Die Verbreitung von Risk-Management-Ansätzen divergiert in der Industrie stark. Viele kleine und mittlere Industrieunternehmen in der Schweiz wähnen sich in trügerischer Sicherheit. Sie erfüllen die gesetzlichen und branchenspezifischen Grundlagen zum Thema Risikomanagement, vergessen aber, dass ein umfassendes und unternehmensweites Risikomanagement nicht nur die Sicherung der Unternehmensziele garantiert, sondern damit auch die Erhöhung des Unternehmenswertes möglich wird. Eine Master-Thesis an der Fachhochschule St. Gallen kommt zum Schluss, dass der Nutzen eines adäquaten Risikomanagements in der Praxis vielfach unterschätzt wird und lediglich dazu dient, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
Herausforderungen
Das wirtschaftliche Umfeld in der Schweiz befindet sich gerade in den letzten Monaten wieder sehr stark im Wandel. Mit dem Wegfall der Eurountergrenze oder der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wurde vielen Industrieunternehmen in der Schweiz wieder einmal vor Augen geführt, dass sie sich in einem sehr schnelllebigen und ungewissen Umfeld bewegen (Romeike, 2003, S. 43). Neben den bereits erwähnten politisch motivierten Herausforderungen gibt es für die Industrieunternehmen auch andere, branchenspezifischere Schwierigkeiten. So entstehen beispielsweise bei grenzüberschreitenden Aktivitäten teilweise grosse Länderrisiken. Die Verkürzung der Produktlebenszyklen und die Individualisierung der Nachfrage können steigende Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig machen. Eine zunehmende Komplexität von Produktionssystemen kann einen negativen Einfluss auf die Störanfälligkeit haben (Branchen-Report-Deutschland 2012, S. 3).
Dies sind nur einige wenige Entwicklungen, mit denen sich Industrieunternehmen in den letzten Jahren verstärkt auseinandersetzen müssen. Der Gesetzgeber hat die Problematik erkannt und bereits vor sieben Jahren darauf reagiert. Seit 2008 ist Risikomanagement deshalb für viele Schweizer Unternehmen zur gesetzlichen Pflicht geworden. (vgl. dazu auch Brünger, 2009, S. 6; Boutellier, Montagne & Barodte, 2007, S. 43) Das schweizerische Obligationenrecht gibt nur knappe Vorschriften und Vorgaben zum Thema Risk Management. Es schreibt im neuen Rechnungslegungsrecht nur vor, dass im Lagebericht Ausführungen zum Risikomanagement gemacht werden müssen. Der Lagebericht muss nur von KMU erstellt werden, die ordentlich revidiert werden. Ein systematisches Risikomanagement wird nämlich gemäss mehreren Studien vielfach nicht betrieben. So hat beispielsweise eine österreichische Studie bei mittelständischen Unternehmen ergeben, dass Risikomanagement, wenn überhaupt, in den Bereichen Rechnungswesen bzw. Finanzen und Controlling betrieben wird. (Thuermann & Ebner, 2012, S. 5)
Normen und Rahmenkonzepte
Es scheint, als fehlen bei vielen Unternehmen die Kenntnisse der verschiedenen branchenübergreifenden Risikomanagement-Normen und Rahmenkonzepte. Diese wurden von grossen Organisationen wie ISO speziell entwickelt und sollen den Unternehmen bei der Implementierung eines adäquaten Risikomanagements einen Leitfaden darstellen. In der Theorie sind diverse Konzepte zu finden, die für die Industriebranche anwendbar sind. Die bekanntesten Normen und Standards sind hierbei der ISO Guide 73 Risk Management, der «COSO-Würfel», der ONR 49000 des österreichischen Normierungsinstituts oder auch die ISO 31 000 Guideline on Principles and Implementation of Risk Management. Für die Industrie werden in der Theorie vor allem die beiden zuletzt erwähnten Standards empfohlen. Dies deshalb, da sie das Risikomanagement in das Managementsystem der Unternehmen einfliessen lassen (Brühwiler, 2007, S. 68 – 81).