Ich bin immer wieder überrascht, wie viele vermeintlich besonders gute Führungsinstrumente es gibt, die ich noch nicht kenne, und ich bin ebenso überrascht, wie viele neue sogenannte Führungsinstrumente auftauchen. Interessanterweise werden die- se Instrumente häufig von unseren Berufskollegen aus der Beratung erfunden, konzipiert, in die Welt gebracht. Verständlich, will man sich doch durch vermeintlich einzigartige, besonders wirksame Instrumente von den Kollegen, dem Wettbewerb differenzieren. Auch viele HR-Abteilungen, von denen viele ihren Namen nicht verdienen, weil sie sich nicht um «Human Resources» kümmern, sondern reine Verwaltungseinheiten sind, versuchen sich immer wieder in der Produktion neuer Führungstools. Besonders beliebt: Tools, mit denen Leistung quantitativ bewertet werden kann.
All die vielen Instrumente, die ganze Flut von Methoden machen Führung indes nicht wirksamer. Reduziert man die vielen Methoden auf den Kern, geht der Zauber der Differenzierung auch sehr schnell verloren. Nimmt man die vermeintlich wissenschaftlichen Methoden und geht ihnen auf den Grund, sind sie oft gar nicht so wissenschaftlich, wie sie sich geben. Auch die zahlreichen «management-by»-Techniken bringen uns nur sehr begrenzt weiter – als persönliche Bemerkung sei mir gestattet zu erwähnen, dass ich «management-by-Denim» bisher am unterhaltsamsten fand: An jeder wichtigen Stelle sitzen Nieten.
Führung lässt sich nicht mechanisieren
Aber zurück zum Kern, denn es ist um das Thema «Führung» zu ernst, um ins Plaudern zu kommen: Abgesehen davon, dass Führung und Management zwei unterschiedliche Dinge sind, die durch Schnittstellen miteinander verbunden sind, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Führung sich nicht mechanisieren lässt. Will man im Unternehmen für Wachstum sorgen, sind es Kernaufgaben der Führung, dafür zu sorgen, dass die richtigen Menschen an den richtigen Positionen wirken, dass überhaupt die richtigen Menschen eingestellt werden, nämlich diejenigen, die nicht darauf setzen, dass ein – Verzeihung – Vorturner den ganzen lieben langen Tag vorgibt, was zu tun ist, sondern diejenigen, die bis in die Haarspitzen motiviert am Bewerbungstisch sitzen und diese intrinsische Motivation auch nach Vertragsunterzeichnung mit ins Unternehmen bringen. Führung hat dafür zu sorgen, dass ein Umfeld geschaffen wird, diese intrinsische Motivation zu erhalten und idealerweise auszubauen. Führung muss dafür Sorge tragen, dass Talente sich in einem angstfreien Raum entwickeln können – immer in die Richtung, in die das Unternehmen beschlossen hat zu gehen, aber der Raum muss verfügbar sein. Führung muss erkennen, dass Menschen keine Maschinen sind und dass Menschen verschiedene «Hüte», also Rollen, zu balancieren haben. Führung hat die Aufgabe ...
Ich glaube, wir können hier erst einmal pausieren, denn wenn man einen Moment meine obige Auffassung über die dargestellten Facetten von Führung, die bei Weitem keinen Vollständigkeitsanspruch hegen, teilt, wird eines klar: Mechanistische Instrumente, jeder Versuch, Führung schematisch wirksam werden zu lassen, greift zu kurz. Wir wollen an dieser Stelle nicht in Abrede stellen, dass eine gewisse Struktur in der Ausübung von «Führung» hilfreich ist, und wir wollen auch nicht in Abrede stellen, dass gerade in grösseren Unternehmen durchaus erwünscht sein kann, auch bei der Vergleichbarkeit von Leistungen auf gleicher Basis aufzusetzen, aber all das darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, was das wichtigste Instrument der Führung und für Führung ist: das Gespräch.
Ritualisierte Gespräche sind durch nichts zu ersetzen
Das Gespräch ist als Führungsinstrument durch nichts zu ersetzen. Nein, ich meine damit nicht notwendigerweise das durchgeplante, auf Basis eines standardisierten Fragebogens von irgendwelchen sogenannten «HR-Professionals» entwickelte Gespräch, bei dem das sprichwörtliche Kaninchen vor der ebenso sprichwörtlichen Schlange sitzt und in dem es am Ende des Tages ohnehin nur um die Frage geht, ob es im nächsten Jahr eine Beförderung oder zumindest mehr Geld gibt. Ich meine ein Gespräch, das zum Ritual wird, ein Gespräch das durchaus informell verlaufen kann, ein Gespräch, in dem beiderseitige Erwartungen ausgetauscht werden, in dem Beobachtetes miteinander geteilt und besprochen wird, in dem auch Privates – wenn es geboten erscheint – seinen Raum haben kann. Ich spreche von einem Gespräch, das von Vertrauen geprägt ist; von einem Vertrauen, das jeder der Gesprächsteilnehmer das jeweils Beste für das Gegenüber im Sinn hat –
natürlich nicht unter Selbstaufgabe.
Ein solches Führungsgespräch kann unangenehm sein, weil es sich möglicherweise einer Struktur entzieht, und Strukturen geben ja, das wissen wir, Sicherheit. Aber ein echtes Führungsgespräch muss auch nicht perfekt sein, um Wachstumswirkung zu entfalten. In den meisten Gesprächen, die ich zur Kenntnis bekomme, sprechen die Führungskräfte mehr als die Mitarbeiter – warum eigentlich? Ist es die Sorge, die Kontrolle zu verlieren? Vielleicht. Natürlich ist es wichtig, von Zeit zu Zeit etwas formaler über den Leistungsstand einzelner Mitarbeiter zu sprechen, aber das entbindet Führungskräfte nicht von der Verpflichtung, sich auch zwischendurch substanziell mit ihren Mitarbeitern auszutauschen. Wohlgemerkt: Ich spreche nicht von einer Plauderei. Arbeitssituationen bieten zum Beispiel einen prächtigen Anlass für Führungsgespräche. Wenn meine Beraterkollegen und ich von einem Meeting kommen, frage ich regelmässig: «Was haben wir heute erlebt?» Und es entwickelt sich ein reger Dialog über Beobachtetes, über Dinge in der Zusammenarbeit untereinander, die gut gelaufen sind, über Dinge, die vielleicht auch nicht so gut gelaufen sind. In jedem Fall sind wir nach dem Dialog einen Schritt weiter. Auch ein – beispielsweise auf einer gemeinsamen Reise oder beim Kaffee geführtes – Gespräch, das mit «Wie kommst du zurzeit mit deinen Aufgaben und Zielen zurecht?» beginnt, führt oft zu wachstumswirksamen Erkenntnissen.
Bewährte Strukturen
Will man einem Führungsgespräch eine einfache und dennoch wirksame Struktur geben, hat sich Folgendes glänzend bewährt:
- Resultate: Was sind beobachtbare Leistungsergebnisse des Mitarbeiters?
- Erfolge: Welche besonderen Erfolge sind seit dem letzten Gespräch eingetreten und warum sind diese eingetreten? Wie bewerten wir diese Erfolge?
- Engpässe: Welche Engpässe sind aufgetreten oder herrschen aktuell und wie wurden sie überwunden bzw. wie sollen sie überwunden werden?
- Massnahmen: Welche konkreten Massnahmen werden abgeleitet, was geschieht durch wen bis wann, welche Verbesserungen erwarten wir dadurch?
Ein unter dieser Struktur geführtes Gespräch benötigt keine weiteren Instrumente ausser – im übertragenen Sinne – Papier und Bleistift. Eine solche Struktur erhält den Gesprächscharakter und lässt auch keine Hektik aufkommen, die entsteht, wenn Dinge eines Fragebogens noch abgearbeitet werden müssen. Die Struktur lässt sich merken, was einen Portabilitätsvorteil und Medienunabhängigkeitsvorteil mit sich bringt. Der Nachteil: Keine Quantifizierung, Urteilsvermögen zwingend vonnöten, eine gewisse Ambiguität und Unperfektion. Aber den Umgang damit müssen Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermassen üben, soll wirklich Wachstum entstehen.