Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Arbeitnehmer war für knapp sieben Monate bei einer Bank zu einem Jahreslohn von rund 100 000 CHF angestellt. Danach war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengelder. Anlässlich eines Vorstellungsgesprächs erklärte dieser der potenziellen Arbeitgeberin wahrheitswidrig, dass er in einem ungekündigten Vertragsverhältnis stehe, die Kündigungsfrist drei Monate betrage, er ein Jahresgehalt von 180 000 CHF beziehe, Kundengelder in der Höhe von 200 bis 300 Millionen USD verwalte und betreue und überdies zehn Jahre in Abu Dhabi gelebt habe.
In der Folge konnte er die Stelle als «Senior Private Banker» mit einem Jahresgehalt von rund 160 000 CHF zuzüglich Erfolgsbeteiligung antreten. Der Probezeitbericht attestierte ihm, dass er gute Arbeit leiste, unter anderem aufgeschlossen und aktiv mitdenke und die ihm übertragenen Verantwortungen gewissenhaft wahrnehme. Rund fünf Monate nach seinem Arbeitsbeginn ersuchte die Arbeitgeberin um Zustellung eines Arbeitszeugnisses bei der früheren Arbeitgeberin. Es stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Stellenantritts bereits seit fast eineinhalb Jahren ohne eine Anstellung war und er damals wegen seiner ungenügenden Leistungen entlassen wurde. In der Folge sprach die Arbeitgeberin eine fristlose Kündigung aus – gerechtfertigt oder nicht? (Bundesgerichtsurteil vom 14. Februar 2011, 4A_569 / 2010)
Gesetzliche Voraussetzungen
Gemäss Artikel 337, Absatz 1 im Obligationenrecht (OR) können die Arbeitgeberin sowie der Arbeitnehmer jederzeit aus wichtigen Gründen das Arbeitsverhältnis auflösen. Jederzeit bedeutet, dass die fristlose Kündigung beispielsweise auch während der krankheitsbedingten Abwesenheit oder einer Schwangerschaft ausgesprochen werden kann. Die im OR geregelten Sperrfristen für Kündigungen hindern eine fristlose Entlassung nicht.
Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündi-genden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Artikel 337, Absatz 2 OR). Die Schwelle ist hoch, denn eine fristlose Entlassung stellt das letzte und strengste Mittel, die «ultima ratio» zur Auflösung eines Arbeitsverhält-nisses dar.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Sie müssen die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zerstören oder zumindest so tiefgreifend erschüttern, dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein. In der Lehre und Rechtsprechung findet man einige Beispiele für wichtige Gründe im Sinne von Artikel 337 OR, die eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen beziehungsweise rechtfertigen können. Dazu zählen:
- Diebstahl,
- schwerwiegende Beschimpfung des Vorgesetzten,
- Konkurrenzierung der Arbeitgeberin,
- Vertrauensmissbrauch,
- Verweigerung der Arbeit,
- Verrat von Geschäftsgeheimnissen.
Besondere Umstände
Allerdings ist bezüglich der vorgenannten Gründe Vorsicht geboten. Denn sie können nicht ohne Weiteres zur Rechtfertigung einer fristlosen Entlassung herangezogen werden. Es gilt die besonderen Umstände jedes Einzelfalles zu würdigen, weshalb es sich unter Umständen lohnt, einen Juristen zu Rate zu ziehen. Dieser kann als objektiver Dritter die meist emotional angespannte Situation auch besser überblicken.
Im einleitenden Beispiel schützte das Bundesgericht das Vorgehen der Arbeitgeberin beziehungsweise die fristlose Entlassung des Bankangestellten. Als Begründung führte das Bundesgericht aus, dass einem Mitglied der Direktion eine sehr hohe Verantwortung zukomme und diese Anstellung ein besonderes Vertrauen in die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit der Person voraussetze. Durch seine unwahren Angaben zu vertragsrelevanten Tatsachen habe der Arbeitnehmer die vorvertragliche Treuepflicht in schwerer Weise verletzt. Unabhängig von der Qualität der Leistung waren die wahrheitswidrigen Angaben über die bisherige Anstellung sowie die Berufserfahrung objektiv geeignet, die für seine weitere Anstellung wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest tiefgreifend zu erschüttern. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses konnte nicht zugemutet werden. Die fristlose Entlassung war gerechtfertigt.
Leichtere, aber dennoch namhafte Vergehen des Arbeitnehmers, wie beispielsweise unentschuldigte Absenzen oder ein zu spätes Erscheinen am Arbeitsplatz, können in der Regel beim ersten Mal keine fristlose Entlassung rechtfertigen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den Arbeitnehmenden zu verwarnen. Aus Beweisgründen sollte diese Verwarnung schriftlich ergehen, das fehlerhafte Verhalten aufgezeigt werden und die Konsequenz der fristlosen Entlassung für den Wiederholungsfall enthalten sein (Rüge- und Warnfunktion).
Die Arbeitgeberin kann ihr Recht auf Geltendmachung der fristlosen Kündigung verwirken, wenn sie nach Kenntnis des wichtigen Grundes nicht umgehend – nach der Rechtsprechung innert zwei bis drei Arbeitstagen – reagiert. Denn bei längerem Zuwarten besteht die Vermutung, dass der Arbeitgeberin der Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Im Falle von juristischen Personen, bei denen der Entscheid durch ein mehrköpfiges Organ gefällt wird, kann das Gericht eine längere Frist von etwa einer Woche zugestehen – wie im Fall des Bankangestellten. Der Arbeitnehmer machte geltend, die fristlose Kündigung sei zu spät, namentlich erst fünf Tage nach Erhalt des Arbeitszeugnisses und damit nicht rechtzeitigt erfolgt. Insbesondere sei es bei den leitenden Angestellten der Bank üblich, auch an Samstagen oder an Feiertagen zu arbeiten. Die Entscheidungsträger hätten sich ohne Weiteres per Telefon, E-Mail oder persönlich treffen können. Das Bundesgericht teilte jedoch die Ansicht des Arbeitnehmers nicht und erachtete die innerhalb einer Woche nach der Kenntnis des Kündigungsgrundes ausgesprochene Kündigung als rechtzeitig ergangen.