Strategie & Management

Changemanagement

Digitalisierung erfordert eine neue Unternehmenskultur

Die Digitalisierung verändert Unternehmen und verspricht mehr Effizienz und eine höhere Produktivität. Aktuell befassen sich die meisten Firmen erst mit den schriftlichen Vorgaben der digitalen Transformation, was deren genaue Inhalte sein sollen und wie sie umgesetzt werden sollen.
PDF Kaufen

Über den grundsätzlichen Stellenwert der digitalen Transformation herrscht weitgehend Einigkeit. Dagegen wird bislang kaum über den Aufbau einer Unternehmenskultur für die Digitalisierung diskutiert. Das sollte sich dringend ändern. Zu klären ist: Was ist eine digitale Kultur? Wie unterscheidet sie sich von einer aktuellen Unternehmenskultur? Was macht den Kern einer erfolgreichen digitalen Kultur aus?

Digitale Kultur umsetzen

Im Allgemeinen bezieht sich der Begriff «Kultur» auf die Überzeugungen und Verhaltensweisen einer Gruppe von Menschen. Gemeint ist damit einer weit verbreiteten Definition zufolge «eine Art des Denkens, Verhaltens und Arbeitens, wie sie an einem bestimmten Ort oder einer Organisation beziehungsweise in einem Unternehmen gelten». Wichtig in diesem Zusammenhang: Keine Management-Philo­sophie oder -Methodologie konnte sich jemals ohne die dazugehörige Kultur etablieren.

Ein immer wieder zitiertes Beispiel entstand bei Toyota. Kaizen, eine Philosophie der kontinuierlichen Verbesserung, ist in nahezu jedem Produkt und Service von Toyota enthalten – von der Fertigung über die Kundenbetreuung bis zum Corporate-Social-Responsibility-Programm. Durch die kontinuierliche und konsequente Aufforderung an Mitarbeiter zu überprüfen, wie sie Prozesse optimieren können, lebt Toyota eine Kultur des Wandels und der Verbesserung.

Warum ist das wichtig? Die Unternehmenskultur trägt dazu bei, das Verhalten von Mitarbeitern zu ändern, und sie bündelt Kräfte, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Die organisatorische Weiterentwicklung von Prozessen ist vergleichsweise einfach. Weit schwieriger ist es, eingespielte Routinen und Arbeitsabläufe zu ändern. Das gilt beispielsweise für den Umgang mit den Tools und Technologien, die Mitarbeiter für ihre alltäglichen Aufgaben einsetzen, beispielsweise dann, wenn sie von Microsoft Excel zu einem BI-Tool wechseln sollen. Eingefahrene Rituale zu ändern, kann sich als eine ambitionierte Aufgabe erweisen.

IT als Unternehmenswert

Für ihren zukünftigen Erfolg benötigen Unternehmen eine digitale Kultur. Sie sollten Informationstechnologie nicht länger als Bonus oder schmückendes Beiwerk ansehen; damit Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, muss die IT vielmehr ein Kernstück jeder Unternehmensentscheidung sein. So sollten beispielsweise Fragen, wie IT das vorhandene Geschäftsmodell verbessern oder dazu beitragen kann, ein neues zu implementieren, ein fester Bestandteil der täglichen Diskussion unter Führungskräften sein.

Aus dieser Perspektive wird die Überzeugung, dass Daten und digitale Prozesse einen strategischen Unternehmenswert haben, zu einem ersten Kernelement beim Aufbau einer digitalen Kultur. Das ist leichter gesagt als getan, denn über viele Jahre hinweg hat man den Führungskräften beigebracht, wie sie physikalische Vermögenswerte, die Finanzen und Mitarbeiter managen. Jetzt kommen noch die digitalen Assets dazu.

Die besondere Herausforderung liegt darin, dass sich die Datenbestände aus Sicht des Rechnungswesens nicht «in den Büchern» befinden. Daten haben einen enormen Wert, der sich aber nicht in Form von Zahlen in einem Spreadsheet darstellen lässt. Ein Werksleiter kann auf einen Bilanzposten verweisen, der den Nutzen seiner Fertigungsanlagen repräsentiert, und damit nachweisen, dass diese einen Wert von mehreren Millionen Dollar produzieren.

Alle Kanäle optimal verzahnen

Die für die digitalen Assets zuständigen Führungskräfte sind die Hüter immaterieller Anlagengüter und sie werden daher oft als wenig einflussreich angesehen. Die Mitglieder ihres Teams müssen ihnen im Grunde genommen ebenso vertrauen wie Menschen dem Wert von Bitcoins vertrauen – einem digitalen Asset, das über keine physikalische Manifestation verfügt. Der erste Schritt beim Aufbau einer digitalen Unternehmenskultur ist, die starren Glaubensprinzipien aufzubrechen und stattdessen Daten als Vermögenswerte zu behandeln.

Unternehmen verwandeln jeden Tag physikalische in digitale Kanäle. Das beste Beispiel sind die Projekte im Einzelhandel beim Aufbau eines Onlineshops. Aus einer kulturellen Perspektive sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Trotz aller Omnichannel-Bekenntnisse agieren die digitalen und traditionellen Kanäle oft als Wettbewerber und nicht als Teamplayer; das Ergebnis sind unterschiedliche Kulturen.

Retailer, die das stationäre Business und den Onlinehandel verbinden und für Kunden sowie Interessenten eine Omnichannel-Experience und eine einheitliche interne Kultur schaffen, werden zu den Gewinnern zählen und neue Kunden gewinnen. Damit ist zugleich das zweite Kernelement einer erfolgreichen digitalen Kultur ermittelt: Der digitale und der physikalische Bereich sollten optimal aufeinander abgestimmt sein und die Geschäftsaktivitäten des jeweils anderen unterstützen. Damit aus der Koexistenz tatsächliche Synergien entstehen, sollten Unternehmen ein Kooperationsmodell etablieren – und das gilt für alle Branchen, nicht nur für den Handel.

Der dritte Kernbestandteil einer digitalen Unternehmenskultur ist der gezielte Einsatz von Datenanalysen (Analytics). Bei der Digitalisierung geht es um die Erfassung und Optimierung von Daten, basierend auf Fakten. Die Umsetzung der Digitalisierung ohne Analytics wäre so wie die Implementierung eines physikalischen Prozesses ohne fachliche Aufsicht. Zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört es, Situationen zu analysieren und Verbesserungen zu implementieren. Analog dient in Unternehmen, die digitalisierte Prozesse nutzen, die Datenanalyse dazu, frühzeitig Trends sowie Herausforderungen zu erkennen und die Chancen fürs Geschäft aufzuspüren.

Das «Blitzscaling»

Wir befinden uns mitten in der digitalen Transformation, und viele Technologien, Produkte und Services, die Unternehmen auf den Markt bringen wollen, sind vielversprechend, aber noch nicht völlig ausgereift. Daher folgen einige Anbieter der Strategie eines «schnellen Zweiten». In diesem Szenario beobachten und analysieren sie sehr genau, was der oder die Vorreiter machen und verstärken erst dann ihre Aktivitäten, wenn sich klare Anzeichen für einen Erfolg zeigen.

In einer schnelllebigen Welt aber kann dies zu langsam sein. Vorreiter orientieren sich eher am sogenannten Blitzscaling. Als «Erfinder» gilt Reid Hoffman, ein Mitbegründer von Linkedin. Blitzscaling beschreibt die Fähigkeit von Pionieren, sehr schnell zu wachsen und einen neu entstehenden Markt zu dominieren. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine «Der-Sieger-bekommt-(fast)-alles»-Strategie, ermöglicht durch die richtige Technologie und die optimale Umsetzung. Einen guten Überblick zu Blitzscaling bietet das Interview mit dem Erfinder des Begriffs, Reid Hoffman, in der Harvard Business Review: www.hbr.org/2016/04/blitzscaling.

Für Unternehmen, die bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategie neue Produkte und Services entwickeln und vermarkten wollen, bleibt die Frage, welcher Strategie sie dabei folgen sollen. Technologien können und ändern oft Geschäftsmodelle oder erzeugen sogar neue. Die Strategie eines «schnellen Zweiten» ist eher geeignet, wenn sich das grundlegende Geschäftsmodell nicht ändert. Je stärker sich Geschäftsmodelle ändern, desto höher sind auch die Risiken, aber auch die Chancen. Für dieses Szenario ist eher Blitzscaling geeignet.

Ethische Herausforderungen der Digitalisierung

Im Umfeld der Digitalisierung lassen sich drei grundlegende ethische Herausforderungen unterscheiden: Schutz der Privatsphäre, Koexistenz von Menschen und Robotern und automatisierte Entscheidungen. Wir leben in einer vernetzten Welt, in welcher es möglich ist, all unsere Aktivitäten zu verfolgen. Die Technologie macht Menschen transparent und berechenbar. Während die Transparenz auf vielen Gebieten Positives bewirkt, kann sie auch misstrauisch machen. Daher werden neue Ansätze, Verfahren und in einigen Fällen auch Regeln benötigt, die das Misstrauen reduzieren.

Bei der zweiten ethischen Herausforderung geht es um die Koexistenz von Menschen und Robotern – genauer gesagt die Zusammenarbeit von Menschen mit «intelligenten Maschinen» am Arbeitsplatz. Bislang haben die Menschen die Maschinen gesteuert. Das ändert sich jetzt, denn Roboter werden zunehmend autonom; das kann durchaus zu Ängsten bei Mitarbeitern führen, die fürchten, dass ihr Arbeitsplatz verloren geht. Unternehmen müssen Lösungen dazu im Einzelfall aushandeln.

Der dritte Aspekt umfasst automatisierte Entscheidungen sowie die Delegation von Entscheidungen an Roboter und intelligente Maschinen. Die zentrale Frage hierbei ist die ethische Verantwortung; oder betriebswirtschaftlich ausgedrückt: ist die Entscheidungsoptimierung wertneutral? Unternehmen sollten sich frühzeitig mit diesen Fragen befassen und Lösungen finden.