Strategie & Management

Verhandlungsprozesse

Gezielt in die Verhandlung einsteigen

Gerade bei nicht alltäglichen Verhandlungen kommt die Frage auf, wie eine Verhandlung beginnen soll. Die Art des Einstiegs, die ersten Minuten, die persönliche Attitude sowie vieles mehr sorgen oft für Kopfzerbrechen. Eine «one size fits all»-Empfehlung gibt es nicht, dennoch gibt es Prozesse, mit denen der Einstieg erfolgreich gemeistert werden kann.
PDF Kaufen

So selbstverständlich es klingt: Ohne ein klar definiertes und forderndes Ziel darf man niemals in eine Verhandlung gehen. «Wischi­waschi»-Ziele sorgen für ebensolche, im besten Fall mittelmässige, Resultate. Nebst der Definition des Ziels gehören auch die minimalen Anforderungen dazu, die man an das mögliche Verhandlungsergebnis stellt. Werden diese nicht erfüllt, bricht man die Verhandlung besser ab. Ab dann wird die erarbeitete Al­ternative (BATNA = best alternative to a negotiated agreement) wertvoller als ein noch schlechter werdendes Verhandlungsresultat («KMU-Magazin», Ausgabe 5/2016). Das Weiterführen der Verhandlung macht entsprechend keinen Sinn.

Handlungsmasse ausbauen

Verhandeln heisst handeln, es geht somit immer um ein Geben und Nehmen. Wer neben dem Gegenstand der Verhandlung, zum Beispiel der Verkauf einer Verpackungsanlage, weitere handelbare Werte mit an den Tisch bringen kann, ist im Vorteil. Unterschiedliche Lieferkonditionen, Modelle zur Finanzierung, Garantie- oder Haftungsleistungen, Installations- oder Servicedienstleistungen, Schulungsmodule usw. könnten solche Trades sein. Je länger die Liste, desto besser. Besonders attraktiv sind jene Trades, welche die eigene Partei wenig bis nichts kosten, für den Verhandlungspartner aber von gros­sem Wert sind.

Diese unterschiedliche Wertoptik sorgt für eine attraktive Hebelwirkung und schützt davor, dass beim effektiven Verhandlungsgegenstand unnötige Konzessionen eingegangen werden müssen. Je mehr Zeit im Vorfeld für das Entwickeln von unterschiedlichen Trades investiert wird, desto besser werden die Verhandlungsresultate werden. Mitgliederkarten, Bonuspunkte oder Aktionen für Dinge, die man sonst gar nicht kaufen würde, sind nichts anderes als Trades, mit denen Firmen Millionen verdienen und sich erst noch Kunden sichern.

Die Agenda-Führung

Vor Beginn der Verhandlung sollte die Agenda beiden Parteien zugestellt werden. Wer die Agenda festlegt, hat in der Regel mehr Einflussnahme. Obschon die Gegenpartei auch Änderungen einbringen kann, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese das auch wirklich tut, weit geringer als die Chance, die eigenen Interessen durch das Erstellen der Agenda taktisch wie auch psychologisch einbringen zu können. Die Besprechungspunkte sollten kurz und klar formuliert und mit einer Zeitangabe versehen sein. Wer durch eine professionelle Vorbereitung die Zeit unter Kontrolle hat, verfügt über einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Gegen Ende der Zeit kann Druck aufgebaut werden, der als weiterer Einflussfaktor genutzt werden kann. Der Punkt «Diverses» oder «Varia» ist übrigens ein Unding. Dieses Sammelbecken birgt grosse Risiken. Da dieser Punkt in der Regel am Ende einer Besprechung kommt, könnte er den Parteien ermöglichen, Vereinbarungen oder Beschlüsse durch eine Hintertür wieder aufzunehmen. Im besten Fall ist der Punkt eine unnütze Zeitverschwendung.

Kompetenzen kennen

Ein lockerer und unverkrampfter Einstieg schadet nie. Gerade in der Schweiz und Deutschland kommt dieser zu kurz oder wirkt extrem künstlich. Kulturell bedingt, tendieren beide Länder dazu, relativ rasch und zielstrebig zum Geschäftlichen überzugehen. Bei anspruchsvollen Verhandlungen wird zudem eine bitterernste Miene aufgesetzt, was die Kreativität und das Erkennen und Entwickeln von gemeinsamen Interessen im Keime ersticken lässt. Eine freundliche, offene und zugängliche Art schadet nie. Sie vermittelt Stärke, Souveränität und bietet zudem die Möglichkeit, die Verhandlung in einen integrativen und, zu einem späteren Zeitpunkt, auch in einen distributiven Prozess überführen zu können. Besonders ungeübte Verhandler befürchten durch ein unnötiges Nettsein, an Verhandlungsstärke zu verlieren. Das Ge­genteil ist der Fall. Freundlichkeiten, Gelassenheit wie auch Offenheit haben rein gar nichts mit Nachgeben oder Einlenken zu tun. Dafür ermöglichen sie es, von der Gegenpartei mehr Informationen zu erhalten, die später genutzt werden können. Weich im Umgang, hart in der Sache lautet auch hier die Devise.

Das gegenseitige Vorstellen klappt in der Regel gut. Was seltener vorkommt, ist das Nachhaken, falls die Funktionen und Kompetenzen einzelner Verhandlungspartner nicht klar sind. Konnten diesbezügliche Fragen in der Vorbereitungsphase nicht geklärt werden, zeigt das Nachfragen über den detaillierten Aufgabenbereich des Gegenübers Interesse, was in der Regel gut ankommt. Ungewohnter mag die Frage nach den effektiven Verhandlungs- und Abschlusskompetenzen sein.

Es kann matchentscheidend sein, den effektiven Kompetenzrahmen des jeweiligen Gesprächspartners betreffend dieser Verhandlung zu kennen. Es ist ärgerlich, Zeit und Geld zu investieren, um später feststellen zu müssen, dass die Gegenpartei nicht abschlussberechtigt ist. Ist die Powerdistanz zwischen den Parteien zu gross, sollten die Kompetenzen justiert werden. Entweder man motiviert die Gegenpartei, ebenfalls entscheidungsfähige Personen mit an den Verhandlungstisch zu bringen, oder man passt die eigene Delegation dem Level des Partners an. Dies hätte jedoch zur Folge, dass nicht abschliessend entschieden werden kann.

Fragen und zuhören

Wenn möglich, sollte die Gesprächsführung in die eigene Hand genommen werden. Mit taktischem Vorgehen ist dies selbst dann möglich, wenn eine andere Person den Vorsitz oder die «offizielle» Leitung hat. Wer fragt, der lenkt – wer lenkt, der führt. Die Devise lautet: viele kurze und unmissverständlich formulierte Fragen zu stellen. Trotz der Menge an Fragen darf nur immer eine auf einmal gestellt werden. Drei ineinander verschachtelte Fragen werden nie beantwortet, man pickt sich jene heraus, die vage
sowie ohne Risiko beantwortet werden kann und ignoriert die restlichen. Ein 20/80-Verhältnis ist ideal. 20 Prozent Zeit für das Formulieren der Frage aufwenden, dafür aber mindestens 80 Prozent in das aktive Zuhören investieren. Gute Fra­ge­steller sowie Verhandler machen sich unentwegt Notizen. Die durch den Ver­handlungspartner gemachten Aussagen lassen sich beinahe alle wiederverwenden, sei es um die Gegenpartei an früher gemachte Aussagen zu bin­den, für die eigene Partei ungünstige Aussagen neu zu «framen» oder die gewonnene Information auf ihre Substanz hin für eine nächste Verhandlungsrunde hin zu überprüfen und zu verwerten.

Diese Taktik ist freilich nicht lizenziert und so wird man, wenn man auf professionelle Verhandlungspartner stösst, ebenfalls mit Fragen bombardiert werden. Hier besteht das grosse Risiko, dass man selbst in den «Plapper-Modus» kommt und mehr preisgibt, als man möchte. In der Regel merkt man das zu spät. Man sollte es sich daher zur Angewohnheit machen, eine Antwort sofort mit einer Gegenfrage zu verbinden. Dieses reziproke Verhalten (nie etwas geben, ohne im Gegenzug dafür etwas zu erhalten) ist in allen Verhandlungsstadien von zentraler Bedeutung. Dies trifft im ausgesprochenen Sinne auch auf die zu Beginn erwähnten Trades zu. Auch wenn der Gegenstand, den man bereit ist abzugeben, noch so klein sein mag, ist ein Entgegenkommen des Verhandlungspartners einzufordern. Wer das nicht beherzigt, wird ausgenommen.

Der Kern der Verhandlung

Obschon im hiesigen kulturellen Verhandlungskontext Parteien gerne und rasch auf das Geschäftliche zu sprechen kommen, heisst das noch lange nicht, dass die Parteien zielstrebig und gekonnt den effektiven Kern der Verhandlung benennen und auf den Tisch legen. Von «um den Brei reden» bis hin zu kryptischen Formulierungen, die im besten Fall nur die eigene Partei versteht, ist alles an der Tagesordnung. Hier eine interessante Erkenntnis: Analysen von hunderten vergleichbaren Verhandlungssimulationen mit Studierenden haben ergeben, dass etwas mehr als drei Viertel aller Verhandlungsparteien eine unterschiedliche Vorstellung von dem hatten, was sie erfolgreich glaubten, miteinander ausgehandelt zu haben.

Diese postum entstehende, oftmals auch wachsende Divergenz hat verschiedene Gründe. Nebst psychologischen Aspek­-ten ist einer der Haupttreiber das unterschiedliche Verständnis über das, worüber verhandelt wird. Dies kann man umgehen, indem das effektive Thema oder Problem rasch, klar und wertfrei auf den Tisch kommt. Wer hier klar und unmissverständlich ist, gewinnt nicht nur an Verhandlungsmacht, sondern erspart sich und seiner Organisation Zeit und Geld. Auch hier tut jede Partei gut daran, mittels Fragen zu klären, ob die Gegenpartei den Kern des effektiven Verhandlungsgegenstandes unmissverständlich verstanden hat.

Sobald der Kern der Sache ungeschminkt auf dem Tisch liegt, beginnen die Parteien in der Regel mit dem Zerfleischen. Wenn es etwas Leckeres ist, beginnt die Auseinandersetzung, wer wie viel wovon abbekommt. Wenn es etwas Übelriechendes ist, dreht sich die Diskussion darum, wer für die Entsorgung verantwortlich zeichnet. Obwohl oder gerade weil die Sache nun auf dem Tisch liegt, sollte in einer ersten Phase einer Verhandlung noch nicht der Verteilkampf beginnen. Wie in der Mai-Ausgabe erwähnt, ist das Erkennen und Entwickeln gemeinsamer Interessen in einem ersten Schritt meistens der fruchtbarere Weg. Es ist somit zielführender, gar nicht erst zu argumentieren, sondern gleich Interessensfragen zu stellen; also nicht Vorgaben zu machen, sondern Optionen darzulegen.

Konstruktive sowie wertvermehrende, sprich integrative Verhandlungen klingen gut und schön und dennoch, irgendwann muss das, was während eines ersten Teils einer Verhandlung an Werten und Möglichkeiten geschaffen wurde, verteilt werden. Wer bekommt was, wer bezahlt wie viel, für wie lange und so weiter. Das sind jene Fragen, die in der anschliessenden distributiven Verhandlungsphase beantwortet werden müssen. Mehr dazu er­fahren Sie in der nächsten Ausgabe des «KMU-Magazin».

Porträt