Strategie & Management

Nachhaltigkeit

Die grünen EU-Verordnungen und ihre Folgen

Die EU drückt aufs Gas. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, hat sie neue Regulierungen entworfen. Diese bringen Unternehmen unter anderem zusätzliche Berichterstattungspflichten und mittelfristige Konsequenzen für die Refinanzierung. Der Beitrag fasst die Ergebnisse eines Round-Table-Gesprächs zum Thema zusammen.
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Die EU beschleunigt im Bereich der Nachhaltigkeit ihre Gangart: Sie will die Kapitalströme in ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten lenken, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Dazu hat die EU unter anderem ein Klassifikationssystem (Taxonomie) aufgestellt, das nachhaltige wirtschaftliche Unternehmensaktivitäten benennt. Damit steigen die Berichterstattungs­anforderungen.

Was die EU-Regulierungen bedeuten und wo sie für die Unternehmen kritisch sind beziehungsweise Verbesserungen bringen, hat Taktkomm in einem Round-Table-Gespräch mit den Nachhaltigkeits­experten Dr. Regina Schwegler (Inrate AG) und Dr. Eckhard Plinke (Vontobel Asset Management) diskutiert. Das vollständige Round-Table-Gespräch wurde im Newsletter «Taktgeber» veröffentlicht. Dieser kann unter info@taktkomm.ch bestellt werden. 

Bereits heute berichten viele Unternehmen ausführlich über ihr nachhaltiges Engagement. Sie tun das, weil sie es aus Imagegründen wollen oder weil es von ihren Stakeholdern, namentlich von Kunden und Kapitalgebern, gefordert wird. Immer mehr Kapitalgeber stützen ihre Investitions- und Finanzierungsentscheide direkt oder indirekt auf Bewertungen von Nachhaltigkeitsanalysten ab. Während die Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Schweiz noch freiwillig ist, selbst für kotierte Unternehmen, ist sie in der EU für mittelgrosse und grosse Unternehmen bereits heute Pflicht. Mit der Konzern­verantwortungsinitiative bzw. dem Gegenvorschlag zeichnet sich ab, dass auch Schweizer Unternehmen künftig einen Nachhaltigkeitsbericht ver­öffentlichen und dabei wohl die EU-Vorgaben übernehmen müssen.

Informationsmosaik

Nachhaltigkeitsanalysten messen die nachhaltige Wirkung von Unternehmen auf die Umwelt und die Gesellschaft und bewerten sie. Relevant sind dabei unter anderem die Managementsysteme der Unternehmen, das heisst die Strategien, Prozesse und Strukturen. Im Fokus stehen aber vor allem die wirtschaftlichen Aktivitäten und deren nachhaltige Wirkung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die vom Unternehmen publizierten In­formationen sind wichtig. Doch sind sie nur ein Teil der Datenquellen, welche die Analysten nutzen. Ebenso wichtig sind externe Informationen, seien es wissenschaftliche Studien, Medienberichte oder Informationen von NGOs. «Wie ein Mosaik aus verschiedenen Informationen», beschreibt Eckhard Plinke die Entstehung der Analystenbewertung. 

«Greenwashing» mit SDGs

Viele Unternehmen nutzen für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung einen etablierten Standard. Sehr viele stützen sich dabei auf die Standards der Global Reporting Initiative (GRI) ab. Andere Unternehmen ziehen die Sustainable Development Goals (SDGs) der Uno vor oder publizieren Fortschrittsberichte nach dem UN Global Compact. Solche Standards sind hilfreich, doch vollständig ist aus Expertensicht keiner. Vor allem bei den SDGs sind sie kritisch: «Ein Nachteil der Sustainable Develop­ment Goals ist, dass es hier für Unternehmen keinen klaren Berichtsstandard gibt. Dementsprechend wird sehr viel Greenwashing betrieben», so Regina Schwegler über die oft zu selektive Sicht der
Unternehmen, wenn sie nach SDG berichten. 

Für Eckhard Plinke liegt das Problem der SDGs darin, dass es sich um politische und nicht um unternehmensspe­zifische Ziele handelt. Das führe dazu, dass Unternehmen zu vieles zu positiv darstellen würden. Die klare, stringentere Struktur von GRI sieht Eckhard Plinke als Vorteil, da Analysten und andere Interessierte die Informationen besser auffinden und vergleichen können. 
Wirkung statt Systeme

Auch Regina Schwegler findet GRI deshalb wertvoll, weist aber darauf hin, dass es je nach Sektor bei den Vorgaben, mit denen die wirtschaftlichen Aktivitäten bzw. Produkte bewertet werden sollen, grosse Unterschiede gibt: «Für den Automobilsektor zum Beispiel sind die Vorgaben relativ gut, für die Finanzdienstleister jedoch nicht.» Auch beim zentralen Prinzip der Materialität sieht sie ein Problem, da auch hier viele Unternehmen zu willkürlich festlegen, was materiell ist und was nicht. Der Berichtsstandard des UN Global Compact ist aus ihrer Sicht ebenfalls nicht stringent genug und lässt zu viel subjektiven Spielraum. Das eigentliche Problem der aktuellen Nachhaltigkeitsberichte liegt aus Sicht der Ex­perten darin, dass sie zu stark auf die Managementsysteme fokussieren. Dies kann für Investoren irreführend sein: «Nuklearfirmen oder Ölfirmen haben meist wunderbare Managementsysteme und berichten gerne darüber», so Regina Schwegler. «Aber deshalb ist ihre Wirkung auf die Umwelt und die Gesellschaft noch lange nicht positiv.» Und gerade die nachhaltige Wirkung der wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen wäre wesentlich für eine objektive Bewertung und eine nachhaltige Kapitalallokation. 

Die Ende 2019 verabschiedete EU-Taxonomie als neues Klassifikationssystem setzt hier an. Die EU will damit normieren, welche wirtschaftlichen Aktivitäten oder Produkte ökologisch nachhaltig sind. Dazu hat sie sechs Umweltziele und vier Kriterien definiert, die erfüllt sein müssen. 

In der EU-Taxonomie sollen beispielsweise klare Grenzwerte zu den CO2-Emissionen pro Umsatzeinheit oder pro Produkt definiert werden. Auch für emissionsstarke Industrien, wie zum Beispiel die Aluminiumproduktion oder die Zementindustrie. «Solche Grenzwerte sind wichtig, weil sie für alle einen einheit­lichen Benchmark setzen», ist Eckhard Plinke überzeugt.

Baustelle EU-Taxonomie

Die EU-Taxonomie wird deshalb von beiden Experten grundsätzlich begrüsst, doch mit Vorbehalten. Denn bekannt ist heute erst ein vorläufiger Arbeitsstand: Die Europäische Union hat von den sechs Umweltthemen erst die beiden klima­bezogenen Aspekte bearbeitet. «Diesen starken Fokus auf das Klima finde ich schwierig», sagt Eckhard Plinke. «Soziale Aspekte oder Governance-Themen sind noch gar nicht berücksichtigt.» 

Die beiden Nachhaltigkeitsexperten erwarten deshalb vermehrt Zielkonflikte bei der weiteren Diskussion über die Taxonomie in der EU. So ist aktuell zum Beispiel die Nuklearindustrie als politischer Kompromiss und aus Klimasicht als Übergangstechnologie für die Energiewende akzeptiert worden. 

Wenn die EU-Taxonomie um die anderen Themenbereiche erweitert wird, werden wohl bereits getroffene Entscheidungen wieder infrage gestellt. Zudem muss eine Lösung dafür gefunden werden, wie mit Zielkonflikten umgegangen wird. «Ich frage mich, ob das Ganze dann nicht an seine Grenzen stösst», meint Regina Schwegler. 

Grüne Umsatzzahlen

Andererseits ermöglicht die EU-Taxonomie eine aus Sicht der Experten begrüs­senswerte Verschärfung der Berichterstattung für Unternehmen. Künftig sollen diese nämlich berichten, wie viel Prozent Umsatz sie mit welchen grünen Aktivitäten gemäss EU-Taxonomie erwirtschaften. «Wir erhalten dann eine klare Antwort auf die Frage, wie viel Prozent Umsatz ein bestimmtes Unternehmen in grünen Technologien erwirtschaftet. Heute behauptet jedes zweite Unternehmen, es sei darin stark, ohne dass wir das wirklich überprüfen können, weil es nicht sauber quantifiziert und transparent kommuniziert wird», so Eckhard Plinke. Über kurz oder lang dürfte diese zusätzliche Berichterstattungspflicht, die mit einer Revisionspflicht der entsprechenden Umsatzzahlen gekoppelt sein dürfte, wohl auch für mittlere und grosse Schweizer Unternehmen gelten. 

Der EU-Fahrplan sieht vor, dass schon ab März 2021 die erweiterten Berichterstattungspflichten für EU-Unternehmen gelten sollen. Dies, obwohl die EU-Taxo­nomie zu den ersten zwei Umweltzielen erst im Dezember 2021 und die Version mit allen Umweltzielen erst im Dezember 2022 in Kraft tritt. 

Weil heute noch vieles unklar ist, werden die «grünen» Umsatzzahlen wohl deshalb noch länger nicht bereitstehen. Doch ohne diese fehlen den Analysten, Banken, Vermögensverwaltern und Investoren die notwendigen Daten beziehungsweise Angaben, um ihre Finanz­produkte, Kredite oder In­vestitionen ökologisch und im Kampf gegen den Klimawandel neu auszurichten. 

Politik gefordert 

Genau darauf zielt die Europäische Union aber mit ihrem Aktionsplan «Sustainable Finance» ab: Sie will die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen, indem sie die Geldflüsse von Banken und Investoren in die Richtung von ökologisch nachhaltigen Unternehmensaktivitäten und Produkten umleitet. Auch das sehen die Experten kritisch. «Die Finanzwirtschaft kann nicht vorausgehen», meint Regina Schwegler. «Der erste Hebel ist immer noch die Internalisierung der externen Effekte der Realwirtschaft. Und solange das nicht erfolgt, kann die Finanzwirtschaft allein das Ziel nicht erreichen. Allerdings sehe ich im Finanzsektor durchaus Nachholbedarf.» 

Auch Eckhard Plinke ist überzeugt, dass vielmehr die Politik gefordert ist, direkt beim Verursacher einzugreifen und mit Abgaben auf CO2-Emissionen oder anderen Vorgaben diejenigen Unternehmen zu bestrafen, die übermässige Risiken eingehen. 

Um Anlegern die gezielte Förderung von ökologisch nachhaltigen Unternehmen zu ermöglichen, soll es auch ein EU-Eco-Label für «grüne» Anlagefonds geben, und auch Green Bonds müssen genaue EU-Vorgaben erfüllen. «In beiden Fällen dürfen dann nur noch Unternehmen finanziert werden», so Eckhard Plinke, «welche die EU-Vorgaben für ein grünes Unternehmen erfüllen.» 

Folgen für Unternehmen 

Denkbar ist, dass die Banken ihre Kreditvergabeprozesse oder ihre Preisgestaltung bei Krediten auf Basis der künftig von den Unternehmen veröffentlichten «grünen» Umsätze anpassen werden. 

Als Folge der Erweiterung der Berichterstattungspflichten ist deshalb mit Kon­sequenzen für die Refinanzierungsstra­tegien und -kosten von Unternehmen zu rechnen. Ob Unternehmen «grün» sind oder nicht, spielt dabei keine Rolle, ebenso wenig, ob sie ihren Hauptsitz in der EU oder in der Schweiz haben. Denn die Schweiz wird voraussichtlich auch in diesem Bereich ihre Regulierungen an diejenige der EU angleichen. Und Schweizer Banken, die grenzüberschreitend aktiv sind, stimmen ihre Anlageprodukte und Prozesse schon heute auf die europäischen Vorgaben ab. 

Schweizer KMU sind aus diesem Grund gut beraten, die Entwicklungen vorausschauend zu beobachten und frühzeitig ihre Refinanzierungsstrategien und Berichterstattungen zukunftsgerichtet auszurichten.

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