Wie auch beim Begriff der Digitalisierung gibt es keine klare Definition, was «agil» ist beziehungsweise was nicht. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht in der grundsätzlichen Bedeutung des Wortes: Beweglichkeit, Wendigkeit und Flexibilität. Darüber hinaus muss jede Organisation für sich selber passende Antworten finden, wie sie «agil» definiert und welche Massnahmen sie mit welchem Zeithorizont umsetzen will.
Massgeschneidert für die Software-Entwicklung stehen Methoden wie Scrum und fixfertige Regelwerke zur Verfügung. Weil die Digitalisierung aber nicht in der Informatikabteilung stattfindet, sondern alle Disziplinen einer Organisation mitwirken, betreffen die «agilen Arbeitsmethoden» die ganze Organisation.
Sequenzielles Planen
Trotzdem werden nun nicht Projekte zur flächendeckenden Einführung einer agilen Funktionsweise vom Stapel gelassen. Eine gesteigerte Agilität wird mitlaufendes Ziel bei anderen Veränderungsprojekten sein, insbesondere von Strategieprozessen, Reorganisationen oder Prozessverbesserungen. Wie kann eine agilere Arbeitswelt aussehen? Im klassischen Managementprozess wird zuerst analysiert, dann geplant, konzipiert, umgesetzt und kontrolliert. Ziel und Ergebnis davon ist eine hohe Berechenbarkeit. Bei lange dauernden Projekten, welche die ganze Organisation betreffen – wie eben bei grossen Softwareprojekten – kommt man damit heute an Grenzen: Es besteht die Gefahr, dass ungeplante Entwicklungen ignoriert werden und man am Ende zwar das ursprünglich gesteckte Ziel erreicht hat, dieses aber unter den veränderten Umständen gar keinen Sinn mehr ergibt.
«Agil» meint in diesem Kontext, dass der Managementprozess nicht mehr einmal, sondern in kurzen Zyklen immer wieder stattfindet: Anstatt zuerst zwei Jahre zu planen, plant man die ersten Schritte, geht sie, überprüft die Wirkung und plant aufgrund der Erfahrungen die nächsten Schritte. Wenn sich die Ausgangslage ändert, wird reagiert – auch wenn das ursprünglich nicht so geplant war.
Kompetenzen kombinieren
Die Herausforderung für die Führung besteht darin, die Relevanz von Veränderungen einschätzen zu können: Agilität darf nicht bedeuten, sich wie eine Fahne im Wind zu bewegen und am Schluss alles ein bisschen und nichts richtig gemacht zu haben. Die Bedeutung interdisziplinärer Teams hat zugenommen. Kluge Strategien kombinieren und nutzen verschiedene vorhandene Kompetenzen.
Das kann bedeuten, dass man eigene Mitarbeitende kaum mehr sieht, weil sie in Projekten engagiert sind. Dafür leitet man selber ein Projekt, in welchem eine bunte Mischung von Kompetenzen vorhanden ist, interne und allenfalls auch externe. Die klare organisatorische und mentale Trennung zwischen «wir» und «die anderen» löst sich dadurch auf. Wenn es gelingt, wird man dadurch schneller: Anstatt sich den Ball abwechslungsweise zuzuspielen, spielt man in der gleichen Mannschaft.
Zielfokus statt Protokolle
In stark hierarchisch geprägten Organisationen wird das kulturell anspruchsvoll: Mit steigender Heterogenität des Teams steigt auch die Gefahr von Missverständnissen. Führung kann sich nicht mehr ausschliesslich auf die Hierarchie und ein klares Weisungsrecht abstützen: Gute Argumente und Überzeugung gewinnen an Wichtigkeit. Das bedingt, dass man – egal ob Führungskraft oder Mitarbeiter – sich auf die anderen einlässt. Agile Methoden funktionieren nur mit klaren Zielen. Diese müssen so offen wie möglich formuliert sein, damit auch kreative Lösungen eine Chance haben. Aber sie müssen klar sein.
Ein aktuelles Beispiel aus der Politik: «Die Schweiz will stabile Beziehungen zur EU» ist ein Ziel. Ob ein Rahmenvertrag die richtige Lösung ist, lässt es offen. Je agiler, desto mehr lohnt es sich, Zeit in eine gute Definition des Ziels zu investieren. Dieses kann dann – ähnlich einer Vision – als Leitstern dienen.
Was im Gegenzug an Bedeutung verliert, sind Protokolle, Berichte und umfassende Dokumentationen: Die Bedeutung dessen, was gestern war, nimmt deutlich ab. Die agile Organisation kümmert sich um die Probleme von heute, sie sucht nicht Schuldige im Gestern. Das darf allerdings nicht bedeuten, dass Verantwortlichkeiten aufgeweicht werden. Dank einem klaren Ziel kann jederzeit gemessen und beurteilt werden, warum welche Massnahmen getroffen wurden, ob sie wirksam waren oder auch nicht.