Strategie & Management

Interkulturelle Kompetenz

Die Kunst, den Geschäftspartner zu verstehen

Seit zwei Jahren hat die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit China. Doch für viele Firmen gestaltet sich der Markteintritt schwierig, weil Partner aneinander vorbeireden und Abmachungen ins Leere laufen. Hier hilft interkulturelle Kompetenz, um aus den Handelspartnern Geschäftspartner für einen erfolgreichen Markteintritt zu machen.
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China ist ein Markt, der grosse Hoffnungen weckt und zur gleichen Zeit grosse Hindernisse bereithält. Wer blind in Geschäftsverhandlungen einsteigt, erlebt häufig Enttäuschungen. Ein Beispiel hierfür: Ein Finanzinstitut in der Schweiz plant die Markteinführung eines neuen Produkts auf dem chinesischen Markt. Sabine, eine Schweizer Business-Managerin, zuständig für den chinesischen Markt aus Hong-Kong, leitet die Projektorganisation. Sie soll Regierungsvertreter, Regulatoren und Schweizer Manager der Hong-Konger Niederlassung der Bank an einen Tisch bringen. Die Verhandlungen über die Produkteinführung gestalten sich zäh.

Im Verlaufe der Konferenzschaltungen scheint es Übereinkünfte zu geben, die zwar nicht ausdrücklich sind, aber auch nicht explizit abgelehnt werden. Die konkreten und detaillierten Umsetzungsschritte, die Sabine ausarbeitet, werden jedoch von chinesischer Seite nicht eingehalten. Für Sabine wird es zunehmend schwieriger, Zwischenziele einzuhalten. Sie fühlt sich von den Schweizer Managern mehr und mehr unter Druck gesetzt, da diese eine korrekte Einhaltung der Abmachungen fordern. Die chinesischen Vertreter wiederum reagieren nach einiger Zeit weder auf E-Mail- noch auf telefonische Anfragen. Das strategisch überaus wichtige Projekt droht zu scheitern.

Kulturbedingte Unterschiede

Solche und ähnliche Situationen habe ich in meiner Rolle als Business-Managerin für die Region Greater China in einer Schweizer Grossbank erlebt. Vielleicht haben sich einige andere global tätige Projektverantwortliche bei der Lektüre dieses Fallbeispiels ebenfalls mit ähnlichen Erfahrungen wiedergefunden. Für mich war es damals zentral, herauszufinden, welche Faktoren zu den Missverständnissen und der letztendlichen Eskalation einer solchen Situation beitragen konnten.

Ein grundlegendes Element interkultureller Zusammenarbeit ist das unterschiedliche Sozial- und Kommunikationsverhalten in verschiedenen Kulturen. Durch die Zusammenarbeit mit ostasiatischen Kolleginnen und Kollegen, die in der Schweiz arbeiteten, war mir bereits bewusst, wie wichtig das familiäre und soziale Umfeld als Grundlage ihrer Entscheidungen und auch ihrer Kommunikation war. Ich habe es selbst sehr geschätzt, als Teil ihrer Gruppe privat eingeladen zu werden und auch über das Geschäft hinaus Zeit mit ihnen und ihren Familien verbringen zu können. Eine Einbindung in für mich als privat wahrgenommene Lebensbereiche der Arbeitskollegen beruhte jedoch nicht nur auf der freundschaftlichen Verbundenheit Einzelner. Es war auch ein wichtiger Bestandteil asiatischer Geschäftskultur. Das wurde mir erst bewusst, als ich für die gleiche Firma beruflich in Hong-Kong eingesetzt wurde.

Kulturdimensionen einbeziehen

Das Spektrum, in dem sich Kulturen bewegen können, wird von Hofstede (2001) oder auch Trompenaars (2010) von individualistisch bis hin zu kollektivistisch bezeichnet. Diese Kulturdimensionen geben Aufschluss darüber, inwieweit das soziale Beziehungsgefüge eine verpflichtende Relevanz für Menschen der je­weiligen Kultur hat (siehe Abb. 1). Im Kollektivismus verstehen sich Menschen als Mitglieder von sozialen Gruppen wie Familien oder Organisationen, mit denen sie ihre persönlichen Ziele in Einklang bringen. Vertreter im Individualismus nehmen sich primär als autonome Individuen wahr. Sie verfolgen ihre Interessen unabhängig von denen ihrer Gruppe.

Arbeitnehmer in sehr individualistisch geprägten Kulturen, wie zum Beispiel in vielen westeuropäischen Ländern oder den Vereinigten Staaten, trennen klar zwischen ihrem Arbeits- und ihrem privaten Umfeld. Sie vermischen beide Lebensbereiche eher ungern. In den kollektivistisch geprägten Kulturen hingegen gehen beide Lebensbereiche häufig fliessend ineinander über.

Das ist für das Zustandekommen von Vertrauen und beruflichen Vereinbarungen in diesen Kulturen unerlässlich. Dabei ist es notwendig, dass eine Generalisierung von Kulturmerkmalen sensibel gehandhabt wird, um nicht in eine unangemessene sowie wenig hilfreiche Stereotypisierung zu kippen. Auch wenn es beobachtbare Gemeinsamkeiten in einer Gruppe gibt, verhält sich jeder Mensch wieder anders. Der Einbezug von Kulturdimensionen dient daher mehr der Perspektivenerweiterung und sollte nicht in eine Be- oder sogar Verurteilung fremdkulturellen Verhaltens nach westlichen Massstäben rutschen.

Falsche Annahmen

Wenn wir den Fall von Sabine aus dem eingangs beschriebenen Fallbeispiel unter dem Aspekt individualistischer oder kollektiver Kulturen anschauen, war es sicher wenig hilfreich, mit einer rein projektbasierten Vorgehensweise westlichen Standards den Zugang zu den asiatischen Partnern zu suchen. Hier wäre für das Zustandekommen gegenseitigen Vertrauens der soziale Austausch, möglichst mit einem persönlichen Kennenlernen über die berufliche Rolle hinaus, eine wichtige Investition zu Beginn der Zusammenarbeit gewesen. Meiner Erfahrung nach profitiert nicht nur die Geschäftsbeziehung von dieser sozialen Komponente, sondern zudem jeder Geschäftspartner für sich durch ein geschärftes gegenseitiges kulturelles Verständnis.

Erfolgsfaktor Kommunikation

Eine andere Ebene, die im Fallbeispiel einen wichtigen Einfluss hatte, ist die Frage der Kommunikation. Sabine hatte aufgrund der nicht expliziten Ablehnung während der Gespräche angenommen, dass die Beteiligten sich den Massnahmen gegenüber auch verpflichtet fühlen würden. Die entsprechenden Handlungen folgten aber nicht. Ganz im Gegenteil: Es kam zu unterschwelligem Widerstand bei den chinesischen Vertretern bei einem gleichzeitig erhöhten Druck auf der Schweizer Seite. Ein Aspekt dieses Missverständnisses ist das kulturell unterschiedliche Kommunikationsverhalten beider Seiten.

Nach Hall (1990) ist eine «low context»-Kultur von einer direkten Kommunikationsweise geprägt (siehe Abb. 2). Hier wird versucht, alle notwendigen Elemente einer Botschaft sprachlich explizit auszudrücken. In einer Kultur mit «high context» oder indirekter Kommunikation werden elementare Botschaften auch implizit, nonverbal und als Teil der Gesprächssituation vermittelt. Unterschiede finden sich auch in Tempo, Rhythmus und Synchronizität der Sprechweisen.

So wurden auch in Sabines Fall von der chinesischen Seite Botschaften gesandt, die zwar nicht verbal explizit zum Ausdruck gebracht wurden, die sich aber aufgrund des «Nicht-Gesagten» einem Partner dieses Kulturkreises mit dem Wissen um die bestehenden Rollen, Status und Beziehungen zwischen den Sprechern erschlossen hätten. Hinzu kommen jene Informationsverluste, welche sich aus dem Gebrauch von Englisch als Lingua franca ergeben. Die im internationalen Geschäft oft übliche virtuelle Kommunikation über Telefon- beziehungsweise Videokonferenzen erschwert das gegenseitige Verständnis zusätzlich.

Andere Kulturen integrieren

Sabine hätte einen Grossteil der erlebten Frustration vermeiden können, wenn sie an ihrer Seite einen chinesischen Partner gehabt hätte, der sie bei der Decodierung wie auch der kulturadäquaten Versendung der Botschaften unterstützt hätte. Auch das Einberufen physischer Treffen mit allen Beteiligten, um den Bedürfnissen und Erwartungen von Vertretern kollektivistischer «high context»-Kulturen begegnen zu können, wäre eine hilfreiche Unterstützung gewesen.

Grundsätzlich ist eine sensible Annäherung an Vertreter des anderen Kulturkreises und eine wertfreie, respektvolle Grundhaltung angemessen. Durch Vorinformationen über kulturelle Gegebenheiten im Zielland, den offenen Austausch mit Partnern, die mit westlichen Verhaltensweisen (und damit auch mit einer direkteren Feedback-Kultur) vertraut sind, wie auch durch fortwährende Überprüfung der Wirkung des eigenen Handelns ist ein guter Grundstein für erfolgreiche Geschäfts- und private Beziehungen gelegt.

Eine interessante Erfahrung im beruf­lichen Austausch mit den internationalen Partnern ist, dass selbst das beste Wissen und die beste Vorbereitung interkultureller Situationen noch keinerlei Aussage darüber erlauben, ob das Handeln in dem anderen Kulturkreis tatsächlich als adäquat wahrgenommen wird. So habe ich mich selbst immer als global versiert, kulturell offen, interessiert sowie vorurteilsfrei wahrgenommen. Die­se Selbstwahrnehmung täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass ich so manche Fallgrube von fremdkulturellen «No-Gos» genommen habe, oftmals, ohne mir dessen überhaupt bewusst zu sein.

Eine erlernbare Kompetenz

Um das eigene Verhalten in interkulturellen Kontexten zu reflektieren, bietet das Entwicklungsmodell der interkulturellen Sensibilität nach Bennett und Bennett aus dem Jahr 2004 eine praxisorientierte und übersichtliche Grundlage (siehe Abbildung 3). Die beiden Autoren unterteilen die Entwicklung der interkulturellen Kompetenz in zwei Phasen mit jeweils drei Entwicklungsstufen. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass interkulturelle Kompetenz erlernbar ist und die Lernphasen charakteristische Merkmale aufweisen.

In der ethnozentrischen Phase wertet ein Mensch die eigene Kultur als zentral für die Wahrnehmung von Realität. Der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen weicht er in der Regel aus. Auf der ers­ten Stufe dieser Phase, der Stufe der Ne­gierung, wird das kulturelle Gegenüber (Personen sowie Kulturgüter) als unbedeutsam oder unterlegen wahrgenommen. Auf dieser Stufe findet keine Dif­ferenzierung zwischen verschiedenen kulturellen Ausprägungen statt. Auf der Stufe der Abwehr wird zwischen verschiedenen Kulturen differenziert, wobei deren Komplexität und Bedeutsamkeit immer noch als unterlegen der eigenen Kultur gegenüber gewertet werden.

Die Stufe der Minimierung beinhaltet die Erkenntnis, dass im Umgang mit anderen Kulturen gewisse Verhaltensnormen eingehalten werden müssen. Auch auf dieser Stufe herrscht aber die Grundüberzeugung vor, dass «im Grunde alle gleich sind». In der ethnorelativen Phase hat ein Mensch bereits die Fähigkeit geschärft, die eigene Kultur im Zusammenhang mit anderen Kulturen zu erleben und ihnen offen und respektvoll zu begegnen. Der kulturelle Austausch wird hier bewusst gesucht.

Auch diese Phase umfasst drei Stufen: Die erste ist die Stufe der Akzeptanz. Auf dieser Stufe wächst das Verständnis darüber, dass es zwar viele verschiedene kulturell geprägte, aber doch gleichwertige Referenzpunkte im Umgang miteinander gibt. Es besteht der Wunsch, andere Kulturen zu verstehen. Der Schritt zur Stufe der Adaptierung passiert, wenn sich eine Person in fremdkulturellen Umfeldern adäquat verhalten kann, wenn sie also multiperspektivisch unterwegs ist. Aus dem in dieser Phase erlernten Wissen wird intuitiv angemessenes Verhalten. Auf der finalen Stufe der Integration verändert sich dann auch die kulturelle Identität der Person. Sie integriert Elemente verschiedener Kulturen und lässt kulturellen Reichtum und Offenheit zu, hat aber gleichzeitig auch Mut für die Herausforderungen multikultureller Erfahrungen.

Fazit

Kulturelles Lernen findet also auf verschiedenen Ebenen statt. So kann sich eine Person aufgrund enger Freundschaften mit Partnern anderer Kulturen im privaten Umfeld durchaus auf der Stufe der Adaptierung bewegen, während sie im beruflichen Kontext in die Minimierung («Im Projekt wollen wir alle doch im Grunde genommen das Gleiche – erfolgreich das Ziel erreichen») oder sogar in die Abwehr zurückfallen kann («Sich gut verstehen ist ja nett, aber eine effiziente Projektorganisation braucht klare Strukturen und die Verpflichtung, die zeitlichen Vorgaben einzuhalten»).

Für eine persönliche Entwicklung im interkulturellen Umfeld bleibt es daher unerlässlich, den kulturellen Unterschieden mit Offenheit, Neugier sowie Respekt vor der Andersartigkeit zu begegnen. Meiner Erfahrung nach ermöglicht der Wunsch sowie der Wille, in einem fremdkulturellen Kontext immer wieder Dinge auszuprobieren, zu reflektieren und neues Verhalten zu testen, nicht nur den beruflichen Erfolg, sondern ebenso auch das persönliche Wachstum.