Strategie & Management

Kommentar & Meinung

Das mittlere Management stärker einbinden

Die Rolle von Führungskräften für die Employee Experience (EX) ist unbestritten. Doch eine Gruppe dieser Führungskräfte wird wenig ins Zentrum entsprechender Projekte gerückt: das mittlere Management in grossen Unternehmen, beispielsweise Werks-, Bezirks- oder Bereichsleiter.
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Dies sind Führungskräfte, die die meisten Mitarbeitenden kennen, die aber noch nicht zum Kreis derer gehören, die zumeist als «die da oben» gelten. Sie haben Entscheidungsbefugnisse, die für den Arbeitsalltag der Belegschaft relevant sind, wenngleich sie nicht für die Unternehmensstra­tegie verantwortlich sind. 

«Sandwich-Leader» zwischen allen Stühlen

Als «Sandwich-Leader» sitzen diese Führungskräfte oft zwischen den Stühlen und müssen es «oben» und «unten» recht machen. Sie müssen die Vorgaben der Unternehmensleitung mit meistens knappen Budgets umsetzen und dabei oft harte Entscheidungen treffen. Gleichzeitig erwarten die Mitarbeitenden, dass sie als Vorbilder agieren, sie empathisch führen, gut kommunizieren, agil sind, neue Managementkompetenzen erwerben und auch gegenüber der Unternehmensleitung für die jeweiligen Belegschaftsinteressen einstehen. Viele mittlere Führungskräfte berichten hingegen von einem Übermass an Bürokratie. Sie wünschen sich mehr Autonomie und Verantwortung, um die eigentlichen Aufgaben und Herausfor­derungen besser bewältigen zu können. So werden sie zur viel zitierten «Lähmschicht». Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, wenn das In­teresse an Führungspositionen sinkt. 

Die Rolle der mittleren Führungskraft wird somit zur kritischen Ressource für Unternehmen. Auch der indirekte Effekt ist kritisch: Mitarbeitende bleiben eher in einer Firma, wenn sie sich Kar­rierechancen versprechen. Sinkt der Wunsch, in der eigenen Organisation die Hierarchieleiter hinaufzuklettern, erhöht sich das Kündigungsrisiko für den Arbeitgeber. Die Bereitschaft, weiterhin im Unternehmen zu bleiben, hat allein in den letzten zwei Jahren weltweit ohnehin abgenommen, jedoch überproportional in der Gruppe der mittleren Führungskräfte: um circa 13 Prozentpunkte (von 83 Prozent auf rund 70 Prozent; zum Vergleich: Mitarbeiter ohne Führungsverant­wortung und untere Führungskräfte zeigen einen Rückgang von circa sieben bis acht Prozentpunkten, so eine Sonderauswertung des «EX Trend ­Reports 2023» von Qualtrics). 

Einer der zentralen Gründe für dieses Abwan­derungsrisiko stellt die raue Kultur in den Führungsmannschaften dar, beispielsweise die geringen Möglichkeiten, Risiken im Team einzu­gehen, ein wenig respektvoller Umgang, unzureichendes Gehör seitens der jeweils höheren Ebene und unklare Erwartungen an die eigene Rolle. 

Schlechte Ansprache

Während die Experience der mittleren Führungskräfte Luft nach oben hat, bleiben diese auch beim Thema EX Management oftmals aussen vor. Wenn Mitarbeiterbefragungen durchgeführt werden, beziehen sich die Fragen in der Regel auf das Top Management oder die direkte Führungskraft. Für den Grossteil der Belegschaft sind dies die Team- und Abteilungsleiter. Zudem findet die Massnahmenplanung oftmals nur auf der Unternehmens- sowie auf Teamebene statt. 

Mittlere Führungskräfte delegieren diese Verantwortung dann häufig weiter nach unten, da sie sich nicht angesprochen fühlen – für viele sicherlich auch eine willkommene Vermeidungsstrategie. Dabei könnten sie durchaus für die Beschäftigten re­le­vante strukturelle Massnahmen umsetzen. Diese sind nicht so «weit weg» wie Veränderungen auf Unternehmensebene, und wirksamer als auf Teamebene. Auch andere Projekte zur Messung und zum Management der EX betreffen sie wenig, da Employee-Lifecycle-Projekte zentral ge­steuert werden. 

Sie erhalten keine Einsicht in entsprechende Auswertungen und Erkenntnisse, auch wenn sie für diese Aspekte des Arbeitslebens Verantwortung tragen: Lokal- oder bereichsspezifische Einar­beitungsprogramme, die Umsetzung des Performance-Management-Prozesses, Entscheidungen rund um Beförderungen oder auch Personalplanung ganz allgemein, Budgetplanungen, Bewil­li­gungen und so weiter. Ohne Rückmeldung zu solchen Themen ist es schwierig, empathisch zu führen.

Massnahmen zur Stärkung des mittleren Managements

Es würde nicht nur ihre eigene Experience, sondern vor allem die der Belegschaft in ihrem Verantwortungsbereich verbessern, wenn die mittleren Führungskräfte in entsprechenden Projekten eine stärkere Beachtung fänden – zum Beispiel durch folgende Massnahmen:

  • Ein höherer Bezug zu ihrer Person beziehungsweise ihrem Verantwortungsbereich in entsprechenden Befragungen (durch Personalisierung)
  • Ein entsprechender Fokus im Folgeprozess der jeweiligen Engagement- und Pulse-Befragungen – konzeptionell, aber auch mit entsprechenden rollenspezifischen Dashboards zu ihren Ergebnissen – so hätten sie die notwendigen Informationen, die ihnen helfen und die 
  • sie kommunizieren können
  • Möglichkeit, die Mitarbeitenden team- und abteilungsübergreifend in die Ideenentwicklung einzubinden
  • Automatisierte Benachrichtigungen, wenn Mitarbeitende über schlechte Experiences entlang des Lifecycles berichten, und die Möglichkeit, entsprechend schnell zu reagieren
  • Verfügbarkeit einer kontinuierlichen Sensorik für EX-Themen, die die interne Stimmungslage erfasst – etwa durch wöchentliche Pulse-Checks, anonyme Auswertungen entsprechender Chatverläufe oder auch die Möglichkeit, selbst spontan kleine Befragungen aufzusetzen

Dies würde ihre Autonomie und ihren Handlungsspielraum deutlich stärken, die «Lähmung» reduzieren und mitunter gar die Ursachen für ihre potenziell geringe Bindung adressieren. Wer mehr bewegen will, muss besser zuhören. Das mittlere Management in dieser Hinsicht zu be­fähigen, auszustatten und in den Fokus zu rücken, birgt enormes Potenzial.

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