Strategie & Management

Veränderungsmanagement

Neues erschaffen, ohne das Alte zu bekämpfen

Veränderungsprozesse scheitern. Andauernd und jeden Tag. Eine Lösung liegt darin, die Dinge neu zu denken, statt sie nur zu verändern zu wollen. Grundlage ist eine Veränderungsformel, bei der alte Erfahrungen genutzt werden, um Innovationskraft zu entfalten.
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Sprachwissenschaftlich ist der Begriff «Veränderung» zunächst einmal wertneutral. In der Umgangssprache jedoch schwingt meistens ein positiver Beiklang mit: Es handelt sich um einen «meliorativen» Begriff, mit «Veränderung» ist die Korrektur, Überarbeitung, Umbildung oder auch Modifikation zum Besseren hin gemeint. Wer sich allerdings so manche Veränderungsprozesse anschaut, kommt zu dem Schluss, dass es an der Zeit ist, den Veränderungs-Begriff kritisch zu hinterfragen und ihn in die Mottenkiste der Change-Historie zu verbannen. Es gibt zu viele Beispiele, die zeigen: Die klassischen Veränderungsprozesse beschränken sich allzu oft darauf, an einigen wenigen Stellschrauben herumzudoktern. Das Vorstandsmitglied eines mittelständischen Unternehmens aus der Konsumgüterindustrie sagte mir, nachdem ganze Beraterhorden bei ihm eingefallen waren, um das Unterste zuoberst zu kehren: «Die Fehler hatten wir vor der Veränderung ganz gut im Griff, jetzt herrscht das Chaos, weil alles ein wenig verändert, aber nichts wirklich neu geschaffen wurde.»

Neues auf alten Grundlagen

Für das häufige Scheitern von Veränderungsprozessen in Organisationen muss es Gründe geben. Oft heisst es: «Der Kulturwandel wurde nicht berücksichtigt.» «Die Betroffenen wurden nicht zu Beteiligten entwickelt, auf dem Weg zur Veränderung nicht mitgenommen.» «Die Führungskräfte haben versagt und den Mitarbeitern die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des Change nicht erläutert.» Die Begründungen, warum Menschen eine Veränderung ablehnen, sind genauso vielfältig, bunt und fantasiereich wie die Begründungen, warum Changeprozesse scheitern. Einige dieser Aussagen lauten: «Das haben wir schon immer so gemacht.», «Veränderungen ja, aber nicht bei mir und in meinem Verantwortungsbereich».

Bevor der Begriff «Veränderung» vollends negativ besetzt ist – sprachwissenschaftlich handelt es sich dann um einen «pejorativen» Begriff, bei dem ein eindeutig negativer Beiklang mitschwingt –, muss eine Alternative gefunden werden. Und diese lautet: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein (Veränderungs-)Schrecken ohne Ende. Lieber Raum schaffen für etwas völlig Neues, als am Bestehenden herumzuverändern. Der Impuls zu dieser Alternati­ve ist fast 2500 Jahre alt. Der griechische Philosoph Sokrates sagte: «Es wird zu sehr Wert auf das Bekämpfen des Alten und zu wenig Wert auf das Erschaffen des Neuen gelegt.»

Das Neue erschaffen, unter Berücksichtigung bewährter Gewohnheiten, Rituale und Erfahrungen – das ist die Grundla­ge einer neuen Veränderungsformel, bei der alte Erfahrungen genutzt, aber neue verantwortliche Entscheidungen getroffen werden, um zu einer Neugestaltung zu gelangen, die Innovationskraft freisetzt. Bevor der Einwand erhoben wird, dies sei lediglich neuer Wein in alten Schläuchen, soll ein Beispiel aus der Praxis die neue Veränderungsformel veranschaulichen.

Aus der Praxis

Bei der neuen Veränderungsformel geht es nicht um Korrekturen und Umwandlungen, es geht um Umkehr und Wechsel, um Erneuerung und Neugestaltung. Bei einem Unternehmen aus dem Elektro­grosshandel, das das ganze Trauerspiel nutzloser Veränderungsprozesse durchlaufen hatte, sollte ein neuer Geschäftsführer die Rettung bringen. Seine Erkenntnis: In dem Unternehmen konnte es keinen nachhaltigen Fortschritt geben, wenn er nur das fortführen würde, was seine Vorgänger und deren externe Berater gemacht hatten: Dinge nur verändern, statt neu denken.

Die Vorgänger und Berater hatten klas­sisches Veränderungsmanagement betrieben und das Alte mit fatalen Folgen bekämpft. Sie hatten versucht, den Umsatzrückgang zu stoppen und Kosten zu senken durch Rationalisierungen, natürlich auch im Personalbereich. Mit noch mehr Tabellen und Checklisten verstärkten sie den Kontrollwahn, wollten die logistischen Probleme mithilfe neuester Technik lösen. Das Beschwerdemanagement legten sie mit noch mehr Mitarbeiterschulungen lahm und wirkten dem Umsatzrückgang mit Panik-Verkaufsattacken entgegen.

Der neue Geschäftsführer hatte eine andere Herangehensweise. Seine Ausgangsfrage lautete: Wo können wir innovativ Platz für Neues schaffen, ohne uns vom Bewährten trennen zu müssen? Wo sollten wir die Dinge neu denken, statt sie nur zu verändern? Im Fokus der Neugestaltung stand, die Tradition des Unternehmens wieder aufleben zu lassen und das Kerngeschäft in den Mittelpunkt zu rücken. Back to the roots, und damit das Neue kreieren. So liess er ein Führungskräfteprogramm speziell für den Elektrogrosshandel entwickeln, das sich nicht an der Wissensvermittlung orientierte, sondern an den bisherigen praktischen Erfahrungen. An den Logistikproblemen wurde nicht herumgebastelt, die Logistik wurde vielmehr neu aufgestellt, bis hin zum Abriss der Lagerhalle. Statt die alte Lagerhalle zu renovieren, veranlasste der Geschäftsführer den Bau einer neuen Lagerhalle und die Implementierung eines Logistiksystems auf der Grundlage der Erfahrungen der Vergangenheit.

Die Mitarbeiterschulungen liess er auf ein Minimum herunterfahren. Denn die Mitarbeiter waren überschult, ständige Weiterbildungen hatten sie zu theoretischen Wissensriesen, aber leider auch zu praktischen Handlungszwergen mit grossen Umsetzungsdefiziten degradiert. Pointiert ausgedrückt: Die Mitarbeiter benötigten nicht die x-te Theoriebeschulung, sondern die Motivation, endlich wieder Waren effektiv in die Regale einzuräumen beziehungsweise sie kundenorientiert zusammenzustellen, einzupacken und zu verschicken. Der Geschäftsführer löste zudem die Abteilung für Beschwerdemanagement auf und er baute einen neuen Kundenservice auf. Nicht die Verwaltung der Beschwerden, sondern die Servicequalität steht jetzt im Vordergrund. Auch den Vertrieb strukturierte er neu, indem er die Fachmitarbeiter zurück in die Kundenberatung beorderte und neue Vertriebsmitarbeiter mit Vertriebs-Sieger-Gen einstellte.

Handlungsempfehlungen

Was lässt sich daraus lernen? Zunächst einmal: Neugestaltung heisst: Denke die Dinge neu, anstatt sie nur zu verändern. Prüfe, welche Gewohnheiten, Routinen, Prozesse und Abläufe übernommen werden sollten, an welchen sich der Neugestaltungsprozess anknüpfen lässt. Denn Gewohnheiten und ritualisierte Verhaltensweisen bieten den Vorteil, den Mitarbeitern vertraut zu sein, sie garantieren Sicherheit, Stabilität und Orientierung. Darum sollte die abrupte Loslösung von ihnen vermieden werden. Gewohnheiten erleichtern den Mitarbeitern das alltägliche Leben, weil sie über gewisse Dinge nicht ständig aufs Neue nachdenken müssen und so Arbeitsschritte effizienter ausführen können. Wer also an vertrauten Einstellungen anknüpfen kann, hat Zeit und Kraft übrig, um auf dieser Grundlage Anpassungen in einem überschaubaren Massstab vorzunehmen und diese in das Netzwerk etablierter Gewohnheiten einzuordnen. So lässt sich die Gefahr der Überforderung vermeiden.

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