Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Lieber schnell statt perfekt

Vision, Strategie, Marke, diese Wachstums­elemente werden in Unternehmen gerne mit Attributen wie «theoretisch», «unnötig», «langatmig» versehen. Das ist vermeidbar, wenn man es richtig angeht.
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Wir brauchen gar nicht so weit in die Vergangenheit zu schweifen und den Satz von Helmut Schmidt, dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler, zu bemühen, dass derjenige, der Visionen hat, zum Arzt gehen möge, um Irrtümer aufzudecken, die sich rund um die Themen Vision, Strategie und Marke drehen. Sämtlich sind dies hochgradig wachstumsrelevante Elemente, denn ohne Vision fehlt einer Strategie die Richtung und ohne Marke wird das Wachstum unnötig erschwert. In der unternehmerischen Praxis erweist sich das Arbeiten an diesen Themen als ernst zu nehmende Herausforderung, die sich zahlreichen Vorurteilen und tagesgeschäftlichen Hindernissen ausgesetzt sieht. Ob die Vorurteile oder die operativen Hürden überwiegen und wer dabei «gewinnt», dass wieder einmal nicht an der Vision, der Strategie oder der Marke gearbeitet wird, ist nur akademisch interessant, denn unabhängig von der Art des Hinderungsgrundes kommt das Gleiche dabei heraus: kein zukunftsgerichteter, wachstumsorientierter Fortschritt des Unternehmens, sondern Köcheln im immer gleichen Saft.

Die Vision als erstrebenswerter Zukunftszustand

Bevor es überhaupt Sinn ergibt, dass wir uns heute damit auseinandersetzen, wie vor allem mit dem Vorurteil der erforderlichen und natürlich nicht unmittelbar verfügbaren Zeit zur Arbeit an der unternehmerischen Vision, der Wachstumsstrategie und der Unternehmensmarke umgegangen werden soll, müssen wir uns darauf verständigen, dass sowohl eine attraktive Vision als auch ein klar beschriebener Weg zu dieser Vision (nennen wir diesen Weg «Strategie») nebst einer diesen Weg unterstützenden und begleitenden Unternehmensmarke das gesunde, profitable Wachstum deutlich beflügeln. Man kann auch ohne Vision, Strategie und Marke wachsen, aber dann gerät Wachstum sehr schnell zum Zufall und die Resultate geraten zu Überraschungen. Beides ist wenig hilfreich im Sinne des gesunden Wachstums eines Unternehmens. Gehen wir also von den Erfordernissen der drei genannten Wachstumselemente aus, müssen wir uns mit dem Einwand auseinandersetzen, dass die Entwicklung einer Vision viel zu lange dauere, deren Wirkung nicht klar ist und dass auch das Ableiten einer wirksamen Strategie nicht zu den bekannten «tief hängenden Früchten» zählt, die man rasch abpflücken kann. Marke kann vermeintlich durch das Marketing erledigt werden, das Wort steckt ja schon in der Bereichsbezeichnung.

Mit Irrtümern aufräumen

Zwei Irrtümer werden hier genährt: Erstens muss weder das Erarbeiten einer Vision noch das Erarbeiten einer Strategie, noch das Konturieren der Marke eines Unternehmens über Gebühr lange dauern, noch gehört die Entwicklung einer Unternehmensmarke ins Marketing. Wir sind also gut beraten, ein wenig mit Irrtümern aufzuräumen, denn weder muss der Prozess der Entwicklung einer Vision noch der Strategieentwicklungsprozess noch das Konturieren einer Marke sich im Theoretischen erschöpfen – das darf sogar ausdrücklich nicht der Fall sein! – noch müssen diese Prozesse über Gebühr lange dauern. Beginnen wir also mit einigen begrifflichen Klärungen: Eine Vision ist die Beschreibung eines möglichst hochgradig erstrebenswerten Zukunftszustands des Unternehmens, welcher vielleicht nie erreicht werden wird.

Für die Kunden eines Unternehmens ist die Vision meist uninteressant

In eine Vision gehören keine Zahlen, Daten und Fakten, sondern nach unserem Verständnis ist es tatsächlich eine Ziel-Zustandsbeschreibung, die so attraktiv ist, dass sie vor allem eine Richtung vorgibt und inneren Zusammenhalt schafft. Eine Vision ist für die Kunden eines Unternehmens meist uninteressant, und das können wir den Kunden gar nicht übelnehmen. Prüfen wir uns selbst: Sind wir inhaltlich interessiert an den Visionen der Unternehmen, deren Produkte wir kaufen? Meist ist die Antwort «Nein». Daher führt es bei uns immer wieder zu Erstaunen, wenn Unternehmen ihre Vision direkt vorne auf die Website stellen. Was ist für uns «drin»?, diese Frage stellt sich. Sehr wohl sind wir nämlich an den Auswirkungen dieser Vision interessiert, denn diese spüren wir in den Produkten und Dienstleistungen und in der Art und Weise, wie das Unternehmen mit uns in Kontakt tritt und zusammenarbeitet. Für die Mitarbeiter einer Firma ist die Vision auch interes­sant, denn derjenige, der sich darin nicht wiederfindet, wird in dem Unternehmen nicht glücklich und auch andersherum ergibt es einen Sinn: Eine Vision ist geeignet, die richtigen Mitarbeiter zu binden und zu finden.

Verstehen wir also eine Vision als durchaus prosaische Beschreibung eines erstrebenswerten Zukunftszustandes in einer gewissen Konkretheit, wird klar, dass es sich bei dieser Formulierung nicht um einen mehrmonatigen Prozess handeln muss. In der Regel ist im Mittelstand vieles von der Vision bereits in den Köpfen der Eigentümer beziehungsweise der Unternehmensführung. Sie muss geeignet zu Papier gebracht werden und dann hat man eine tragfähige Basis. Das übermässige Einbinden von Mitarbeitern in den Entwicklungsprozess ist im Übrigen nicht erforderlich, denn Vision ist eine Sache der Eigentümer und Perfektion ist hier völlig Fehl am Platze. Dies trifft auch für die Strategie zu, denn in der Tat müssen sich manche Strategieprojekte den Vorwurf gefallen lassen, dass sie im Theoretischen verharren und Änderungen der Aussenwelt, die seit Projektstart eingetreten sind, nicht berücksichtigt werden oder – wenn sie berücksichtigt werden – den Prozess der Strategieerarbeitung unnötig verlangsamen; ein Kreisel, der schwindelig macht.

Eine Vision, eine Strategie oder eine Unternehmensmarke müssen nie perfekt sein

Auch die Entwicklung der Strategie ist in erster Linie die Aufgabe der Unternehmensführung und unabhängig davon, ob es sich um die Unternehmensstrategie oder die daraus abgeleitete Strategie für ein Marktsegment handelt, kann die Arbeit in den meisten Fällen mit einer wirksamen Methodik dramatisch abgekürzt werden. Dabei ist es gar nicht so entscheidend, welche funktionierende Methodik eingesetzt wird, sondern dass diese konsistent durchgehalten wird. Man lasse sich also nicht auf Diskussionen über die Methodik ein.

Gleiches gilt für die Arbeit an der Marke. Ein guter Strategieprozess – ja: Strategie ist kein «Projekt», sondern ein Prozess! – beginnt mit der Formulierung der Vision, der Ableitung einer Strategie, der Konturierung der Marke. Ist bereits Vergangenes vorhanden, muss es gewürdigt, angepasst oder abgelehnt werden, damit nur noch über aktuell Gültiges gesprochen wird. So schnell wie möglich gilt es, Beschlossenes buchstäblich auszuprobieren und die Strategie bei eventuellem Bedarf zu justieren. Das ist der wesentliche Unterschied zu den meisten Ansätzen und es gilt: Lieber schnell als perfekt, denn Perfektionsstreben ist meist nur eine Entschuldigung dafür, nicht fertig werden zu müssen. Eine Vision, eine Strategie oder eine Unternehmensmarke werden und müssen aber nie perfekt sein.

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