Frau Duss, welche Folgen hatte die Eurokrise bisher auf die Schweizer Wirtschaft und welche sind noch zu erwarten?
Wegen des anhaltenden Drucks auf den Schweizer Franken und der davon ausgehenden Gefahr für die Schweizer Wirtschaft führte die SNB 2011 die Euro-Franken-Kursuntergrenze ein. Infolge von Devisenmarktinterventionen zwecks Verteidigung der Untergrenze stiegen die Devisenreserven der SNB zuletzt bis auf rund 550 Milliarden Franken. Die Kursuntergrenze stützte die Exportwirtschaft, was letztlich auch zu einem soliden Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren geführt hat. Nach Aufgabe der Kursuntergrenze revidierten wir das Wachstum auf 0,5 Prozent im laufenden Jahr. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz hat sich im 2. Quartal 2015 jedoch stärker als erwartet entwickelt. Zudem hat sich der Schweizer Franken inzwischen wieder leicht abgeschwächt. Unsere Wachstumsprognose haben wir deshalb für 2015 auf +1,0 Prozent und für 2016 auf 1,4 Prozent angehoben.
Man spricht immer von der negativen Wirkung des starken Frankens. Müssen wir nicht im Gegenteil froh sein, dass wir noch eine wertvolle Währung besitzen und diese Stärke entsprechend einsetzen?
In der Tat hat eine starke Währung auch gewisse Vorteile, generiert aber immer Verlierer und Gewinner. Verlierer sind ganz klar die exportorientierten Branchen. Andererseits geht eine reale Aufwertung des Schweizer Frankens in der Regel mit einer Verbesserung der realen Austauschverhältnisse, den Terms-of-Trade, einher. Auch steigen damit üblicherweise die Realeinkommen, also die Kaufkraft und somit der Wohlstand der Bevölkerung. Insgesamt hat die Schweiz von der Aufgabe der Euro-Franken-Kursuntergrenze profitiert. Zudem bringt ein starker Franken langfristig den wichtigen Vorteil eines nicht zu vernachlässigenden Zinsbonus.
Anderes Thema: Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die Schweizer Wirtschaft?
Die Flüchtlingskrise wird als solche kurzfristig keine spürbaren Auswirkungen auf die künftige Entwicklung der Schweizer Wirtschaft haben.
Die Masseneinwanderungsinitiative ist noch nicht umgesetzt, weil die Verhandlungen mit der EU nicht vorwärtsgehen. Im Text der Initiative kommt die EU aber gar nicht vor. Zumindest könnte man die Initiative gegenüber anderen Ländern umsetzen. Welche Meinung haben Sie dazu?
Die Verhandlungen mit der EU im gesamten Umsetzungsprozess sind nur eine Seite. Denn auch die genaue Umsetzung der Initiative aus Schweizer Sicht ist noch nicht klar. Eine Lösung mit der EU hätte gegenüber einer Einigung mit Drittstaaten einen grösseren Effekt, da die Einwanderung aus Drittstaaten nur einen geringen Anteil an der Immigration in die Schweiz ausmacht.
Ist aus Ihrer Sicht die Masseneinwanderungsinitiative tatsächlich nicht ohne den Bruch der Bilateralen umzusetzen, wie von manchen Politikern behauptet wird?
Wird die Schweiz im Februar 2017 die Einwanderung kontingentieren, würde sie damit eines der Abkommen der Bilateralen I verletzen. Über die Guillotineklausel könnte die EU demzufolge die gesamten Bilateralen Verträge I aufkündigen. Wir nehmen jedoch nicht an, dass sie das tun wird und gehen eher von einem «Durchwursteln» aus. Das heisst, dass die EU vorerst nichts unternehmen wird, wenn die Schweiz grosszügige Kontingente einführt.
Nehmen wir einen Blick nach Asien: Wie bewerten Sie die Wirkung des Wirtschaftsrückgangs in China auf die Börse? Immerhin hatte China lange einen starken Aufschwung, der auf einem natürlichen Nachholbedarf nach 70 Jahren Kommunismus basierte. Ist es nicht eine normale Entwicklung, wenn dieser mal nachlässt, beziehungsweise sind die Reaktionen an der Börse übertrieben?
Wir gehen davon aus, dass die Regierung eine harte Landung, also einen gravierenden Wirtschaftsabschwung in China verhindern kann und wird. Dazu hat sie bereits verschiedene Massnahmen ergriffen wie die Erhöhung der Staatsausgaben, die jüngsten Senkungen des Mindestreservesatzes und das Programm zur Verbriefung von Kreditforderungen. Nimmt man an, dass die vorteilhafte Wirkung auf die Wirtschaft etwas zeitversetzt eintritt, so ist die Korrektur an der chinesischen Börse nicht gerechtfertigt. Trotz der getroffenen Massnahmen dürfte die chinesische Wirtschaft das Wachstumsziel von sieben Prozent in diesem Jahr jedoch knapp verfehlen.
Wie hat sich das Freihandelsabkommen mit China auf die Wirtschaft der Schweiz ausgewirkt?
Die Zeitspanne ist zu kurz für eine abschliessende Beurteilung, welche Effekte das schweizerisch-chinesische Abkommen auf die Schweizer Wirtschaft hatte. Grundsätzlich profitieren von Freihandelsabkommen nicht nur exportorientierte Unternehmen, sondern auch die Konsumenten in der Schweiz. Sie kommen in den Genuss von billigeren Produkten und einer grösseren Produktauswahl. Dank Freihandelsabkommen bekommen Unternehmen leichteren Zugang zu Halbfabrikaten und Rohstoffen, was letztlich die Herstellungskosten senken dürfte.
Die Abkommen TISA und TTIP sind da sicher kritischer zu sehen. Wie würden sich diese auf die Schweizer Wirtschaft auswirken?
Die beiden Abkommen dürften sich bei Inkrafttreten unterschiedlich auf die Schweizer Wirtschaft auswirken. Das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen TISA dürfte die Schweiz mitunterzeichnen und davon letztlich profitieren. Bei Inkrafttreten des TTIP, dem Handels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und den USA, dürfte die Schweiz einen Wettbewerbsnachteil haben, da die beiden Vertragspartner den anderen Handelspartner jeweils bevorzugt behandeln müssen. Das heisst, dass beispielsweise amerikanische Güter in der EU im Gegensatz zu Schweizer Gütern bevorzugt werden müssten. Dies ist umso gravierender, da die EU und die USA mit einem Anteil von 55 Prozent respektive 12 Prozent an den Gesamtwarenexporten der Schweiz die beiden wichtigsten Partner sind.
Bleiben wir bei der Globalisierung. Wie kann man verhindern, dass immer mehr Firmen und ihre Innovationen von ausländischen Konzernen übernommen werden?
Im Jahr 2014 haben die globalen Fusionen und Übernahmen wieder deutlich zugenommen. Dieser Trend dürfte vorerst noch weitergehen. Auch Schweizer Firmen und Innovationen sind damit auf Kaufinteresse gestossen. Allerdings sind sie aus unserer Sicht im internationalen Vergleich nicht überproportional exponiert. Vielmehr ist das Interesse wechselseitig, sodass auch Schweizer Firmen dank Opportunitäten am M&A-Markt international wachsen. Zudem hat der stärkere Franken Übernahmen von Schweizer Firmen teuer gemacht.
Schweizer Produkte haben international einen sehr guten Ruf. Die Unternehmen profitieren daher noch stark von der Herkunftsbezeichnung «Swiss made». Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der geplanten Gesetzesvorlage Swissness?
Die Vorlage hat sicher gute Aspekte. Sie regelt die Verwendung des Schweizer Kreuzes und die Schweizer Herkunftsbezeichnung. Zudem sollte sie zu einer besseren Durchsetzung der Markenrechtsansprüche im Ausland führen. Allerdings tritt das Gesetz per 1. Januar 2017 in Kraft, was für die Unternehmen eine sehr kurze Anpassungszeit ist. Zudem erfordert die Umsetzung einen höheren administrativen Aufwand, was auf Kosten von produktiven Geschäftseinheiten geht. Des Weiteren dürften viele Unternehmen den willkürlich festgesetzten Schweizer Anteil der Wertschöpfung nicht erfüllen können, somit nicht mehr vom Label «Swiss made» profitieren und letztlich Wertschöpfung ins Ausland verlagern.
Laut Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) ist die Schweiz das innovativste Land der Welt. Was müssen die Wirtschaft und auch die Wirtschaftspolitik tun, um diesen Rang zu halten?
Ich komme noch einmal auf die Masseneinwanderungsinitiative zurück. Viele innovative Firmen beschäftigen hoch qualifizierte Personen aus dem Ausland, die sie relativ leicht rekrutieren konnten. Bricht diese Möglichkeit weg, dürfte der Forschungsstandort Schweiz bei diesen Unternehmen in Gefahr sein. Die Masseneinwanderungsinitiative war nicht die einzige wirtschaftspolitische Initiative in den letzten Jahren, die für Verunsicherung bei ausländischen Investoren gesorgt hat. Die Politik und die Bevölkerung haben es also in der Hand, ob die Schweiz ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt.
Grosse Unsicherheit herrscht auch auf einem anderen Gebiet. Die Energiestrategie 2050 sieht den schrittweisen Ausstieg aus der Atomindustrie vor. Welche Ziele halten Sie für realistisch, welche nicht? Und welche Folgen hat dies für die Wirtschaft, aber auch generell für die Versorgungssicherheit respektive die Abhängigkeit von ausländischen Energiezulieferern?
Der Ausstieg aus der Atomenergie wird zu einer Verlagerung hin zu nachhaltigeren und höchstwahrscheinlich teureren Energieformen führen, was die energieintensiven Branchen weiter unter Druck setzen wird. Dies könnte dazu führen, dass die Dienstleistungsbranchen auf Kosten der Industrie weiter an Bedeutung gewinnen. Obwohl die Möglichkeit eines Wegfallens der Atomenergie besteht, dürfte der Beitrag der erneuerbaren Energien trotz Subventionen bis auf Weiteres minimal bleiben. Subventionen führen oft zu Ineffizienzen und nicht automatisch zu einer Stärkung der Industrie. Die Beispiele in Deutschland und den USA zeigen, dass trotz hoher Solarsubventionen viele Unternehmen aufgrund des – ebenfalls durch Subventionen gestützten – asiatischen Wettbewerbs in Konkurs gegangen sind.
Frau Duss, eine letzte Frage noch: Sie sind im CIO Wealth Management tätig. Welche Anlageempfehlungen geben Sie im Moment Ihren Kunden?
Auf der Anlageseite haben wir noch immer ein Übergewicht in Aktien und setzen in dieser Hinsicht auf Aktien von Firmen aus der Eurozone und Japan. Falls man im US-Aktienmarkt investieren möchte, setzen wir auf Aktienrückkaufprogramme und Aktien von IT-Firmen. Bei den Bonds empfehlen wir hochverzinsliche Anleihen aus Europa und Unternehmensanleihen, die mittelfristig auf «Investment Grade» hochgestuft werden könnten.