Strategie & Management

Management im Wandel

Strategien für die grosse Transformation

In wenigen Jahren wird fast alles anders sein: was wir tun, wie wir es tun und warum; wie wir produzieren und konsumieren, wie wir arbeiten, wie wir lernen und forschen – und wie wir leben. Umbrüche schaffen Möglichkeiten, indem sie Altes verdrängen und Neues schaffen. Was dies für das Management bedeutet, zeigt dieser Beitrag.
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Für sich genommen ist Change nichts Aus­sergewöhnliches. Innovationen, Verbesserungen und Adaptierungen gibt es immer. Hier geht es um die ganz bestimmte Art von Wandel, die das Bestehende durch etwas Neues verdrängt und ersetzt. Es geht um Substitution. Der österreichische Ökonom Joseph Schum­peter nannte diesen Typus des Wandels «Schöpferische Zerstörung».

Damit formuliert er das Grundgesetz des Wandels, wie es auch in der natürlichen Evolution herrscht. Dies überträgt Schumpeter auf den Unternehmer als Entrepreneur. Etwas zu gestalten, über das Bestehende hinauszugehen und zu innovieren – dies betrachtete Schumpeter als die eigentliche Aufgabe des Unternehmers, den er vom «blossen» Kapitalisten ausdrücklich
abgrenzt.

Den Wandel verstehen

Solche Transformationen haben mit dem zu Recht kritisierten Sozialdarwinismus nichts zu tun. Vielmehr werden dadurch revolutionär höhere Fähigkeitsstufen erschlossen. Die Dampfmaschine – Symbol der industriellen Revolution – hat die damaligen Zugtiere ja nicht bekämpft, sondern sie machte diese bedeutungslos. Pferde und Kühe sind deswegen nicht ausgestorben, sondern einer ihrer Zwecke ist ihnen abhandengekommen. Sie wurden als Transportmittel nicht mehr gebraucht.

In Zeiten des Umbruchs gilt es zu ver­stehen, was vor sich geht. Wissen allein genügt nicht, Information und Daten schon gar nicht. Ohne zu verstehen, was passiert und was diese Geschehnisse bedeuten, ist richtiges Handeln nicht möglich. Man muss aber wiederum nicht alles im Detail verstehen. Wesentlich sind vielmehr die grundlegenden Muster im Geschehen.

In der Unmenge von Daten und Fakten, von Informationen und Ereignissen ist es nicht schwer, einen transformationalen Wandel zu erkennen, wenn man dessen grundlegendes Verlaufsmuster kennt (siehe Abbildung 1).

Wachstumsprozesse verstehen

Das Paradigma der «grossen Transformation» sind zwei sich überlagernde s-förmige Kurven. S-förmig deshalb, weil sie Wachstumsprozesse repräsentieren und weil es lineare Wachstumsprozesse nicht gibt, ausser in manchen Business Schools und Ökonomietheorien. Die Marchetti-Kurven sind schon lange bekannt. Bereits in den 1970er-Jahren verwendete ich sie in meiner Habilitationsschrift.

Was ich bisher als «alte Welt» bezeichne, wird in Abbildung 1 durch die rote Kurve dargestellt. Sie steht für die Grundlagen unserer heutigen Existenz, deren Anfang weit zurück in der Vergangenheit liegt. Die grüne Kurve hingegen steht für die Neue Welt und für die Grundlagen unserer Welt von morgen.

Umbrüche mit Turbulenzen

Zwischen den Kurven liegt der Bereich wachsender Turbulenzen im Ablöseprozess des Alten durch das Neue. Hier ist die kritische Zone der Entscheidung; hier finden die Umbrüche statt; hier beginnt sich die alte Welt aufzulösen und die neue Welt beginnt Gestalt zu gewinnen. In dieser Zone stellen sich äusserst schwierige Navigations- und Managementfragen, die bis dahin so noch nie oder nicht mit dieser Radikalität aufgetreten sind. Bisherige Schlüsselressourcen werden wertlos, müssen umgeschichtet oder neu aufgebaut werden.

Um Antworten zu finden, klammern sich unsere Reflexe an die alten Methoden, obwohl diese nun immer schneller unbrauchbar werden. Dabei waren es gerade diese alten Methoden, welche die Schwierigkeiten herbeigeführt haben. Unter anderem stellt sich dabei auch die schwerwiegende Frage, ob die Menschen im «roten Geschäft» fähig sein werden, auch im «grünen Geschäft» mitzuwirken, und plötzlich wird zweifelhaft, ob man seine bisher besten Leute in Zukunft überhaupt noch einsetzen kann.

Zone der Ungewissheit

Diese Umschichtungszone wird in der Kybernetik als eine Black Box bezeichnet. Darunter versteht man ein System, in das man nicht hineinblicken kann und von dem man nicht weiss, wie es funktioniert, das ständig Neues produziert, das man nicht vorhersagen und schon gar nicht berechnen kann – eine Umbruchszone. Eine Zone der Ungewissheiten, aber auch der Hoffnungen und Träume. Vernunft und Gefühle treffen aufeinander, es gibt unlösbare Interessenskonflikte und enorme Komplexität. Erfahrungen fehlen, denn solche Umbrüche hat kaum jemand erlebt. Bisher bewährte Denkweisen, Instrumente und Methoden sind eher hinderlich als eine Hilfe. Erfahrung wird so oft sogar zur Gefahr. Und allein das stellt alles auf den Kopf.

Navigieren ins Unbekannte

Ein Grundgesetz des Wandels lautet: Was immer existiert, es wird ersetzt. Nur weniges ist davon ausgenommen – etwa Naturgesetze und Prinzipien, die diesen ähnlich sind. Irgendwann geht die rote Kurve des Alten zu Ende und wird abgelöst durch die grüne Kurve, die für das Neue steht. Nicht weil das Alte schlecht geworden wäre, sondern weil das Neue besser ist.

Kennt man das ganze Bild, betrachtet man ein solches Geschehen retrospektiv, weiss man, wie das Verlaufsmuster aussieht. Man weiss dann auch, was zu jedem Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen gewesen wären – und schüttelt vielleicht den Kopf ob der Fehler, die frühere Generationen gemacht haben, und ist erschüttert, dass sich immer genau dieselben Fehler wiederholen.

Steht man aber im Hier und Jetzt (siehe Abbildung 2) und kennt das Muster nicht, dann erhält man mit den bisherigen Führungs- und Navigationsinstrumenten systematisch die falschen Signale, ohne dies aber im herkömmlichen Denkrahmen auch nur erahnen zu können. Im Heute sagen uns die Signale, dass wir auf der roten Kurve weitermachen sollen. Falls man die grüne Kurve überhaupt bemerkt und ernst nimmt, mahnen uns die alten Na­vigationspunkte, diesen Kurs lieber nicht einzuschlagen. Erst wenn es bereits zu spät ist, schlagen die alten Systeme Alarm.

Drei verschiedene Strategien

Noch etwas Entscheidendes erkennt man mit diesem Muster: Um die «grosse Transformation» zu meistern, braucht man nicht nur eine Strategie, sondern deren drei. Man braucht die erste Strategie, um die rote Kurve zu nutzen, solange es nur geht. Die zweite Strategie ist nötig, um die grüne Kurve rechtzeitig aufzubauen, damit man sie hat, sobald man sie braucht. Und die dritte Strategie ist erforderlich für den Übergang von Rot nach Grün.

Nicht nur drei verschiedene Strategien sind nötig, sondern damit auch drei verschiedene Anwendungen von Management und Governance. Sehr klar wird anhand dessen auch, wo echte Leadership gebraucht wird und woraus diese bestehen muss: Leadership wird gebraucht für den Mut, in eine unbekannte Zukunft aufzubrechen, obwohl alle Anzeichen dafür sprechen, in der Vergangenheit zu bleiben.

Es gibt Organisationen, die solch einen Wandel schon mehrfach gut überstanden haben, massgeblich dadurch, dass sie ihn selbst herbeigeführt haben. Dazu gehören zum Beispiel Siemens, Bosch und General Electric; nicht hingegen Kodak. So ist beispielsweise nichts unnützer als die weltbesten Chemiker in der Fotobranche, wenn die substituierende Technologie digital ist. Über Nacht war das vorher Wertvollste von Kodak – das Wissen seiner Top-Fachleute – wertlos geworden. Aber noch mehr: Nicht nur waren die Chemiker «nutzlos» geworden, sondern sie leisteten darüber hinaus auch noch den grössten aktiven Widerstand gegen die Digitalisierung.

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch «Navigieren in Zeiten des Umbruchs. Die Welt neu denken und gestalten».

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