Strategie & Management

Industrie 4.0 (Teil 1 von 3)

Einstieg in die vierte industrielle Revolution

Nach den industriellen Revolutionen, der Mechanisierung, der Elektrizität, der Massenproduktion sowie der Automation kommt nun die vierte Welle auf uns zu: die Digitalisierung der Industrie. Man spricht von «cyber-physischer Produktion» oder auch «künstlich intelligenter Produktion». Dabei herrscht aber noch viel Unwissen, auch in KMU.
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Industrie 4.0, Internet of Things, Cloud – diese Begriffe sind momentan in aller Munde. Meist fehlt jedoch noch ein einheitliches Verständnis darüber, was sie bedeuten, wie sie in der Industrie umzusetzen sind und vor allem, welchen Nutzen die Anwender davon haben. Was fehlt, sind konkrete Wissensblöcke und Anweisungen. Wir versuchen hier etwas Abhilfe zu schaffen. Um die Unternehmen beim digitalen Wandel im Rahmen einer Wirtschafts-Transformation zu begleiten, haben die Branchenverbände Swissmem, Electrosuisse, Asut und Swiss-T.net letztes Jahr die Initiative «Industrie 2025» lanciert. Ziel der Initiative ist es, Wissen über die Industrie 4.0 zu vermitteln, Konzepte in die Industrie zu tragen, Akteure zu vernetzen und sie in der konkreten Umsetzung zu unterstützen.

Entwicklungen

Für die einen ist es eine Revolution, für die anderen eine logische Konsequenz der Digitalisierung und der Vernetzung durch das Internet. Ende des 18. Jahrhunderts machten Wasserkraft und Dampfmaschine eine mechanische Produktion möglich. Dann folgte im 19. Jahrhundert die Elektrizität und mit dem Fliessband die Massenproduktion. Mitte der 1970er-Jahre begann die Automatisierung, als Computer und Industrieroboter Einzug in die Fabriken hielten. Und die vierte industrielle Revolution startete Ende der 90er-Jahre mit dem Durchbruch des Internets.

Neue Dimensionen

Die Einführung von Internetfunktionen in die Arbeitsprozesse der Produktion ermöglichte völlig neue Dimensionen: Physische und virtuelle Systeme konnten miteinander verbunden werden. Vernetzte Systeme lassen bereits heute die Maschinen direkt miteinander kommunizieren und selbstlernende Software optimiert auch komplexe Abläufe. Es ist also weniger ein Modebegriff als bereits schon vielerorts Realität. Der Begriff Industrie 4.0 steht jedoch für die vollständig digitalisierte Wertschöpfungskette einer Unternehmung. Die Geräte, Maschinen und Materialien kommunizieren miteinander und ermöglichen so einen reibungslosen Ablauf, und das auf intelligente Weise: lernfähig und ohne die Einflussnahme des Menschen.

Der grosse Unterschied von den Anfängen in den 2000er-Jahren bis heute ist, dass dies, ähnlich wie damals bei der Einführung von Computern, oft nur grossen Firmen mit ebenso grossen Budgets vorbehalten war. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch die Möglichkeiten für den Bezug von günstigen Komponenten und die Verbindung von bestehender Basissoftware. Und intelligente Systeme im Haushalt, Verkehr und Logistik schleichen sich in den Alltag.

Das Internet der Dinge

Laut einer aktuellen Prognose des US-Netzwerkspezialisten Cisco wird sich die Anzahl aller am Internet verbundenen Geräte innerhalb von nur fünf Jahren verdoppeln. So soll das Internet der Dinge im Jahr 2020 schon insgesamt 50 Milliarden Smartphones, PCs, Wearables, Sensoren und sonstige Geräte umfassen. Durch deren Verknüpfung werden diese Dinge intelligent und deswegen spricht man vom «Internet of Things» (IoT). Analog sind die physischen und digitalen Komponenten in einem Netz mit logischer Architektur verbunden. Man kann sich das Internet of Things als die intelligente Version einer Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) vorstellen, die mit einer sensorbasierten Datenerfassung und einer prozessorbasierten Entscheidungsfindung gekoppelt ist.

Neue Netzwerke

Damit diese Kommunikation stattfinden kann, braucht es dazu die  nötige Kommunikationsbandbreite. Und damit die vielen Geräte das Mobilnetz nicht belasten, arbeitet zum Beispiel die Swisscom daran, ein eigenes IoT-Netz aufzubauen. Das sogenannte Low Power Network (LPN) soll die Kommunikation unter Maschinen auf Mobilfunkbasis möglich machen. Findet eine flächendeckende Vernetzung statt, spricht man von Smart Connections oder von Verbünden.

Die Industrie 4.0 ist eigentlich nur die konsequente Anwendung des IoT in der industriellen Fertigung. Wer sich mit dem Einstieg in die Industrie 4.0 beschäftigt, sollte sich nicht von abstrakten Visionen leiten lassen. Grundsätzlich geht es primär um die Implementierung von Prozessverbesserungen sowie Produktivitätssteigerungen und nicht um den Einsatz von revolutionären Technologien an sich. Ein Unternehmen muss nach der Identifikation von Prozessschwachstellen prüfen, ob bei der Optimierung ein Nutzen durch den Einsatz von ICT-Technologien und Vernetzungskonzepten erzielt werden kann, wobei die Kosten/Nutzen-Frage zu beachten ist. So kann man heutzutage zum Beispiel mit RFID spannende und effiziente Logistiklösungen bauen, jedoch sind die Kosteneinsparungen in der Praxis noch zu wenig attraktiv.

Spezialisierte Mitarbeiter

Prozessoptimierungen kombiniert mit dem Einsatz von intelligenten Netzwerkkomponenten und Systemen. Kein einfaches, sondern ein sogar sehr anspruchsvolles Unterfangen. Es braucht Fachleute von hoher Qualität mit sehr viel Know-how. Als gutes Beispiel eignet sich die Automobilbranche. Autos werden vermehrt mit komplizierten Technologien wie Sensoren ausgestattet. Im Rückspiegel integrierte Sensoren bieten eine intelligente Parkassistenz, die Fussgänger und andere Hindernisse erkennen kann. Um einen entsprechenden Service zu garantieren, müssen sich die Werkstätten heute innert kürzester Zeit zu Hightech-Garagen wandeln oder externe Hilfe beiziehen. Diese Umstellung erfordert spezifisches Know-how und geschultes, sich stetig weiterbildendes Fachpersonal.
 
Noch sind Fachkräfte zu diesem Thema oftmals Mangelware, wobei es aber in Europa, und vor allem in der Schweiz, ziemlich gut aussieht. Aus den USA ist bekannt, dass im Hightech-Bereich ein Arbeitsplatz in der Produktion bis zu 15 Arbeitsplätze im Service generiert. An diesem Hebel sollten die kleinen und mittelgrossen Unternehmen in der Schweiz ansetzen. Es liegt hauptsächlich an diesen Unternehmen, Werbung fürs Gewer­­be zu machen.  

Schweiz in Pionierrolle

Gerade in den kleinen und mittelgrossen Betrieben könnte die Politik mit einer Ausbildungsoffensive der Wirtschaft einen sehr guten Dienst erweisen. Naturwissenschaftler, Ingenieure, Mathema­tiker, Chemiker und so weiter – diese Berufe sichern die Unternehmenszukunft und die Unabhängigkeit des Wirtschaftsstandortes. Die Schweiz hat die besten Voraussetzungen, beim Thema Industrie 4.0 eine Pionierrolle einzunehmen. Sie liegt bei wichtigen Indikatoren vorne. Zum Beispiel arbeiten sechs Prozent der Schweizer Arbeitnehmenden in technologie- und wissensintensiven Sektoren, was einen europäischer Spitzenwert darstellt. Ausserdem weist kein anderes Land in Europa eine höhere Wertschöpfung in der industriellen Produktion pro Mitarbeiter auf.

Chancen für KMU

Was ist nun die gegenwärtige industriel­le Revolution? Unterschieden werden die dritte und vierte industrielle Revolution vor allem mit dem Umstand, dass künstliche Intelligenz zu den industriellen Prozessen hinzugeführt wird. Wie der Lagerroboter, der «merkt», dass ein Lager leer wird und den schnellsten Weg zur Auffüllung findet. Oder der Spritzroboter, welcher eigenständig feststellt, dass seine Farbe falsch gewählt wurde und sich im Prozess um die Umfärbung kümmert. Oder das fast tollste, weil mit knapp 1000 Franken erschwinglichste Beispiel: der selbstlernende, selbstfahrende Wagen.

Bemerkenswert ist hier vor allem das Element «selbstlernend». Der Erfinder ging nämlich mit dem Ansatz heran, nicht alle Parameter vollständig zu definieren und zu programmieren. Er baute einen Mo­-dus ein, der es dem Auto ermöglicht, in nur zehn Fahrstunden das Autofahren zu ler­nen. Das heisst, kein «perfektes», sondern ein «menschliches» Fahren eines Autos. Der Bericht von Bloomberg ist mit einem spannenden Videoeinblick versehen. Auch Tesla lässt nicht auf sich warten, was unter der Replik von Elon Musk beschrieben wird.

Viele Technologien stehen bereit, aber die Herausforderung liegt nicht in den 99 Prozent der aufgezeigten Möglichkeiten, sondern in einem Prozent der Realisierbarkeit im Alltag. Unmengen von Daten werden im Millisekundentakt von Peer-to-Peer übermittelt und müssen empfangen, verifiziert und protokolliert werden, um später ausgewertet, verbessert sowie optimiert zu werden. Hier werden die Themen Datensicherheit und Datenrückverfolgbarkeit von grosser Bedeutung. Diese Themen werden im nächsten Teil des Artikels unter dem Stichwort «Blockchain» erläutert.

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