Strategie & Management

Kundenkommunikation

Strategie der fünf Sinne: Die Haptik ist zentral

Die erfolgreiche Ansprache zielt auf alle Sinne der Kunden und Interessenten ab. Das gilt auch für den B2B-Bereich. Im Mittelpunkt einer multisensorischen Unternehmensstrategie sollte die Haptik stehen: Denn viele Kaufentscheidungen werden über den Tastsinn getroffen.
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Bedeutung hat etwas mit Materialität zu tun. Was der Kunde anfassen, begreifen und bewegen kann, gewinnt für ihn an Gegenständlichkeit. Er kann sich hautnah damit beschäftigen und eine emotionale Beziehung aufbauen. Darum ist es wichtig, ihm Gelegenheit zu geben, im Zusammenhang mit einem Produkt oder einer Dienstleistung Berührungen und auditive sowie visuelle Erfahrungen erleben zu dürfen. Wenn auch noch Nase und Geschmackssinn angesprochen werden, umso besser. Ziel der Strategie der fünf Sinne ist es, dem B2B-Kunden im Verlauf seines Kontakts mit dem Unternehmen wo immer möglich Berührungsfeuerwerke, Augenschmäuse, Hörgenüsse, Wohlgerüche und Geschmacksexplosionen zu bieten. Multisensorische KMU verankern dieses Ziel in ihrer Unternehmensstrategie, berücksichtigen es bei ihrer Visionsgestaltung und bauen so Differenzierungsmerkmale zum Wettbewerb auf. Und dann richten sie Marketing und Werbung, den Point of Sale und ihren Service, kurz: alle Aktivitäten darauf aus, mit den Kunden auf allen Sinneskanälen zu kommunizieren.

Schlüssel zu den Emotionen

Zielführend ist die Fokussierung auf den haptischen Sinn: auf den Tastsinn, aber auch auf den Riech- und den Geschmackssinn. Diese Sinne gehen ohne Wenn und Aber direkt in die tieferen Schichten des Gehirns und sind immer direkte Wahrheit. Wer nichts sehen will, schliesst die Augen, wer nichts hören will, stopft sich etwas in die Ohren, auch Nase und Mund lassen sich zuhalten. Der Tastsinn jedoch lässt sich nicht an- und ausschalten.

Natürlich: Der erste Eindruck, den ein Kunde gewinnt, ist zwar meist visuell. Doch dann will er die durch das Gesehene ausgelösten Erwartungen durch aktives Fühlen bestätigen. Darum sollte bei der multisensorischen Ansprache der Tastsinn im Fokus stehen – die Haptik und die Wahrnehmung über die Haut sind die Schlüssel zu den Emotionen des Kunden. Und das auch, weil der visuelle und der auditive Sinneskanal hoffnungslos überfrachtet und verstopft sind. Die einsei­tige Konzentration auf Auge und Ohr hat zu einer Vernachlässigung der anderen Sinne geführt. Wir können aber nicht nur sehen und hören, sondern auch fühlen und tasten, schmecken und riechen.

Tastsinn ist Königssinn

Wer Kunden multisensorisch berühren will, kreiert und verkauft Produkte und Dienstleistungen so, dass sie ihm «unter die Haut gehen». Diese haptische Herausforderung bewältigen immer mehr Firmen: Red Bull mit seinen schlanken Dosen lässt sich auch mit verbundenen Augen erkennen beziehungsweise erfühlen. Andere Brauereien arbeiten mit Reliefflaschen – der Kunde betastet den Schriftzug der Firma mit den Händen. Und Nespresso hat mit seinen Kapseln Kaffee unverwechselbar und hochpreisig wie nie gemacht.

In einer zunehmend digitalisierten Welt lechzen immer mehr Menschen nach analogen Erlebnissen, nach echten Begegnungen mit Menschen. Multisensorische Unternehmen versuchen daher, eine sinnlich-emotionale Gesamterfahrung zu kreieren – beim Frontcooking etwa bereitet der Koch die Speisen unmittelbar vor den Gästen zu.

Also: In der direkten Begegnung mit dem Kunden fokussiert sich die multisensorische Primärausrichtung zunächst auf das Produkt: Wie gelingt es, mit ihm möglichst viele Sinne anzusprechen? Die multisensorische Sekundärausrichtung nimmt zudem das «Umfeld» in den Blick, etwa die Verpackung und das Design. Hinzu kommen bei der multisensorischen Tertiärausrichtung Berührungsgesten wie der Handschlag, mit dem zum Beispiel ein Berater einen Kunden begrüsst.

Menschliche Nähe aufbauen

Ein idealtypisches multisensorisches Kundengespräch sieht folgendermassen aus: Der Kunde wird mit Handschlag begrüsst und am Ellbogen zum Besprechungstisch geleitet. Körperberührungen mit Respekt sowie Fingerspitzengefühl und menschliche Nähe bauen Vertrauen auf und bringen die Menschen einander näher. Im geschmackvoll und farbenfroh eingerichteten Büro spielt im Hintergrund leise Musik, vielleicht konnte der Berater bei der Vorbereitung feststellen, welche Musikrichtung der Kunde gerne hört oder ob er eher die Stille bevorzugt.

Dann bietet er dem Kunden etwas zu trinken an, am besten ein warmes Getränk im Becher, so dass er das Getränk mit der Handinnenfläche erfühlen kann. Die Folge: Der Kunde bewertet ein Produkt jetzt wohlwollender und warmherziger. Kann das wirklich sein? In einem Experiment mit Personalchefs, die Bewerber zu beurteilen hatten, liess sich belegen, dass bereits der kurzzeitige Kontakt mit warmen Getränken die emotionale Verfasstheit zum Positiven verändert. Der warme Reiz überschüttet uns mit positiven Emotionen, die uns andere Menschen und unser Umfeld warmherziger wahrnehmen und positiver beurteilen lassen.

Körperliche Erfahrungen

Zurück zum multisensorischen Kundengespräch: Der Berater überreicht dem Kunden ein haptisches Geschenk, etwa einen Schreibblock mit einem Kuli: «Das ist für Sie, so können Sie sich während des Gesprächs Notizen machen.» Oder er stärkt das Vertrauensverhältnis mit einer haptischen Visitenkarte, die Duft ausströmt, aus besonderem Material besteht, sich auffalten lässt und einen interessanten Aufdruck trägt.

Schliesslich lässt er den Kunden mit den Produkten spielen, dieser fasst sie an, er schliesst körperlich Bekanntschaft mit ihnen, er er- und begreift sie mit allen Sinnen: «Wie kann man einem Gedanken Richtigkeit verleihen, wenn man nicht über die körperliche Erfahrung verfügt?», fragte der Körperphilosoph Moshe Fel-denkrais. Wenn der Kunde aber noch unschlüssig ist, lässt der Berater ihn zum Beispiel mit einem Tischrechner seine Investition mithilfe einer körperlichen Erfahrung selbst ausrechnen.

Was jedoch geschieht bei Produkten und Dienstleistungen, bei denen dem Kunden haptische Wahrnehmungen nicht ermöglicht werden können? Dienstleistungen lassen sich nicht anfassen. Dann gelangen haptische Verkaufshilfen zum Einsatz. Dabei handelt es sich um symbolische Gegenstände, die der Kunde anfassen kann und mit denen sich Argumente und abstrakte Kundennutzen veranschaulichen lassen. Ein Beispiel sind hierfür die Preis-Nutzen-Karten. Ein optischer Effekt hilft dem Berater zu verdeutlichen: Preis und Nutzen sollten in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die zwei Karten repräsentieren den Preis und den Nutzen.

Sie sehen zwar unterschiedlich gross aus, sind aber deckungsgleich. Die gleich gros­sen Karten liegen vor dem Kunden, er kann sie anfassen und übereinanderlegen – und körperlich begreifen: Der Nutzen entspricht dem Preis – und der Preis entspricht dem Nutzen. Der Berater bietet mit seinem Produkt etwas an, das bei entsprechender Qualität einen entsprechenden Preis hat. Die Karten lassen sich einsetzen, um den Kundeneinwand «zu teuer» zu entkräften:

Die optische Täuschung bewirkt, dass dem Kunden entweder die Nutzen-Karte grösser erscheint – oder die Preis-Karte. Der Berater argumentiert: «Wenn Sie den Preis zu sehr in den Vordergrund stellen, besteht die Gefahr, dass Sie auch weniger Nutzen erhalten. Preis und Nutzen sollten deckungsgleich sein. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, riskieren Sie es, aufgrund der minderen Qualität einen Zusatzkauf tätigen zu müssen.»

Mitmach-Marketing

Multisensorische Unternehmen bleiben nicht dabei stehen, den direkten Kundenkontakt mit der Fünf-Sinne-Strategie zu «haptisieren». Die Sennheiser Electronic GmbH & Co KG. bei Hannover vertreibt Kopfhörer und Headsets und gibt Geschäftsberichte heraus, die mit Titeln wie «Klang riechen & schmecken» überschrieben sind: Multisensorik statt staubtrockener Zahlenkolonnen. Autofirmen lassen ihre Ingenieure im Tonstudio nach dem perfekten markentypischen Klangbild suchen, das beim Zuklacken der Türen entsteht. Dort gibt es «Nasenteams», die auf neutrale Gerüche achten. «Knister-Knaster»-Teams führen Akustik-Haptik-Tests durch, damit Tastsinn und Hörsinn des Autofahrers beim Bedienen der diversen Knöpfe keine Enttäuschungen erleben. Und in Staubsaugerfirmen arbeiten Akustiker an den Schallübertragungswegen, die dazu beitragen, die emotionalen Erwartungen der Kunden zu erfüllen.

Das Marketing solcher Firmen steht oft unter dem Motto «Mitmach-Marketing»: Slogans wie «Mach dein Ding» verweisen auf das Ziel, den Kunden zum Mitmachen und zur aktiven Beschäftigung zu bewegen. Ein haptisches Paradebeispiel dafür bot seinerzeit die Werbung für den Film «Zweiohrküken». Mithilfe einer Smartphone-App konnte man das Zweiohrküken kitzeln, mit den Fingern bewegen, vergrössern und verkleinern, schütteln, auf den Kopf stellen und durch Pusten auf den Touchscreen zum Fliegen bringen: Das ist grosses Kino – das ist Haptik pur.

Fazit

Die Beispiele zeigen, welche Wege Unternehmen beschreiten, die in den Kategorien der Fünf-Sinne-Strategie denken. Geräusch, Geschmack, Geruch – nichts bleibt dem Zufall überlassen. Jeder visuelle Eindruck wird in seiner Wirkung auf den Kunden untersucht, jede Berührung in ihren Konsequenzen für die Kaufentscheidung berücksichtigt.

Porträt