Strategie & Management

Verhandlungsprozesse

Nach dem Brexit-Votum neu fokussieren

Mit dem Brexit stellt sich die Frage, was Schweizer KMU tun können, um in einem jüngst noch fordernder gewordenen Marktumfeld standhalten zu können. Erfolgreich verhandeln, und das auf allen Unternehmensstufen, ist einer der wichtigsten Schlüssel, um auf Kurs zu kommen oder zu bleiben.
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Grossbritanniens Entscheid, der EU den Rücken zu kehren, hat ein politisches und wirtschaftliches Erdbeben ausgelöst. Die Börsen und Wechselkurse warteten mit ihren Reaktionen nicht einmal bis zur offiziellen Verkündigung des Abstimmungsresultats, sondern reagierten nur schon aufgrund der Hochrechnungen. Die Börse vernichtete Milliarden, und der ohnehin starke Schweizerfranken legte nochmals zu, von der Abwertung des britischen Pfundes gar nicht zu sprechen. Zeitgleich trat eine Unzahl von Experten ans Tageslicht, alle bestückt mit dem Wissen, wie sich Europa und die Welt in den folgenden Jahren entwickeln werde. Die Prognosen sind so unterschiedlich, dass ein kleiner Teil der Experten mit Sicherheit ins Schwarze treffen wird.

Prognosen

Um die folgenden Verhandlungs­emp­fehlungen in Angriff nehmen zu können, bräuchte es freilich keinen Brexit. Mit ihm ist die Drohkulisse nun aber so hoch, dass es legitim ist, eingespielte Verhaltensweisen, wie und mit wem in der Regel verhandelt wird, zu überdenken. Wer verhandelt, sollte sich bei der Vorbereitung und Zielsetzung möglichst auf Fakten und nicht auf Spekulationen stützen.

Wer sich auf das theoretische Zukunftsszenario eines Experten verlässt und sich im Detail darauf ausrichtet, spielt Roulette. An der Berkely-Universität wurden 82 361 Vorhersagen von 284 Experten über einen Zeitraum von zehn Jahren analysiert. Die Erkenntnisse daraus sind mehr als ernüchternd: Die Trefferquote war kaum besser, als wenn man die Prognosen mit einem Zufallsgenerator erstellt hätte. Wie die Zukunft auch immer aussehen mag und welche Experten mit ihren Prognosen postum Recht erhalten werden, für bevorstehende Verhandlungen gibt es einen kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner, auf den man sich wird abstützen können.

Es ist anzunehmen, dass der Schweizer Franken, in welcher Ausprägung auch immer, tendenziell stark bleiben wird. Es sind bei Weitem nicht nur die export­orientierten KMU betroffen. Im Dienstleistungssektor wie auch in der auf den Schweizer Markt spezialisierten Produktion wird die Konkurrenz aus dem Ausland zunehmen. Die Unsicherheit, ob und wie die Schweiz eine Lösung mit Brüssel finden wird, bleibt vorerst bestehen.

Die vielen Experten mit höchst unterschiedlichen und immer wieder wechselnden Prognosen werden, in unterschiedlicher Ausprägung, Einfluss auf das Verhalten von Schweizer KMU haben. Die Dynamik im Markt nimmt entsprechend zu und die Verlässlichkeit ab.
Eine Lösung, die in absehbarer Zeit (in den kommenden fünf Jahren) greifen könnte, ist nicht in Sicht. Und selbst wenn, würden die aktuellen, enormen Herausforderungen durch neue ersetzt. Unsicherheit, Wandel und Druck bleiben Programm.

Eine starke Hand auf nationaler Ebene, die aus der Krise führt, sei dies in der Politik, Regierung, bei den Behörden, Verbänden oder Interessensgemeinschaften, ist nicht in Sicht. Pragmatisch gesehen gilt wie so oft die Devise: Verlass dich auf dich, sonst bist du ganz verlassen.

Verschlechterte Ausgangslage

In der Summe lässt es sich nicht schön­reden: Die Ausgangslage für die meisten KMU wird sich durch den bevorstehenden Brexit weiter erschweren. Ausgenommen werden jene sein, die durch das Verschieben von Märkten und Standorten eventuell profitieren können, und all jene, die sich dank klugem Verhandeln Optionen und Chancen erarbeiten können, denn Krisen können auch stark machen.

Und so werden in den nächsten Jahren klug geführte Verhandlungen wichtiger werden denn je, denn welche Strategie eine Firma auch verfolgt, ohne interne und externe Verhandlungen lassen sich keine strategischen Massnahmen verwirklichen. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern notwendig, mit allen Stakeholdern Verhandlungen zu initialisieren. Solche 360-Grad-Verhandlungen sind komplex, in der Summe aber attraktiv genug, dass sich der Aufwand, korrekter Prozess vorausgesetzt, mehr als lohnt.

Alle Stakeholder einbeziehen

Als ersten Schritt erstellt man eine Liste sämtlicher Stakeholder, auch jener, mit denen man bis anhin nicht verhandelt hat oder davon ausging, dass man mit ihnen nicht verhandeln könne oder wolle. Während Lieferanten, Partner, Kunden sowie Mitarbeiter zu den offensichtlicheren Stakeholdern gehören, sind Konkurrenten, Banken, Versicherer, Vermieter, Mieter, Revisionsgesellschaften, Nachbarn, Gewerkschaften, Verbände, Steuerbehörden usw. noch nicht bei allen auf der Liste. Sie alle haben eines gemeinsam: Man kann und sollte mit ihnen verhandeln. Mit allen gleichzeitig eine Verhandlung zu beginnen, ist weder machbar noch klug. Einmal auf dem Radar, setzt man je nach Hebelwirkung sowie Wirkungsgrad entsprechende Prioritäten (siehe Abb.).

Bei gewissen Stakeholdern, insbesondere bei KMU, gilt die Devise, dass man zusammen stärker ist als alleine. In solchen Fällen beginnen die Verhandlungen zuerst mit möglichen Koalitionspartnern, bevor man auf die effektiven Verhandlungspartner zugeht. Für viele KMU ist ebenfalls typisch, dass zwischen Familienmitgliedern, Aktionären, Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitgliedern oft enge Verknüpfungen vorliegen. Je nach Konstellation und Thema können diese den Verhandlungsprozess vereinfachen oder erheblich verkomplizieren. Sachlich gesehen sind aufgrund ihrer Wichtigkeit Unklarheiten oder Unausgesprochenes in diesen Gremien ebenfalls zu besprechen und wo notwendig zu verhandeln. Auf­gaben, Verantwortungen, Kompetenzen, Abgrenzungen, Erwartungen an Dividenden oder Boni, Investi­tionsbereitschaft bis hin zu Nachfolge­regelungen sind sensitive Themen, die mit einem neutralen Experten, der auf solche Verhandlungen spezialisiert ist, konstruktiver angegangen und gelöst werden können.

Grundsätze

Ab einer gewissen Firmengrösse macht es Sinn, die diversen Verhandlungen auf verschiedene Schultern zu verteilen. Aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen und Kapazitäten wird so die Umsetzungsgeschwindigkeit erhöht. Werden strategisch relevante Verhandlungen durch verschiedene Leistungsträger geführt, ist es sinnvoll, wenn die folgenden Grundsätze beachtet werden:

Spezielle Situationen erfordern spezielle Gefässe: Ein Steuerausschuss, der alle strategischen Verhandlungen koordiniert, generiert Durchschlagskraft. Diese Themen erhalten während einer ordentlichen Geschäftsleitungssitzung in der Regel zu wenig Zeit oder Gehör.
Die Verantwortungen (Verhandlungsführer und Verhandlungsteams) und die Organisation (welche Bereiche der Firma sind zu involvieren) sollten klar geregelt sein. Bei strategischen Verhandlungen sind die Zielvorgaben und das verhandlungsstrategische Vorgehen durch den Verwaltungsrat, die Geschäftsleiter oder zumindest durch den Steuerausschuss zu definieren, niemals aber durch den Verhandlungsführer.

Das operative Tagesgeschäft frisst oftmals die einer strategischen Verhandlung zugewiesenen Ressourcen weg. Das hat zur Folge, dass Verhandlungen entweder versanden oder sich unendlich in die Länge ziehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es den meisten Verhandlungspartnern recht ist, wenn der Druck nachlässt. Wer die Verhandlungsführung vernachlässigt, verliert an Power, Ernsthaftigkeit und Umsetzungswahrscheinlichkeit.

Zum Verhandeln motivieren

Mit dem Erfassen aller Stakeholder, dem Erkennen der verschiedenen Möglichkeiten und dem Festlegen der strategischen Verhandlungsziele ist das Potenzial der Verhandlungen einer Firma noch längst nicht ausgeschöpft. Was im Grossen angestrebt wird, muss im Kleinen erst recht umgesetzt werden. Erfolgreiche Firmen motivieren alle Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen dazu, Verhandlungen im normalen Alltag zu führen. Besser einkaufen, kreativer offerieren und abrechnen, exaktes, betriebswirtschaftliches Führen der Dossiers, haushälterisches Planen und Einsetzen von Ressourcen bei Projekten und so weiter haben, auch wenn es sich um kleinere Beträge handeln mag, einen signifikanten Einfluss auf das Betriebsergebnis.

Ein durchaus praxistaugliches, bescheidenes Planspiel: Wenn in einem Betrieb mit 25 Mitarbeitenden jede Person pro Tag 50 Franken weniger ausgibt oder mehr einnimmt oder Ressourcen im gleichen Umfang optimiert, würde Ende Jahr das Betriebsergebnis immerhin um zirka  300 000 Franken verbessert. Bekanntlich geht der Homo oeconomicus mit fremdem Geld grosszügiger um als mit eigenem. So pochen viele Mitarbeitende mit einem Kaderstatus auf das Privileg, in der Business-Class fliegen zu können, während sie privat nicht einmal Economy-Plus, sondern eher die günstigste Buchungsklasse wählen. Mitarbeitende in die unternehmerische Verantwortung einzubinden, Verhandlungstaktiken zu schulen und Verhandlungskompetenzen zu erteilen, macht mehr als nur Sinn. Es stellt sich nicht die Frage, ob Mitarbeitende verhandeln, weil sie es sowieso tun. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob diese Verhandlungen im Interesse der Firma geführt, Kosten eingespart, Einnahmen vergrössert und Ideen und Chancen erkannt und kreiert werden. Hierfür gibt es diverse erprobte Praxismodelle, Prozesse und Trainings, welche die Mitarbeitenden dazu befähigen und motivieren, mehr aus ihren Kompetenzen und Möglichkeiten herauszuholen.

Die Folgen des Brexit werden von vielen kleinen und mittelgrossen Unternehmen einiges abverlangen. Niemand sagt, dass sich das auf Kosteneinsparungsübungen beschränken soll oder muss. Koordiniertes, systematisiertes und kreatives Verhandeln mit allen Stakeholdern und auf allen Hierarchiestufen birgt nicht nur Potenziale, sondern auch enorme Chancen, um mit Verhandlungsparteien auf neue, wertgenerierende Ideen zu kommen.

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