Strategie & Management

Change Management (Teil 1 von 3)

Veränderungsprozesse führen: ein Vorgehenskonzept

Das Führen von Veränderungsprozessen ist eine Kernaufgabe von Unternehmerinnen, Unternehmern und Führungskräften in Organisationen jeder Art. Mit einer Serie in drei Teilen werden das Vorgehen, die Rollen und Instrumente vorgestellt. Im ersten Teil wird ein Vorgehenskonzept beschrieben, und es wird auf Erfolgsfaktoren und Stolpersteine hingewiesen.
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Jeden Tag fällen wir Entscheidungen. Eine neue Mitarbeiterin wird eingestellt, ein Anforderungsprofil verändert sich aufgrund anderer Kundenbedürfnisse, ein Prozess kann vereinfacht werden. Im Idealfall werden diese täglichen Entscheidungen orchestriert und sind im Einklang mit einer stimmigen, langfristigen Vision.

Um was es geht

Diese Abstimmung von kurz- und langfristig ist allerdings sehr herausfordernd und wird zusätzlich durch externe Faktoren gestört. Wenn Führungskräfte wechseln, Kundenbedürfnisse sich ändern, Mitbewerber neue Angebote lancieren oder sich andere Rahmenbedingungen verändern, kann Bedarf nach einer umfassenden Veränderung entstehen. Eine solche kann die Strategie, die Struktur, das Angebot und dessen Erstellungsprozess, die Aufgabenverteilung oder andere fundamentale Säulen einer Organisation betreffen. Genau solche Veränderungen werden im vorliegenden Text behandelt. Es stellen sich folgende Fragen: Wie gehen wir vor? Wer macht in welcher Rolle mit? Mit welchen Instrumenten arbeiten wir? Im ersten Teil wird auf die erste Frage eingegangen, die zwei anderen Fragen werden in den kommenden Ausgaben behandelt.

Orientierung und Zielfindung

Die wichtigste Botschaft gleich zu Beginn: Ein Veränderungsprojekt beginnt lange vor dem Kick-off. Es beginnt, sobald eine Führungsperson oder ein Führungsgremium einen herrschenden Zustand als veränderungsbedürftig anerkennt und zu der Einschätzung gelangt, dass der Aufwand für einen Veränderungsprozess sich vor dem Hintergrund einer zu erzielenden Verbesserung rechtfertigt. Das ist bereits ein bedeutender Schritt: Mit «Aufwand» ist nicht nur finanzieller Aufwand gemeint, sondern auch Führungs- und emotionaler Aufwand. Solcher entsteht in jedem Fall, wenn Bestehendes hinterfragt wird.

Ist der Entscheid gefällt, einen Veränderungsprozess durchzuführen, beginnen in der Regel unmittelbar Projektarbeiten. Das führt oft zu folgendem Phänomen: Man meint, man stehe bereits mitten im Prozess, muss dann aber wie beim Spiel «Eile mit Weile» wieder zurück auf Feld eins. Dort findet nämlich immer noch der Prozessschritt «Orientierung und Zielfindung» statt: Warum haben wir uns für einen Veränderungsprozess entschieden? Was sind die Ziele des Veränderungsprozesses? Was umfasst der Prozess, was nicht? Erst wenn diese grundsätzlichen Fragen geklärt sind, kann der nächste Schritt angegangen werden. Sobald man sich einig ist, was verändert werden soll und warum, kann man sich über das Vorgehen und die daran Beteiligten Gedanken machen.

Projektstruktur

Dazu sind die bereits bekannten Instrumente des Projektmanagement-Werkzeugkastens nutzbar: Meilensteine, Aktivitäten, Zwischenergebnisse und Projektorganigramm. Bei den Veränderungsprojekten liegt der Teufel allerdings im Detail. Es ist zu empfehlen, die Projektstruktur sehr präzis festzulegen und formell zu beschliessen. Dabei muss auf bestehende Machtverhältnisse Rücksicht genommen werden. Es ist verlockend und nachvollziehbar, kritische Stimmen ausschliessen oder die Analyse abkürzen und rasch Resultate vorlegen zu wollen. Oftmals ist das aber weder der schnellste noch für sämtliche Beteiligten der angenehmste Weg zum Ziel. Es treten Widerstände in verschiedensten Formen auf: Projektleitende werden mit Administration beschäftigt, Termine werden nicht eingehalten, wichtige bestehende Unterlagen gehen bei der Analyse «vergessen», Ressourcen werden entzogen oder die Kompetenz der Projektleitung wird offen oder verdeckt angezweifelt.

Information

Kommunikation ist in Veränderungsprojekten eine laufende Aufgabe. Sobald die Projektstruktur besteht, sollen Ziele, Vorgehen und Beteiligte im Projekt breit kommuniziert werden. Dies insbesondere aus zwei Gründen:

Der eine besteht darin, Transparenz zu schaffen. Es ist grundsätzlich schlecht für das Gelingen eines Veränderungsprozesses, wenn er als «Geheimprojekt» der Geschäftsleitung wahrgenommen wird. Breit wahrgenommen wird er nämlich in jedem Fall, wenn wirklich etwas verändert werden soll: Ausserordentliche Sitzungen der Geschäftsleitung, Befragungen oder unbekannte neue Gesichter im Haus sind für alle erkennbare Zeichen, dass «etwas läuft». Dazu gibt es eine einfache Regel: Wenn «etwas läuft», aber niemand weiss, was es ist, gehen die Mitarbeitenden vom schlimmstmöglichen Fall aus. Die verständliche Logik ist: Wenn es nicht ganz schlimm wäre, könnte man es ja kommunizieren. Der zweite Grund besteht darin, Verbindlichkeit zu schaffen. Widerstände, welche trotz aller Vorkehrungen und professioneller Prozessführung natürlicherweise entstehen, verlieren durch Transparenz an Kraft. Sobald die Geschäftsleitung die Existenz eines Projekts, dessen Ziele, das Vorgehen und die Beteiligten kommuniziert hat, kann das Projekt weniger einfach zerredet werden und versanden. Damit würde sich die Führung unglaubwürdig machen.

Situationsklärung

Die nächste Phase besteht darin, Fakten und Informationen zur bestehenden Situation systematisch zu sammeln und darzustellen. Dieser Schritt wird auch «Analysephase» oder «Ist-Analyse» genannt. Die Versuchung ist gross, die Existenz unterschiedlicher Sichtweisen oder Beurteilungen zu wenig zu berücksichtigen, weil sie das rasche Voranschreiten des Projekts behindern. Man ist der Meinung, die Probleme seien ja allen klar und man müsse jetzt endlich etwas tun, statt zu analysieren. Das kann sich im Projektverlauf rächen und zu Widerständen führen: Es ist ungleich schwieriger, Lösungen zu finden, wenn man sich nicht einig ist, wo die Probleme liegen.

Auf das breite Instrumentarium zur Situationsklärung wird im dritten Teil «Instrumente» eingegangen. Bei deren Einsatz ist gesunder Menschenverstand gefragt: Ein Mitarbeiter wird vielleicht nicht offen Auskunft geben, wenn seine Vorgesetzte an einem Interview teilnimmt. Oder: In einer Gruppenarbeit dominieren vielleicht die Ansichten von extrovertierten Teilnehmenden, während Inputs zurückhaltender Personen unterzugehen drohen. Bei der Aufbereitung und Darstellung der aktuellen Situation ist in den Veränderungsprozessen ein Punkt erfolgskritisch: Es muss gelingen, sowohl die kritischen Punkte aufzudecken als auch respektvoll mit bestehenden Mitarbeitenden umzugehen. Oder mit einer Kombination von zwei Redensarten ausgedrückt: Man muss das Kind beim Namen nennen, ohne um den heissen Brei herumzureden. Das ist eine hohe Kunst in Anbetracht der Tatsache, dass es immer gute Gründe für eine bestehende Situation gibt – sonst gäbe es sie ja nicht.

Bearbeiten der Ziele

Erst jetzt können die Arbeiten beginnen, mit denen oft zu rasch gestartet wird: Die Ziele können in den festgelegten Schritten und mit den beteiligten Personen bearbeitet werden. Auch wenn bis hier alles richtig gemacht wurde: Herausfordernd sind umfassende Veränderungsprojekte immer. Veränderung bedeutet Unsicherheit, und niemand mag Unsicherheit.

Zwischenentscheidungen erfüllen in einem Veränderungsprozess eine wichtige Rolle. Sie stellen sicher, dass die formellen Entscheidungsträger am Prozess beteiligt sind und sie den Verlauf beeinflussen können. Für die Projektleitung ist das manchmal schwierig, weil anders als gewünscht entschieden wird. Für die Zielerreichung ist es aber förderlich: Wenn die Träger der formellen Macht regelmässig steuernd eingreifen können, ist die Gefahr verringert, dass das Projekt in fortgeschrittenem Stadium einem Machtkampf zum Opfer fällt. Zwischenentscheidungen wirken sich auch positiv auf Projektmitarbeitende und die übrigen Mitarbeitenden einer Organisation aus. Sie fördern die Wahrnehmung, dass das Projekt vorankommt und dass es den Entscheidungsträgern ernst ist.

Verankern in der Organisation

Ein Veränderungsprojekt sollte nicht endlos dauern. Es bindet Projekt-, Führungs- und emotionale Ressourcen, welche dem Tagesgeschäft fehlen. Ganz abgeschlossen sind Veränderungsprozesse hingegen nie, dazu ist die Dynamik der heutigen Geschäftswelt zu hoch. Der Kompromiss zwischen diesen beiden Feststellungen besteht darin, dass das Projekt (bzw. Teile davon) auf einen bestimmten Zeitpunkt in die Hände zuständiger Linienverantwortlicher übergeben wird. Sie müssen die nunmehr wieder alltäglichen Veränderungen und Verbesserungen im Rahmen ihrer regulären Arbeit weitertreiben. Bis wieder ein Bedarf nach einer umfassenden Veränderung besteht.

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