Strategie & Management

Unternehmensführung

Handeln als Führungsmaxime in Krisenzeiten

Wenn Führungskräfte in Krisenzeiten keine Lösungen sehen, kann es sinnvoll sein, entschlossen eine Handlung zu tätigen oder etwas auszuprobieren und zu sehen, wie es wirkt. Das ermöglicht, zu lernen und sich schnell neu auszurichten.
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Krisen gibt es nicht erst seit Corona. Die Pandemie zeigt jedoch in einem globalen und für jedes Individuum sehr greifbaren Ausmass auf, was Krise heisst. Und wie alle Krisen hatte sie lange Vorläufer, die man hätte erkennen können. Was bedeutet denn Krise genau? Es ist eine akute Situation, in der es eine ständig steigende Komplexität an Faktoren gibt, bei denen kein Einzelner mehr Kausalitäten erkennen und Auswirkungen abschätzen kann. 

Handeln statt langer Analyse 

Es gibt somit keine einzelne richtige Aktion mehr, die eine Lösung verspricht. Zudem werden alle Systeme, die wir zu kennen glaubten – Organisationen, Staat und auch Familien- und Freundeskreise –, verletzlicher und angreifbarer. Kurz: Viele (vermeintlichen) Sicherheiten sind in Frage gestellt. Das Gefühl, sich auf nichts mehr verlassen zu können, ist vorherrschend, macht Angst, zieht einem den Boden unter den Füssen weg und lässt einen – wenn die Krise länger dauert – an die eigenen psychischen und physischen Grenzen kommen. 

Wie das Cynefin-Modell (siehe Abbildung) zeigt, helfen in komplexen oder chao­tischen Situationen keine Extrapolation aus der Vergangenheit und keine rein rationale Analyse im stillen Kämmerchen. 

Es muss ausprobiert werden beziehungsweise einfach mal gehandelt werden. So können neue Erkenntnisse gewonnen und der Handlungsspielraum erweitert werden.

Orientierung geben 

Es gibt kein Allheilmittel, aber es ist sinnvoll, sich in komplexen und akuten Situa­tionen auf zwei Dinge zu konzentrieren. 

Kleine Schritte machen bei Navigieren auf Sicht.

In komplexen bis zu chaotischen Situa­tionen geht dies nur dadurch, entschlossen eine Handlung zu tätigen oder etwas auszuprobieren und zu sehen, wie es wirkt. So lernt man und kann sich schnell neu ausrichten. Dazu gehört eine innere Haltung von Mut, dass Fehler zu machen notwendig ist, und natürlich auch, in Kauf zu nehmen, dass man Gefahr läuft, auf Ablehnung zu stossen und es nicht allen recht zu machen. Genauso wichtig ist das Vertrauen in die Kompetenz und das menschliche Handeln der anderen, die mit einem im Boot sitzen. 

Orientierung geben und transparent kommunizieren.

Dazu gehört für Führungskräfte, sich zu positionieren durch eigene Werte (wofür stehe ich ein und warum) und die getroffenen Entscheidungen klar zu kommu­nizieren und sich entsprechend seinen Werte zu verhalten. Auch dies erfordert wiederum Mut, ist aber notwendig, wenn man anstrebt, dass die eigenen Teams einem durch ungewisse Zeiten folgen. Denn dazu braucht es Vertrauen, das nur durch authentisches Verhalten gewonnen werden kann. 

Was in Krisen wie der jetzigen Corona­situation oft als «Hü-Hott» wahrgenommen wird, ist in komplexen Situationen, in denen man das Problem nur durch Ausprobieren «einkreisen» kann, nicht anders möglich. Aber negativ empfunden wird das «Hü-Hott» immer dann, wenn von den Führungspersonen keine Klarheit in Bezug auf die zugrunde liegenden Werte und damit das Warum für getätigte Handlungen gezeigt wird. 

Es versteht sich dabei fast von selbst, dass eine Ego-dominierte Haltung bei Führungskräften in Krisensituationen alles andere als hilfreich ist. Es geht darum, sich selbst zurückzunehmen, anderen bewusst zuzuhören und die eigenen Antennen ganz stark darauf auszurichten, mit anderen zusammen die nächsten Schritte in eine gemeinsame Richtung zu ermöglichen.

Ausprobieren, scheitern, lernen

Die hier aufgeführten, leicht angepassten Prinzipien aus dem «agilen Manifest» geben Führungskräften hier einen guten Leitfaden, an den sie sich halten können:

  • Individuen und Interaktion sind wichtiger als Prozesse und Methoden: sich austauschen, zuhören, fragen, miteinander Neues denken, anstatt an eingefahrenem Vorgehen festzuhalten.
  • Zusammenarbeit ist wichtiger als das Verhandeln von Interessen: zusammen eine gemeinsame Strategie finden und die eigenen Meinungen, Wünsche und eben auch die eigene Partei zurückstellen.
  • Auf Veränderungen reagieren ist wichtiger, als einem festen Plan zu folgen: rasch, flexibel, wendig sich neu ausrichten und grosszügig ignorieren, was einmal – unter anderen Umständen –festgesetzt wurde.
  • Ein funktionierendes Produkt (oder in unserer aktuellen Krise ein funktionierender nächster Schritt) ist wichtiger als dessen Ausarbeitung in Perfektion: ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen. Nach dem Prinzip «Good enough for now, safe enough to try».

Zentral dabei ist, dass man sich zugesteht, schnell zu scheitern mit einem Versuch. Schnell scheitern heisst, wenn erste Auswirkungen erkennen lassen, dass der Versuch in die falsche Richtung geht, abzubrechen und einen anderen Schritt zu setzen. 

Kognitive Diversität 

Komplexe Situationen, die nicht mehr linear, sondern sich, wie aktuell zu er­leben, auch exponentiell zeigen, können nicht von einzelnen Personen oder ho­mogen denkenden Gruppen gelöst werden. Dazu passt das Zitat von Dürrenmatt: «Jeder Versuch eines Einzelnen, (für sich) zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.» Für Pandemien wie auch für Krisen in Organisationen bedeutet dies: die verschiedenen Perspektiven einfordern, möglichst diverses Wissen abholen, um sich ein umfassendes und ganzheit­liches Bild zu verschaffen.

Achtung: Reine Meinungen, die meistens eindimensionale Eigeninteressen aus­drücken, sind in einer Krise nicht hilfreich. Aber ebendiese von echten, wichtigen Inhalten zu unterscheiden, ist in den heutigen Zeiten von Social Media nun wirklich nicht mehr einfach. Wer hat tatsächlich etwas Wesentliches beizutragen und welche Motivation steht dahinter? Über kurz oder lang werden wir dafür in unserer Gesellschaft neue Regeln und Grundlagen benötigen. 

Um in einer Krise sinnvoll entscheiden zu können, braucht es fundiertes Wissen in Bezug auf alle relevanten fachlichen, sachlichen und vor allem menschlichen Auswirkungen. Es können nicht nur einzelne Faktoren und Konsequenzen bedacht werden, sondern es braucht eine systemische Perspektive. Was geschieht anderswo im System Wirtschaft, Gesundheit, Gesellschaft oder Organisation, wenn ich mich entscheide, «A» zu tun? Wen oder was könnte diese Entscheidung wie betreffen? Um das abschätzen zu können, braucht es einen offenen, wirk­-lich interessierten fundierten Austausch, mit dem Ziel, Szenarien zu entwickeln, denen man sich mit dem Ausprobieren von Handlungsmöglichkeiten annähern kann und so mit der Zeit zu vielleicht komplett anderen Erkenntnissen gelangt. 

Die aktuelle globale Situation gibt uns eine echte Möglichkeit, unsere gesellschaftlichen, organisationalen und zwischenmenschlichen Konstrukte völlig anders zu denken und vielleicht einen re­volutionären Sprung vorwärts zu machen in der Art und Weise, wie wir auf diesem Planeten zusammenleben.

Mit Authentizität führen

Eine Krise fordert uns alle in unseren Rollen genauso wie in unserer Persön­lichkeit. Als Führungspersonen und als Menschen braucht es von uns eine klare Haltung, viel Durchhaltevermögen und interessierte Offenheit, sich zu zeigen, zuzuhören und in den Dialog zu gehen. Es braucht echte, authentische Menschen, die spürbar und (be)greifbar sind, Verantwortung übernehmen und auch zu falschen beziehungsweise zu dem jeweiligen Zeitpunkt sich als untauglich erweisenden Entscheidungen stehen können. Und unverzagt den nächsten Schritt zu wagen.