Sprachwissenschaftlich ist der Begriff «Veränderung» zunächst einmal wertneutral. In der Umgangssprache jedoch schwingt meistens ein positiver Beiklang mit: Es handelt sich um einen «meliorativen» Begriff, mit «Veränderung» ist die Korrektur, Überarbeitung, Umbildung oder auch Modifikation zum Besseren hin gemeint. Wer sich allerdings so manche Veränderungsprozesse anschaut, kommt zu dem Schluss, dass es an der Zeit ist, den Veränderungs-Begriff kritisch zu hinterfragen und ihn in die Mottenkiste der Change-Historie zu verbannen. Es gibt zu viele Beispiele, die zeigen: Die klassischen Veränderungsprozesse beschränken sich allzu oft darauf, an einigen wenigen Stellschrauben herumzudoktern. Das Vorstandsmitglied eines mittelständischen Unternehmens aus der Konsumgüterindustrie sagte mir, nachdem ganze Beraterhorden bei ihm eingefallen waren, um das Unterste zuoberst zu kehren: «Die Fehler hatten wir vor der Veränderung ganz gut im Griff, jetzt herrscht das Chaos, weil alles ein wenig verändert, aber nichts wirklich neu geschaffen wurde.»
Neues auf alten Grundlagen
Für das häufige Scheitern von Veränderungsprozessen in Organisationen muss es Gründe geben. Oft heisst es: «Der Kulturwandel wurde nicht berücksichtigt.» «Die Betroffenen wurden nicht zu Beteiligten entwickelt, auf dem Weg zur Veränderung nicht mitgenommen.» «Die Führungskräfte haben versagt und den Mitarbeitern die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des Change nicht erläutert.» Die Begründungen, warum Menschen eine Veränderung ablehnen, sind genauso vielfältig, bunt und fantasiereich wie die Begründungen, warum Changeprozesse scheitern. Einige dieser Aussagen lauten: «Das haben wir schon immer so gemacht.», «Veränderungen ja, aber nicht bei mir und in meinem Verantwortungsbereich».
Bevor der Begriff «Veränderung» vollends negativ besetzt ist – sprachwissenschaftlich handelt es sich dann um einen «pejorativen» Begriff, bei dem ein eindeutig negativer Beiklang mitschwingt –, muss eine Alternative gefunden werden. Und diese lautet: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein (Veränderungs-)Schrecken ohne Ende. Lieber Raum schaffen für etwas völlig Neues, als am Bestehenden herumzuverändern. Der Impuls zu dieser Alternative ist fast 2500 Jahre alt. Der griechische Philosoph Sokrates sagte: «Es wird zu sehr Wert auf das Bekämpfen des Alten und zu wenig Wert auf das Erschaffen des Neuen gelegt.»
Das Neue erschaffen, unter Berücksichtigung bewährter Gewohnheiten, Rituale und Erfahrungen – das ist die Grundlage einer neuen Veränderungsformel, bei der alte Erfahrungen genutzt, aber neue verantwortliche Entscheidungen getroffen werden, um zu einer Neugestaltung zu gelangen, die Innovationskraft freisetzt. Bevor der Einwand erhoben wird, dies sei lediglich neuer Wein in alten Schläuchen, soll ein Beispiel aus der Praxis die neue Veränderungsformel veranschaulichen.
Aus der Praxis
Bei der neuen Veränderungsformel geht es nicht um Korrekturen und Umwandlungen, es geht um Umkehr und Wechsel, um Erneuerung und Neugestaltung. Bei einem Unternehmen aus dem Elektrogrosshandel, das das ganze Trauerspiel nutzloser Veränderungsprozesse durchlaufen hatte, sollte ein neuer Geschäftsführer die Rettung bringen. Seine Erkenntnis: In dem Unternehmen konnte es keinen nachhaltigen Fortschritt geben, wenn er nur das fortführen würde, was seine Vorgänger und deren externe Berater gemacht hatten: Dinge nur verändern, statt neu denken.
Die Vorgänger und Berater hatten klassisches Veränderungsmanagement betrieben und das Alte mit fatalen Folgen bekämpft. Sie hatten versucht, den Umsatzrückgang zu stoppen und Kosten zu senken durch Rationalisierungen, natürlich auch im Personalbereich. Mit noch mehr Tabellen und Checklisten verstärkten sie den Kontrollwahn, wollten die logistischen Probleme mithilfe neuester Technik lösen. Das Beschwerdemanagement legten sie mit noch mehr Mitarbeiterschulungen lahm und wirkten dem Umsatzrückgang mit Panik-Verkaufsattacken entgegen.