Strategie & Management

Internationalisierung I

Expansion in neue Märkte: Chancen und Risiken

Nicht zuletzt aufgrund des begrenzten Heimatmarktes hat sich die Schweiz zu einer stark exportorientierten Wirtschaftsnation entwickelt. Welche Internationalisierungsgrad Schweizer KMU erreicht haben, welche Märkte Erfolg versprechen und wo die Chancen und Risiken liegen, zeigt dieser Beitrag.
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Die Schweizer Wirtschaft besteht zu einem grossen Teil aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Mit einem Anteil von 99,6 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz und mit einem Beschäftigtenanteil von 66,6 Prozent sind sie das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Der folgende Beitrag will über den aktuellen Internationalisierungsstand der KMU-Landschaft informieren und Tipps für den erfolgreichen Weg zur Internatio­nalisierung geben sowie über mögliche Hindernisse aufklären. Nicht zuletzt werden attraktive Märkte und Branchen beleuchtet, die man als Unternehmen mit internationaler Ausrichtung heute und in Zukunft im Visier haben sollte.

Reaktive und proaktive Gründe

Der Schritt zur Internationalisierung ist für viele Unternehmen in erster Linie eine Reaktion auf Umstände, die mit Zielen verknüpft sind. Dazu zählen unter anderem die Erfordernis oder Chance der Verkaufssteigerung, die Kundenannäherung in ausländischen Märkten, die Senkung von Produktions- und Arbeitskosten oder aber die Kompensation für die Sättigung oder den Rückgang im heimischen Markt.

Es gibt jedoch ebenso zahlreiche proaktive Gründe, Internationalisierung in die Wettbewerbsstrategie – auch und gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen – zu integrieren (siehe Abbildung Seite 34).

Mit einer Internationalisierung können Unternehmen

  • die Entwicklung und das Wachstum anderer Märkte für sich nutzen.
  • Teile der Wertschöpfungskette in wettbewerbsfähigere Regionen verlagern – sei es eine Verlagerung des Standorts in Länder mit geringeren Produktions- und Lohnkosten oder eine Auslagerung verschiedener Prozesse vom Kundendienst bis hin zu Call-Center für Forschung und Innovation.
  • Skaleneffekte und Reichweiten nutzen.
  • Wichtige Informationen zu anderen Kunden und Märkten, globalen Kapazitäten der Mitbewerber in einer bestimmten Industrie oder einem bestimmten Sektor und sogar zur kulturellen Vielfalt von Teams in globalen Unternehmen gewinnen.

Das Argument der Informationsgewinnung wird in der Literatur häufig vernachlässigt. Dennoch ist es von grundlegender Wichtigkeit, da Unternehmen, die nicht international aufgestellt sind, genau deshalb weniger wettbewerbsfähig und angreifbarer sind. Unternehmen müssen im Ausland tätig sein und sich dem internationalen Vergleich stellen.

Im Allgemeinen wird Internationalisierung häufig mit Big Business in globalem Ausmass gleichgesetzt, allerdings können sich auch KMU mit begrenzten Mitteln internationalisieren, wenn sie gewisse Grundregeln beachten.

Der Internationalisierungsgrad

Die Internationalisierung des Wirtschaftsgeschehens gilt inzwischen als «globaler Megatrend». Doch wie ist der Status quo bei Schweizer KMU wirklich? Prinzipiell sind die Schweizer KMU recht stark internationalisiert. Landesgrösse und Binnenmarkt sind überschaubar und eingeschränkt. Verglichen mit deutschen und den meisten anderen europäischen KMU liegen Schweizer KMU daher im Regelfall im Internationalisierungsgrad eine Spur weiter vorne.

Alberto Silini ist Head of Consultancy bei Switzerland Global Enterprise (S-GE), das vom Bund mandatiert ist, Schweizer Exporteuren bei ihrer Internationalisierung zu unterstützen. Er erklärt: «Rein statistisch sind 70 Prozent der Schweizer KMU in irgendeiner Form international tätig. Wirklich effektiv und strategisch im Export tätig sind dagegen nur etwa 30 Prozent. Wir beobachten nach wie vor stark steigende Interna­tionalisierungs­tendenzen. Der Grund ist eindeutig: Wenn Schweizer Firmen auf Wachstum setzen, sind sie aufgrund des sehr begrenzten Heimmarkts gezwungen, sich auf der anderen Seite der Landesgrenze umzuschauen. Dies ist ein häufiges Phänomen bei kleinen Ländern.»

Die Branchenunterschiede

Insbesondere die Start-up-Szene weist eine grosse Anzahl der sogenannten «Born Globals» auf. Dies sind Unternehmen, die schon bei ihrer Gründung internationale Märkte anvisieren und sich global ausrichten. Dies liegt oft in der Natur der angebotenen, meist digitalen bzw. IT-lastigen Dienstleistungen oder Produkte wie Apps oder Smartphones.

«In der digitalen Branche hat die Schweiz sehr hohe Kompetenzen. Mit dem Standort von Google in Zürich als grösstes Headquarter ausserhalb der USA ist hier ein zweites Silicon Valley mit enormer Sogwirkung entstanden. Zudem weisen die Hochschulen ein Top-Niveau auf. Dies gilt nicht zuletzt für technologische Studiengänge und solche mit digitalem Schwerpunkt. Das Ökosystem und seine Anziehungskraft, welche so entstanden sind, beschreiben viele mit dem Begriff ‹Google-Walt-Disney-Effekt›», konstatiert Silini.

Heute hat die gesamte Animationstechnik von Walt Disney ihren Sitz in Zürich. 2010 hat die Eidgenössisch-Technische Hochschule (ETH) in Zürich das «Disney Research Zurich» (DRZ) eröffnet. Es ist das bislang einzige Forschungslabor, das Walt Disney an einer europäischen Hochschule unterhält.

Insgesamt gesehen stehen die Chemie- und Pharmaindustrie im Industrialisierungsgrad an vorderster Stelle. Diese Industrien werden allerdings vornehmlich von Grossunternehmen wie Novartis oder Roche dominiert. Ansonsten ist der Internationalisierungsgrad im Bereich der MEM-Industrie (Maschinenbau, Elektro- und Metallindustrie) sehr hoch. «Hier gibt es eine Reihe von KMU, die in bestimmten Nischen tätig sind und typischerweise weit mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland erzielen, häufig sogar mehr als 90 Prozent. Ein anderes Beispiel wäre die Uhrenindustrie, in der es ebenfalls viele KMU mit hohem In­ternationalisierungsgrad gibt», erörtert Dr. Heiko Bergmann, Projektleiter am Schweizerischen Institut für Klein- und Mittelunternehmen und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen.

Den höchsten Internationalisierungsstand weisen die Top 5 der Schweizer Unternehmensbranchen auf – in absteigender Reihenfolge Chemie- und Pharma-, MEM-, Uhren-, Mess- und Präzisionsinstrumente- sowie Nahrungsmittelindustrie. Der Schweizer Nahrungsmittelgigant Nestlé generiert rund 98 Prozent seines Gesamtumsatzes im Ausland. Bei allen anderen Branchen liegt der Anteil des im Ausland erzeugten Umsatzes bei etwa 75 Prozent.

Aussichtsreiche Märkte für KMU

Deutschland ist für Schweizer KMU nach wie vor der wichtigste Einstiegsmarkt und hat für die Schweizer Exporteure trotz der Euroschwäche die grösste strategische Bedeutung – und dies mit grossem Abstand zu anderen Ländern. Das bestätigt eine Umfrage der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur zur Internationalisierung Schweizer KMU aus dem Jahr 2014, in der mehr als die Hälfte aller befragten Unternehmen Deutschland als wichtigstes Exportland nennen.

«Hinter Deutschland lassen sich jedoch deutliche Verschiebungen erkennen», berichtet Professor Christian Hauser von der HTW Chur. «Die Bedeutung Chinas als strategisch wichtigster Auslandsmarkt ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen: Heute gibt jeder zehnte Exporteur an, dass China für ihn der wichtigste Markt sei. Ungefähr gleich häufig werden die Vereinigten Staaten genannt. Damit belegt China mittlerweile Platz 2, dicht gefolgt von den USA. Österreich, das bei früheren Befragungen auf Platz 2 lag, belegte 2014 nur noch Platz 4. Die weiteren gros­sen Nachbarländer der Schweiz, Italien und Frankreich, folgen auf Platz 5 und 6.»

Eine Ursache für diese Veränderungen ist die massive Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro, die den Export in Euro-Länder branchenübergreifend erschwert. Gleichzeitig werden Märkte, in denen in Dollar fakturiert werden kann attraktiver – vor allem die USA und der asiatische Raum. Aber auch das Wirtschaftswachstum der meisten asiatischen Länder trägt zur Attraktivität Asiens bei. Bei Exporten nach Asien sind China, Japan und Korea von tragender Bedeutung, aber auch der gesamte ASEAN-Wirtschaftsraum (Verband Südostasiatischer Nationen; Englisch: Association of South­east Asian Nations).

Überdies sind Schweizer Unternehmen darauf ausgerichtet, ihre Exporte zu diversifizieren, das heisst nicht alle Exporte in Richtung Euro-Raum abzusetzen, sondern auch andere Währungsräume miteinzubeziehen, um bei möglichen Währungsturbulenzen das Kundenrisiko zu minimieren.

Die wachsende Mittelschicht

Die stark exportgetriebene Pharma- und Lebensmittelindustrie wird Prognosen zufolge in den kommenden Jahren enorm von der «Rising Middle Class», der aufstrebenden Mittelschicht in Schwellen- und Entwicklungsländern, profitieren. Diese Bevölkerungsgruppe zeigt sich immens aufgeschlossen gegenüber hochwertigen Produkten, zum Beispiel aus dem Lebensmittelbereich, oder bewirkt den Ausbau der Infrastruktur in ihren Ländern, wovon diverse Industrien wie etwa die Medizintechnik profitieren können.

Alberto Silini von S-GE zu dieser Entwicklung: «Die Rising Middle Class wird in den kommenden Jahren überproportional wachsen (…). Indonesien ist hier ein «heisser Kandidat». Man erwartet, dass das Land innerhalb der nächsten 20 Jahre zu den Top 5 der weltweiten Konsummärkte gehören wird. Hier lohnt es sich zu prüfen und sich schon heute zu posi­tionieren, um eine mittel- und langfristige Exportplanung zu manifestieren. Auf dem afrikanischen Kontinent ist Nigeria das Land mit der am stärksten wachsenden Mittelschicht.»

Laut S-GE lässt sich für die Rising Middle Class-Länder in den kommenden 15 bis 20 Jahren ein hohes Wachstum in den Branchen der Transport-, Informations- und Kommunikationstechnologien, der Freizeit-, Bekleidungs- und Sportindustrie und weiteren Industrien prognosti­zieren. Auch der Sektor E-Banking und sonstige mobile Dienstleistungen sind im Zuge der Digitalisierungswelle in Ländern wie Afrika nicht zu unterschätzen, genauso wie die gesamte Nahrungsmittelindustrie in höheren Segmenten.

Als vielversprechender Markt für die Schweiz darf Kanada und der gesamte nordamerikanische Raum nicht unerwähnt bleiben. Kanada nimmt als Markt für Schweizer Unternehmen eine besonders attraktive Position ein. Zum einen, weil Kanada das wohl «europäischste» Land ausserhalb der EU ist. Zudem hat Kanada wie auch die Schweiz einen frankophonen Teil, was eine starke kulturelle Verbindung erzeugt. Das Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern sorgt für einen unkomplizierten Zugang zum kanadischen Markt und erleichtert die Exporte nach Nordamerika. Hauser ergänzt: «Hinzuzufügen bleibt, dass neben dem klassischen Exportgeschäft aufgrund der Frankenstärke auch für KMU die Verlagerung von Geschäftsaktivitäten zum Beispiel nach Deutschland, Österreich oder nach Mittel- und Osteuropa zunehmend ein Thema wird.»

Was Experten raten

Zu den grössten Herausforderungen im Internationalisierungsprozess zählen neben gesetzlichen Hürden und finanziellen Faktoren auch Sprachbarrieren sowie Kulturunterschiede. Mit der nötigen Voraussicht lassen sich diese Hürden bewältigen.

Prof. Dr. Christian Hauser, Professor für Internationales Management am Schweize­rischen Institut für Entrepreneurship der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur:

«Wichtig ist, dass Unternehmen an die Internationalisierung nicht blauäugig herangehen und genügend ‹Schnauf› mitbringen. Zu den Risiken, die von Anfang an berücksichtigt werden müssen, gehören, dass der Internationalisierungsprozess häufig länger dauert und teurer wird als geplant. Daher sollte die Internationalisierung aus einer Position der Stärke heraus angegangen werden, so dass die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Zuverlässige Geschäftspartner sind eine wichtige Basis für den Erfolg im Ausland. Tragfähige und vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen aufzubauen kann – je nach Kultur – erheblich Zeit in Anspruch nehmen. Diese Zeit müssen die Unternehmen unbedingt einplanen. Zudem müssen der Aufbau der Beziehung und deren Pflege auch Chefsache sein. Die zweite oder gar dritte Hierarchieebene wird in manchen Ländern nicht als gleichwertiger Partner bei Verhandlungen angesehen. Die Unternehmer selbst müssen hier frühzeitig Zeit und Aufwand investieren. Doch Vorsicht: gerade in Ländern mit hohem Korruptions­­ri­siko – zu denen auch die meisten aufstrebenden Märkte gehören – müssen die Unternehmen genau auf den manchmal schmalen Grat zwischen legitimer Beziehungspflege und ungebührlichem korruptem Verhalten achten.»

Alberto Silini, Head of Consultancy bei Switzerland Global Enterprise:

«Im Allgemeinen sind eine gute Vorbereitung und Analysen über die anzuvisierenden Zielmärkte das A und O, sei es in kultureller oder regulatorischer Hinsicht oder aber auch hinsichtlich Kaufverhalten vor Ort und der lokalen Konkurrenz.»

Professor Michael-Jörg Oesterle, Inhaber des Lehrstuhls Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales und Strategisches Management an der Universität Stuttgart:

«Wichtigste Voraussetzung ist, dass im Voraus die eigenen Möglichkeiten und Potenziale des Unternehmens in ausländischen Märkten sauber und solide analysiert und geprüft werden. Ein blosses Nachahmungsverhalten sollte tunlichst vermieden werden. Der zweite Schritt ist, nicht zu ambitioniert vorzugehen und anfangs das Risiko gering zu halten. Natürlich geht es nie ganz ohne Risiko. Aber man sollte bei der Internationalisierung nicht zum Hasardeur werden. Und als dritten Schritt rate ich, am Ball zu bleiben, das heisst, zu lernen und sich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Man sollte nie vergessen: jeder Markt ist anders. Die ethnozentrische Brille muss abgelegt werden.»

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