Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Die optimale Betriebsgrösse?

Häufig werden Fragen nach der «optimalen Betriebsgrösse» gestellt. Ist der dahinter liegende Wunsch auch verständlich, bleibt seine Erfüllung doch Illusion.
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Zwei Jahre lang habe ich eine wöchentlich erscheinende Video-Serie zum Thema Wachstum produziert. Unter dem Titel «Five Minutes for Growth» sprach ich über wachstumsrelevante Themen und ich ermöglichte den Abonnenten, vorwiegend Inhabern, Geschäftsführern und Vor­ständen mittelständischer Unternehmen, auch, Fragen zu stellen, die im Rahmen einzelner Episoden der Videoserie ano­nym beantwortet wurden. Immer wieder trat dabei die Frage auf: «Herr Quelle, gibt es so etwas wie die optimale Betriebsgrösse und wenn ja, wie kann ich sie berechnen beziehungsweise erhalten?»

Der Wunsch nach Sicherheit

Ich bin die Antwort stets schuldig geblieben, denn so etwas wie die «optimale Betriebsgrösse» gibt es nicht. Zumindest habe ich keine Vorstellung davon, wie sie aussehen sollte, auch dann nicht, wenn wir in einzelne Branchen, Umsatz- oder Ertragssituationen oder Grössencluster von Unternehmen hineinzoomen. Meine Kollegen und ich haben darauf keine Antwort. Natürlich kann man der Beantwortung dieser Frage situationsspezifisch und bezogen auf genau ein Unternehmen näherkommen, aber selbst die Berechnungen am konkreten Unternehmen sind noch zu vielen Einflussfaktoren unterlegen, so dass der Wunsch nach dieser optimalen Betriebsgrösse wohl eine Illusion bleiben wird.

Verständlich ist der Wunsch gleichwohl, denn dahinter steht der Wunsch nach Sicherheit. Eine vermeintlich optimale Betriebsgrösse schüfe eine hohe Effizienz, vielleicht sogar – gute Mitarbeiter- und Produktqualität vorausgesetzt – eine hohe Effektivität, optimale Kosten, hohe Erträge, einhergehend eben mit einer hohen Sicherheit. Diese Sicherheit indes gibt es auch nicht. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unternehmerisches Tun stets mit Unsicherheit und Risiko einhergeht. Schade.

Wachstum entsteht durch eine bessere Leistung, nicht durch geringere Kosten.

Schade? Vielleicht ist dies gar nicht so bedauerlich, wie es zunächst scheint. Schauen wir einmal auf die Gründe, derenthalben die «optimale Betriebsgrösse» als illusorisch erscheint, kommen wir unmittelbar in den Bereich der (Wachstums-) Strategie, denn diese zielt auf die Zukunft ab, während der Wunsch nach optimaler Betriebsgrösse eher auf die Gegenwart zielt.

Wenn wir also Unsicherheit als gegeben akzeptieren, ist das Thema «optimale Betriebsgrösse» plötzlich gar nicht mehr so relevant. Überdies zielt der Wunsch nach einer solchen optimalen Betriebsgrösse interessanterweise sehr häufig nur auf die Kosten. Selten wird die Frage nach der optimalen Betriebsgrösse in Zusammenhang mit Leistung gebracht. Wachstum aber entsteht durch eine bessere Leistung, durch ertragreichere innovative Produkte, nicht durch geringere Kosten.

Um die sogenannte optimale Betriebsgrösse zu errechnen, wären auch zu viele Faktoren zu berücksichtigen. Was wollen wir denn optimieren? Die Anzahl der Mitarbeiter, weil Personalkosten so hoch sind, dass wir hier rechtzeitig einbremsen wollen? Oder ist es die Anzahl der Produkte und Dienstleistungen? Oder die Anzahl der Kunden, die Anzahl der anzunehmenden Aufträge oder ...? Nein, die Frage nach der optimalen Betriebsgrös­se lenkt vom Wesentlichen ab. Sie lenkt ab von der wichtigen Frage «Welche Strategie verfolgen wir und was tun wir, um diese Strategie konsequent in Richtung unserer verabschiedeten Vision zu realisieren?»

Die Antwort auf diese Frage ist meist nicht kurz und die aus den Antworten entstehenden Konsequenzen sind meist umfänglich, komplex und nicht immer vernünftig. So kann es für einen Leistungsführer oder für ein Unternehmen, das zumindest die Leistungsführerschaft als Grundstrategie in seinem Marktsegment für sich definiert hat, durchaus probat sein, Mitarbeiter sozusagen «vorzuhalten», die sich noch nicht über die Auslastung «rechnen». Dies kann dann sinnvoll sein, wenn das Unternehmen einen wesentlichen Nutzen dadurch schafft, in seiner Grundstrategie als Leistungsführer möglichst flexibel auf Kundenwünsche einzugehen – und dabei natürlich nicht vergessen darf, sich diese hohe Flexibilität auch hinreichend vergüten zu lassen, etwas, das gerne vergessen wird. Plötzlich werden zusätzliche (Personal-)Kapazitäten erforderlich, welche man nicht einfach schaffen kann, ausser die Mitarbeiter sind bereits im Unternehmen. Gleiches gilt im Übrigen für Produktionskapazitäten eines Leistungsführers. Auch Innovationsführer müssen in diese Richtung denken.

Die Betriebsgrösse ist an der Strategie, den Kundenbedarfen und der beabsichtigten Leistung auszurichten.

In meinem Unternehmen – wir verfolgen die Grundstrategie der Leistungsführerschaft – haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir etwa zwei Jahre benötigen, um einem Junior-Berater aktiv intern zur Seite zu stehen, so dass er zu einem «echten» Managementberater wird. Folglich haben wir meist mehr Berater, als wir hätten, würden wir auf striktes Kostenmanagement schauen. Betriebswirtschaftlich lässt sich dies oft nicht in einem Geschäftsjahr messen. Über die Zeit hinweg aber lässt sich die Richtigkeit dieses Vorgehens sehr wohl auch an Zahlen ablesen, denn einige Mandate hätten wir gar nicht bekommen, wenn wir nicht schon eine gut ausgebildete Mannschaft in ein Projekt einbringen könnten. Ebenso wird es vielen anderen Leistungsführern gehen, wollen sie lukrative Aufträge für solvente Kunden bekommen. Vielleicht ist das dann die «optimale Betriebsgrösse»? Ich glaube aber nicht, dass dies mit dem Begriff gemeint ist.

Der Begriff der «optimalen Betriebsgrösse» wird zunehmend weniger relevant, je mehr ein Unternehmen sich strategische Klarheit erarbeitet. Zumindest bekommt er eine andere Bedeutung. Die optimale Betriebsgrösse ist dann nämlich nicht mehr betriebswirtschaftlich exakt rechenbar – was je nach Strategie auch gar keinen Sinn ergäbe –, sondern sie definiert sich aus den angestrebt zu erfüllenden Kundenbedarfen. Zumindest für Leistungsführer gilt dies. Auch für die meisten Innovationsführer ist dies gültig, denn hat man eine Innovation als realisierungswürdig erkannt, besteht meist nicht die Zeit, die erforderlichen Ressourcen selbst aufzubauen. Rechenbarer wird es beim Kostenführer, der seine Prozesse stramm auf Effizienz trimmt und der, da er idealerweise nahezu ausschliesslich Standardprozesse und -leistungen anbietet, damit die Organisation auch auf höchste Effizienz trimmen wird. Aber auch in diesem Fall habe ich keine kluge Antwort auf die optimale Betriebsgrösse.

Während der Versuch, eine sogenannte optimale Betriebsgrösse zu erzielen, also meist auf dem Wunsch basiert, eine rechenbare Grösse zu schaffen, möchte ich dafür werben, die Betriebsgrösse an der Strategie, den Kundenbedarfen und der beabsichtigten Leistung auszurichten. Auch dies ist ein Argument dafür, lieber höhere Preise und damit höhere Margen zu erzielen, als sich gnadenlos in den Preiswettbewerb zu werfen, innerhalb dessen wir zusätzliche Ressourcen, seien es personelle oder maschinelle, kaum rechtfertigen können. Es wird immer jemanden geben, der Leistungen billiger anbieten kann als man selbst. Soll dieser sich dann mit der optimalen Betriebsgrösse beschäftigen. Wir anderen machen unsere Kunden lukrativ glücklich.

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