Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Jeder Einzelne zählt – das gilt immer

Gerade in wachsenden Organisationen ist festzustellen, dass eine latente Gefahr darin besteht, Zugeständnisse in Sachen Mitarbeiterqualität, Identifikation mit dem Unternehmen und Leistungsbereitschaft zu machen. Ein fataler Fehler, der meist nur schwer korrigiert werden kann.
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Schauen wir uns einmal ein Unternehmen an, das gegründet wird. Wir kommen später auch zu etablierten Unternehmen, aber alles der Reihe nach: Es herrscht eine hohe Euphorie, die Gründer sind sich im Klaren darüber, dass sie etwas gemeinsam bewegen wollen, meist haben die Gründungsgesellschafter einander ergänzende Fähigkeiten und Vorlieben und sehr häufig findet man die Trennung zwischen «intern» und «extern» vor. Das bedeutet: Der eine Gründer kümmert sich um Marketing, Vertrieb, Aussenauftritt, Kommunikation und der andere um Produktion, IT, Administration, usw. Bei drei Gründungsgesellschaftern ist eine Trennung zwischen Produktion und IT auf der einen und Administration, Finanzen auf der anderen Seite nicht selten.

Wenn Präferenzen und Kompetenzen bei einer Person übereinstimmen und wenn sich Präferenzen und Kompetenzen in einem Team ergänzen, ist dies eine nahezu perfekte Ausgangsposition für einen guten Start – ein gutes Produkt und gute Kontakte oder zumindest die Bereitschaft, gute Kontakte zu schaffen, vorausgesetzt.

Starke Identifikation bei überschaubarem Wachstum

Los geht es: Der Markt fragt die Produkte nach, man wird immer erfolgreicher. Zu Beginn ist die Kapitaldecke dünn und die Gründungsgesellschafter machen (fast) alles selbst. Man ergänzt sich, tritt füreinander ein, «spielt» erfolgreich zusammen. Alles bestens also. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo zwei Dinge zueinanderkommen: Erstens wird die Arbeitsbelastung der Beteiligten zu hoch, zweitens stellt man fest, dass die anstehenden Aufgaben nicht mehr allein im kleinen Gründungsteam erledigt werden können.

Eine Assistenz wäre auch schön, dann müsste man nicht jeden Tag auch noch die allfälligen Dinge in diesem Bereich selbst tun, nach dem Motto «If you don’t have a personal assistant, you are your personal assistant». So geht es jedenfalls nicht mehr weiter. «Wollen wir einen weiteren Gesellschafter hinzunehmen?» Nein, so weit will man nicht gehen, aber einen oder zwei weitere Leistungsträger für den Markt und leistungsstarke Unterstützung im Büro, das wäre schon schön. Können wir es uns leisten, trauen wir es uns zu? Ja, wir versuchen es.

Die Einstellungsgespräche finden sehr sorgsam statt, vielleicht nicht besonders durchstrukturiert, schliesslich hat man nicht gelernt, wie man Einstellungsgespräche führt, aber jeder der Gründer spricht mit jedem Bewerber, teilweise einzeln, teilweise finden die Gespräche auch gemeinsam statt. Alle eingeladenen Bewerber werden ernstgenommen, es wird intern diskutiert, irgendwann fällt die Entscheidung für einen oder zwei Kandidaten. Diese dürfen nun dem kleinen, verschworenen Club beitreten und die Erwartungshaltung ist auf beiden Seiten hoch. Die «Neuen» werden zwar sogleich mit unglaublich viel Arbeit versehen, aber man findet auch immer wieder Zeit, über Vision, Strategie, Marke, Zukunft zu sprechen.

Man findet Zeit für Feedback, man weiss, dass man – auch mit jetzt höheren personellen Möglichkeiten – immer noch am Rande der (nun höheren) Leistungsfähigkeit agiert. Überstunden? Wer rechnet das wirklich nach? Der Kunde muss prompt bedient werden, ein neuer Grossauftrag steht an. Jeder identifiziert sich mit dem Unternehmen und dessen Mission, auch diejenigen, die nicht finanziell am Unternehmen beteiligt sind. Es ist anstrengend, aber die gemeinsamen Erfolge stärken das Miteinander. Jawohl, es gibt diese Tage, da möchte man am liebsten alles hinwerfen, aber … «Ich kann die anderen doch nicht hängen lassen!» Auf jeden Einzelnen kommt es an, ob das Unternehmen floriert, prosperiert oder nicht.

Der Moment der Wahrheit

Irgendwann, das Unternehmen wird immer grös­ser und erfolgreicher, kommt der Punkt, an dem nicht mehr jeder der Gründer oder Geschäftsführer an jedem Bewerbungsgespräch teilnehmen kann, und dann kommt der Punkt der Wahrheit. Er zeigt sich in der Antwort auf drei Fragen:

  • Sind diejenigen Personen, die nun die Einstellungsgespräche führen, hinreichend mit der Vision, der Strategie, den Zukunftsperspektiven der Gesellschafter und des Unternehmens vertraut, so dass sie die richtigen Leute suchen und erkennen können?
  • Sind diejenigen Personen, die nun die Einstellungsgespräche führen, gefestigt genug, Menschen zu suchen und einzustellen, die potenziell besser sind als sie selber? Vielleicht sogar sehr viel besser?
  • Ist klar, welche zu übernehmende Verantwortung mit der zu besetzenden Position verbunden wird? Welche Verantwortung ist das?

Die letztgenannte Aufgabe ist diejenige, die am leichtesten erledigt werden kann, denn es handelt sich um eine eher «technische» Aufgabe, wenngleich wir in unserer Beratungspraxis feststellen, dass zu häufig zwischen «Verantwortung» und «Zuständigkeit», zwischen «Ergebnis» und «Tätigkeit» nicht hinreichend unterschieden wird.

Bei den beiden ersten Fragen hingegen geht es um Persönlichkeit. Nur dann, wenn die, nennen wir sie einmal «Einstellenden» willens sind, Menschen ins Unternehmen zu holen, die sie selbst möglicherweise einmal überholen könnten, nur dann, wenn die Einstellenden einen hohen Wachstumsanspruch an sich selbst haben, nur wenn die Unternehmensführung sie ermuntert, immer besser zu werden, nur dann, wenn allen Verantwortlichen die Vision, Strategie, Werte des Unternehmens sehr klar vor Augen sind, können die richtigen neuen Mitarbeiter an den Start kommen.

Wir brauchen noch gar nicht über den viel gehörten Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften zu sprechen, er ist nämlich häufig genug ein Vorwand. Es gibt sie, die guten Mitarbeiter, aber sie gehen auch nur dahin, wo sie sich entfalten können. Wachstum beginnt eben auch hier – wie immer – innen.

Wie versprochen, hier der Blick auf etablierte

Unternehmen: Meiner Erfahrung aus Hunderten von Beratungsprojekten zufolge wird bei wachsenden und grösser werdenden Unternehmen oft nicht mehr genau genug darauf geachtet, dass es auf den Einzelnen ankommt. Das mag darin begründet sein, dass grössere Systeme fehlertoleranter sind und durch Redundanz manches abpuffern können, aber wenn ich sehe, dass in mittelständischen Unternehmen politische Spiele betrieben werden, Absicherung betrieben wird, die Scheu vor Verantwortung kultiviert ist, dann ist dies das Gegenteil von Wachstum. Auch in etablierten Unternehmen muss klar sein: Jeder Einzelne zählt. Dass Wachstum meist dann entsteht, wenn Ressourcen knapp sind, und nicht dann, wenn sie im Überfluss vorhanden sind, mag hier in Erinnerung gerufen werden.

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