Hierarchie ist seit je das Erfolgsrezept als leitendes Organisationsprinzip für Unternehmen. Dennoch ist sie immer wieder unter Beschuss gekommen. Zu Zeiten der «Humanisierung des Arbeitslebens» und der «Industriellen Demokratie» kamen die Angriffe von unten: Selbstbewusste Mitarbeiter verkündeten: «Wir brauchen keinen Chef!» Daraus resultierten Experimente mit teilautonomen Arbeitsgruppen – eliminiert wurde damit jedoch nur gerade die allerunterste Hierarchiestufe, der Rest der formalen Hierarchie blieb unangetastet.
Hierarchie gerät unter Druck
Heute kommt die Hierarchie von zwei Seiten wieder neu unter Beschuss. Zum Ersten von oben: Für manche Vorgesetzte ist Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu einer attraktiven Vorstellung geworden. Sie beginnen sich selbst darüber zu ärgern, mit was allem sie ständig konfrontiert werden, und erwarten von ihren Leuten, dass die selbstständig agieren. Gleichzeitig stellen diese Chefs die Hierarchie nicht als leitendes Organisationsprinzip in Frage. Sie stossen sich nur an unmündigen Facetten eines patronalen Führungsgefälles. Daraus resultiert eine Führung, die nie müssen, aber immer dürfen will. Die Führungskräfte möchten, dass die Dinge «vollautomatisch» laufen wie gewünscht. Aber sie behalten sich vor, jederzeit doch steuernd und korrigierend eingreifen zu können. Sie verkennen so, dass Mündigkeit unteilbar ist. Wem die Verantwortung jederzeit auch unangekündigt wieder aus der Hand genommen werden kann, wird sich niemals konsequent eigenverantwortlich verhalten.
Zum Zweiten kommt die Hierarchie von aussen unter Druck: Ihr Preis ist Trägheit. Mit der Digitalisierung kommen Herausforderungen auf die Unternehmen zu, die grösste organisatorische Flexibilität verlangen. Diese Agilität lässt sich durch formale Hierarchie nicht gewährleisten. Schon jetzt zeigen sich Brüche: Führungskräfte verbringen den grössten Teil ihrer Zeit mit Aufgaben ausserhalb ihres hierarchischen Zuständigkeitsgebiets. Delegation nach oben – oft nach ganz oben – wird immer normaler und zeigt, dass die hierarchische Aufteilung der Entscheidungshoheit nicht mehr funktioniert.
Paradoxerweise wird dieses Phänomen von den (obersten) Führungskräften aber als Beweis ihrer Unentbehrlichkeit gelesen – sie verstehen nicht, dass sich das bislang gültige organisatorische Paradigma überlebt hat. Dabei wird längst nicht mehr die ganze Kette der Wertschöpfung klassisch hierarchisch geführt: Viele Prozesse werden «gesourct» und sind durch Vereinbarung statt durch Weisung zu führen. Kommt dazu, dass alles, was vom Tagesgeschäft abweicht, in Projektorganisationen geführt wird, durch die die geltende formale Hierarchie vielfach übersteuert wird. Insgesamt zeigt sich, dass der Aufwand zur Aufrechterhaltung des organisatorischen Status quo unverhältnismässig geworden ist, aber immer noch als so normal gilt, dass dies keinem mehr auffällt.
Die Digitalisierung
Digitalisierung ist zunächst nur ein technologisches Fundament. Sie macht aber so Vieles und Neues möglich, dass sie alles durchziehen und prägen wird. Die Digitalzeit hat begonnen, das Meiste aber steht uns noch bevor. Längst nicht alles, was unter dem Begriff Digitalisierung verstanden wird, lässt sich unmittelbar darauf zurückführen, dass irgendwo Daten, welche bisher analog erfasst, gespeichert und verarbeitet wurden, nun digital prozessiert werden. Aber mittelbar eben schon.
Wie die Digitalisierung im Einzelnen aussehen wird, darüber wird viel spekuliert. Vieles davon wird falsch sein oder später oder ganz anders kommen. Aber dass wir es nicht mit kosmetischen Veränderungen und altem Wein in neuen Schläuchen zu tun haben, das steht fest.