Strategie & Management

Führungskräfteentwicklung

Frauen und Führung – Erfolgsfaktoren und Stolpersteine

Noch nie waren die Chancen von Frauen auf eine Führungsposition so gut wie heute. In KMU und in den unteren und mittleren Managementebenen grösserer Firmen sind Chefinnen im Vormarsch. Doch je weiter oben auf der Karriereleiter, desto dünner wird die Luft.
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Frauen sind heute so gut ausgebildet wie nie zuvor und haben bessere Chancen auf eine Führungsposition als noch vor zehn Jahren. Sogenannte «Soft skills», wie Sozialkompetenz und Einfühlungsvermögen, werden zunehmend wichtiger. Die aus der traditionellen Führung bekannten drei K (kommandieren, kontrollieren, korrigieren) haben einem Führungsstil Platz gemacht, der auf Kommunikation und Respekt beruht und neben den Aufgaben ebenso die Menschen im Unternehmen berücksichtigt. All dies sind Verhaltensweisen, die typischerweise Frauen zugeschrieben werden und die Chancen für Frauen in Führungspositionen erhöhen.

Ein Blick in die Statistik zeigt: Heute ist ein Drittel aller Führungspositionen mit Frauen besetzt – bedeutend mehr als noch vor zehn Jahren, als es noch ein Viertel war (Quelle: Bundesamt für Statistik BFS). In kleinen Firmen sind Frauen häufiger in Führungspositionen vertreten als in grösseren: In Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden sind es 42 Prozent, in Unternehmen mit 20 bis 100 Mitarbeitenden 31 Prozent, und in grösseren Firmen sind es 28 Prozent (Quelle: Spezialauswertung Bundesamt für Statistik BFS).

Somit zeigt sich: In KMU und in den unteren und mittleren Managementebenen grösserer Firmen sind Chefinnen im Vormarsch. Doch je weiter nach oben die Frauen auf der Karriereleiter steigen, desto dünner wird die Luft. Auf der obersten Führungsebene aller Firmen beträgt der Frauenanteil gemäss Bundesamt für Statistik BFS 23 Prozent. Auf der Geschäftsleitungsebene der 115 grössten Schweizer Firmen sinkt er auf fünf Prozent. In den Verwaltungsräten sind Frauen mit elf Prozent vertreten, bei den CEOs sind es noch drei Prozent und bei den Verwaltungsratspräsidien ein Prozent. Den Neuzugängen stehen jeweils ähnlich viele Abgänge gegenüber, so dass sich diese Anteile in den letzten Jahren kaum verändert haben (Schilling-Report 2012).

Frauen als Wettbewerbsvorteil

Eine Absolventin der Hochschule St. Gallen und heutige Topmanagerin wurde vor 30 Jahren noch mit der Begründung abgelehnt, dass man für Positionen mit Aufstiegschancen keine Frauen einstelle. Diese Zeiten sind vorbei. «Frauen sind für Firmen ein Wettbewerbsvorteil», berichtet Doris Aebi, eine Headhunterin mit langjähriger Erfahrung in der Rekrutierung von Führungskräften. Auch eine neue Studie der Credit Suisse postuliert eine positive Wirkung von gemischten Entscheidungsgremien in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Verteilung auf allen Führungsebenen ausgleicht. Doch wie lange es dauert, ist ungewiss. Was bedeutet dies für die Chefinnen? Und welche Faktoren und Stolpersteine hemmen eine schnellere Entwicklung?

Die neuere Führungsliteratur kommt zum Schluss, dass sich Frauen und Männer in gleicher Position nicht wesentlich anders verhalten (Zusammenstellung von Ursula Schneider und Joachim Glaus, Studierende der Angewandten Psychologie an der ZHAW). Doch weil sich die Erwartungen an Frauen und Männer unterscheiden, wird gleiches Verhalten ungleich beurteilt: Während sich ein Mann Gehör verschafft, gilt eine Frau als vorlaut. Er lässt mit sich reden – sie weiss nicht, was sie will. Er lässt Dampf ab – sie verliert die Nerven. Er handelt strategisch – sie ist berechnend. Er geht in seinem Beruf auf – sie vernachlässigt ihre Kinder. Er ist dominant – sie ist herrisch. Diese Unterschiede lassen sich dadurch erklären, dass sich das Stereotyp «Führungskraft» weit stärker mit den Vorstel­lungen an den typischen Mann als an die typische Frau deckt. Führung bedeutet Einflussnahme und damit auch Machtausübung. Doch im selben Mass wie die Durchsetzung von Macht aufgrund der Position von einem Mann selbstverständlich erwartet wird, ist dies bei einer Frau suspekt. «Sie hängt die Chefin heraus», heisst es bald – und gleichzeitig wird von ihr als Führungsperson erwartet, dass sie etwas bewegen kann. Diese unterschiedlichen Erwartungen wirken oft als Stolpersteine auf dem Weg nach oben.

Führungspersonen sind gemäss dem Arbeitspsychologen Otto Neuberger durch ihre Funktion mit verschiedenen Dilemmas konfrontiert: Sie müssen die Mitarbeitenden gleich behandeln und doch individuell auf die einzelnen eingehen. Sie sollen den Menschen in den Mittelpunkt stellen, der für die Firma aber letztlich ein Kostenfaktor ist. Sie sollen Aussenkontakte pflegen und gleichzeitig für ihre Mitarbeitenden da sein. Diese Dilemma-Situa­tionen werden bei Frauen dadurch verstärkt, dass die Erwartung an sie als Frau und an sie als Führungsperson eine andere ist. Dies kann exemplarisch verdeutlicht werden: Franziska trat eine neue Stelle als Teamleiterin an. Zur administrativen Unterstützung wurde ihr eine Sekretärin zugeteilt, die auch für ihre zwei Teamleiterkollegen Arbeiten erledigte. In der Vergangenheit mussten die Sekretariatsarbeiten unter dem zunehmenden Druck oft noch bis spätabends erledigt werden. Die Sekretärin drückte bei Franziska ihre grosse Hoffnung aus, dass sie es als Frau bestimmt verstehe, wenn sie als alleinerziehende Mutter abends nicht auch noch für die neue Chefin Überstunden machen könne, wie dies von den anderen beiden Chefs leider verlangt werde. Franziska stand damit vor der Frage, wie sie trotz stetig steigendem Arbeitsvolumen die Anliegen ihrer Sekretärin und diejenigen ihres Vorgesetzten an eine rasche Aufgabenerledigung vereinbaren und gleichzeitig mit ihren beiden Kollegen eine faire Aufteilung aushandeln kann.

Es ist ein Dilemma vieler Führungskräfte, die unter einem hohen Zeitdruck stehen, für Aufgaben über zu wenige Ressourcen verfügen und sich in einem Geflecht von unausgesprochenen Machtansprüchen behaupten müssen. Zusätzlich sieht sich Franziska aber mit den höheren Erwartungen der Mitarbeitenden an sie als verständnisvolle Frau konfrontiert, und Enttäuschung und Unmut sind umso grösser, wenn sie diese Erwartungen nicht erfüllen kann oder will.

In einer eigenen Untersuchung befragte die Autorin dreizehn Frauen im Topmanagement. Ihre Wege waren völlig unterschiedlich, doch lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen. Basis für den Erfolg sind eine gute Ausbildung, die hohe Leistungsbereitschaft, die Unterstützung bereits im Elternhaus und später von den Vorgesetzten, eine tiefe innere Stabilität und gute Freundschaften auch in Krisenzeiten. Dazu kommen ein ausgeprägtes Interesse an anderen Ländern und Menschen, eine klare und gleichzeitig achtsame Kommunikation sowie eine Unternehmenskultur, die zu ihnen passt und in der sie einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen können. Das Engagement für den Beruf geht häufig zulasten der persönlichen Freizeit. Dies gilt insbesondere für die Mütter unter den Befragten, die entweder erst dann beruflich aufstiegen, als die Kinder älter waren oder die sich an einen konsequent durchorganisierten Tagesablauf mit nur wenigen Stunden Schlaf gewöhnt haben.

Je höher die Befragten positioniert sind, desto wichtiger ist ein tragfähiges Netzwerk mit starken Persönlichkeiten und den Rückhalt bei Vorgesetzten und Schlüsselpersonen. Ihre Handlungsfähigkeit hängt nicht mehr nur von ihrer Leistung, sondern wesentlich von ihrer Stellung in diesem Netzwerk ab. Durch ihren Seltenheitswert sind weibliche Führungskräfte sichtbarer als ihre männlichen Kollegen, was ihnen aber auch Vorteile verschaffen kann. Macht ist für sie vor allem die Möglichkeit, für das Unternehmen etwas zu bewegen. Dabei üben sie Einfluss auf Menschen in ihrem Umfeld aus und sind gleichzeitig von ihnen abhängig. Ihr Erfolg hängt davon ab, wie sie die unterschiedlichen Erwartungen zielführend vereinbaren können. Die Unterschiede zwischen Führungsrolle und Frauenrolle nutzen sie, um die Handlungsmöglichkeiten beider Rollen umsichtig einzusetzen. Es gelingt ihnen, die richtigen Verbündeten zu finden und sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche und eigener Werte klar zu positionieren. Sie haben gelernt, nicht alles zu verstehen, Widersprüche und Gegensätze aus­zuhalten, zu umgehen, zur richtigen Zeit zu nutzen oder auszusteigen. Die Hälfte der Befragten hat in den vergangenen fünf Jahren ihre Position freiwillig oder unfreiwillig wieder verlassen. Einige mussten Rückschläge und Enttäuschungen einstecken und sich neu positionieren. Ihr gesellschaftlicher Status und der ihrer Familie sind jedoch weit weniger als bei Männern an ihre berufliche Position geknüpft. So können sie es sich eher leisten, ihrer inneren Stimme zu folgen und das zu tun, was ihnen entspricht.

Solange die Rollenerwartung an Frauen und Männer auseinanderliegen, werden weibliche und männliche Führungspersonen unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Doch nicht nur dies: Wenn der Anteil von Frauen in Führungspositionen steigen soll, dann folgt daraus, dass der Anteil der Männer ohne Führungsfunktionen ebenfalls zunimmt. Eine Studie aus New Jersey zeigt, dass Männer, die kein dominantes Verhalten und keinen beruflichen Ehrgeiz an den Tag legen oder sich als Hausmänner betätigen, in der gesellschaftlichen Achtung keineswegs steigen – auch nicht in der Akzeptanz durch die Frauen. Solange diese oft unbewussten und im offiziellen Diskurs vehement bestrittenen Einstellungen bestehen, bleiben sämtliche Appelle und Massnahmen für Veränderungen zutiefst widersprüchlich. Wenn davon auszugehen ist, dass sich Frauen und Männer in Bezug auf ihre beruflichen und familiären Wünsche nicht «naturgegeben» unterscheiden, dann sollen sich beide Geschlechter frei für oder gegen eine Führungsposition entscheiden können. Die Frage nach «typischen» Unterschieden zwischen Frau und Mann stellt sich damit wieder neu. Für die Frauen, die eine Führungsposition anstreben oder innehaben, bedeutet es, offene Augen und Ohren für die Umgebung zu haben und vor allem sich selbst treu zu sein.

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