Strategie & Management

Changemanagement

Der Faktor Mensch in der digitalen Transformation

Soll die digitale Transformation im Unternehmen gelingen, muss es eine transformationsoffene Unternehmenskultur geben. Daraus ergeben sich vor allem zwei Handlungsfelder: Es braucht ein besseres Miteinander-Arbeiten und ein effektiveres Miteinander-Reden. Denn erst Kommunikation und Kooperation ermöglichen einer Organisation echten Wandel.
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Die Digitalisierung ist eine Tatsache, und sie schreitet unaufhaltsam voran. Begriffe wie die «Digitale Transformation» und «Industrie 4.0» – was ja sogar das Konzept einer vierten industriellen Revolution  bemüht – machen klar, wie tiefgreifend und andauernd die Wandlung ist, mit der wir es zu tun haben. Die Time to Market neuer Businessmodelle wird schneller und Produktlebenszyklen kürzer – kontinuierliche Veränderung wird ein unvermeidbarer Bestandteil des geschäftlichen Alltags. Die Komplexität des digitalen Wandels führt aber dazu, dass es keine vorgefertigten Patentrezepte für diese Änderungsprozesse gibt. Wie sollen Unternehmen also auf die Herausforderungen der digitalen Transformation reagieren?

Offene Unternehmenskultur

Jede Organisation stellt immer auch ein Abbild der Menschen dar, die dort miteinander arbeiten. In einer digitalisierten Welt steigt der Bedarf an Wissensarbeit weiter an. Damit rücken – auf den ersten Blick vielleicht überraschend – die Menschen ins Zentrum der Veränderungsprozesse im Rahmen der digitalen Transformation. Denn Unternehmen, die unter den neuen Bedingungen bestehen wollen, müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen diesen Wandel auch vollziehen und mitgestalten können. Um diesem menschlichen Faktor Rechnung zu tragen, braucht es unmittelbarere Formen der Zusammenarbeit und der Kommunikation. Erst eine geeignete Unternehmenskultur schafft die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation – hin zu einer flexiblen Organisation, in der die Menschen Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrnehmen.

Eine Unternehmenskultur, die die erforderliche Flexibilität und Veränderungsbereitschaft besitzt, adressiert insbesondere zwei grosse Felder innerhalb der Organisation: das Miteinander-Reden und das Miteinander-Arbeiten. Nötig sind eine engere Kooperation und eine intensivere Kommunikation. Beides ist allerdings keine Frage grosser Kulturprojekte, sondern der gelebten Unternehmenswirklichkeit, der gelebten Unternehmenskultur. Die verwandelt sich nicht durch Führungsentscheidungen und per Dekret, sondern durch die alltägliche Praxis, durch eine Vielzahl kleiner Initiativen und Projekte. Aber ebenso richtig ist: Ohne Unterstützung und Steuerung durch die Führungsebene kann Veränderung im Unternehmen nicht gelingen. Eine transformationsoffene Unternehmenskultur zu schaffen, ist letztlich ebenso Aufgabe des Managements wie der einzelnen Teams. Wie können Unternehmen von heute also durch engere Kooperation und Kommunikation dem menschlichen Faktor der digitalen Transformation Rechnung tragen?

Handlungsfeld 1

Entscheidend dafür, dass Wandel nicht als Bedrohung, sondern als selbstverständlich wahrgenommen wird, ist ein Neu-Denken des Miteinander-Arbeitens. Allein aufgrund hierarchischer Vorgaben wird solch eine Veränderung hin zu einer transformationsoffenen Unternehmenskultur allerdings nicht gelingen: Eine neue Unternehmenskultur lässt sich nicht verordnen. Sie entsteht vielmehr dadurch, dass sie praktisch gelebt wird. Dabei ist es nicht die Aufgabe der Führung, den Mitarbeitern zu sagen, was sie zu tun haben, sondern sie sollte Bedingungen schaffen, dass die Mitarbeiter und Teams ihre Arbeit bewältigen und Probleme gemeinsam lösen können – die Führung muss den Weg hin zu einer besseren Kooperation ebnen. Es ist nicht entscheidend, ob dafür Methoden wie Scrum oder Kanban eingeführt werden – wichtiger als die Methoden ist das Ziel des Miteinander-Veränderns. Und dies lässt sich durchaus dadurch befördern, dass man einzelne Vorgehensweisen und Werkzeuge aus etablierten Methoden miteinander kombiniert, um so den individuellen und für das Unternehmen besten Weg zur flexiblen Organisation zu finden.

Visualisieren von Arbeit

Die Arbeit eines Teams zu visualisieren, eröffnet Vorteile in zwei Dimensionen: Einerseits profitiert das Team selbst davon, andererseits tun es die Stakeholder und das Management. Die interne Sicht der Teammitglieder auf ihre Arbeit hilft, Fragen zu beantworten wie: Wer im Team tut gerade was, wo ist Unterstützung notwendig und wo kann Wissenstransfer aktuell hilfreich sein? Aber auch die externe Perspektive der Stakeholder wird durch eine Visualisierung unterstützt. Sie erfahren, woran das Team arbeitet und wie hoch seine Auslastung ist. Die Tafel in Kanban oder das Scrum Board sind geeignete Werkzeuge für solch eine Visualisierung, aber auch ein Gantt Chart kann eine sinnvolle Lösung sein. Die Voraussetzung: Die Visualisierung muss allen Beteiligten und Interessenten zur Verfügung stehen – ein Gantt-Diagramm, das nur im Büro sichtbar ist, wäre wenig hilfreich.

Was ist zu tun – und wann muss es fertig sein?

Es ist wichtig, zu Beginn eines Vorhabens eine Vision davon zu entwickeln, wie das Ergebnis der anstehenden Arbeit aussehen soll. Solch eine Zieldefinition geschieht zunächst immer von einer beträchtlichen Flughöhe aus – bevor die operative Arbeit beginnen kann, muss diese Vision also in kleine Teile zerlegt werden, die sich tatsächlich bearbeiten lassen. So liefert das «Epic» im Rahmen des Anforderungsmanagements die Vision, aber handhabbar wird das Epic erst durch eine Work Breakdown Structure oder einzelne User Stories.

Erst diese Untergliederung macht eine Visualisierung und Strukturierung der Arbeit möglich. Ebenso wichtig ist es, schon bei der Planung das Ergebnis der einzelnen Arbeitsteile und den dafür erforderlichen Zeitaufwand im Auge zu haben. Denn um die Time to Market zu verringern, hilft es naturgemäss nicht, immer neue Arbeit anzufangen – man muss sie auch fertigstellen. Dies gelingt, wenn man die Arbeit, die das Team gleichzeitig erbringen muss, begrenzt. Das Ziel ist es dabei, einen Flow im Team herzustellen, bei dem sich ein Teilergebnis an das nächste reiht.

Das Stakeholder Management 2.0

Die Art, wie Wissensarbeit erbracht wird, ist einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Noch vor einigen Jahren war es in der Wissensarbeit üblich, dass ein Kunde seine Idee formulierte und sich der Auftragnehmer dann zurückzog, um das gewünschte Produkt zu entwickeln. War es fertiggestellt, wurde es präsentiert, und der Kunde konnte es nutzen. Dieses traditionelle System kommt in der digitalisierten Welt immer öfter an seine Grenzen. Heute können sich Anforderungen viel schneller ändern oder ganz neue hinzukommen, die die ursprüngliche Vereinbarung obsolet werden lassen.

Damit die Arbeit am Ende trotzdem zu dem Ergebnis führt, das der Kunde zum Zeitpunkt der Fertigstellung tatsächlich benötigt, muss sich die Interaktion zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ändern. Es ist wichtig, dass der Auftraggeber aktiv an der Entwicklung des Endergebnisses teilhat. Nur wenn er in den Arbeitsprozess integriert ist, gibt es für ihn die Möglichkeit, steuernd einzugreifen. Dies führt zu einer höheren Kundenbindung und im besten Fall sogar dazu, dass ein einzelnes Projekt zu einem wirklich gemeinsamen Vorhaben wird. Ein Beispiel dafür, wie eine solche Bindung in einem agilen Entwicklungsprozess geregelt und strukturiert sein kann, liefert die Rolle des «Product Owner» in Scrum.

Etablieren einer Fehlerkultur

Gerade wenn Wissensarbeit erbracht werden soll, ist es zentral, Transparenz über die laufende Arbeit herzustellen. Denn erst Transparenz – und eine geeignete Visualisierung – führen zu einer wirklichen Teilhabe und zu einem echten Mitdenken der beteiligten Personen. Mit einem Dienst nach Vorschrift wäre im Kontext von Wissensarbeit niemandem geholfen. Zur Transparenz gehört es auch, Messbarkeit und Verbindlichkeit herzustellen.

Damit dies funktioniert, muss es möglich sein, ein Scheitern zuzulassen und Fehler bewusst zu betrachten. Erst wenn die Möglichkeit des Scheiterns akzeptiert ist und eine angemessene Fehlerkultur etabliert wird, stiftet Transparenz maximalen Nutzen. Dann kann sie einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg leisten.

Optimieren des Systems

Auch Kanban legt es nahe: Wenn man die Arbeit optimieren will, sollte man dies nicht mit Blick auf den einzelnen Mitarbeiter, sondern auf das System hin tun. Aus dem Einzelnen immer mehr und mehr Arbeitsleistung herausholen zu wollen, führt kaum zum Ziel. Stattdessen sollte darauf geachtet werden, die Ergebnisse des gesamten Systems zu verbessern. Denn den Arbeitsdruck auf einzelne Mitarbeiter zu steigern, um die Produktivität zu erhöhen, führt letztlich nur dazu, dass schneller, aber nicht qualitativ besser gearbeitet wird. Ein weiterer Effekt dieses verfehlten individuellen Drucks ist ein erhöhter Turnover – Mitarbeiter werden verheizt.

Und noch ein Aspekt wird im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung oft übersehen: Es ist nicht wirklich zielführend, 100 Prozent der Arbeitszeit für die Aufgabenerfüllung zu verplanen. Gerade unter den Bedingungen der Transformation kann es viel nützlicher sein, den Mitarbeitern auch Zeit einzuräumen, in der sie ihre Arbeit reflektieren können. So haben sie auch die Gelegenheit, die aktuelle Aufgabe zu hinterfragen, um so vielleicht effizientere und bessere Wege zu finden, auf denen sich das übergeordnete Ergebnis schneller und mit weniger Aufwand erreichen lässt – und diese mit dem Team zu teilen. Das führt uns unmittelbar zur Frage der Kommunikation.

Handlungsfeld 2

Es ist seit Langem bekannt: Kommunikation stellt sowohl in Projekten als auch in der täglichen Zusammenarbeit einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Dies gilt umso mehr, wenn unter den Bedingungen der digitalen Transformation die Bedeutung der kreativen und innovativen Wissensarbeit noch wächst und Veränderungen Unternehmensalltag werden. Allerdings gibt es besonders im Feld der Kommunikation recht viele Stolperfallen, die die gewünschten positiven Wirkungen sogar in ihr Gegenteil verkehren können. Erfolgreich miteinander kommunizieren – das ist oft leichter gesagt als getan.

Kommunikation ist noch keine Verständigung

Die Tatsache, dass miteinander geredet wird, garantiert noch keinen Erfolg. Ein wesentliches Ziel aller Kommunikationsbemühungen muss es sein, Missverständnisse zu eliminieren und sich mit allen Teammitgliedern zu verständigen. Entscheidend ist es hierbei, sicherzustellen, dass die Kommunikationsinhalte wirklich ankommen. Wir haben vielleicht etwas Sinnvolles und Wichtiges gedacht, es aber nicht gesagt. Oder wir haben es zwar gesagt, aber nicht so deutlich und klar, dass diese Idee auch gehört worden wäre.

Oder was wir sagten, wurde zwar gehört, aber nicht verstanden. Hinzukommt: Verständnis bedeutet nicht gleich Einverständnis, und selbst wenn der Adressat einverstanden ist – umgesetzt ist die Idee dann noch lange nicht. Sprache zu verstehen, ist das eine, die kommunizierten Inhalte in unsere Gedankenwelt umzusetzen und somit Verständigung zu erreichen, ist das andere. Ohne einen klaren Feedbackkanal besteht immer die Gefahr, dass Kommunikationsabsichten innerhalb des Teams ungehört oder unverstanden versanden.

Der Unterschied zwischen Monolog und Dialog

Gegenüber einem Monolog hat eine dialogische Kommunikationsform natürlich den Vorteil, ein wechselseitiger Prozess zu sein. Missverständnissen lässt sich auf diese Weise vorbeugen. Schwierig ist es allerdings, im Unternehmensalltag den geeigneten Mix aus einseitiger und mehrseitiger Kommunikation zu finden. Wann reicht es aus, wenn eine einseitige Nachricht gesendet wird, wann sollten zwei Teammitglieder miteinander diskutieren, und wann ist es sogar sinnvoll, dass alle Teammitglieder oder alle Beteiligten sich im grossen Kreis austauschen? Gerade bei grossen Meetings tauchen gern die erwähnten Probleme des Gesagt,-aber-nicht-gehört oder des Ge­hört,-aber-nicht-verstanden auf, und es kommt zu keiner Verständigung (wie unter «Kommunikation ist noch keine Verständigung» beschrieben). Man sollte sich also immer gut überlegen, wann es an der Zeit für einen monologischen Vortrag ist und wann eine Gruppendiskussion die bessere Wahl darstellt.

Es gibt immer eine explizite und eine implizite Kommunikation Paul Watzlawick, der berühmte Kommunikationswissenschaftler, brachte es auf den Punkt: «Man kann nicht nicht kommunizieren.» Längst nicht alle menschliche Interaktion findet explizit statt. Sehr viel unserer Kommunikation spielt sich implizit ab. Was wir sagen, ist manchmal weniger wichtig, als wie wir es sagen, mit welchem Tonfall oder mit welcher Körpersprache. Man kann sich die Kommunikationsbandbreite als einen Eisberg vorstellen: Der grösste Teil des Eisbergs ist unter der Wasseroberfläche und unsichtbar, aber dieser ist bedeutsamer und wirkungsmächtiger als der sichtbare Teil. Von der besonderen Bedeutung der impliziten, unausgesprochenen Kommunikationsinhalte handelt auch ein weiteres kommunikationspsychologisches Axiom von Paul Watzlawick: «Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.» Bei jeder Kommunikation im Unternehmen kommt ein komplexes soziales System zum Tragen: das Unternehmen mit seinen Menschen, seiner Kultur, seiner Geschichte, seinen Werten und seinen Regeln. Dies macht es umso wichtiger, sich nicht nur um Kommunikation, sondern um eine klare Verständigung zu bemühen. Es kommt nie nur darauf an, was man sagt, sondern auch wer es sagt, wie er es sagt und wie es wahrgenommen und verstanden wird.

Das Marmeladengesetz

Für die Kommunikation gilt: Je breiter ein Kommunikationsinhalt gestreut wird, desto fraglicher ist es, ob er die gewünsch­­te Wirkung entfaltet. Die Balance zu finden zwischen Verbreitung und Fokussierung ist demnach sehr wichtig. Wenn also Inhalte zu stark gestreut werden, besteht die Gefahr, dass die ursprüngliche Kommunikationsintention und die Hauptaussage sich durch die Vielzahl der Interpretationen einfach auflöst oder bis zur Unkenntlichkeit verändert. Je breiter die Marmelade verstrichen wird, desto mehr Geschmack geht verloren. Bei der Kommunikation ist das ganz ähnlich. Es will also gut überlegt sein, wie man sein Projekt intern – und extern – kommuniziert.

Fazit

Durch die digitale Transformation gewinnt Wissensarbeit eine noch grössere Relevanz als früher. Und weil es Menschen sind, die diese Wissensarbeit erbringen, nimmt zugleich die Bedeutung des menschlichen Faktors im Unternehmen zu. Die Rolle, die menschliche Kreativität und Innovationskraft für den Unternehmenserfolg spielen, wächst. Eine Organisation wird einen digitalen Wandel nur vollziehen können, wenn sie die Mitarbeiter mitnimmt. Darum verlangt die digitale Transformation es auch von den Organisationen selbst, sich zu transformieren.

Nur in einer transformationsoffenen Unternehmenskultur verliert der ständige Wandel für die Mitarbeiter seinen Schrecken, und nur dann ist eine Organisation in der Lage, auf die komplexen Fragen der fortdauernden Veränderungen in der digitalen Geschäftswelt die geeigneten Antworten zu finden. Dazu muss sich die Unternehmenskultur vor allem in zwei Bereichen verändern: Es braucht ein besseres Miteinander-Arbeiten und ein effektiveres Miteinander-Reden. Kooperation und Kommunikation heis­sen die beiden Standbeine einer modernen Organisation, die sich den Herausforderungen des digitalen Wandels gewachsen zeigen will.

Porträt