Strategie & Management

Human Resources (Teil 4 von 6)

Der passende Boden für Talente – kulturelles Setting

Das Bewusstsein über die eigene Unternehmenskultur ist für die Rekrutierung von Mitarbeitern eine unabdingbare Basis, um nachhaltige Stellenbesetzungen vornehmen zu können. Der vierte Teil dieser Serie versucht, Kultur in Organisationen greifbar zu machen, und liefert mit dem «Hire for Attitude»-Ansatz Lösungsmöglichkeiten für die Fachkräfteproblematik.
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Da war er endlich: der Topmitarbeiter. Fast schon zu perfekt passten seine technischen Qualifikationen und Skills auf das definierte Stellenprofil. Lange hatte das Unternehmen um ihn geworben, ihm ein interessantes Compensation Package geschnürt, das er über Wochen hin verhandelte und prüfte, um schliesslich für den Job zuzusagen. Unnötig zu erwähnen, dass diesem Entscheid zuvor mehrere Gespräche vorausgegangen waren – mit der HR-Abteilung, mit der Geschäftsleitung, mit dem Verwaltungsrat. Der erste Arbeitstag kam. Die erste Woche verging und damit das gute Gefühl. Im zweiten Monat schliesslich folgte die Kündigung des Topmitarbeiters. Was war passiert?

Drei Viertel der Schweizer Unternehmen haben bereits einmal eine Fehleinstellung getätigt. Die Kosten bei einem solchem Flop können je nach Funktion schnell zwischen 30000 CHF und 500000 CHF betragen. Denn wenn beispielsweise die Besetzung des Verkaufsleiters nicht erfolgreich war und die Umsätze im Zielgebiet innerhalb von einem bis zwei Jahren drastisch einbrechen, wurden Unternehmensziele nicht erreicht und Opportunitäten vergeben. Nebst den monetären Kosten sind negative Auswirkungen von Fehlentscheidungen weitergehend spürbar: So werden etwa entstandene Unruhe und negative Auswirkungen auf die Arbeitsmoral im Team bis hin zu Produktivitätseinbussen und Kundenverlusten beklagt. Die Gründe für Fehlbesetzungen sind vielseitig und reichen von unstruktu­rierten Bewerbungsgesprächen über eine negative Candidate Experience bis hin zum mangelhaften Onboarding-Prozess. Sehr oft jedoch ist ein fehlender Kulturfit Ursache für den Bad Hire. 

Schwer fassbares Konstrukt

Die Unternehmenskultur ist ein eher schwer fassbares Konstrukt, das häufig intuitiv aufgenommen wird. Es ist ein komplexes System von Werten, Normen und Einstellungen von Menschen, welche die Entscheidungen, Handlungen und das Verhalten der Mitglieder der Orga­nisation prägen. Dazu zählen etwa die Einstellung zur Leistung und Arbeitsmoral, Status in der Organisation, Offenheit für Kritik, Fairness und Raum für Individualität. Diese Tiefenstrukturen beeinflussen massgeblich, wie das Unternehmen funktioniert, welche Teamstrukturen sich ausbilden und die Art und Weise, wie Mitarbeiter miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten.

Der Organisationspsychologe Edgar H. Schein, der als Wegbereiter der Forschung im Bereich der Organisationskultur gilt, definiert Unternehmenskultur als «die Summe aller gemeinsamen selbstverständlichen Annahmen, die eine Gruppe in ihrer Geschichte gelernt hat. Sie ist der Niederschlag des Erfolgs».

Beobachten

Gemäss Schein ist eine Unternehmenskultur nicht messbar, sie lässt sich nur beobachten. Unternehmenskultur zeigt sich an Symbolen (beispielsweise Bilder, Objekte, Wörter, Gesten) und Ritualen (gemeinsame Aktivitäten der Organisationsmitglieder). Die Aufdeckung von Werten ist ein intuitiver Prozess. Kultur lässt sich bereits in der Aussenkommunikation wahrnehmen; Werden alle Mitarbeiter des Unternehmens auf der Website aufgeführt oder nur einzelne und diese hierarchisch abgebildet? Erhalte ich von Firmen, welche auf Nachhaltigkeit und Ökologie setzen, ein Plastik-Give-away im Karton zugesandt?

In der Innensicht: Holt sich der Chef den Kaffee selber und wird dieser aus Papp­bechern getrunken oder kommt das feine Porzellan zum Einsatz und die Assistentin serviert? Ist die Sprache unter den Mitarbeitern authentisch mit eher hemdsär­meligen «Sprachfetzen» oder werden sogar beim Pausenkaffee Contenance und strenge Diplomatie gewahrt? Tragen die Mitarbeiter Uniformen oder dürfen sie sich individuell kleiden und ihre Persönlichkeit unterstreichen? Werden Mitarbeiter in leistungsorientierten Unternehmen konditioniert und bei Erreichen eines bestimmten Tagesumsatzziels bewusst –  beispielsweise über den Einsatz einer Hupe – motiviert und gefeiert? Gilt im Unter­nehmen eine Clean Desk Policy oder darf der Pirelli-Kalender aufgehängt werden? 

Weiterführend haben unterschiedlichste Herausforderungen direkten oder indirekten Einfluss auf die Kulturprägung wie beispielsweise regionale kulturelle Unterschiede durch verschiedene Standorte, Generationenkonflikte, ein sich verändernder Markt oder langjährige Firmenzugehörigkeit.

Authentizität

Häufig gibt es in Unternehmen auch eine Diskrepanz zwischen im Leitbild, in der Vision und in der Mission kommunizierten und tatsächlich gelebten Werten. Dies ist unter anderem deshalb der Fall, weil jedes Werteverständnis ein individuelles ist. Häufig definierte und kommunizierte Unternehmenswerte sind etwa «Wir leben Kommunikation», «Wir lieben das, was wir tun», «Wir bauen auf vertrauensvolle Beziehungen». Spätestens wenn dann aber eine berechtigte Reklamation mehr barsch als wohlwollend und professionell abgewiesen wird, dürfte sich der Kunde fragen, wie es um die Authentizität in dieser Organisation bestellt ist. So zeigen sich Werte häufig erst in kritischen Situationen und sind an Handlungen gekoppelt.

Die Arbeit an der Kultur ist für jedes Management eine äusserst herausfordernde Aufgabe, die Führungsstärke und Durchgängigkeit in den Konsequenzen voraussetzt. Ausserdem steht die Frage im Raum, wie die wichtigsten Kulturbotschafter, die Mitarbeiter selbst, für die Organisationen passend ausgewählt werden können. 

Kultureller Fit

Unter den Recruitern gibt es eine alte Weisheit, welche «Hire for Attitude, Train for Skills» heisst. Der Begriff wird im Original Herb Kelleher zugeschrieben, welcher als Co-Founder der US Southwest Airlines operierte. Als er 1978 Vorsitzender wurde, erklärte er zum Ziel, nur mehr Leute rekrutieren zu wollen, die mit einer Prise Humor gesegnet sind, um den Flug selbst zu einem grossen Erlebnis zu machen. Und so kam «Humor» als zwingend zu erfüllende charakterliche Eigenschaft ins Stellenprofil einer jeden Funktion in dieser Firma. Doch was meinte Kelleher damit? Er setzte sein Augenmerk beim Recruiting auf den Kultur- und Werte-Fit des Kandidaten mit der Organisation, achtete auf Charakter, Einstellung, Haltung und Motivation vor Zeugnissen oder Eignung.

In die Praxis übertragen heisst das, dass Firmen bereits in einer frühen Phase der Rekrutierung abklären können, wie jemand «tickt» und ob er mit dieser Persönlichkeit sowie seinem individuellen Wertekompass in die Organisation passt. Klassische Ausprägungen, die in Gesprächen in Erfahrung gebracht werden, sind die Leistungs- und Resultatorientierung oder die Dienstleistungsorientierung in der direkten Interaktion mit den Kunden. Dies sind Einstellungen und Eigenschaften, die Persönlichkeitsmerkmalen zu­geschrieben werden und faktisch nicht erlernt werden können. Erfahrungen, Fertigkeiten und Qualifikationen können dagegen leichter erworben werden.

Relevant für Erfolg

Nun bedeutet das nicht, dass ein jeder, wenn er nur die Firmenwerte teilt und die passende Einstellung mitbringt, die Funktion optimal ausfüllt und «der Rest dazugelernt werden kann». Sonst könnte ja als Nachfolge der Marketingleitung – zumindest theoretisch – auch eine kontaktfreudige Pferdepflegerin eingestellt werden. Vielmehr geht es bei «Hire for Attitude» darum, die oft sehr anspruchsvoll ausgestalteten Stellenprofile kritisch zu hinterfragen und nicht einzig auf der früheren Berufserfahrung aufzubauen.

Möglicherweise wiegen bei der Position im Marketing charakterliche Eigenschaften / Soft Skills wie die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, Ideen zu verschmelzen und die Lorbeeren mit anderen zu teilen, klares und präzises Sprechen und Schreiben gepaart mit aktivem Zuhören oder auch die Offenheit für neue Erfahrungen und Lernbereitschaft viel mehr als klassische Vertriebserfahrung. Personaler sollten sich daher fragen, was für den Erfolg in der Rolle wichtiger ist; die innere Einstellung oder die Qualifikation.

Den Blick öffnen

Dieser persönlichkeitsorientierte Ansatz bringt Frische ins Recruiting und öffnet den Blick für alternative Kompetenzen und Fähigkeiten von Kandidaten. Davon profitiert einerseits das Unternehmen selbst, indem es möglicherweise Mitarbeiter einstellt, die nicht nur querein­steigen, sondern vielleicht auch einmal «querdenken» und ein Team mit komplementären Qualifikationen ergänzen. Andererseits können «exotische» oder weniger qualifizierte Kandidaten profitieren, die im herkömmlichen Recruiting regelmässig und systematisch durch das Auswahlraster von Human-Resource-Abteilungen fallen. Geradlinige Karrieren werden in Zukunft aufgrund verschiedener Trends wie der Automatisierung seltener werden und damit wird die Öffnung für unkonventionelle Lebensläufe wichtiger. 

Auch in Bezug auf den War for Talent und den damit zusammenhängenden Fach­kräftemangel müsste ein Umdenken stattfinden. Nach wie vor suchen Recruiter den «Perfect Fit» und das Kandidatenprofil muss im Hinblick auf die fachlichen Skills wie ein Massanzug auf das Stellenanfor­derungsprofil passen. Dabei wäre «Train for Skills» ein Ansatz, der durchaus Raum für Experimente und Potenzialentfaltung im Unternehmen liesse und dabei auf eine Nachqualifikation des Bewerbers aufbaut. Dem gegenüber steht jedoch eine zentrale Eigenschaft des KMU; nämlich die Ressourcenknappheit. Vor allem für kleine Unternehmen ist es schwierig, Personen zu stellen, welche sich um die Einarbeitung oder die Weiterbildung des «Neuen» kümmern. 

Ein Naturgesetz

Was ein Naturgesetz darstellt und für Pflanzen gilt, kann auch auf eine Unternehmung und ihre Mitarbeiter übertragen werden. Ein passender, nährstoffreicher Boden, günstige klimatische Bedingungen und die richtige Pflege lassen einen Samen keimen und führen zum beabsichtigten Wachstum. Freude an der Arbeit, Wertschätzung sowie eine optimale Firmenkultur führen dazu, dass Mitarbeiter aufblühen und ihr Potenzial erschliessen. Die Ernte für Unternehmen sind eine Senkung der durchschnittlichen Krankheitsquote, eine Steigerung der Wiederempfehlungsraten von Kunden und in weiterer Folge eine Steigerung der Umsätze.

Kultur als Orientierung

Die Unternehmenskultur ist ein sehr vielschichtiges und relevantes Phänomen, welches den Erfolg des Unternehmens und das Wohlbefinden sowie die Leistungs­fähigkeit der Organisationsangehörigen gleichermassen stark beeinflusst. Kultur ist, war und wird in Zukunft handlungsleitend sein und eine wichtige Orientierungshilfe für Mitarbeiter darstellen. Sie reduziert Komplexität und ermöglicht Orientierung in der sich gefühlt immer schneller drehenden, unsicheren Welt. Der Weg zu einer passenden Unternehmenskultur führt dabei immer über Kommunikation und Auseinandersetzung mit anderen.

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