Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Der Luxus von heute ist der Standard von morgen

Selbstzufriedenheit verträgt sich nicht mit Wachstum. Wachstum ist aber die Basis des Fortschritts, der volks- und betriebswirtschaftlichen Entwick­lungen. Profitables Wachstum, indes, ist Grund­bedingung für prosperierende Unternehmen. Für Stillstand besteht kein Anlass.
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Es gibt Situationen, da weiss ein Vortragender, dass er sein Auditorium mit einem Satz erreicht hat. Als ich zum ersten Mal im Rahmen eines Vortrages auf der Tagung eines Branchenverbandes den Satz «Der Luxus von heute ist der Standard von morgen» sagte und dies ausführte, sah ich plötzlich Dutzende Menschen mitschreiben, darunter auch einige, die sich bislang im Konsum­modus befunden hatten.

Der Vortrag fand vor Unternehmenslenkern aus einer luxusorientierten Branche statt, und für die Zuhörer war und ist es von eminenter Wichtigkeit, stets Luxus anbieten zu können. Die Fragezeichen waren den Teilnehmern förmlich ins Gesicht geschrieben.

Wir müssen bei der Gestaltung profitablen Wachstums stets zur Kenntnis nehmen, dass die Entwicklung nicht stehen bleibt. Man denke einmal darüber nach, wie sich über die Jahre unser Lebensstandard verändert, verbessert, ja dra­ma-tisch entwickelt hat: Farbfernseher? Vor 40 Jahren Luxus, heute sind wir beliebig viele Technikgenerationen weiter. Ein Auto in der Familie? Früher Luxus, hart erarbeitet, heute sehen wir in Familien auch drei oder vier Autos, dem Leasing sei Dank. In den Urlaub fahren?

Ja, einmal, drei Wochen am Stück in den Sommerferien – früher. Heute: Zwei bis drei Wochen Sommer­urlaub, eine Woche oder zehn Tage über Ostern oder Pfingsten, gerne auch ein verlängerter Sommer in den Herbstferien – per Flugzeug, versteht sich, alternativ auch eine Kreuzfahrt dazwischen, es ist erschwinglich geworden. Früher war das alles unerhörter Luxus, heute ist es gängiger Standard.

Zeitliche Dimensionen des Wachstums

Wir gewöhnen uns sehr schnell an Annehmlichkeiten und je mehr Demokratisierung von (früherem) Luxus stattfindet, desto höher steigt unser Lebensstandard. Dies deckt sich unmittelbar mit den Bedürfnissen unserer Kunden, besser: Mit deren Erwartungen, denn ein Kunde ist zum Beispiel nicht mehr gewillt, drei oder vier Tage auf seine online bestellte Ware zu warten, wurde er doch durch «Amazon» und andere das Online-Business vorbildlich spielende Unternehmen auf einen Tag maximale Wartezeit konditioniert.

Früher warteten wir eben zwei oder mehr Wochen auf die im Katalog bestellte Ware – heute ist das völlig undenkbar. Ein Autohersteller braucht ein Durchschnittsauto ohne Zentralverriegelung, elektrische Fensterheber, Klimaanlage ABS, ESP und andere gar nicht mehr anzubieten, zum Vergleich möge der geneigte Leser in die Ausstattungslisten früherer Automobile schauen – wer erinnert sich noch daran, dass der rechte Aussenspiegel früher meist aufpreispflichtig war?

Nein, ich habe nicht die Absicht, im Gestern zu stöbern. Ich möchte neben den inhaltlichen auch die zeitlichen Dimensionen des Wachstums verdeutlichen. Unternehmerisches Wachstum muss sich im übertragenen Sinne als Film verstehen, nicht als Schnappschuss. Schaut man sich aber manche Unternehmen an, die sich (berechtigt) rühmen, früher einmal sehr erfolgreich gewesen zu sein (nicht selten, um zu kaschieren, dass sie es heute eben nicht mehr sind), hat man das Gefühl, sie hätten damals, in den guten Zeiten, einen Schnappschuss gemacht und seitdem nichts mehr verändert, statt einen Film zu drehen, in dem permanent Bewegung stattfindet, in dem sich Situationen verändern, innerhalb dessen man Entwicklungen erkennen kann.

Unternehmen, die Wachstum eher als Projekt anstatt als Prozess verstehen, versuchen immer wieder, oft unter dem Druck der wirtschaftlichen Situation, innerhalb eines Kraftaktes auf das neue Leistungsniveau, das der Markt aktuell fordert, zu gelangen. Sie versuchen immer, auf eine neue Treppenstufe des Wachstums zu kommen, und nicht selten ist diese Stufe zu hoch für sie geworden. Dann aber erfolgt das wehleidige «Hätten wir doch ...», was nichts bringt, da die Vergangenheit nicht wiederbringbar ist.

Unternehmen, die Wachstum als Film, als Prozess verstehen, wissen, dass sich das Anspruchsniveau der Kunden quasi täglich weiterentwickelt, zunächst unmerklich, aber es ist zwingend erforderlich, sich stets täglich darüber im Klaren zu sein, dass die Kundenerwartungen sich entwickeln, und zwar immer nur in eine Richtung: Nach oben. Beispiele?

Da ist das mittelständische Familienunternehmen, das in Westeuropa Aggregate für den Anlagenbau herstellt und von dem osteuropäischen Wettbewerber überholt wird, weil der nicht nur günstigere Preise, sondern auch einen besseren Kundenservice anbietet und nicht nur von Montag bis Donnerstag zwischen 8 und 16 Uhr und am Freitag zwischen 8 und 13 Uhr erreichbar ist.

Oder das Holzgrosshandelsunternehmen, das so gewohnt ist, seinen Kunden grosse Spanplatten zu verkaufen, gern auch in grosser Menge, dass es versäumt, die Bedürfnisse der Kunden für kleine Speziallieferungen zu erkennen, so dass jene Kunden entdecken, dass andere Lieferanten auch Platten liefern können. Manche Kunden wechseln den Grosshandel, fast niemand redet mit dem «Plattengrosshandel» über weitere Sortimentsteile, obwohl der Grosshandel diese lagermässig verfügbar hätte und sich wundert, dass niemand nachfragt. Warum wohl nicht? Weil Erwartungen nicht erkannt wurden.  

Als drittes Beispiel sei das Modeunternehmen genannt, das sein Label als exklusiv positioniert, aber eine derartige Expansion betreibt, dass die Marke von vielen, vielen Menschen getragen wird und von Exklusivität nicht mehr die Spur existiert. Statt die Exklusivität über den Preis weiter zu spielen, wird auf Menge gesetzt. Fatal und an den Erwartungen der Kunden vorbeigearbeitet. Schade um die Zeit.

Veränderungen als Dauerzustand

Man mag nun einwenden, dass die Beispiele, denen ich noch zahlreiche beifügen könnte, immer aus der aktuellen Situation rückwärts erklärt werden, was naturgemäss einfacher ist, als in der Situation richtig zu handeln. Korrekt, aber mit der richtigen Einstellung, dem richtigen «Mindset» für Wachstum gelingt es sehr wohl, jeweils gegenwärtig Kundenerwartungen zu antizipieren. Zu häufig ist die Einstellung in Unternehmen, dass «nicht sein kann, was nicht sein darf».

Viele Unternehmen tun sich schwer damit, bisherige Leistungen, die lange erfolgreich waren, über Bord zu werfen und nicht mehr anzubieten, Marken neu zu positionieren oder besser: permanent zu justieren, sich in einen fortwährenden Veränderungsprozess zu trauen. Eines muss aber klar sein: Wer auch in Zukunft wachsen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass Veränderung nicht mehr die Ausnahme, sondern der Dauerzustand ist, denn der Luxus von gestern wird immer schneller normal, und es ist allemal gesünder, diesen Trend mitzugestalten, als ihm zum Opfer zu fallen.

Der Unternehmensführung kommt dabei der erste Schritt zu, denn sie ist es, die die Mitarbeiter ermutigen muss, Gewohntes zu hinterfragen, Marktbeobachtungen miteinander zu teilen und darüber zu diskutieren, Veränderungen zu wagen, ohne zu wissen, ob sie gelingen.

Die Unternehmensführung ist es auch, die skeptisch beäugt wird, wenn es darum geht, mit Fehlern umzugehen. Nicht selten entscheidet sich hier, wie risikobereit eine Organisation künftig ist. Und letztlich ist es die Unternehmensführung, welche die Entscheidungen, was genau getan werden kann, um den Standard permanent zu heben, treffen muss – und das schnell, schnörkellos, konsequent.

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