Strategie & Management

Markenführung

Die Kraft der Marke – auch und vor allem im Mittelstand

Immer noch sind mit dem Begriff der Marke eine Reihe von Irrtümern verbunden. So ist eine Marke weder ein technischer Begriff noch sollte sie auf Marketing reduziert werden. Vielmehr ist eine Marke ein Leistungsversprechen und ein Vehikel, um die Wachstumsstrategie zu beschleunigen.
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«Marke? Brauchen wir nicht. Wir machen lieber neue Produkte.» «Marke? Das macht bei uns das Marketing.» – Mit diesen und vergleichbaren Statements ist der Begriff der Marke im Mittelstand in bester Gesellschaft mit manch anderem Begriff der Unternehmensführung, wie zum Beispiel dem Begriff der Strategie. Genau dort, bei diesen Statements, beginnt der Fehler, oder sagen wir besser: Der Irrtum.


Fünf Irrtümer


Erstens: Der Begriff der Marke wird zu einem technischen Begriff degradiert. Zweitens: Die Marke wird dem Marketing zugeschoben. Im Sinne von: «Sollen die doch bunte Bildchen malen.» Drittens: Die Marke wird ausschliesslich auf die Produkte bezogen. Dienstleistungen werden dabei gerne ignoriert. Viertens: Das Unternehmen als Marke wird verges­sen. Und fünftens: Es wird ausschliesslich der Kunde als Adressat von «Marke» gesehen.

Schauen wir uns die Irrtümer der Reihe nach an, benötigen wir zunächst eine vernünftige Arbeitsversion eines Rahmens dessen, was unter Unternehmensführungs-Perspektive unter «Marke» zu verstehen ist. Vereinfacht gesprochen, ist Marke das, was Mitarbeiter und Kunden und andere Beteiligte über Produkte, Dienstleistungen und das betreffende Unternehmen sagen, wenn niemand aus der Unternehmensführung zugegen ist. Jawohl, das ist vereinfacht, kommt aber auf den Punkt.

Dabei ist eine Marke ein regelhaft abrufbares Leistungsversprechen; der Kunde kann sich darauf verlassen, dass er stets den gleichen Wert erhält. Marke ist ein Vehikel, um die (Wachstums-)Strategie zu beschleunigen und sie wirksamer werden zu lassen. Man kann auch ohne gezielt entwickelte Marke wachsen, aber es dauert länger; ohne Marke gerät Wachstum schneller zum Zufall.


Irrtum Nummer 1: Marke ist in erster Linie Technik
Nehmen wir den obigen definitorischen Rahmen einmal als richtig an, wird klar, dass der erste Irrtum – Marke wird auf technische Dinge reduziert – gefährlich ist, denn Strategie und Unternehmensführung sind mitnichten technische Dinge. Begriffe wie «Markentechnik» legen etwas Falsches nahe, denn es geht nicht um Technik, es geht um Führung. Aber selbst der Begriff der Markenführung wird oft missverstanden. Hier ist «Führung» zu betonen. Es geht darum, durch Führung dafür Sorge zu tragen, dass die Marke gelebt und nicht nur deklariert wird.


Irrtum Nummer 2: Marke gehört ins Marketing
Damit sind wir bereits beim zweiten Irrtum: Wer die Marke dem Marketing überlässt, handelt mindestens fahrlässig. Mag es in Unternehmen mit einer extrem hohen Anzahl an Markenartikeln noch empfehlenswert sein, für jedes Produkt ein Produkt-Marketing einzusetzen, darf dabei nicht vergessen werden, dass auch jedes Produkt in diesen Unternehmen einer strengen Vorgabe folgt und dass jedes Produkt-Marketing der Strategie folgen muss. Ausserdem sprechen wir in diesem Beitrag nicht über Procter & Gamble, Nestlé oder Unilever. Speziell im Mittelstand gilt: Selbst das Produktmarketing, mindestens aber der Rahmen für dasselbe gehört auf die Ebene der Unternehmensführung. Man überlasse die Marke nicht dem Marketing. Marketing ist nicht der strategische Kopf eines Unternehmens.

Irrtum Nummer 3: Marke ist nur für Produkte wichtig
Der Terminus «Produktmarketing» ist gängig, aber der Begriff «Dienstleistungsmarketing» kommt uns gewöhnlich wesentlich schwerer über die Lippen. Warum eigentlich? Bedürfen Dienstleistungen keiner strategischen Kontur? Müssen sie sich nicht auch aus der Strategie ableiten und diese mit einer katalysierenden Wirkung versehen? Der dritte Irrtum, also. Denn: Selbstverständlich müssen, sollen und dürfen Dienstleistungen aus Sicht der Marke betrachtet werden. Sie werden bei der Diskussion um Marke aber regelhaft vergessen. Kommen wir aber zurück auf die obige Arbeitsversion eines Markenverständnisses – hier insbesondere: regelhaft abrufbares Leistungsversprechen –, wird unmittelbar deutlich, dass dies für Dienstleistungen ebenso gilt wie für Produkte. Auch für produktbegleitende Dienstleistungen, unabhängig, ob sie vergütet werden oder nicht, gilt dies. Hier seien Verkauf, After Sales, technischer oder informatorischer Service genannt. Selbst reine Konsumgüterhersteller, wie die genannten, tun gut daran, wenn sie ihren Service – und auf fast jedem Produkt ist irgendeine Hotline-Nummer oder Mailadresse vermerkt – mit ihrem Markenversprechen abgleichen. Was wir als Konsumenten mitunter erleben, lässt den Verdacht nahelegen, dass dieser Forderung nicht allzu häufig Rechnung getragen wird. Was würden Dienstleistungsunternehmen tun, wenn Dienstleistungen nicht auch markenrelevanten Betrachtungen unterlägen?
 

Irrtum Nummer 4: Das Unternehmen ist keine Marke
Der vierte Irrtum ist besonders bedeutsam, denn zu selten verstehen Unternehmen – und hier ist tatsächlich ein erhebliches Defizit im Mittelstand zu entdecken – das eigene Unternehmen als Marke. Dies ist nicht nur inhaltlich schade, sondern unternehmerisch gefährlich, denn Kunden und Mitarbeiter tun dies sehr wohl: Sie sehen das Unternehmen als Ganzes – und wir sprechen bitte wieder nicht von P & G, Nestlé, Unilever und all den anderen Multi-Markenartiklern, wobei selbst diese sich schrittweise wieder daran erinnern, dass die Unternehmensmarke durchaus Wertschöpfung betreiben kann, aber das wäre einen weiteren Beitrag wert. Im Mittelstand aber ist es unerlässlich, die Unternehmensmarke zu pflegen. Um es vorwegzunehmen: Dies gilt auch und insbesondere für Unternehmen im B2B-Geschäft. Ein Grund dafür ist, dass Mitarbeiter, Kunden und andere Stakeholder aus dem Unternehmen sowieso eine Marke gemäss der Eingangsdefinition machen. Man ist Marke, ob man will oder nicht, und wenn man sich nicht um die Unternehmensmarke kümmert, tun es die Stakeholder. Fatal.


Irrtum Nummer 5: Marke zielt nur auf den Kunden
Womit wir beim fünften Irrtum wären, denn mitnichten ist es nur der Kunde, der durch die Marke adressiert wird. Es sind alle Stakeholder und hier zu nennen sind insbesondere die Mitarbeiter. Womit, bitte, sollen sich Mitarbeiter identifizieren, wenn nicht mit dem, was das Unternehmen regelhaft, nachvollziehbar, wiederholbar verkörpert? Ungewollte Fluktuation und mangelnde Identifikation der Mitarbeiter mit «ihrem» Unternehmen ist bei Unternehmen, die sich entweder nicht markenkonform verhalten oder welche die Themen Strategie und Marke nicht regelhaft und systematisch angehen, beobachtbar höher als bei Unternehmen, die sich das Thema «Marke» auf die Fahne geschrieben haben.

Wie aber kann ein vor allem mittelständisches Unternehmen sich dem Thema «Marke» nähern? Wie kann «Marke» mit den Mitarbeitern geteilt werden? Marke ist keine Basisdemokratie, sondern eine strategische Festlegung, aber Teilhabe an der Marke und Weiterentwicklung der Marke ist essenziell.

Die individuelle Markenrelevanz


Die Marke nimmt im unternehmensstrategischen Kontext eine besondere Rolle ein. Hat die Unternehmensführung eine klare Markenkontur definiert, ist neben der elementar wichtigen strategischen Klarheit auch ein Instrument geschaffen, das hervorragend geeignet ist, um Energien im Unternehmen zu bündeln, Entscheidungen auf Mitarbeiterebene eine einheitliche Ausrichtung zu geben und einfache Leitplanken zu installieren, die einen klaren Fokus in der Aussen- und Innenwirkung mit sich bringen.


Der Markenkern als Entscheidungsparameter
Wie definiert, verstehen wir Marke als ein Vehikel für Wachstum. Die strategische Grundausrichtung beschreibt in diesem Bild den Weg hin zur unternehmerischen Vision. Kennen wir also das Ziel – die Vision – wissen, welche Strecke wir nehmen – haben unsere Grundstrategie definiert – und mit welchem Vehikel – welcher Marke – wir unterwegs sind, wird sofort deutlich, welche Möglichkeiten, aber auch welche Restriktionen bestehen. Vereinfacht gesprochen: Möchte ich die Autobahn nehmen und reise mit einem Kleinwagen oder habe ich den Wasserweg gewählt und bin mit einem Binnenschiff oder mit einem Schlauchboot unterwegs? Auf dem Schlauchboot kann ich nicht alles mitnehmen – aber ich komme an ganz andere Orte als mit dem Binnenschiff.

Genauso funktioniert es mit der Marke. Ist im Unternehmen definiert und verstanden, wofür die Marke steht, fällt es sehr viel leichter, Entscheidungen im Sinne des Unternehmens zu treffen, denn die Marke gibt automatisch Leitplanken vor und eine Vielzahl an Handlungs- oder Entscheidungsmöglichkeiten kann direkt ausgeschlossen werden.

Das zentrale Element hierbei ist der Markenkern. Wir definieren den Markenkern als die Identität der Marke und ein klares Differenzierungsmerkmal zum Wettbewerb. Häufig ist der Markenkern unbewusst bekannt, aber nicht festgehalten und kommuniziert, denn er liegt in der DNA des Unternehmens und bildet sich aus dessen Herkunft, Verhaltensweisen, Produkten und Dienstleistungen und erfasst das gesamte Unternehmen in einem Begriff. Der Markenkern muss für Externe nicht direkt sichtbar sein, aber jegliches Verhalten und jegliche Handlung sollten sich aus ihm ableiten, um den Kern wiederum zu stärken. Um den Markenkern herum sammeln sich rationale und emotionale Attribute der Marke, wie Nutzenaspekte, Kompetenzen und einzelne Leistungen, die in drei bis maximal vier Clustern zusammengefasst werden sollten. Diese Cluster beschreiben, auf welche Art und Weise der Markenkern spürbar wird.

Ein Beispiel aus der Reisebranche: Nehmen wir an, Lufthansa und TUI verfügen über eine neue Flotte und wollen dies kommunikativ aufbereiten. Die Lufthansa steht dabei für den Markenkern «Komfort und Sicherheit» und die TUI für «Lächeln». Diese Markenkerne helfen enorm dabei, die passende Kommunikation auszuwählen. Die Lufthansa würde zum Beispiel die Beinfreiheit und den Einbau der absolut neuesten Technologien in den Vordergrund stellen, während die TUI möglicherweise auf das abwechslungsreiche Entertainmentprogramm an Bord und die schönen Destinationen hinweist.

Gemeinsames Durchdeklinieren
Ist der Markenkern definiert, ist es Führungsaufgabe, diesen gemeinsam durchzudeklinieren und nicht an Irrtum Nummer eins anzuknüpfen, denn ohne dass die Führung dafür Sorge trägt, dass der Markenkern auch verstanden und verinnerlicht ist, ist nichts gewonnen. Durchdeklinieren bedeutet dabei, dass in jeder Abteilung und für jeden Arbeitsplatz herausgearbeitet wird, was der Markenkern genau für diese Abteilung und diese Person individuell bedeutet – und zwar nicht für eine Abteilung, sondern gemeinsam mit dieser.

Wir haben kürzlich einen Markenkern mit einem mittelständischen Unternehmen erarbeitet. Der Markenkern lautete Lösung, die Cluster um ihn herum lauteten Umsetzungsqualität, Lösungskompetenz, Full Service und aktive Partnerschaft. Damit dies keine generischen Begriffe bleiben, die wie viele Leitbilder in einem Rahmen verstauben, heisst es jetzt, gemeinsam zu erarbeiten, was das für wen sehr konkret bedeutet, und auch herauszuarbeiten, wo heute noch nicht markenkonform gehandelt wird. Das Unternehmen verbindet mit seinem Markenkern der absolut flexibelste Dienstleister zu sein, seine Kunden auf Stolpersteine aktiv hinzuweisen, was bedeutet, auch einen Schritt voraus zu sein und anzukündigen, wenn Probleme auftauchen könnten, und nicht abzuwarten, bis der Kunde mit einem Problem anfragt. Es bedeutet aufgeschlossen, pünktlich, konstruktiv und lösungsorientiert zu sein, niemanden mit seinen Herausforderungen alleine zu lassen und vielerlei Dinge mehr. Es fällt leicht, sich vorzustellen, dass dies in der IT-Abteilung eine ganz andere Diskussion ausgelöst hat als in der Produktion oder dem Vertrieb und genau diese Diskussion führt dazu, Mitarbeiter an der Marke teilhaben zu lassen, die Marke zu verstehen und gleichzeitig Entwicklungsmöglichkeiten und Innovationen aufzudecken.


Realisierungsrahmen schaffen
Besteht in der Unternehmensführung Klarheit über Vision, Grundstrategie und Markenkern, ist dies ein hervorragender Rahmen, um die Marke konkret zu machen, die Mannschaft daran mitarbeiten zu lassen und nicht nur pro forma etwas vorzustellen, das im Tagesgeschäft wieder vergessen wird. Denn der Nutzen ist für jeden direkt greifbar. Jeder Mitarbeiter gewinnt an Sicherheit, richtig zu handeln und im Sinne der Unternehmensführung und im Sinne des Kunden eine starke Marke aufzubauen.

Ideal ist es, sich als Nächstes Mitstreiter der zweiten Führungsebene zu suchen, die den Markenkern ihrem Team näherbringen können. Nach einer Vorstellung des Rahmens sollte Zeit gegeben werden, um sich ganz handfest mit der Frage auseinanderzusetzen: Was bedeutet der Markenkern für mich und meinen Arbeitsbereich?

Man stellt fest, was heute alles bereits hervorragend im Sinne der Marke abläuft, und stösst auf Themen, die Optimierungspotenziale bieten und heute möglicherweise noch die Marke schwächen oder gar konterkarieren. Denn erinnert man sich noch einmal an den Markenkern von TUI «Lächeln», würde das auch bedeuten, dass zum Beispiel jemand, der sich telefonisch beschweren möchte, ein Gespräch lächelnd beendet und auch zwischen den Abteilungen im Unternehmen ein sehr positives Arbeitsklima herrscht. Es ist wichtig, alle Aspekte und Massnahmen, die sich aus der Diskussion heraus ergeben, festzuhalten und sicherzustellen, dass diese nachgehalten und erledigt werden. Wir haben gute Erfahrun­gen damit gemacht, ein schlankes Realisierungsprojekt zu planen, in dem die unterschiedlichen Initiativen pro Abteilung gebündelt nachverfolgt werden – immer in Zusammenarbeit mit der Abteilung. Die grundsätzliche Projektorganisation kann sehr gut im Marketing angesiedelt werden. Apropos Marketing: Wenn wir Marke als das definieren, was andere über ein Unternehmen sagen, wenn die Unternehmensführung nicht im Raum ist, ist Marketing das, was das Unternehmen dafür tut, damit diese Äusserungen möglichst positiv ausfallen.

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