Strategie & Management

Unternehmensführung

Mit Ambidextrie die digitale Revolution bewältigen

Damit Unternehmen die digitale Transformation bewältigen können, sollten sie jetzt nicht den Fehler machen und Altbewährtes über Bord werfen. Vielmehr gilt es, eine Kultur zu entwickeln, die Bewahrenswertes stabilisiert und gleichzeitig Innovation anleitet. Sogenannte Ambidextrie ist nötig.
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Smart Data, Künstliche Intelligenz, disruptive Entwicklungen … – die Digitalisierung bringt Unternehmen an den Rand der Singularität: den Scheidepunkt, an dem ein System in etwas komplett Neues umbricht. Die grosse Herausforderung besteht dabei zunächst darin, zu wissen, was zu tun ist: Was genau muss verändert werden? Wo ist anzusetzen? Wie viel Tradition muss sein und erhalten bleiben? Und wo ist es zwingend notwendig, sich den digitalen Herausforderungen auch in der Führung anzupassen, wo sind gar revolutionäre Veränderungen unabdingbar?

Wandlungsfähig sein

Bei all den Fragen steht eines fest: Die Unternehmen müssen agiler werden. Wer Agilität als blosses Buzzword abtut, wird auf kurz oder lang feststellen, dass er in dem zunehmend dynamischer werdenden Markt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen ins Hintertreffen gerät. Es gilt daher, wandlungsfähig zu sein und sich immer wieder dem Markt beziehungsweise den Wünschen und dem Bedarf des Kunden anzupassen. Das Wichtigste dabei ist, damit anzufangen. Agilität heisst, ins Tun zu kommen, zu machen. Bei vielen Unternehmen hakt es aber genau daran. Sie analysieren die Situation, machen Konzepte, doch kommen nicht ins Tun, weil alles zu gross erscheint. Im Anfang liegt also die grosse Herausforderung. 

In kleinen Schritten starten

Dabei geht es gar nicht darum, einen kompletten Neustart hinzulegen. Zum einen ist es sinnvoll, in kleinen Schritten zu starten. Zum anderen sollte auch nicht alles Altbewährte über Bord geworfen werden. Ein Bild aus der Schifffahrt verdeutlicht die Situation. Demnach ist eine Organisation wie ein Ozeanriese und damit auch ein Symbol für das Standard­geschäft. Es braucht aber während und nach der Digitalisierung auch Schnellboote als Symbol für die Innovations­einheiten. 

Das heisst: Es braucht ein Zusammenspiel beider Einheiten. Die Unternehmen müssen auf eine schnelle Umsetzung mit Fehler-Tolerierung in den Innovationsbe­reichen hinwirken, aber auch auf eine möglichst geringe Fehlerquote in den produzierenden Standardbereichen. Es ist «Beidhändigkeit», sogenannte Ambidextrie, nötig. Die meisten Unternehmen haben von Ambidextrie schon mal etwas gehört. Viele von ihnen wissen aber nicht wirklich, was es damit auf sich hat. Und gerade die mittelständischen Unternehmen halten den Begriff irrtümlicherweise nur für das nächste Buzzword, das durch die Managementliteratur gejagt wird. Insbesondere für den Mittelstand ist Ambidextrie jedoch ein sehr guter Weg, praxisnah Digitalisierungsprojekte anzu­gehen und gleichzeitig die bisherigen Stärken im Geschäft voranzutreiben.

Taskforce bilden 

Um Ambidextrie im Unternehmen zu etablieren, empfiehlt sich – sowohl für die Konzeption als auch für erste Versuche –, ein Kernteam aus Toptalenten zusammenzustellen. Diese sollten das Unternehmen gut kennen. Vor allem aber ist unabdingbar, dass die Geschäftsleitung und das obere Management der Taskforce vertrauen, ihr etwas zutrauen. Nur so können die Teammitglieder als sogenannte Change Agents und Influencer die Unternehmenskultur innovativ und kreativ weiterdenken sowie die zukünftige Führung des Unternehmens mitgestalten. Die Besetzung der Taskforce ist somit von grosser Bedeutung. Die Geschäftsführung sollte hierfür checken: Welche kreativen und agilen Talente gibt es im Unternehmen, die als Mitglieder für die Taskforce nominiert werden können? Ein Teil der Talente und Change Agents darf auch gerne kritisch und unbequem sein. Insgesamt bewährt hat sich eine gute Mischung aus nominierten internen Influencern und Change Agents sowie weiteren Führungskräften und Mitarbeitern, die motiviert für die Aufgabe sind. Darüber hinaus brauchen die Unternehmen innovative Mitarbeiter mit Erfahrung in der Einführung von Veränderungen.

Als Sparringspartner fungieren

Die Taskforce sollte als Sparringspartner für den Vorstand beziehungsweise die Geschäftsleitung im Unternehmen fungieren. Denn Ziel ist es, aufzuzeigen, wie eine innovativere Unternehmenskultur in circa fünf Jahren für das Unternehmen auszusehen hat. In regelmässiger Interaktion sollte sie darüber hinaus darauf hinweisen, welche Game Changer entscheidend sind, um das Unternehmen voranzubringen.

Auch wenn es der Geschäftsführung aufgrund der über viele Jahre hinweg etablierten Unternehmenskultur im Hause eventuell schwerfällt, ist es wichtig, dass sie auf Augenhöhe mit der schnellen Eingreiftruppe geht. Denn diese Zusammenarbeit beziehungsweise der Austausch zwischen Taskforce und Geschäftsführung simulieren auch die Arbeit in der Zukunft, welche einen viel stärkeren Netzwerkcharakter als die Arbeitsweise heute hat. In dem Core Team wird ausserdem schon eine agile Kultur praktiziert und man generiert erste Hypothesen, wie dies zukünftig auch in einem Grossteil des Unternehmens praktiziert werden kann.

Analyse der Taskforce-Arbeit

Nach einer Zirca drei- bis sechsmonatigen Analysephase der Taskforce sollten eine erste Auswertung und weitere Schritte erfolgen. Unter anderem ist zu entscheiden, wie viele Mitarbeiter agil arbeiten sollen. Hier ist ein Prozentsatz zwischen 2 und 20 Prozent ratsam. Dieser Anteil kann im Laufe der Jahre mehr und mehr erweitert werden. Die nominierten Talente agieren hier idealerweise im Sinne von Botschaftern für die Ambidextrie und schulen weitere Mitarbeiter in agilen Arbeitsformen. Das Prinzip ist also, dass der Innovationsbereich das Arbeiten der Zukunft vorwegnimmt und zunehmend mehr ausgeweitet wird. 

Das Topmanagement wird höchstens fünf Prozent seiner Arbeitszeit für das Einführen von Ambidextrie aufwenden müssen. Auch ansonsten bedarf es nicht vieler Ressourcen für die Etablierung eines beidhändigen Systems. Egal, wie gross oder wie klein das Unternehmen ist, es kann sofort damit beginnen. 

Singularity Leadership

Ambidextrie ist jedoch nur ein Handlungsprinzip, mit dem ein etabliertes Unternehmen eine Unternehmenskultur entwickeln kann, die im Zeitalter der Digitalisierung und darüber hinaus Bestand hat. Im postsingulären Manifest spielen neun weitere Handlungsprinzipien eine Rolle (siehe Box). Hervorzuheben im Zusammenhang mit dem postsingulären Manifest ist ins­besondere der menschliche Aspekt. Dieser darf nicht auf der Strecke bleiben, da viele Mitarbeiter angesichts der digitalen Re­volution Ängste entwickeln. 

Um gegen Künstliche Intelligenz und Roboter mittelfristig bestehen zu können, braucht es daher eine komplett neue Führung. Für diese gilt es vor allem, die Vorteile, die wir als Menschen gegenüber intelligenten Maschinen haben, zu nutzen – und das sind unsere Emotionen, Pas­sionen, unser Fühlen und im weiteren Sinne unsere Intuition. So umfasst das Modell «Singularity Leadership» viele weiche Kompetenzen, die erfolgreiche Führungskräfte in der digitalen Welt
haben sollten. 

Immer wichtiger werden zum Beispiel Introspektion, also eine nach innen gerichtete Selbstbeobachtung, sowie interpersonale und intrapersonale Intelligenz. Sie ermöglicht den Zugriff auf ein unbewusstes Wissensreservoir, in dem nicht mehr bewusst zugängliche Erinnerungen, Wahrnehmungen und Empfindungen abgespeichert sind, wodurch sich eine gute Intuition ergibt. 

Zudem spielen kommunikative Fähigkeiten für die Führungskräfte in der Digitalisierung eine besondere Rolle. Sie müssen klar kommunizieren und andere inspirieren können, dann folgen die Mitarbeiter ihnen automatisch. Für den persönlichen Erfolg sind ausserdem Lern­agilität und Leidenschaft nötig. Wer sich nicht mit Begeisterung weiterentwickeln will, wird es in der Digitalisierung schwer haben. Lernagile Menschen sehen Chancen, wo andere Hindernisse sehen, sowie die Möglichkeit, in allen Interaktionen und Opportunitäten etwas zu lernen. Diese Lernagilität manifestiert sich auch als Mindset, nie in seinem Wissensdrang stehen zu bleiben. Wer sich ausruhen wird, kann wahrscheinlich in einigen Jahren nicht mehr mithalten.

Porträt