Strategie & Management

Case Study: Repositionierung und Rebranding (Teil 3 von 3)

Die WIR Bank und ihre digitale Transformation

Die Schweizer WIR Bank Genossenschaft mit ihrem Komplementärwährungs-System hat sich nach über 80-jährigem Bestehen strategisch neu definiert. Drei Artikel dokumentieren, wie Geschäftsmodell und Leistungsangebot einer digitalen Transformation unterzogen und die Marke neu positioniert wurden. Teil 3 zieht eine erste Wirkungsbilanz.
PDF Kaufen

Wenn sich ein KMU aus der Finanzindustrie aus einer Position der Stärke einer grundlegenden Geschäftsmodellrevision unterzieht, findet dies am Markt Beachtung. Wenn dieses Unternehmen zudem noch Genossenschaft, Traditionsunternehmen und Nischenplayer mit weltweit einzigartigem Währungs- und Wirtschaftsförderungssystem zugleich ist, zeigt dies schon beinahe Revolutionscharakter.

Die WIR Bank liess Anfang November 2016 «die Katze aus dem Sack» und positioniert sich seither am Markt mit einem grundlegend auf KMU-Förderung, Digitalisierung und selbstbewusste Transparenz ausgelegten Produkt- und Leistungsportfolio – ein Kurswechsel um 180 Grad gegenüber ihrer bisherigen Marktpräsenz. Es liegt nahe, dass dies auch aus der strategischen Positionierungs- und Branding-Perspektive eine komplexe Herausforderung darstellt. Mit der Lösung der Aufgabe wurde die Brand Focus Group beauftragt, ein ebenfalls als Genossenschaft organisierter, interdisziplinärer Verbund hierfür spezialisierter Experten und Dienstleister. Mit einer ganzheitlichen Strategie nach dem Prinzip von Holistic Branding wurde der Komplexität der Aufgabenstellung Rechnung getragen (Details dazu in Teil 1 und 2 dieser Serie). Zurzeit laufen Massnahmen zur weiteren Verankerung der neuen Identität. Sowohl im Unternehmen selbst wie auch nach aus­sen hin zum Markt gerichtet.


Das «Warum» im Zentrum


Für das Management der WIR Bank war es zentral, einen Grossteil der Repositionierungs- und Rebranding-Massnahmen zunächst nach innen gerichtet, mit Augenmerk auf die Mitarbeitenden auszugestalten. Unter dem Projekt- und Arbeitstitel «WIR 2.0», begleitet von einem für die bisherige Kultur überraschend revolutionären Projektlogo, lancierte die Programmleitung eine Reihe zielführender Instrumente. Über Workshops, Infoveranstaltungen, Trainings und digitale, interne Kanäle wurde die Belegschaft positiv auf die anstehenden Veränderungen eingestimmt. Sie wurde langsam an die Kursänderung herangeführt und auf zahlreichen Ebenen auch operativ in den Transformationsprozess integriert. Die grundlegenden Aspekte dabei waren die Kulturveränderung und die interne Wirkungsdimension, die damit einherzugehen hatten. Denn das Unternehmen verändert über die Revision des Geschäftsmodells nicht nur das Angebot und somit das «Was», sondern auch das «Wie» in der Ansprache sowie die Bewirtschaftung des Marktes. Und ein entscheidender Faktor dabei ist insbesondere das «Warum», das in Form einer Rückbesinnung auf die ursprünglichen Gründerwerte und den statuarischen Zweck der WIR Bank Genossenschaft stark ins Zentrum des Rebranding-Konzepts gerückt wird. Persönlichkeit, Tonalität, Werteprofil und Versprechen der Marke wurden deshalb aus diesem «Marken-Erbe» heraus entwickelt.

Die Repositionierung wurde analytisch herausgearbeitet. Jede Anpassung muss-te logisch und nachvollziehbar argumentiert werden können. Denn zum einen ist dies für die strategische wie auch für die unternehmerisch-wirtschaftliche Belastbarkeit einer Neupositionierung erfolgsrelevant. Zum anderen ist dies aber auch wesentlich, damit den Mitarbeitenden eine solide Grundlage zu ihrer eigenen Identifikation mit der neuen Ausrichtung gegeben werden kann. Das interne Verständnis, wieso eine Repositionierung eingeleitet und eine Unternehmenstransformation realisiert wird, ist zwingende Voraussetzung für deren Gelingen.

Als im Rahmen einer Mitarbeiterveranstaltung vor dem öffentlichen Relaunch das Umsetzungskonzept und die Launch-Kampagne offen gelegt wurden, war die Begeisterung gross. Die unternommenen Schritte, die gefällten Entscheidungen, die neue Markenwelt, das neue Logo, die neue Farbe – alles wurde als zusammenpassend und als richtig in Bezug auf die neue strategische Ausrichtung wahrgenommen und quittiert. Die erste Hürde, das Unternehmen intern sowohl rational wie auch emotional an die neue Marktansprache und -präsenz heranzuführen, war erfolgreich genommen.

Einen Sonderfall gegenüber üblichen Unternehmensstrukturen bilden bei der WIR Bank die regionalen WIR-Networks (früher: WIR-Gruppen). Als eigenständige Vereine organisiert, verbinden sie regional Teilnehmer der WIR-Welt, also WIR-Kunden. Rund 3800 Unternehmer sind so aus eigener Initiative heraus organisiert und bilden zum Teil äusserst belastbare und stabile Unternehmernetzwerke mit langjährigen Beziehungen und Freundschaften. Aus Sicht der WIR Bank spielen diese Netzwerke eine wichtige Rolle und wurden im Rahmen des Rebrandings als Kunden-Fokusgruppen gewichtet und in Konzepten und Lösungen berücksichtigt.

Auf die Prelaunch-Phase, die im Zeichen der Vorbereitung von Markt und Kundschaft auf die Veränderung der WIR-Welt stand, folgte der Launch-Startschuss am 1. November 2016. Im Rahmen der Initiative und Event-Roadshow «KMU-und-du» wurden der neue Markengrundsatz «Dialog und Interaktion» und der Aspekt von «KMU-Wirtschaftsförderung» mit der Digitalisierungs-Thematik verknüpft. Die WIR Bank ging dort als KMU kommunikativ und physisch auf KMU-Unternehmer und -Führungskräfte zu. Mit Blogbeiträgen und Roadshows wurden wertvolle Impulse zum Umgang mit dem Thema «Digitalisierung und digitale Transformation» gesetzt. Dagegen stand für den Launch in erster Linie die Emotionalisierung der neuen Marke im Fokus.

Die kommunikative Übersetzung von Claim und Markenversprechen «Gemeinschaft. Mehrwert. Bank.» und dadurch auch deren Herleitung und Erläuterung waren zugleich Inhalt und Programm. Ein aus einer grossen Menschenmenge gebildetes Logo dient als Key Visual der Launchkampagne und visualisiert damit den Aspekt «Gemeinschaft». Ein prägnantes, auf klare Inhalte und relevante Nutzen ausgerichtetes Headlinekonzept beleuchtet die verschiedenen Ebenen von «Mehrwert». Ergänzend sorgte ein frischer, unkonventioneller TV-Spot für eine «bank-untypische» und somit positive und differenzierende Wirkung. In sympathischer Weise und mit rockigem Sound untermalt, wurde das KMU-konforme Partnerschaftsverhältnis zwischen Kunde und WIR Bank inszeniert.

Als typisches KMU standen der WIR Bank für die mediale Verbreitung ihrer Repositionierung nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Zugleich war es nötig, gegenüber den nationalen «Werbe-Goliaths» der Finanzbranche zu bestehen und wahrgenommen zu werden. Es mussten Wege gefunden werden, um mit wenig Mitteln viel Wirkung zu erzielen und so den Impact des Rebrandings innerhalb der Machbarkeitsgrenzen zu optimieren. Mittels geschickter Schwerpunktsetzung in einem cleveren, cross-medialen Medienmix konnten in Relation zu den verfügbaren Mitteln jedoch gute Werte erreicht werden. Über eine Mischung aus klarem Fokus auf KMU-Unternehmen und einer bewussten Streuwirkung einzelner Massnahmen auf das Breitenpublikum war der erreichte Wirkungsgrad beachtlich.

Es ist eine alte Weisheit, dass ein Rebranding nur dann vom Markt langfristig akzeptiert werden und erfolgreich gelingen kann, wenn sich nicht nur Hülle, sondern auch Inhalt verändern. Die Fülle kleiner und grosser Neuerungen oder Modifikationen schuf denn auch einen entsprechend umfassenden Kommunikationsbedarf. Zugleich gilt auch der übergeordnete Anspruch auf Einfachheit, Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit in der Kommunikation des revidierten Angebots. Über die gezielte Verteilung und Portionierung der zu verbreitenden Inhalte wird dies genauso sichergestellt wie über das richtige «Bespielen» eigener und externer Kommunikationskanäle. Mit hoher inhaltlicher Flughöhe, wenn Reduktion und Präg­nanz verlangt ist, mit tiefer gehendem Detaillierungsgrad, wenn Leser und Empfänger das wünschen.

Einführung Content Marketing


Ein komplementäres Ziel der Prelaunch-Kampagne war, sich als WIR-Bank über die Plattform «KMU-und-du» aktiv in die digitalen Kommunikationskanäle zu begeben. Weitgehend ein Novum gegenüber der bisherigen Kommunikation der WIR Bank, aber erklärter strategischer Schwerpunkt. Diese bewusst fernab direkt kommerzieller Zielsetzungen lancierte Initiative diente auch als Vehikel, um sich im digitalen Raum Beachtung zu verschaffen, Präsenz zu markieren und Erfahrungen zu sammeln. Denn Digitalisierung galt nicht nur als Leitbegriff für die Revision des Geschäftsmodells, sondern gilt auch für die Art und Weise, wie man fortan die neue Identität und das Angebot mit den verschiedenen Anspruchsgruppen teilt.

In der Prelaunch-Kampagne konzentrierte man sich nebst den eigenen Kommunikationskanälen auf einige wenige B2B-Medien. Beim Launch verfolgte man bewusst eine breitere Streuung. Die WIR Bank ist ja nicht nur ein Lösungspartner für Unternehmer und deren Mitarbeitende, sondern verfügt auch über Angebote für Privatkunden. Die angestrebten Werte konnten übertroffen werden und erreichten beispielsweise über zwei Wellen beim TV-Spot der Launch-Kampagne einen stolzen, durchschnittlichen GRP-Wert von 268 bei einer Reichweite von 67,5 Prozent innerhalb der Hauptzielgruppe. Flankiert wurde die TV-Präsenz durch einen selektiven Printeinsatz und in den Ballungszentren sorgten wenige Riesenplakate für hohe Beachtung. Die gewünscht hohe Wahrnehmung und Resonanz innerhalb des Zielpublikums konnte damit erreicht werden.

Bereits in der Prelaunch-Phase konnten im Rahmen von «KMU-und-du» sehr erfreuliche Zahlen und Reaktionen registriert werden. So erzielte zum Beispiel alleine das über Facebook publizierte Video zur Lancierung der Roadshow über 54 000 Klicks. Über 120 000 Tweet-Impressions konnten rund um die Road­show registriert werden. Die Web-Plattform verzeichnete rund 25 400 Seitenaufrufe. Der Blog mit Beiträgen rund um Digitalisierung und digitale Transformation wurde im Zeitraum der Roadshow über 16 400-mal aufgerufen. Wohlgemerkt bei einem «Kaltstart» bei quasi null und innert nur weniger Wochen. In der Onlinewerbung der Launchkampagne konnte eine sehr gute durchschnittliche Klickrate von bis zu 0,48 Prozent erreicht werden, einzelne Plattformen erzielten sogar bis zu 1,27 Prozent.

Bis Ende des ersten Quartals 2017 stiegen die digitalen Werte und Zahlen stetig nach oben, Tendenz anhaltend. Der Blog wies bis dahin bereits schon gegen 30 000 Seitenaufrufe von über 13 000 Nutzern auf. Der bisher beliebteste Beitrag daraus wurde rund 4000-mal gelesen – in der Blog-Welt durchaus respektable Werte, noch dazu für einen noch nicht einmal einjährigen Blog-Neuling. Die Anzahl der Facebook-Fans steigerte sich um 63 Prozent, was zu einer Reichweite einzelner Posts von bis zu 7000 Personen führte.

Kontinuierliche Verbesserung


Es versteht sich, dass eine so revolutionäre Repositionierung nicht ohne Nebengeräusche erfolgt. Das war sowohl aus Sicht des Managements wie auch der umsetzenden Experten nicht nur klar, sondern auch beabsichtigt. Nebst einem überwiegend positiven Zuspruch auf die Neuerungen, welche über das Rebranding und die Relaunch-Kommunikation transportiert wurden, gingen auch sehr kritische, negative bis aggressive Rückmeldungen ein, die vereinzelt auch emotional stark überlagert waren. Bei einem Traditionsunternehmen und Nischenplayer mit nicht optimalen Reputationsvoraussetzungen aber auch in keiner Weise verwunderlich.

Genau dieses Feedback ist ein bewusster Nebeneffekt einer Strategie, die auf Dialog und Interaktion setzt. Als Unternehmen kann man sich nur über berechtigte Kritik verbessern. Auch kann man sich nur nach den tatsächlichen Bedürfnissen des Marktes mit seinem Angebot richten, wenn sich dieser dazu äussert. Die Schulterklopfer und Zustimmer sind zwar Balsam für jede Unternehmer-Seele, sie sind aber kein Antrieb für Verbesserungen und Optimierungen.

Doch auch dieser Effekt der Repositionierung ist eine kulturelle Veränderung, die über Organisation und Belegschaft getragen werden muss, um die eingehenden Reaktionen konstruktiv zu verwerten. Über die bereits vor der Lancierung unternommenen, internen Anstrengungen, aber auch über anhaltende Sensibilisierung und Verankerung wird hierfür das notwendige, nachhaltige Fundament geschaffen.

Die WIR Bank hat sich als Unternehmen über den Fokus auf die Marke mit strategischer Weitsicht eines Instrumentariums bedient, das auf vielschichtige Weise für Orientierung und Wirkungsoptimierung sorgt. Intern dient sie der Entwicklung von Kultur und Unternehmenspersönlichkeit, extern für die Verknüpfung von Werteprofil und Angebot. Dies, um die zur Unternehmensmarke passenden und somit «richtigen» Kunden zu gewinnen und sie über das Einlösen des Markenversprechens immer aufs Neue in ihrer Wahl zu bestätigen. Die ersten Schritte auf diesem komplexen Weg konnten von der WIR Bank bereits mit erfreulichen Ergebnissen gemacht werden. Bis zur Zielerreichung von Repositionierung und Rebranding wird es selbstverständlich noch dauern. Auf dem bestehenden Fundament besitzt jedoch die von Management und Belegschaft geforderte Geduld ihre klare Berechtigung.

Porträt