Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Konkreter Inhalt statt abstrakte Zahlen

Der Nutzen extrinsischer Motivation ist zweifelhaft. Vielmehr kommt die Motivation der Mitarbeiter von innen. Um diese zu halten, muss über Sinn, Inhalt und Nutzen des täglichen Tuns für die Kunden, die Gesellschaft und das Unternehmen gesprochen werden, anstatt über Zahlen zu fabulieren.
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Was wird nicht alles in Sachen «Motivation» fa­buliert. Milliarden Franken, Euro, Dollar werden in Motivationsseminare, Motivationsevents, Motivationstrainings investiert – sämtlich mit äus­serst zweifelhaftem Nutzen. Reduziert sich so die Fluktuation? Selten. Werden Leistungsträger dadurch stärker zu noch höheren Leistungen gebracht? Mitnichten. Die gesamte Nutzenbilanz derartiger Unterfangen? Äusserst fraglich.

Aufgabe der Führung ist, motivierte Mitarbeiter einzustellen

Spätestens, wenn die Unternehmensführung bei der nächsten Führungskräftetagung, Führungsrunde, Vertriebstagung oder anderer passender Gelegenheit wieder einmal darauf hinweist, dass die Zahlen nicht stimmen, die Absätze erhöht, die Umsätze erhöht oder der Gewinn erhöht werden müsse, wird das ganze vorangegangene Motiva­tionstheater ad absurdum geführt. Da haben wir es also: Die Zahlen müssen stimmen. Das müssen sie auch. Der Kardinalfehler, der begangen wird, ist aber, dass die Zahlen als Zweck in den Vordergrund gestellt werden. Es wird über das Greifbare, Rechenbare, Anfassbare gesprochen. Stückzahlen, Tonnen, Liter, Franken, Euro, Dollar stehen im Vordergrund. Inhalte? Nebensache.

Der regelmässige Leser dieser Kolumne weiss, was ich von extrinsischer Motivation und den damit verbundenen Massnahmen halte: Gar nichts. Ich bin vielmehr der festen Überzeugung, dass Motivation stets von innen kommt, dass es Aufgabe der Führung ist, motivierte Mitarbeiter einzustellen – die meisten Mitarbeiter sind übrigens motiviert bis in die Haarspitzen, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben – und dass es ebenso Aufgabe der Führung ist, diesen Motivationsgrad zu halten, beziehungsweise den geeigneten Rahmen dafür zu schaffen, dass der Mitarbeiter, seiner Motivation folgend, sich noch weiter entwickelt, dass er persönlich wächst. Auf diese Weise wächst auch das Unternehmen, wenn die Führungskräfte, inklusive der Unternehmensführung, vorbildhaft vorangehen. So einfach ist das? Nein, einfach ist das nicht. Wenn es einfach wäre, gäbe es überall nur motivierte Mitarbeiter.

Geld verliert mit zunehmendem Einkommen an Bedeutung

Dies vorausgeschickt, kommt hier einer der besten Motivationserhaltungstipps, die ich habe und den wir sowohl in meinem eigenen Unternehmen als auch bei unseren Klienten regelhaft in die Tat umsetzen: Man spreche mit seinen Mitarbeitern erst in zweiter Linie über Geld, über die wirtschaftlichen Unternehmensresultate und in ers­ter Linie über ... (Trommelwirbel) ... Sinn, Inhalt, Nutzen des täglichen Tuns für die Kunden, die Gesellschaft, das Unternehmen. Wer nun meint, das sei esoterisches Allerlei, darf dieser Meinung bleiben und die anderen mögen mir gedanklich ein Stückchen weiter folgen: Geld ist für Mitarbeiter vor allem insofern relevant, als es das eigene Einkommen anbelangt.

Die Versprechen, die das Unternehmen seinen Anteilseignern in puncto Kapitalrendite, EBT, Ebit, Ebitda oder sonstiger Grössen gegeben hat, sind erstens ausserhalb der Kontrolle der Mitarbeiter und zweitens so abstrakt, dass sie nicht unmittelbar in Verbindung mit dem eigenen Erfolg gebracht werden. Überdies – und das ist in zahlreichen Studien belegt – verliert Geld mit zunehmendem Einkommen an Bedeutung in Bezug auf das eigene Glücksempfinden. Damit will ich nicht sagen, dass Einkommen irrelevant ist, aber es ist mehr ein Hygienefaktor, es muss passen, als ein Motivationsfaktor. Die Motivationsbedeutung von Geld ist nahe null.

In puncto ausgebrachter Menge, erhöhter Marge und höherem Durchsatz sieht dies gleichermas­sen aus. Wenn wir nächstes Jahr den Umsatz um zehn Prozent erhöhen wollen, warum haben wir es nicht dieses Jahr schon geschafft? Im Übrigen: Warum eigentlich zehn Prozent? «Zehn Prozent» ist die von mir am meisten gehörte Wachstumsrate, wenn ich Klienten danach frage, um welche Höhe der Umsatz im kommenden Jahr steigen soll. Vielleicht, weil es eine zweistellige Zahl ist, vielleicht ist es gut rechenbar. Aber warum nicht 8,7 Prozent? Warum nicht 12,6 Prozent?

Wie auch immer: Ausbringungsmengen, Umsatzsteigerungen oder Renditesteigerungen sind für die meisten Mitarbeiter bedeutungslos, wenn sie sich nicht gerade in einer Turnaround-Situation befinden und durch die Steigerungen ihren eigenen Job retten können. In starken Wachstumsphasen wird ohnehin das Wachstum als Inhalt gesehen und in den Reaktivierungsphasen arrivierter Unternehmen oder Geschäftsbereiche geht es eher um die Verteidigung des Erreichten, hier spielen Zahlen eine untergeordnete Rolle.

Das unternehmerische Tun in Sinn zu übersetzen

Ganz anders sieht dies aus, wenn die Unternehmensführung und auch die weiteren Führungskräfte sich die Mühe machen, das unternehmerische Tun in Sinn zu übersetzen. Dies fällt einem Premium-Anbieter zugegebenermassen leichter als einem Unternehmen im Mainstream oder im Discount-Bereich, aber auch hier gibt es Möglichkeiten. Wie kann das aussehen? Man stelle sich einen mittelständischen Hersteller hochwertiger Lebensmittel vor.

Was ist der Sinn des Wachstums? Zum Beispiel möglichst vielen Menschen diese hochwertigen Lebensmittel als Alternative zu den minderwertigeren des Wettbewerbs zugänglich zu machen. Oder den Kunden mit hinzugefügten Rezepten Freude beim Kochen zu bereiten. Oder ... man denke sich selbst etwas aus. Auch im Mainstream und Discount-Bereich sind Sinnfragen beantwortbar: Wie können wir einem breiten Teil der Bevölkerung unsere Leistungen oder Produkte verfügbar machen?

Im B2B-Umfeld sind ebenfalls Sinnfragen zu beantworten. Wenn wir in meiner Beratungsgesellschaft neue Mandate erhalten, sprechen wir mit unseren Klienten und auch mit unseren Mitar­beitern über den Sinn unserer gemeinsamen Arbeit. Wenn wir einem Ingenieurbüro dabei helfen, zu wachsen, unterstützen wir damit auch, dass am Bau weniger Ärger entsteht, Bauaufwände sinken, die Bauqualität steigt. Wenn wir eine Arzneimitteldistributionsgesellschaft mit aufbauen, leisten wir einen Beitrag dafür, dass die Bevölkerung des Landes sicher mit Arzneimitteln versorgt ist. Wenn wir einen Unternehmer persönlich eins zu eins beraten, tragen wir auch mittelbar dazu bei, dass die Mitarbeiter des Unternehmens sich unter seiner Leitung weiter entwickeln, als sie es ohne unser Zutun getan hätten.

Wenn man sich ein wenig Mühe gibt, ist es möglich, zu Sinn zu gelangen und diesen Sinn der Arbeit, diesen Sinn des täglichen Tuns zu nutzen, um das zu tun, was als Zweites an der Reihe ist: Die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern, denn wirtschaftliche Resultate – und dazu gehören Ausbringungsmengen, Umsatz, Gewinn, alle Derivate davon, sind eben «nur» Resultate. Sie sind Resultate des vorangegangenen Tuns.

Wenn Wachstum entsteht, war das Tun richtig. Wenn kein Wachstum entsteht, war das Tun verbesserungsbedürftig. Die Auswirkungen sehen wir aber immer erst in der Zukunft, wir können unser Tun dann nicht mehr beeinflussen. Genau daher lohnt sich das ausführliche Auseinandersetzen zwischen Führung und Mitarbeitern über Sinn, Inhalt, Nutzen sowie über die konkreten Inhalte des täglichen Tuns, auch über erforderliche Veränderungen. Denn Sinn bringt Gewinn.

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