Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

«Wachstum? Das wird schon» - Vorsicht!

Das Unternehmen wächst? Ausgezeichnet. Und das schon seit Jahren kontinuierlich? Wunderbar, offenbar bestehen also gewisse Muster und es handelt sich nicht um Einmal- oder Zufallserfolge. Und wie wird es in diesem Jahr? Wird die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben? Oder im nächsten Jahr? Im übernächsten?
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Ich sprach vor Kurzem mit dem Sprecher des Vorstandes eines bekannten Unternehmens, das – nach einer strategischen, operativen und wirtschaftlichen Delle vor vielen Jahren – einen ganz bemerkenswerten Wachstumsweg aufweist. Die Zahlen haben sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert, teilweise sogar über die Erwartungen und über die Planungen hinaus, und das nicht nur auf niedrigem Niveau, sondern wir sprechen hier über hohe Zuwächse. Diese Zuwächse haben natürlich das Anforderungsniveau an das Unternehmen, an die Mannschaft, an die Führung wesentlich erhöht. Das Unternehmen, das heute international in vielen Märkten gut vertreten ist, musste sich in eine neue Leistungsliga kämpfen. Es hat geklappt.

Das grösste Bedenken, das jener Vorstandssprecher hat, ist, dass ihm sein Unternehmen zu erfolgsverwöhnt vorkommt. Wachstum? Das wird schon kommen, so scheint die allgemeine Haltung im Unternehmen zu sein. Schliesslich waren die vergangenen Jahre auch von Erfolg gekrönt. Ihm fehle ein «sense of urgency», wie der Vorstandssprecher es mir beschrieb, das Gefühl dafür, dass der Erfolg der Vergangenheit nicht automatisch auch für den zukünftigen sorgen werde.

Erfolg darf nicht satt machen

Ich habe diesem Vorstandssprecher seine Sorgen nicht signifikant nehmen können, denn als Berater haben mein Team und ich häufig exakt diese Beobachtung gemacht: Ein Unternehmen ist nicht erfolgreich, es wendet alle verfügbare Kraft und Intelligenz auf, um wieder erfolgreich zu werden, es erfindet sich in Teilen neu, erschliesst und schafft neue Märkte, innoviert, was das Zeug hält und ist plötzlich wieder im Spiel. Das ist natürlich keine Hau-Ruck-Aktion, sondern ein Prozess, der des Dranbleibens, der Disziplin, des geschickten Umgangs mit Teil- und Misserfolgen bedarf und der, wenn er belohnt wird, ein gutes Ende nimmt. Viele der Unternehmen mit einer solchen Historie aber lehnen sich dann zurück und gehen davon aus, dass der nun erreichte Erfolg nahtlos fortgeschrieben werden kann – ein oft folgenschwerer Irrtum. Noch bedeutender wird dieser Irrtum dann, wenn der Erfolg tatsächlich über mehrere Jahre eintritt und sich sogar noch steigert. Die handelnden Personen fühlen sich bestätigt und manche der Protagonisten neigen mitunter dazu, sich ab einem gewissen Zeitpunkt zurückzunehmen und davon auszugehen, dass nun eigentlich nur noch justiert werden müsse.

Ein fataler Fehler. Natürlich macht Erfolg froh. Natürlich zieht Erfolg oft Erfolg nach sich. Und natürlich verlockt Erfolg auch dazu, Annahmen zu treffen, die diesen hart erkämpften Erfolg bereits als Basis, als gegeben, annehmen. Aber genau hier liegt die Tücke, denn die Fähigkeiten, Vorgehensweisen, Innovationen, Prozesse, Einstellungen, Kunden, Produkte, Leistungen, die ein Unternehmen zum Erfolg geführt haben, sind mitnichten ein Garant dafür, dass der Erfolg auch in die Zukunft reicht. Im Gegenteil: Erfolg kann satt machen, und ein voller Bauch studiert nicht gern, heisst es. Ist aber erst eine gewisse Lethargie im Unternehmen eingetreten, läuft jenes Unternehmen Gefahr, ein Plateau zu erreichen, das sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Eckdaten bezieht, sondern sich – was wesentlich bedeutender ist – in der Einstellung der Mitarbeiter und Führungskräfte wiederfinden kann.

Den «sense of urgency» wecken

Wir treffen in der Beratung häufig auf solche Situationen und unsere Klienten erwarten von uns berechtigterweise Unterstützung dabei, wie sie die Wachstumsgeschichte fortschreiben können, wie sie eine etwas eingerostete Mannschaft wieder aktivieren können beziehungsweise wie sie idealerweise verhindern können, dass dieses Einrosten entsteht – je nach Phase, in der sich das Unternehmen befindet.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne eine bestimmte Reihenfolge zu favorisieren, folgen hier einige Hinweise, die dem Leser hilfreich sein mögen, den «sense of urgency» zu erhalten oder zu wecken:

1. Die internen Prozesse auf den Kopf stellen

Der Verdacht liegt nahe, dass die internen Prozesse Speck angesetzt haben. Gerade in Erfolgsphasen gönnt man sich doch das eine oder andere Extra, das man sich in Zeiten der Sparsamkeit nicht gönnen würde. Verschlankung ist hier ebenso angesagt. Vor allem aber ist in der Prozessarbeit Wert auf die Schnittstellen zwischen Abteilungen, Funktionsbereichen, Personen, Einheiten zu legen, denn die wesentliche Verschwendung geschieht nicht in den jeweiligen Prozessen, sondern vor allem zwischen den Prozessen unterschiedlicher Beteiligter.

2. Ein Aktivierungsprojekt starten

Zusätzlich zur betrieblichen Routine gilt es, ein bereichsübergreifendes Aktivierungsprojekt ins Leben zu rufen, das zum Ziel hat, sämtliche Muster herauszufinden, die das Unternehmen bislang erfolgreich gemacht haben und daraufhin zu überprüfen, inwieweit diese Muster in der Zukunft tragfähig sind. Dazu bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit Annahmen, und zwar nicht nur in Bezug auf die nächsten ein oder zwei Jahre, sondern in Bezug auf einen Zeitraum, der tatsächlich nur noch annahmengestützt betrachtet werden kann, sagen wir einmal bis zu zehn Jahren. Werden dort Unschärfen auftreten? Jawohl. Überdies gibt es hier kein «richtig oder falsch» mehr, aber der Diskurs über Mega-trends, über Auswirkungen, über Annahmen schärft den Blick ganz erheblich und er prägt den Umgang mit Unsicherheit. Auf diese Weise endet der Blick über den Tellerrand nicht schon beim nächsten Weinglas.

3. Das Weglassen in den Vordergrund stellen

Um das Wachstum fortzuschreiben, ist es ganz essenziell, sich mit der Mannschaft im Weg lassen zu üben. Das gilt gerade auch für den Mittelstand, der sich ja gemeinhin dafür lobt, besonders schlank aufgestellt zu sein, was immer wieder widerlegbar ist. Auch hier gilt es, nicht selbstzufrieden zu werden. Immer wieder stellen wir fest, dass liebgewonnene Verfahren aus der Vergangenheit einfach weitergeführt werden, ohne dass es eine präzise Begründung dafür gibt. Immer wieder stellen wir fest, dass Kunden und Märkte bedient, Produkte und Leistungen angeboten werden, die eigentlich nicht mehr bedient bzw. angeboten werden sollten. Wer sein Unternehmen konsequent nach diesen Potenzialen durchforstet, wird enorme Produktivitätsreserven finden.

Dies sind nur drei der möglichen Massnahmen. Sie dienen dazu, das Unternehmen voranzubringen, indem sie eine gewisse kreative Unruhe im Unternehmen erzeugen, die sicherstellt, dass sich niemand auf den erreichten Lorbeeren ausruht. Wachstum ist kein Foto, das – einmal geschossen – stehen bleibt. Wachstum ist ein Film, der kontinuierlich weitergedreht werden will. Dazu bedarf es der internen Bewegung.

Professor Dr. Guido Quelle ist geschäftsführender Gesellschafter der Mandat Managementberatung. www.mandat.de, guido.quelle@mandat.de

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