redaktionelle Aktualisierung wird. Dafür brauchen Sie die Verknüpfung mit strategischen Entscheidungen, vorbildliche Führung, operative Massnahmen, offene Diskussionen in allen Stufen sowie die Rückkoppelung.  

4. Messbar machen: Kein Ziel ist ein Gutes, wenn es nicht messbar ist. Bestimmen Sie im Rahmen der Entwicklung auch die Messgrös­sen, womit Sie die Wirksamkeit überwachen und steuern können.

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