Strategie & Management

Human Resources Management (Teil 5 von 5)

Wann eine fristlose Kündigung möglich ist

Ein Arbeitnehmer lügt beim Bewerbungsgespräch, wird gegenüber einem Dritten bei der Arbeit handgreiflich oder verrichtet angetrunken seinen Fahrdienst – ist eine fristlose Entlassung gerechtfertigt oder nicht? Die Fülle von gerichtlichen Urteilen zeigt, dass diese Frage heikel und teilweise schwierig zu beantworten ist.
PDF Kaufen

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Arbeitnehmer war für knapp sieben Monate bei einer Bank zu einem Jahreslohn von rund 100 000 CHF angestellt. Danach war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengelder. Anlässlich eines Vorstellungsgesprächs erklärte dieser der potenziellen Arbeitgeberin wahrheitswidrig, dass er in einem ungekündigten Vertragsverhältnis stehe, die Kündigungsfrist drei Monate betrage, er ein Jahresgehalt von 180 000 CHF beziehe, Kundengelder in der Höhe von 200 bis 300 Millionen USD verwalte und betreue und überdies zehn Jahre in Abu Dhabi gelebt habe.

In der Folge konnte er die Stelle als «Senior Private Banker» mit einem Jahres­gehalt von rund 160 000 CHF zuzüglich Erfolgsbeteiligung antreten. Der Probezeitbericht attestierte ihm, dass er gute Arbeit leiste, unter anderem aufgeschlossen und aktiv mitdenke und die ihm übertragenen Verantwortungen gewissenhaft wahrnehme. Rund fünf Monate nach seinem Arbeitsbeginn ersuchte die Arbeitgeberin um Zustellung eines Arbeitszeugnisses bei der früheren Arbeitgeberin. Es stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Stel­lenantritts bereits seit fast eineinhalb Jahren ohne eine Anstellung war und er damals wegen seiner ungenügenden Leistungen entlassen wurde. In der Fol­ge sprach die Arbeitgeberin eine fristlose Kündigung aus – gerechtfertigt oder nicht? (Bundesgerichtsurteil vom 14. Februar 2011, 4A_569 / 2010)

Gesetzliche Voraussetzungen

Gemäss Artikel 337, Absatz 1 im Obligationenrecht (OR) können die Arbeitgeberin sowie der Arbeitnehmer jederzeit aus wichtigen Gründen das Arbeitsverhältnis auflösen. Jederzeit bedeutet, dass die fristlose Kündigung beispielsweise auch während der krankheitsbedingten Abwesenheit oder einer Schwangerschaft ausgesprochen werden kann. Die im OR geregelten Sperrfristen für Kündigungen hindern eine fristlose Entlassung nicht.

Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündi-genden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Artikel 337, Absatz 2 OR). Die Schwelle ist hoch, denn eine fristlose Entlassung stellt das letzte und strengste Mittel, die «ultima ratio» zur Auflösung eines Arbeitsverhält-nisses dar.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Sie müssen die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zerstören oder zumindest so tiefgreifend erschüttern, dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein. In der Lehre und Rechtsprechung findet man einige Beispiele für wichtige Gründe im Sinne von Artikel 337 OR, die eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen beziehungsweise rechtfertigen können. Dazu zählen:

  • Diebstahl,
  • schwerwiegende Beschimpfung des Vorgesetzten,
  • Konkurrenzierung der Arbeitgeberin,
  • Vertrauensmissbrauch,
  • Verweigerung der Arbeit,
  • Verrat von Geschäftsgeheimnissen.
     

Besondere Umstände

Allerdings ist bezüglich der vorgenannten Gründe Vorsicht geboten. Denn sie können nicht ohne Weiteres zur Rechtfertigung einer fristlosen Entlassung herangezogen werden. Es gilt die besonderen Umstände jedes Einzelfalles zu würdigen, weshalb es sich unter Umständen lohnt, einen Juristen zu Rate zu ziehen. Dieser kann als objektiver Dritter die meist emotional angespannte Situation auch besser überblicken.

Im einleitenden Beispiel schützte das Bundesgericht das Vorgehen der Arbeitgeberin beziehungsweise die fristlose Entlassung des Bankangestellten. Als Begründung führte das Bundesgericht aus, dass einem Mitglied der Direktion eine sehr hohe Verantwortung zukomme und diese Anstellung ein besonderes Vertrauen in die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit der Person voraussetze. Durch seine unwahren Angaben zu vertragsrelevanten Tatsachen habe der Arbeitnehmer die vorvertragliche Treuepflicht in schwerer Weise verletzt. Unabhängig von der Qualität der Leistung waren die wahrheitswidrigen Angaben über die bisherige Anstellung sowie die Berufserfahrung objektiv geeignet, die für seine weitere Anstellung wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest tiefgreifend zu erschüttern. Ei­ne Fortsetzung des Ar­beitsverhältnisses konnte nicht zugemutet werden. Die fristlose Entlassung war gerechtfertigt.

Leichtere, aber dennoch namhafte Ver­gehen des Arbeitnehmers, wie beispielsweise unentschuldigte Absenzen oder ein zu spätes Erscheinen am Arbeitsplatz, können in der Regel beim ersten Mal keine fristlose Entlassung rechtfertigen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den Arbeitnehmenden zu verwarnen. Aus Beweisgründen sollte diese Verwarnung schriftlich ergehen, das fehlerhafte Verhalten aufgezeigt werden und die Konsequenz der fristlosen Entlassung für den Wiederholungsfall enthalten sein (Rüge- und Warnfunktion).

Die Arbeitgeberin kann ihr Recht auf Geltendmachung der fristlosen Kündigung verwirken, wenn sie nach Kenntnis des wichtigen Grundes nicht umgehend – nach der Rechtsprechung innert zwei bis drei Arbeitstagen – reagiert. Denn bei längerem Zuwarten besteht die Vermutung, dass der Arbeitgeberin der Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Im Falle von juristischen Personen, bei denen der Entscheid durch ein mehrköpfiges Organ gefällt wird, kann das Gericht eine längere Frist von etwa einer Woche zu­gestehen – wie im Fall des Bankangestellten. Der Arbeitnehmer machte geltend, die fristlose Kündigung sei zu spät, namentlich erst fünf Tage nach Erhalt des Arbeitszeugnisses und damit nicht rechtzeitigt erfolgt. Insbesondere sei es bei den leitenden An­gestellten der Bank üblich, auch an Samstagen oder an Feiertagen zu arbeiten. Die Entscheidungsträger hät­ten sich ohne Weiteres per Telefon, E-Mail oder persönlich treffen können. Das Bundesgericht teilte jedoch die Ansicht des Arbeitnehmers nicht und erachtete die innerhalb einer Woche nach der Kenntnis des Kündigungsgrundes ausgesprochene Kündigung als rechtzeitig ergangen.

Kündigung kann teuer werden

Werden Arbeitnehmende fristlos und ohne wichtigen Grund entlassen, sind diese Kündigungen ungerechtfertigt, was allerdings keine Auswirkung auf die tat-sächliche Beendigung der jeweiligen Ar-beitsverhältnisse hat. Die Arbeitnehmenden haben jedoch gemäss OR Anspruch auf Ersatz dessen, was sie verdient hätten, wenn das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist oder durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit beendet worden wäre (Artikel 337c, Absatz 1 OR).

Weiter kann ein Arbeitnehmender eine Entschädigung fordern, welche vom Richter nach freiem Ermessen und unter Würdigung der gesamten Umstände festgelegt wird. Diese Entschädigung kann aber maximal sechs Monatslöhne betragen (Artikel 337c, Absatz 3 OR). Die finanziellen Auswirkungen einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung sind damit nicht unerheblich. Vor diesem Hintergrund kann es im Einzelfall empfehlenswerter sein, eine ordentliche Kündigung auszusprechen, die vereinbarte Kündigungsfrist abzuwarten und den Lohn weiter auszurichten, als eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung zu riskieren.

Insgesamt empfiehlt sich, die fristlosen Kündigungen mit grösster Zurückhaltung und nur in krassen Fällen auszusprechen. Wie die Praxis zeigt, ist die Frage der gerechtfertigten oder ungerechtfertigten fristlosen Entlassung nicht selten Ursache für ein Wiedersehen vor Gericht.

Hinzu kommt, dass vor der Schlichtungs-behörde und vor dem erstinstanzlichen Gericht bei Streitigkeiten aus dem Ar­beitsverhältnis bis zu einem Streitwert von 30 000 CHF keine Gerichtskosten gesprochen werden (Parteientschädigung vorbehalten). Die Hemmschwelle für den Gang vor Gericht liegt damit tiefer, als wenn mit hohen Gerichtskosten im Falle des Unterliegens gerechnet werden muss. Im Zweifelsfall ist daher vorzuziehen, die ordentliche Kündigung auszusprechen und den Arbeitnehmenden für den Rest der Zeit freizustellen. Dies unter dem Hinweis der Kompensation von allfälli­gen Überstunden beziehungsweise dem Bezug von Ferientagen. Und noch zwei weitere Hinweise zu den eingangs erwähnten Praxisfällen:

  • Die fristlose Entlassung eines Zugbegleiters, welcher einem Fahrgast einen Schlag ins Gesicht verpasste, wurde vom Bundesverwaltungsgericht als ungerechtfertigt erachtet (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2012, A-4611 / 2012)
  • Ein Chauffeur wurde in einer Alkohol-Routinekontrolle auf 0,4 bis 0,5 Promille getestet und fristlos gekündigt. Das Bundesgericht erachtete die fristlose Entlassung als nicht gerechtfertigt (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Mai 2010, 4A_115 / 2010).
Porträt