Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Nicht immer mehr, sondern immer pfiffiger

Wachstumsfördernde Initiativen werden oft im Keim erstickt, weil der Ruf nach dafür vermeintlich notwendigen, zusätzlichen Ressourcen nachhaltiger ist als die Suche nach pfiffigen Lösungen. Das geht auch anders.
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Wenn ich mich richtig erinnere, war es ein deutscher Comedian, der seinerzeit mutmasste, dass in Lastwagen ein Quecksilberschalter verbaut sein müsste, der dafür sorgt, dass unmittelbar, wenn eine Steigung beginnt, der Fahrtrichtungsanzeiger auf «links» gestellt und sofort ein Überholvorgang eingeleitet wird, ohne jegliches Zögern und vor allem ungeachtet des jeweiligen rückwärtigen Verkehrs. Ein intentionaler Reflex, sozusagen.

Der Ruf nach Ressourcen

Mögen wir darüber auch schmunzeln, erfahren wir eine vergleichbare Situation im unternehmerischen Umfeld gleichermassen regelhaft. Kaum wird ein neues Projekt ins Leben gerufen, kaum wird es hinsichtlich seiner Ziele erweitert, kaum wird eine Innovation auch nur in der Theorie besprochen, erschallt aus irgendeiner Ecke reflexartig: «Das können wir nicht schaffen, wir brauchen mehr Ressourcen!» – Ein Quecksilberschalter im System «Unternehmen»? Zumindest ist es ein Muster, das wir in der Beratungspraxis regelhaft beobachten. Man könnte dies nun einfach abtun mit dem Hinweis, dass ein solches Rufen nach mehr Ressourcen normal sei, denn in Zeiten hoher Produktivität herrsche nirgends ausgeprägte Langeweile.

Und Mitarbeiter wie Führungskräfte hätten ja auch schon ohne das zusätzliche Projekt, ohne die ins Auge gefasste Innovation, ohne das gefühlte «Mehr» schon genug zu tun. Genau so agieren auch zahlreiche Unternehmen. Sie nehmen den reflexartigen Ruf nach «mehr Ressourcen» hin, man nickt verständig und dann passiert eines von zwei Dingen: Entweder die angedachte Initiative wird gestoppt, noch bevor sie zu Ende gedacht wurde, oder es werden, immer noch zustimmend nickend, Ressourcen addiert. Und bei den «Ressourcen» handelt es sich dabei meist um Mitarbeiter.

Beides sind keine guten Lösungen, denn in Fall 1 stirbt eine möglicherweise wachstumsfördernde Initiative früh und in Fall 2 wird es erfahrungsgemäss nicht besser, denn erstens hilft das reine Addieren von Ressourcen nur kurzfristig und zweitens lernt das Unternehmen, dass es nicht nachdenken muss, um auf pfiffige Lösungen zu kommen, denn das Allheilmittel ist eben das Addieren von Ressourcen. Das hat mit Wachstumsintelligenz wenig zu tun. Wachstumsintelligente Unternehmen wissen, dass es immer eine Ressourcenknappheit geben wird, dass es nie genügen wird, einfach nur zu addieren – weder «Ressourcen» noch Produkte oder Leistungsangebote. Ja, mehr noch: Wachstumsintelligente Unternehmen pflegen durchaus eine gewisse Kultur der Ressourcenknappheit, was zugegebenermassen ein schmaler Grat ist, nämlich der Grat zwischen «schlank» und «mager».

Wachstumsintelligenz bedeutet aber eben auch, dass sich ein Unternehmen nicht nur mit Innovation auf der Produkt- und Leistungsseite beschäftigt, sondern dass das Unternehmen sich auch mit Innovation auf der Prozessseite beschäftigt – und dies bedeutet nicht nur die abgreifbaren Leistungsprozesse in Produktion, Logistik, Verwaltung, Vertrieb, Marketing, sondern auch die Prozesse des Zusammenarbeitens. Wachstums­intelligente Unternehmen sind also pfiffig darin, die Art und Weise des gemeinsamen Arbeitens immer wieder zu erneuern. Dies kann eine Revolution bedeuten, aber in den meisten Fällen ist es eine Evolution, die auf einer Bereitschaft des sich ständigen Erneuerns fusst.

Praxisbeispiel: Mit geringem Mehraufwand unmittelbaren Nutzen erzielen

Ein mittelständisches Grosshandelsunternehmen mit einigen Standorten, das bereits partiell in einigen Vertriebsregionen und Sortimenten Marktführer ist, hat sich zum Ziel gesetzt, seine Marktbedeutung signifikant und profitabel auszubauen und als Basis dafür zunächst die Kostensituation zu verbessern. Die Folge sind einige Reorganisationsprojekte, unter anderem wird die Organisation neu aufgestellt, die Logistik verbessert, Standorte kommen auf den Prüfstand. Die Geschäftsführung sieht aber glücklicherweise das Ziel nicht in der ausschliesslichen Kostenoptimierung (denn dadurch wird noch kein einziger Franken profi­tablen Umsatzes erzielt!), sondern ruft auch – in diesem Fall mit unserer Unterstützung – eine strukturierte Vertriebsinitiative ins Leben, die nicht nur das Herangehen an den Markt verändern soll, sondern auch eine veränderte Arbeitsweise im Vertrieb bedingt. Man ahnt, was aus der Mannschaft folgt: «Bei den bereits bestehenden Projekten ist so ein Projekt mit den derzeitigen Ressourcen und angesichts des operativen Geschäfts nicht möglich!» – natürlich.

Gemeinsam mit dem Projektleiter und dem Auftraggeber als Protagonisten auf der Klientenseite wurde das Projekt so aufgegleist, dass es nur initial eine geringe (zeitliche) Mehrbelastung mit sich brachte, aber sehr schnell erkennbare Ent­lastungen und Marktwirkungen erzeugt wurden. Stellvertretend seien hier einige Kniffe genannt und der Leser möge bitte keine intellektuelle Revolution erwarten, denn vielmehr handelt es sich um eine konsequente Adressierung vermeintlich kleiner Dinge:

  • Einige mit einem hohen Reiseaufwand versehene Meetings wurden durch moderierte Telefonkonferenzen ersetzt. Meetings fanden nur noch statt, wenn es einen Grund gab. Da Telefonkonferenzen genauso unfruchtbar wie Meetings sein können, gab es eine Standardagenda und es wurde die Disziplin verlangt, sich nicht während der Telko mit E-Mails zu beschäftigen. Pflicht in einer Telko: Ein Moderator, der auch für die Agenda, Ziele und das Protokoll verantwortlich ist. Eine Telko ist ein moderiertes virtuelles Meeting. Wird sie so geführt, spart sie Zeit.
  • In diesem Zuge wurde die bestehende Meeting-Landschaft überarbeitet. Meetings haben die Eigenart, sich nicht selbst zu entfernen, insbesondere Jours Fixe sind anfällig für ein Eigenleben. Die Folge: Zahlreiche Zusammenkünfte wurden gestrichen, verändert, komprimiert.
  • Im Projekt wurde auf direkt umsetzbare Themen fokussiert, was die Akzeptanz erhöht, insbesondere dann, wenn sich Erfolge einstellen. Der Aussendienst wurde von der Administration befreit, der Innendienst wurde zur aktiven Kundenbetreuung umgebaut, die Führungskräfte erhielten Hilfen für Führungsgespräche – alles unmittelbar wirksam.
  • Spezifika, die sich bei mehreren Standorten zwangsläufig einstellen, wurden reduziert. Ein Grosshandelsunternehmen muss als Systemunternehmen agieren. Die Grösse einer Vertriebsregion ist kein Argument, vom System abzuweichen. Skalierung? Ja. Ausbrechen aus dem System? Nein.
  • Die Führungskräfte hatten die Aufgabe der Multiplikation des als richtig Erkannten in die Fläche – und zwar im Tagesgeschäft. Der Vorteil? Null zusätzlicher Aufwand.
  • Dem Aussendienst wurden pfiffige Möglichkeiten an die Hand gegeben, bereits bestehende Kunden besser zu versorgen und schneller zu Neukunden zu gelangen. Das Resultat: Geringer Mehraufwand, unmittelbarer Nutzen.

Die Liste liesse sich fortsetzen. Deutlich werden soll, dass Wachstumsintelligenz, also das Schaffen profitablen, gesunden Wachstums ohne stumpfes, reflexartiges Addieren zusätzlicher Ressourcen, unter Nutzung des Bestehenden und unter Respektieren einer gewissen Knappheit, eine Frage des Willens, ja der Umsetzungskonsequenz ist. Vor allem aber ist Wachstumsintelligenz in keiner Weise eine Frage der Grösse. Pfiffig statt mehr, das ist die Parole.

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