Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Megatrend Transparenz – Warum Heimlichtuerei schadet

Es wird viel über Megatrends gesprochen. Mobilität, Demografie, Urbanisierung und so weiter. Ein Megatrend wird regelhaft vernachlässigt: Transparenz.
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Wenn man die Begriffe «Megatrend Transparenz» bei «google.de» – genau so mit den Anführungszeichen – eingibt, erhält man zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Kolumne – wie viele? – nein, keine drei Millionen, auch keine 145 000, sondern ganze 45 Treffer. Bei «google.ch» sind es 178 Ergebnisse. Bedeutet dies nun, dass «Transparenz» kein Megatrend ist? Mitnichten. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Megatrend bisher massiv unterschätzt und übersehen wurde, und ich bin der ebenfalls festen Überzeugung, dass er manches Unternehmen noch in echte Paradigmenwechsel bringen wird.

Transparenz – freiwillig und kostenfrei

Warum? Schauen wir uns dazu einmal gründlich um: Die Bedeutung des (investigativen) Journalismus wächst, die Qualität desselben soll nicht Gegenstand der heutigen Erörterung sein. Dieser Journalismus führt dazu, dass Dinge transparent gemacht werden, die zuvor der Öffentlichkeit, mitunter selbst der betroffenen internen Öffentlichkeit, verschlossen waren. Wir brauchen dabei gar nicht bei Wikileaks zu beginnen, auch im viel kleineren Massstab eröffnen die technischen Möglichkeiten immer mehr Optionen, Transparenz in Dinge zu bringen, die gerne verborgen gehalten worden wären.

Aber nicht nur im journalistischen, auch im privaten Bereich schaffen wir – freiwillig – Transparenz. Die Vielfalt an Informationen, die freiwillig von Menschen preisgegeben werden, ist enorm. Es ist schon verwunderlich, wenn Menschen zögern, Kreditkartennummern per Mail zu versenden und gleichermassen fleissig twittern, wo sie sich derzeit im Urlaub befinden. Wohnung oder Haus? Unbewohnt sowie unbewacht, natürlich. Whatsapp, Facebook, Twitter, Xing, Instagram, Linkedin, Flickr, Snapchat, Youtube, alles führt zu einer enormen Personentransparenz.

Hobbys, Interessen, Neigungen, Aufenthaltsorte, Bewegungsprofile, Stimmprofile, Fotos – alles kostenfrei zu bekommen, per Mausklick. Apropos Be-wegungsprofile: Die Anzahl derer, die ihre Ortungsdienste am Smartphone abgeschaltet haben, schrumpft mit zunehmender «Verselbstverständlichung» dieses Dienstes und mangelnder Skepsis ihm gegenüber. Wir geben freiwillig preis, wo wir uns exakt, metergenau, befinden. Diese Daten sind natürlich sicher – wers glaubt ...

Megatrend «Transparenz» positiv nutzen

Aber auch die Datensicherheit soll heute nicht der Fokus der Betrachtungen sein, sondern die Frage, wie der Megatrend «Transparenz» unsere (nicht nur mittelständischen) Unternehmen beeinflussen wird. In Deutschland ist es beispielsweise gang und gäbe, sich die Unternehmens­daten eines Geschäftspartners im sogenannten «elektronischen Bundesanzeiger» anzusehen.

Dort müssen alle Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften (mindestens aggregiert) einsehbar hinterlegt werden. Je nach Grösse des Unternehmens muss mehr veröffentlicht werden, bis hin zum vollständigen Lagebericht. Wir sprechen von mittelständischen Unternehmen. In der Schweiz ist das Pendant wohl das Firmenbuch, man sehe mir die mangelnden Detailkenntnisse nach, aber es geht hier um das Prinzip.

Neben Lieferanten und Kunden können also auch Mitarbeiter sich über «ihr» Unternehmen – je nach Grösse sogar im Detail – informieren. Jawohl, die Abschlüsse erscheinen oft spät und geben nicht unbedingt ein aktuelles Bild, aber die Richtung ist schon erkennbar. Was tun aber viele mittelständische Unternehmen? Sie versuchen krampfhaft, Informationen zu verbergen, durch komplizierte Verschachtelungen unübersichtlich zu machen, so wenig wie möglich zu veröffentlichen. Das ist alles sinnlose Energieverschwendung. Wer heute Informationen über ein Unternehmen erhalten möchte, erhält diese.

Was aber, wenn wir den Spiess nun einmal umdrehen? Was, wenn (mittelständische) Unternehmen den Megatrend «Transparenz» ernst nehmen und ihn sogar für sich nutzen? Was, wenn in Unternehmen offen über Gewinne des Unternehmens und deren Verwendung gesprochen wird – wohlgemerkt, nicht als basisdemokratische Veranstaltung oder als Rechtfertigung, sondern als Information?

Was, wenn der Misstrauenskultur, die davon ausgeht, dass Mitarbeiter neidvoll und begehrlich auf den Anteil des Gewinns schauen, den die Anteilseigner ausschütten, eine Kultur des Vertrauens folgt? Eine Kultur, die einen Vertrauensvorschuss gibt. Eine Kultur, die nicht davon ausgeht, dass Mitarbeiter immer ein grösseres Stück des Kuchens haben wollen, nur weil das Unternehmen gut verdient hat. Eine Kultur, die aber sehr wohl darauf setzt, Mitarbeiter nicht als hauptsächlichen Kostenfaktor zu sehen, wie der CEO von Ryanair vor Kurzem wieder einmal hat verlauten lassen, sondern als wertvolle Akteure der Unternehmen, ohne die vermutlich wenig Wertschöpfung entstünde?

Wer Verantwortungsübernahme fordert, muss auch Vertrauen schenken.

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zu dieser Kultur kommen werden müssen, denn in einer Zeit, in welcher der patriarchalische Führungsstil nun wirklich ausgedient hat, in einer Zeit, in der die Zusammenhänge immer komplexer werden, kommt es nicht nur darauf an, von Verantwortung zu reden, sondern Verantwortung zu delegieren und seine Mitarbeiter auch tatsächlich ernst zu nehmen.

Wer aber Verantwortung tragen soll, muss auch über die zur Wahrnehmung dieser Verantwortung erforderlichen Informationen verfügen. Andernfalls handelt es sich wieder nur um eine Alibi-Bekundung. Wer die Übergabe von Verantwortung fordert, muss im Gegenzug auch Vertrauen schenken. Und Vertrauen ist der wichtigste Baustein auf der Reise in eine gesunde, profitable Unternehmenszukunft. Denn allein können wir als Eigentümer unserer Unternehmen diese Reise nicht bestreiten.

In meinem Unternehmen, einer mittelständischen Beratungsgesellschaft, sprechen wir nicht häufig über Zahlen, weil wir der Überzeugung sind, dass Zahlen nur das Ergebnis des vorhergehenden Handelns darstellen. Daher sprechen wir mehr über Inhalte, die unserem Dafürhalten zufolge zu den erwünschten Zahlen führen sollen. Wenn wir aber über Zahlen sprechen – und hier meine ich die Unternehmenszahlen, nicht einzelne Gehälter oder einzelne Kostenpositionen –, dann tun wir das sehr offen.

Ich habe keine Scheu, den Gewinn (oder in früheren, schwächeren Zeiten auch schon einmal den Verlust) des Unternehmens zu benennen: vor Steuern, nach Steuern, nach Ausschüttung. Warum sollte dies ein Problem darstellen? Die Mitarbeiter beantworten diese Gewissheit, exakt zu wissen, wie es um das Unternehmen steht und was wir gemeinsam erwirtschaftet haben, mit Einsatz sowie Energie.

Den Megatrend «Transparenz» können wir nicht aufhalten. Also nutzen wir ihn so, dass wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesundes, profitables Wachstum schaffen, statt Gerüchte über die Situation des Unternehmens kursieren zu lassen.

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