Strategie & Management

Unternehmensführung

Krisen frühzeitig erkennen und bewältigen

Fehlende Liquidität und überschuldete Bilanzen als symptomatische Auslöser, sich verändernde Märkte oder verpasste Technologie-Entwicklungen als Ursachen, nicht «hinschauen wollen» als Verzögerer; das ist das beinahe schon standardisierte Muster einer Unternehmenskrise bis hin zum Kollaps. Dabei ist meist nicht die Krise selbst das eigentliche Problem, sondern deren (zeitliche) Erkennung.
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Sucht man nach Definitionen von Krise, finden wir als generische Erklärung «herkömmliche Mittel und Methoden genügen nicht mehr, um das bisherige System zu erhalten». Zu Unternehmenskrise im engeren Sinne kommt z. B. bei Wikipedia Erstaunliches heraus: «Die Phase eines Unternehmens, in welcher seine Funktionsfähigkeit und Stabilität beeinträchtigt ist und die Gefahr eines Unternehmenszusammenbruchs (Insolvenz) besteht. Die Ursache ist meistens Illiquidität, entstanden durch säumige Kundenzahlungen». Mein Erstaunen bezieht sich massgeblich auf die Begründung «säumige Kundenzahlungen», womit die Verantwortungsfrage ja eigentlich bereits geklärt und dieser Artikel nicht notwendig wäre …

Bezüglich Überschuldung hilft uns das Obligationenrecht, welches klar definiert, dass eine Bilanz dann überschuldet ist, wenn das Eigenkapital nicht mehr gedeckt ist, d.h. den Gläubigerforderungen nicht mehr genügend Aktiven gegenüberstehen. Die Bewertung der Aktiven lässt in der Praxis allerdings einen nicht unwesentlichen Spielraum, vor allem dann, wenn es sich um immaterielle Güter, sogenannte «tangible assets» handelt. Darunter fallen in erster Linie Goodwill, IP-Rechte oder z. B. Software. Um es vorneweg zu nehmen, striktere Bewertungsgrundsätze wären hierzu wahrscheinlich angebracht.

In den obigen Ausführungen handelt es sich vorwiegend um statische Betrachtungen, welche interessanterweise in Literatur und Lehre dominieren. Die bisher beschriebenen Aspekte sind aber letztlich die Resultate der jeweiligen unternehmerischen Tätigkeit. Kein Gesetz, keine Definition gibt uns Antwort auf den dynamischen Teil dieser Entwicklung, nämlich das operative Geschäft, das zugrunde liegende Geschäftsmodell, die Märkte, unsere Markt­leistungen, etc.

Erkennung der Krise

Wie bereits einleitend erwähnt, ist die fehlende Liquidität das eindrücklichste und leider meist das einzige Signal zu einer Krise oder Überschuldung. Allerdings geht der Illiquidität entweder ein operativ schlechter Geschäftsgang oder ein ungenügendes Cash Management voraus. Um dem Gesetz Genüge zu tun, mag ein Jahresabschluss sechs Monate nach dessen Ablauf ausreichen. Um eine Unternehmung mittlerer Grösse (ca. 2 Mio. bis 100 Mio. Umsatz) zu führen, kommen wir nicht umhin, unsere Erfolgsrechnung monatlich zu erstellen und ein kontinuierliches Reporting zu erstellen. Allerdings sind es nicht die Finanzkennzahlen, die die Früherkennung ermöglichen. Der Hebel muss und kann viel früher angesetzt werden. Die Kausalkette für Symptom und Ursache – aus gutem Grunde umgekehrt nummeriert – sieht im Normalfall aus wie in der Tabelle «Symptome und Ursachen der Unternehmenskrise» dargestellt.

Diese simplifizierte Herleitung endet nicht, wie eingangs definiert, mit «säumigen Kundenzahlungen», sondern mit fehlender Aktivität als Ursache für die Unternehmenskrise. Mit Aktivität ist nicht nur Verkauf und Marketing gemeint, sondern auch die richtige Produktentwicklung, Prozesse, Führung, etc. Wesentlich ist aber, dass alle Symptome messbar sind. D. h. je früher wir den Massstab ansetzen, desto früher erkennen wir die Krise. Wenn wir also fehlende Liquidität wahrnehmen, dann lagen davor normalerweise ca. 10 bis 30 Monate nicht gemessene und ignorierte Signale. Signale messen heisst Reporting. Zeitnahe Auswertungen, nicht nur der Erfolgsrechnung, sondern der Verkäufe, Aktivitäten, Produktequalität, etc. sind also Schlüsselfaktoren in der modernen Unternehmensführung; gerade in den heutigen, sich enorm schnell verändernden Märkten. Auch subjektive und qualitative Werte benötigen eine Skala, eine Benchmark. Das ist auch bei Aktivitäten
möglich.

Modellhaft lässt sich das so erläutern: Wir erheben (Vergangenheit, Branche), dass normalerweise 100 Einheiten Aktivität (Produktequalität, Marketingaufwendungen, Kundenbesuche, etc). benötigt werden, um einen Gewinn von X zu erwirtschaften. Dann lässt sich doch einfach ein Soll/Ist-Vergleich dieser Kriterien monatlich erstellen und wir wissen genau, wo wir in 10, 20, oder 30 Monaten stehen werden. 80 Aktivitäten reichen dann eben nicht aus, 120 geben uns Luft.

Eine solche relative Skala mit relevanten Determinanten lässt sich für jede Branche recht einfach erstellen. Früherkennung ist also möglich; wenn man denn will …

Psychologie der Krise

Krise lähmt. Ich kenne keinen Unternehmer, der in einer Überschuldungssituation im Vollbesitz seiner Leistungsfähigkeit ist. Nicht nur, weil er täglich reaktiv den Feuerwehrmann spielen muss, gesteuert durch die fehlende Liquidität; vielmehr, weil er nicht ohne Gesichtsverlust oft sein gegebenes Wort nicht halten kann. Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter sind verunsichert, sein Selbstwertgefühl schwindet. Unnötige Fehler addieren sich zu den wirtschaftlichen Problemen. Die Abwärtsspirale beginnt sich zu drehen.

Hintergrund ist oft die Wahrnehmung bzw. die persönliche Akzeptanz des Problems. Es werden Argumente und Massnahmen zur Beschönigung anstatt zur Veränderung gesucht. Offenbar ist die Angst vor Veränderung die treibende Kraft gegen die Akzeptanz des Problems und Handlungen zur Lösung. Dabei hat nicht Plato gesagt: «Nichts ist so konstant wie die Veränderung»? Doch wie gerne schiebt der Mensch die unangenehmen Dinge vor sich her, sitzt die Probleme aus und sagt sich «Es kommt schon wieder gut» oder «so schlecht kann doch nicht sein, was wir schon 20 Jahre lang gemacht haben». Aus der Sicht des Turnarounds sind das keine Rezepte. Wegsehen anstatt hinsehen hat in der Unternehmensführung, insbesondere in schwierigen Zeiten, fatale Folgen. Die Ehefrau eines Unternehmers hat mich kürzlich gefragt: «Was heisst es denn für die Firma meines Mannes, wenn er Ihre vorgeschlagene Veränderung umsetzt?» Meine Antwort war so einfach wie logisch; eine Gegenfrage: «Was heisst es, wenn er es nicht tut?»

Angst vor Veränderung

Was hat ein Unternehmen, das Verlust schreibt, zu verlieren? Alles, was man anders macht, und sei die Beurteilung dessen noch so kritisch, ist besser, als der bisherige Weg. Denn die einzig wirklich gesicherte Information, über die wir verfügen, ist doch, dass der bisherige Weg nicht erfolgreich war und nicht zum Ziel führte. Im Falle des Alleininhabers sind diese Softfaktoren die entscheidenden Hürden, die überwunden werden müssen. Rational besteht wahrscheinlich eine weitere (kulturelle) Erklärung: Wir Europäer denken nicht nur langfristig, sondern auch in einem Lebenszyklus; wir bauen ein Haus, wir heiraten eine Frau, wir bauen eine Firma auf; dann kommt die Konsolidierung, dann die Ernte und der verdiente, wohlständige Ruhestand. Wenn in dieser über Generationen indoktrinierten Abfolge etwas schief geht, eben eine Krise dazwischen kommt, geht unser gesamtes Lebenskonzept nicht mehr auf. Wir sind es nicht gewohnt, in kürzeren und mehreren Zyklen zu denken, planen und funktionieren; wir leiden zu lange, wir bejammern die Umstände oder verschwenden unsere Kapazität in der Suche des Schuldigen, der wir ja nicht sind … Im Gegensatz dazu ist z. B. für den Amerikaner nichts so natürlich wie die «second chance» (auch wenn es drei oder vier sind).

Wenn ich diesem Kapitel einen so grossen Stellenwert einräume, dann deshalb, weil in ca. 70 Prozent aller Unternehmenskrisen genau hier die Ursache liegt: Angst vor Veränderung. Dabei ist doch eine Krise nicht bloss eine Chance zur Veränderung und Erneuerung, sondern geradezu eine Notwendigkeit oder zumindest ein Katalysator. Was tut der Gärtner, wenn er unseren Garten pflegt? Richtig, ausdünnen, d.h. das Alte wird weggeräumt, damit das Neue Platz hat, sich zu entwickeln. Wenn es also gelingt, diese Komponente in den Griff zu bekommen, ist der grösste Schritt zum Turnaround bereits getan.

Prozess zum Krisenmanagement

Die Krise zu erkennen, ist schwierig genug, diese zu akzeptieren, stellt nochmals eine höhere Stufe dar. Das eigentliche Krisenmanagement ist ohne externe Hilfe kaum zu bewältigen. Die Softfaktoren (siehe Kapitel «Psychologie der Krise») müssen sorgfältig begleitet werden. Zu Analyse, Strategieentwicklung und letztlich Neufinanzierung ist eine externe, neutrale Sicht zumindest vorteilhaft, wenn nicht unabdingbar. Unter Zeitdruck sind spezifische Erfahrungen und Beziehungen notwendig. Krisenbewältigung eignet sich wenig als Lernfeld.

Aus instrumenteller Sicht lassen sich folgende Schritte zusammenfassen:

Interne Schritte

1. Erkennen der Unternehmenskrise (Liquidität, Überschuldung)

2. Akzeptanz der Krise (hinsehen wollen,,verändern wollen)

3. Entscheid zur Veränderung

Schritte mit externer Hilfe

4. Liquiditätssicherung

5. Analyse

6. Handlungsoptionen

7. Businessplan

8. Finanzierung

9. Umsetzung

10. Liquidität sichern

Liquiditätssicherung

Krisenbewältigung ist zeitkritisch; also ist eine lang andauernde und tiefe Analyse meistens gar nicht (mehr) möglich. Den vermeintlichen Widerspruch «Zeit erlaubt keine Analyse» lösen wir im Turnaround Management, indem als Erstes die Liquidität gesichert werden muss, um die notwendige Zeit zu gewinnen. Dazu wird eine Art Voranalyse erstellt, welche den Zweck hat, innerhalb weniger Tage eine Grobbeurteilung über die Chancen zur Sanierung zu erstellen. Hierzu ist in erster Linie Erfahrung notwendig und es werden die folgenden Kriterien beurteilt: Sanierungswille (resultiert aus Akzeptanz), Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit.

Diese Begriffe sprechen für sich selbst, weshalb ich nicht auf deren Definition eingehe. Aber ähnlich einem Feuer, das Material, Funke und Sauerstoff bedingt, müssen alle drei Faktoren erfüllt sein, um sich einer Unternehmenssanierung und Neuausrichtung anzunehmen. Können diese Faktoren positiv beurteilt werden, steht einer Überbrückung der Liquidität nichts im Wege. Auch der Umstand, dass ein externer Berater zur Krisenbewältigung beigezogen wird, hilft in den meisten Fällen, dass Kapitalgeber/Gläubiger hierzu kurzfristig Hand bieten. Im Weiteren kann z.B. ein Recovery Fonds wie den NP-Pool den notwendigen Zeitgewinn bringen.

Fatal ist aber die nicht unübliche Unternehmerhaltung nach dem Motto «Ich benötige bloss den Betrag X, dann kann ich wieder durchstarten». In diesem Falle müssen wir «zurück zu Feld 1», nämlich der Ursache und Akzeptanz des Problems. Im «richtigen» Turn­around Management führt die Liquiditäts­sicherung erst zum Anfang der eigentlichen Problemlösung, nämlich der Analyse.

Analyse

Auch dieses Kapitel beginne ich mit einem Managerzitat: «Eure Pläne sind schon recht, aber erst in ein paar Wochen; jetzt haben wir Krise, da müssen wir handeln und da passieren schon mal Fehler.» (VR, 200 Mitarbeiter, 60 Mio. Umsatz, 17 Mio. Verlust acht Monate nach dieser Aussage). Sicherlich kennt der Leser die Geschichte des Holzfällers, der nicht vorwärtskommt mit Bäumen fällen, weil seine Axt zu stumpf ist. Darauf angesprochen, diese zuerst zu schärfen, sagt er «keine Zeit dazu, muss Bäume fällen». Die Analyse in der Krise weicht von den gängigen Methoden der Unternehmensanalyse kaum ab. Deshalb geht dieser Artikel nicht auf die instrumentellen Untersuchungen der Märkte, eigene Unternehmung, etc. ein. Aber es herrscht Zeitdruck, wobei Hektik durch Systematik und vor allem Konsequenz ersetzt werden sollte. Ein gängiges Problem ist auch, dass in dieser Phase immer wieder über das «Was und Wie» gesprochen wird, die Handlungen eben. Ich kann hierzu bloss daran erinnern, wie wollen wir wissen, wohin zu gehen ist, wenn wir nicht wissen, wo wir stehen …?

In unserem Beratungsunternehmen kennen wir zur zusammenfassenden Beurteilung den NP-Faktor. Dieser bewertet die drei Determinanten Markt, Marktleistung, Unternehmung und prüft diese bezüglich früher erwähnter Sanierungskriterien und dient als Grundlage für die spätere strategische Ausrichtung.

Zitat aus dem Businessplan der Firma C: Die anerkannt starke Marktposition und der Umstand, dass nicht der Markt oder die Produkte Problemverursacher waren, lassen uns die Überzeugung, den Turnaround für C zu erreichen. Es braucht C und deren Leistungen am Markt und die korrektiven Massnahmen sind vor allem interner Art, d.h. kaum von externen, unberechenbaren Faktoren abhängig. Der NP-Faktor beträgt 36 von max. 45. (Eine Aussicht auf erfolgreiche Sanierung besteht ab 25). Voraussetzung ist allerdings, dass das Management in der Lage ist, die innerbetrieblichen Probleme wie Finanzen, Führung, Reporting nachhaltig zu lösen.

Handlungsoptionen

Aus der Analyse werden die Handlungsoptionen (Schritt 6) entwickelt. Diese können von Neuausrichtung über Neufinanzierung zu Verkauf oder bis zum Konkurs führen. Im Vordergrund steht dabei immer die Machbarkeit. Diese wiederum ist massgeblich von der Finanzierung (Schritt 8) abhängig. Entgegen der landläufigen Meinung, dass die Banken den «bei Sonne verteilten Regenschirm bei Regen wieder einziehen», zeigt unsere Erfahrung ein anderes Bild. Kapital ist vorhanden; klassisches Fremdkapital von Banken oder in Form von neuartigen Instrumenten von entsprechend innovativen Investoren.

Das Problem sind nicht die Kapitalgeber, sondern vielmehr die Unternehmer, welche leider viel zu oft nicht in der Lage sind, ein stichhaltiges und durchdachtes Konzept zu ihrer Tätigkeit zu erstellen. Wie soll ein Kapitalgeber wissen, wozu er Geld investiert, wenn der Unternehmer dies selbst nicht weiss oder darzustellen versteht? Die vielen, im Internet verfügbaren Templates zu einem Businessplan (Schritt 7) führen oft zu tollen Präsentationen, deren Inhalt automatisiert und dementsprechend nicht authentisch ist. Wenn dann z.B. die Investoren-Frage nach der nicht aufgehenden Liquiditätsplanung mit «hm, da hat Excel einen Fehler gemacht» beantwortet wird, ist es wohl besser, sich nicht für das Vertrauen eines Kapitalgebers zu bewerben. Ein Businessplan beantwortet nicht nur die Fragen nach Markt, Geschäftsmodell, Finanzen und eigenen Stärken. Er muss vor allem der Validierung standhalten, oder um ein Modewort zu strapazieren, stringent sein. Und dass der Liquiditätsplanung ein entscheidender Stellenwert zukommt, liegt auf der Hand. Speziell, wenn das Unternehmen aus der Krise kommt. Da muss ganz besonders darauf geachtet werden, dass die alten Fehler glaubwürdig korrigiert werden und die Veränderungsprozesse bereits im Gange sind.

Konklusion

Unternehmenskrise ist eine Chance, wenn sie als Notwendigkeit zur Veränderung akzeptiert wird. Früherkennung durch zeitnahes Reporting, nicht erst der Finanzkennzahlen, sondern bereits der Aktivitäten, ist Grundlage der modernen Unternehmensführung. Finanzierung ist eine zwischenmenschliche Angelegenheit, wobei wir wieder zur Psychologie der Krise gelangen. Der beste Businessplan ist wertlos, wenn der Beweis zur (auch persönlichen) Veränderung nicht erbracht werden kann. Und zum Abschluss gedenken wir vielleicht noch Erich Kästner, der da sagte: «Es gibt nichts
Gutes, ausser man tut es.» (Schritt 9).