Strategie & Management

Mitarbeiterführung

Die Dimensionen des «Purpose» und wie sie wirken

Wie sehr sich Mitarbeiter in ihrem Job engagieren, hängt primär davon ab, als wie sinnvoll sie ihre Tätigkeit erfahren. Deshalb sollten Führungskräfte wissen, aus welchen Quellen sich das auch «Purpose» genannte Sinn-Empfinden ihrer Mitarbeiter speist.
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Vermutlich wünscht sich jeder Unter­nehmer, jede Führungskraft Mitarbeiter, die hochmotiviert ihre Arbeit verrichten, weil sie hierin einen Sinn sehen. Doch wie erreicht man, dass Mitarbeiter in ihrem Job einen Sinn sehen und ihn nicht nur halbherzig, aus Pflichtgefühl erfüllen?

Eine erste Antwort auf diese Frage gibt uns die Anekdote vom Steinbruch im Siebengebirge. In ihr fragt ein Besucher unmotiviert vor sich hin werkelnde Steinmetze, was sie denn täten. Sie antworten: «Wir behauen Steine.» Da fällt der Blick des Besuchers auf einen hochmotivierten und -engagierten Steinmetz und er fragt ihn, was er denn tue. Seine Antwort: «Ich baue am Kölner Dom mit.» Dieser Steinmetz hat in seiner Alltagsarbeit einen höheren Sinn gefunden, deshalb arbeitet er hochmotiviert und -konzentriert.


Sinn kann man nicht verordnen 

Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Wort «gefunden», denn Unternehmer und Vorgesetzte können ihren Mitarbeitern zwar befehlen, was und wie sie etwas zu tun haben. Sie können ihnen aber nicht vorgeben, welchen Sinn sie darin zu sehen haben. Das funktioniert nicht. Den Sinn – oder neudeutsch «Purpose» – müssen Menschen in ihrer Arbeit stets selbst finden. Sie müssen für sich erkennen: «Das ist mein Ding und ergibt für mich Sinn.» Das ist für ihre Arbeitsmotivation extrem wichtig, denn: Nur wer seinen Sinn ge­funden hat, übernimmt Verantwortung.

Ein Vorreiter beim Formulieren dieses Zusammenhangs war Simon Sinek. Er stellte 2006 den «Golden Circle» vor, den er in seinem 2009 erschienenen Buch «Start with why. How great leaders inspire everyone to take action» (deutscher Titel: «Frag immer erst: warum. Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren») näher erläuterte. Ihm zufolge müssen Unternehmen, um langfristig Erfolg zu haben, ihren Kunden und Mitarbeitern einen übergeordneten Sinnzusammenhang aufzeigen, der es ihnen ermöglicht, sich mit ihnen zu identifizieren. Hierfür müssen sie ihnen Antworten auf folgende drei Fragen geben.

  • What (Was wollen wir erreichen?)
  • How (Wie wollen wir es erreichen?) und
  • Why (Warum wollen wir es erreichen?).

Dabei erachtet er die Why-Frage als die zentrale und die am schwierigsten zu beantwortende Frage, da sie letztlich den Purpose, also Sinnzusammenhang schafft.


Dimensionen des «Purpose»

Diese Gedanken, die Sinek primär auf Unternehmen gemünzt hatte, griff der Ökonomiepsychologe Aaron Hurst in seinem 2014 erschienenen Buch «The Purpose Economy» auf und bezog sie auf den individuellen Purpose von Menschen – beruflich wie privat. Dabei vertritt er die These: Nur wenn ein Mensch wertschätzt, für wen und warum er arbeitet, und sich zudem mit dem, wie er es tut, identifiziert, entsteht bei ihm ein Gefühl von Sinn und Zufriedenheit. Demzufolge unterscheidet Hurst beim Purpose in Anlehnung an Sinek folgende drei Dimensionen:

  • Who (Für wen arbeite ich?), 
  • Why (Warum arbeite ich?) und
  • How (Wie arbeite ich?) 

Die Who-Why-How-Trilogie von Hurst hilft Unternehmen zu ermitteln, welche Angebote sie ihren Mitarbeitern zum Bilden eines eigenen Purpose machen können.

Who – für wen arbeite ich?
Auf wen oder was Menschen beim Arbeiten ihre Energie fokussieren, divergiert: Manche haben eher einzelne Personen (-gruppen) im Blick, andere das Unternehmen beziehungsweise die Organisation und wieder andere eine bestimmte Gemeinschaft/Community oder die Gesellschaft insgesamt.

  • Fokus Menschen: Viele Personen arbeiten bevorzugt für Menschen, die sie persönlich kennen und wertschätzen. Das kann ihr Chef, können aber auch Kollegen sein, die sie nicht im Stich lassen möchten. Ebenso können dies Kunden sein, zu denen sie eine persönliche Beziehung entwickelt haben. Oder Personengruppen, für die sie Sympathien hegen – zum Beispiel Menschen mit einer Behinderung.
  • Fokus Unternehmen/Organisation: Bei anderen Personen speist sich die Motivation primär daraus, dass sie sich als Teil eines grösseren Ganzen verstehen, zu dessen Wohlergehen oder Erfolg sie ihren Beitrag leisten möchten. Zum Beispiel, indem sie für ihr Unternehmen eine strategisch wichtige Software entwickeln. Dabei kann ihr Stolz, dieser Organisation anzugehören, sich ebenfalls aus unterschiedlichen Quellen speisen. Zum Beispiel daraus, dass diese der Technologie­führer in ihrem Markt ist. Oder dass sie sehr expansiv ist. Oder dass ihre flache Hierarchie den Mitarbeitern grosse Gestaltungsspielräume lässt.
  • Fokus Gesellschaft/Gemeinschaft: Wieder andere Personen ziehen den Sinn primär daraus, dass sie mit ihrer Arbeit in ihren Augen einen Beitrag zum Wohlergehen oder zur Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten. Dies kann die Gesellschaft als Ganzes sein, wenn das Unternehmen zum Beispiel im Gesundheits- oder Umweltschutzbereich aktiv ist oder zur tech­nologischen Innovation beiträgt. Dies kann aber auch eine lokale oder re­gionale Gemeinschaft sein. Zum Beispiel, wenn Menschen sich dem Wohlergehen der Personen in ihrem unmittelba­ren Lebensumfeld, beispielsweise ihrer Nachbarschaft, verpflichtet fühlen. 

Hieraus resultiert die Frage: Für wen arbeitet Ihr Unternehmen? Für einzelne Menschen oder Personengruppen? Für andere Unternehmen/Organisationen oder die Gesellschaft? Je stärker sich Ihre Mitarbeiter mit dem «Who» identifizieren können, desto selbstverantwortlicher und engagierter arbeiten sie. Also sollte Ihr Unternehmen auf diese Frage eine Antwort haben.

Why – warum arbeite ich?
Laut Hurst gibt es zwei Arten des Warum: Entweder machen Menschen etwas, weil sie an das Prinzip «Karma» glauben oder weil sie der Welt und den Menschen zu mehr «Gerechtigkeit» verhelfen möchten.

  • Karma: Ans Karma glauben bedeutet für Hurst, dass man überzeugt ist: Das, was ich «Gutes» tue, fällt irgendwie auch positiv auf mich zurück. Dasselbe gilt für schlechte Taten. Menschen, die ans Karma glauben, erachten dieses sozusagen als ein physikalisches Gesetz, das man nicht aushebeln kann. Sie sind überzeugt, dass Systeme sich letztlich immer wieder von selbst ins Gleich­gewicht bringen. Deshalb haben sie in der Regel ein liberales Wirtschaftsverständnis. Sie vertrauen auf das freie Spiel der Kräfte und sind überzeugt, dass sich die Märkte immer wieder von selbst ausbalancieren. Und bezogen auf das Individuum neigen sie zur Auffassung: Jeder ist – unabhängig von seiner Herkunft – seines Glückes Schmied.
  • Gerechtigkeit: Diesem Credo steht diametral das Denken der Menschen gegenüber, die ihr «Warum» an Gerechtigkeit ausrichten. Sie sind überzeugt: Es bedarf Reglementierungs- und Steuerungsmechanismen, um Gerechtigkeit sicherzustellen. Das mo­tiviert sie, einen aktiven Beitrag zum Schutz der (potenziell) Schwachen oder Bedrohten zu leisten. Dies können einzelne Bürger oder Konsumenten ebenso wie die Umwelt oder Freiheit sein. 

Deutlich lässt sich diese Dualität auch in der aktuellen Debatte über das Thema Digitalisierung wiederfinden. Während manche Menschen in ihr, überspitzt formuliert, die Lösung aller Menschheitsprobleme sehen, sehen andere primär die Gefahren, die von ihr ausgehen. So zum Beispiel, dass sich Monopole bilden, die den Wettbewerb aushebeln, oder Überwachungssysteme entstehen, die die bürgerliche Freiheit bedrohen. Also fordern sie eine staatliche Steuerung dieser Entwicklung, um aus ihrer Warte höherwertige Güter wie Freiheit, Gerechtigkeit, fairen Wettbewerb zu bewahren.

Hieraus resultiert die Frage: An wen richtet sich das «Warum» Ihrer Organisation? Eher an Menschen, die ans «Karma» glauben, oder solche, die für «Gerechtigkeit» eintreten? Angenommen, Ihr Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern die ideale Plattform, um technische Innovationen zu entwickeln, dann zieht diese Tatsache allein gewiss Ingenieure mit einem Karma-Glauben an. Anders sieht dies bei po­tenziellen Mitarbeitern aus, die das Thema Gerechtigkeit beseelt. Sie interessiert eher: Was produzieren Sie? Rüstungsgüter oder Medizintechnik? Luxusgüter für Superreiche oder für die Allgemeinheit? Und wie sieht die Ökobilanz aus? 

How – wie arbeite ich?
Das «How» beschreibt die Art und Weise, also die Strategie und Taktik, mit der Menschen und Unternehmen ihre Ziele er­reichen möchten: communityorientiert, menschenzentriert, strukturgetrieben oder wissensbasiert?

  • Communityorientiert: Nicht wenige Organisationen sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil es ihnen gelingt, ein Netzwerk von Förderern und Unterstützern aufzubauen. So wie zum Beispiel die Alumni-Netzwerke vieler privater Hochschulen oder die Fan-Gemeinde von Apple. Auch viele Start-ups haben eine Community, die an sie und ihre Vision glaubt und sie deshalb auch über solche Plattformen wie Kickstarter und Startnext finanziell unterstützt.
  • Menschenzentriert: Andere Or­ganisationen erreichen ihre Ziele aufgrund ihrer starken Menschenzen­trierung. Sie glauben zum Beispiel, dass eine Unternehmenskultur, die den Mensch Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt, zu den besten Ergebnissen führt; oder dass Unternehmen, die den Mensch Kunden konsequent in den Fokus ihres Bestrebens stellen, nachhaltig Erfolg haben.
  • Strukturgetrieben: Strukturgetriebene Unternehmen glauben an den Markterfolg durch standardisierte Abläufe und Prozesse, Vorgaben und Regelungen. Sie legen zum Beispiel auf das Erfüllen gewisser Normen und Qualitätsstandards sowie das Erlangen bestimmter Zertifikate einen hohen Wert.
  • Wissensbasiert: Organisationen, die über Wissen am Markt erfolgreich sein wollen, sammeln und analysieren Daten und investieren viel Zeit und Geld in die Forschung & Entwicklung sowie in die Weitergabe von Wissen.

Jeder dieser Wege spricht unterschied­liche Menschen an und kann zum Erfolg führen. Daraus resultiert die Frage: Für welches «How» steht Ihre Organisation primär? Welchen Menschen bietet sie eine Andockstelle, um hieraus ihren persönlichen Sinn abzuleiten? Diese Frage zu beantworten, ist wichtig, denn: Je stärker sich Ihre Mitarbeiter ausser mit dem «Für wen» und dem «Warum» Ihrer Or­ganisation auch mit deren «Wie» identifizieren, umso selbstverantwortlicher agieren sie und umso bereitwilliger übernehmen sie Verantwortung.

«Purpose» in der Praxis

In ihrem Privatleben sehen die meisten Menschen ganz selbstverständlich abhängig von ihren individuellen Werten einen Purpose, zum Beispiel: Ich möchte

  • meiner Familie ein behagliches Heim schaffen, 
  • meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen,
  • ein glückliches/erfülltes Leben führen. 

Damit korrespondieren ihre Lebens­ziele: Zum Beispiel,

  • das Haus renovieren, damit …,
  • ausreichend Geld verdienen, um …,
  • genügend Freizeit haben, um … 

Meist handelt es sich bei den privaten Zielen um etwas, das sich die Menschen bildhaft vorstellen können, etwas sehr Konkretes. Im Job fehlt ihnen oft eine solche Ausrichtung – auch aufgrund der arbeitsteiligen Prozesse. In ihm fühlen sie sich nicht selten als ein unbedeutendes Rädchen in einem unüberschaubaren grossen Ganzen, das tut, was es tun muss. Einen Sinnzusammenhang sehen sie hierin oft nur mittelbar – zum Beispiel: Ich muss mich und meine Familie ernähren.

Das ist an sich nicht negativ, weil dieses Motiv letztlich auch die Fragen «Who» und «Why» beantwortet, wenn auch aus Unternehmenssicht eher auf eine ex- als intrinsische Art und Weise. Dessen un­geachtet sind solche Personen oft extrem wertvolle Mitarbeiter, insbesondere wenn es um das Erledigen der operativen Alltagsarbeit geht. Sie bilden sozusagen das Rückgrat vieler Unternehmen.

Klare Kommunikation

Wenn es jedoch um das Besetzen von Schlüsselpositionen geht, sollten Unternehmen auch auf eine Purpose-bezogene Passung der Kandidaten achten, denn diese Personen treiben ihre Organisation letztlich voran. So fällt es zum Beispiel Menschen, die beim «Warum» primär der Faktor Gerechtigkeit interessiert, vermutlich in einer Non-Profit-Organisation eher leicht, einen Sinn für sich zu kreieren als im Investmentbanking-Bereich für Superreiche einer Privatbank. Und eher wenig Engagement und Kreativität werden sie darin zeigen, neue, lukrative Steuersparmodelle für deren «Topkunden» zu entwickeln. 

Deshalb sollten Unternehmen klar kommunizieren, wofür sie stehen – nicht nur im Bereich Marktbearbeitung, sondern auch Führung, ähnlich wie dies zum Beispiel Amazon tut (siehe Box). Je klarer diese Kommunikation ist, umso besser können potenzielle Mitarbeiter antizipieren, welche Möglichkeiten ihnen eine Organisation bietet, um für sich persönlich einen Sinn in ihrer künftigen Arbeit zu finden und eine hohe Selbstverantwortung und Eigeninitiative zu zeigen. Umso weniger Zeit und Energie müssen aber auch ihre künftigen Führungskräfte im Arbeitsalltag investieren, um ihren Mitarbeitern den grossen Sinnzusammenhang aufzuzeigen, weil diese von sich aus überzeugt sind «Hier bin ich am richtigen Ort» und entsprechend stark intrinsisch motiviert sind. 

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