Strategie & Management

Unternehmensentwicklung

Der Weg zu Design Thinking und einer offenen Fehlerkultur

Agile Prozesse und innovative Produkte bedingen eine offene Denkweise. Dazu gehört auch eine konstruktive Fehlerkultur im Unternehmen. An diesem Punkt setzt Design Thinking an. Der Beitrag skizziert die Zusammenhänge und zeigt, wie Design Thinking zu verankern ist.
PDF Kaufen

«Wir müssen agil und innovativ bleiben, in allen Bereichen.» Eine Aussage, die Mitarbeiter von ihren Chefs in letzter Zeit häufig zu hören bekommen. Agilität und Innovation sind Begriffe, die sich viele Unternehmen gerne auf die Fahne schreiben: Agile Prozesse, innovative Produkte. Durch die blosse Aussprache soll anscheinend eine flexible und dynamische Arbeitsweise entstehen, mit der man auf veränderte Marktbedingungen schnell reagieren kann.

Doch so richtig agil und innovativ ist bei den meisten Unternehmen nur wenig. Der Vertrieb zieht seine Standardprozesse durch und der Chef sieht durch seine Kennzahl-Scheuklappen lediglich die Entwicklung von Umsatz- und Verkaufszahlen. Dabei sind Innovationen wichtiger denn je, gerade im digitalen Zeitalter.

Scheitern ist kein Tabuthema

Neben der fehlenden Agilität herrscht im Büroalltag meist das Bild vor, Fehler seien ein Zeichen von Schwäche. In vielen Unternehmen werden sie noch immer gerne unter den Teppich gekehrt – erst recht in der Chefetage. Es geht nun mal um Ergebnisse, am liebsten natürlich messbar. Doch so langsam wendet sich das Blatt, das Scheitern ist längst kein Tabuthema mehr. Vielmehr entsteht allmählich eine offene Fehlerkultur, in der Scheitern als Startpunkt für eine Kehrtwende gesehen wird.

Dazu müssen Unternehmen transparent über die falsch getroffenen Entscheidungen diskutieren – vom Chef bis hin zum Praktikanten. Fehler sollten nicht verschwiegen werden, sondern als Basis einer Verbesserung dienen. Hier kann man gut die Brücke zum Negativbeispiel Forschung schlagen: Sie wäre zum Teil um Jahre weiter, würden Wissenschaftler auch ihre Misserfolge publizieren. Einfach deshalb, weil die gleichen Fehler dann nicht ständig wiederholt werden würden.

Aber zurück in die Welt der Unternehmen: Wer sein Scheitern offen kommuniziert und Fehler frühzeitig erkennt, der kann schnell die richtigen Schlüsse daraus ziehen und das Ruder selbst herumreissen. Stichwort «Fail fast», ein Begriff der eigentlich aus der IT stammt und aussagt, dass Systeme Fehler frühzeitig erkennen müssen, um Spätfolgen zu vermeiden. Und genau an dieser Stelle setzt das Design Thinking an.

Design Thinking: Einführung

Das Design Thinking zielt darauf ab, innovative Lösungen für die Probleme der eigenen Kunden zu generieren. Gleichzeitig sieht es die eben angesprochene offene Fehlerkultur als festen Bestandteil für einen erfolgreichen Innovationsprozess. Design Thinking bietet dabei sowohl Start-ups als auch etablierten Unternehmen die Möglichkeit, dem Geschäftsalltag zu entfliehen und auf dynamische Art und Weise innovative Ideen zu erschaffen und auch gleich zu testen.

Design Thinking wird in aller Regel in Form eines ein- oder eines zweitägigen Workshops durchgeführt. Es funktioniert besonders gut, wenn ein vielfältiges Team aus ganz unterschiedlichen Bereichen hierfür zusammenkommt. Während der Kollege aus der IT gedanklich schon eine App zusammenbaut, sieht der Vertriebler noch Probleme bei der Kundenakzeptanz. Durch die vielen verschiedenen Perspektiven wird das Kundenproblem von allen Seiten beleuchtet und kann damit auf eine ganzheitliche Art und Weise gelöst werden.

Ausserdem sollte der Workshop möglichst abgeschottet vom Büroalltag stattfinden. Keine Telefonate, keine Termine zwischendurch. Alle Teilnehmenden sollten dem Workshop ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenken. Neben einem geeigneten Raum werden ausserdem verschiedene Materialien benötigt: Flipcharts, verschiedenfarbige Stifte, Post-Its, Kleber, Knete, Lego usw., der Krea­tivität sind keine Grenzen gesetzt. Je nachdem, wie viele Personen an dem Workshop teilnehmen, ist es sinnvoll, diese in Gruppen aufzuteilen. Eine optimale Teamgrösse besteht aus fünf bis sechs Personen.

Zusätzlich hat ein Moderator stets die Zeit im Blick und sagt die nächsten Schritte an. Für die Durchführung des Workshops kann man entweder auf eine der vielen Beratungen zurückgreifen, die das Design Thinking mittlerweile in ihrem Repertoire führen, oder man ernennt einen Moderator aus den eigenen Reihen und führt den Workshop selbstständig durch.

Prozess in sechs Schritten

Das Schaubild zeigt die sechs Schritte, die beim Design Thinking Anwendung finden. Ganz wichtig: Iterationen. Man durchläuft in der Regel nicht ohne Umwege alle sechs Stufen. Immer wieder stösst man auf neue Fragen und Probleme und muss manchmal auch den einen oder anderen Schritt zurückgehen. Hier gilt also erneut: «Fail fast». Und das lieber zu früh als zu spät.

Die ersten drei Schritte fallen in den analytischen Teil des Design-Thinking-Prozesses. Hier dreht sich alles um den Kunden und die eigene Zielgruppe:

1. Understand

Im ersten Schritt schlüpft man in die Rolle des Nutzers und nimmt die Perspektive der eigenen Zielgruppe ein: Welches Problem hat sie? Wo drückt der Schuh und warum? Wann tritt das Problem auf und betrifft es eine bestimmte Personengruppe mehr als andere?

2. Observe

Nachdem man das Problem der Zielgruppe beleuchtet hat, geht es darum, es in der «echten Welt» einzuschätzen. Im besten Fall kann man die Zielgruppe einfach dabei beobachten, während sie auf dieses Problem stösst, und sie anschlies­send befragen. Oft ist es aber unrealistisch, in dieser kurzen Zeit die eigene Zielgruppe bei der Benutzung ihres Produkts abzupassen. Falls das also nicht möglich ist, kann man auf kurze Interviews zurückgreifen, persönlich oder auch telefonisch. Dabei genügt es schon, wenn jedes Teammitglied zwei bis drei Interviews führt. Wie beim gesamten Design-Thinking-Prozess geht es weniger um wissenschaftliche Genauigkeit als vielmehr um qualitative Einblicke in die Denkweise der Zielgruppe. Neben dem zuvor identifizierten Problem sollten auch Fragen zu weiteren Schwierigkeiten sowie den generellen Wünschen des Nutzers gestellt werden.

3. Persona

Aus den Einblicken des zweiten Schritts werden nun die wichtigsten Informationen herausgefiltert: Was sind die grössten Bedürfnisse der Zielgruppe und wie sähe eine Person aus, die die gesamte Zielgruppe repräsentiert? Das ist die sogenannte Persona, für die ein ausführlicher Steckbrief erstellt wird. Neben den identifizierten Kundenbedürfnissen werden ausserdem folgende Merkmale berücksichtigt:

  • Demografisch: Wo wohnt die Persona und wie alt ist sie?
  • Sozioökonomisch: Welchen Beruf und Bildungsstand hat die Persona? Wie hoch ist das Einkommen und wie preis­sensibel ist sie?
  • Psychografisch: Ist die Persona ein konservativer Typ oder doch eher in der Hipster-Szene unterwegs? Welche Meinungen vertritt sie und welche Wünsche und Ansprüche hat sie an ihre Freunde, die Gesellschaft und auch sich selbst?

Mithilfe der Persona kann anschliessend eine Customer Journey entworfen werden. Das heisst, es wird der gesamte Tag der Persona durchgespielt und alle Berührungspunkte mit dem Unternehmen und dem zuvor aufgedeckten Problem identifiziert.

Nach der analytischen Arbeit der ersten drei Schritte wird dann die kreative Ader der Teilnehmer beansprucht.

4. Ideate

Endlich dürfen sich alle Teilnehmer der Lösung des Problems widmen, jede noch so verrückte Idee ist willkommen. Für die Ideengenerierung kann man auf ein offenes Brainstorming, Notizzettel oder auch auf das Brainwriting wie die 6-3-5-Methode zurückgreifen. Alle Ideen sollten auf jeden Fall in irgendeiner Form schriftlich festgehalten werden, zum Beisiel auf Karteikarten, die man auf ein Flipchart klebt. Oft hilft es auch, die Ideen nach Kategorien zu sortieren, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen und doppelte oder ähnliche Ideen zu verknüpfen. Abschliessend wird noch über die beste Idee abgestimmt, zum Beispiel mithilfe von Klebepunkten oder in einer offenen Diskussion.

5. Prototype

Nein, hier wird noch keine Website und auch kein Staubsauger mit WLAN gebaut. Der Prototyp wird aus allen Materialien, die zweckentfremdet werden können beziehungsweise im Vorfeld für den Workshop besorgt wurden, entworfen: Lego, Pappe, Knete, Wäscheklammern – ganz gleich wie, die Teilnehmer sollen einen Prototyp auf die Beine stellen, der die gewünschten Funktionen verbildlicht und das Problem der Persona (hypothetisch) lösen kann.

Hier geht es wie gesagt nicht darum, einen funktionierenden Prototyp zu bauen. Das Ziel ist vielmehr, zu erkennen, welche Anforderungen ein Produkt später erfüllen muss und welche Schritte es zu beachten gilt. Lieber Knete falsch formen, als viel Geld wegen einer schlecht durchdachten Produktentwicklung zu verpulvern.

6. Test

Im finalen Schritt wird erneut der Kontakt zu den potenziellen Nutzern gesucht. Man kann intern noch so viel über die Vor- sowie über die Nachteile diskutieren, am Ende braucht man auch das Feedback echter Nutzer. Was begeistert sie, was empfinden sie als um- oder missverständlich, welche Wünsche bleiben offen? Hier soll keine Verkaufstour gestartet, sondern auf ehrliche Meinungen abgezielt werden. Falls noch Zeit bleibt, kann man anschliessend noch eine kurze Schleife drehen und durch die neu gewonnenen Informationen Anpassungen am Prototyp vornehmen.

Eine Lösung, die nach dem sechsten Schritt immer noch zu überzeugen weiss, eignet sich bestens dafür, zukünftig (zum Beispiel in einem Business Model Canvas) tiefer ausgearbeitet zu werden. Letztlich bieten Design-Thinking-Workshops neben einer Menge Spass und Teambuilding die Möglichkeit, sich vom Büroalltag zu lösen und einfach mal auf eine kreative Art und Weise Ideen zu generieren, die dann als Ausgangspunkt für echte Projekte dienen können.

Auch wenn ein einzelner Design-Thinking-Workshop sicher noch nicht ausreicht, um urplötzlich eine offene Fehlerkultur zu erschaffen, so kann er zumindest die Tür einen Spalt breit öffnen. Der iterative Ablauf zeigt, dass Fehler und ein frühes Scheitern nicht auf Biegen und Brechen vermieden werden müssen, sondern nur richtig mit ihnen umgegangen werden sollte. Das Design Thinking ist ein dynamischer Prozess, welcher diese Denkweise beim Chef und den Mitarbeitern anstossen kann. Innovationen generiert nämlich nur derjenige, der schon innovativ denkt – und eben auch so handelt.

Porträt