Strategie & Management

Kolumne: Unternehmenswachstum

Das «Kultur-Veränderungsprojekt» – ein Irrtum

Unternehmenskulturen lassen sich nicht mit einem Projekt verändern, dies ist Selbstzweck. Die Veränderung der Unternehmenskultur geschieht durch bewusstes Vorleben eines erwünschten Verhaltens.
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Es begegnet uns in unserer Beratungspraxis immer wieder, dass Klienten ihre Unternehmenskultur verändern möchten. Dagegen ist im Prinzip auf der Ebene des «Was» (Veränderung der Unternehmenskultur) nichts einzuwenden, wenn sich eine Firma zeitgemässer aufstellen möchte, wenn sie nach gründlicher Analyse zu der Erkenntnis gelangt, dass Veränderungen zur Zukunftssicherung dringend geboten sind oder wenn sich schlicht unangemessene Auswüchse eingestellt haben, die nicht mehr tolerierbar sind. Auf der Ebene des «Wie», der Ebene des Verfahrens zur Veränderung der Unternehmenskultur, ergeben sich allerdings erhebliche Abwägungsbedarfe.

Wachstumsfördernde und wachstumshemmende Unternehmenskulturen

Doch der Reihe nach: Hier geht es um Wachstum und es ist deutlich festzustellen, dass es sowohl wachstumsfördernde als auch -hemmende Unternehmenskulturen gibt. Sind wachstumsfördernde Kulturen unter anderem durch ein Umfeld des verantwortungsvollen Umgangs mit Personen und Sachverhalten, des Entscheidens, des Würdigens, des kritischen Argumentierens und des Willens zur permanenten Entwicklung gekennzeichnet, so ist das Gegenteil auf der dunklen Seite, nämlich der Seite der wachstumshemmenden Kulturen sichtbar: Es herrscht ein Umfeld weitgehender Gleichgültigkeit, des Hin- und Herschiebens von Verantwortung, des Ignorierens guter Leistungen, bis hin zur Negierung derselben (natürlich nur bei anderen). Es wird nicht argumentiert, es ist wichtig, Recht zu behalten und der Wille zur Entwicklung ist eingeschränkt durch die Angst vor Veränderung. Soweit eine Schwarz-Weiss-Zeichnung.

Nun mag man einwenden, dass es diese Schwarz-Weiss-Situation nicht in der Realität gibt. Mag sein, aber uns als Externen fällt in der Regel nach der Teilnahme an nur wenigen Meetings auf, zu welcher Seite, der wachstumsfördernden oder der wachstumshemmenden, die Kultur des Unter­nehmens ausschlägt. Für Externe ist eine solche Einschätzung wesentlich leichter, sind sie doch nicht permanenter Bestandteil der Organisation und haben sie auf diese Weise einen freieren Blick. Unabhängig davon wird häufig eingewendet, eine Unternehmenskultur sei schon offensichtlich erkennbar, zum Beispiel an Kleiderordnungen, an der Sprache untereinander im informellen Gespräch sowie an weiteren Äusserlichkeiten. Wir warnen allerdings vor diesen vermeintlichen Offensichtlichkeiten, denn wir haben auch schon zahlreiche Kulturen kennengelernt, in denen zum Beispiel die (gelebte) Kleiderordnung, die als Anhaltspunkt für die Kultur angesehen wurde, sich nicht in der Dimension «Wachstum» niederschlug. So haben wir in Unternehmen mit sehr lockerem Umgang mit Kleidung, Arbeitszeiten, Gestaltungsraum bereits erhebliche Lücken in Richtung der Wachstumsorientierung beobachtet wie wir auch in offensichtlich sehr konservativ nach aussen scheinenden Firmen schon unternehmensweit hohen Wachstumswillen und hohe Wachstumsbereitschaft gesehen haben. Äusserlichkeiten sind selten dienlich, um die Kultur eines Unternehmens in Bezug auf die Dimension «Wachstum» zu diagnostizieren.

Die Arbeitsweise ist entscheidend

Nein, wenn es um Wachstum geht, müssen wir eine Ebene tiefer gehen. Wir müssen auf die Arbeitsebene kommen, denn hier, auf der Ebene der Interaktion untereinander, entscheidet sich das Wohl und Wehe einer Wachstumsinitiative beziehungsweise der Unternehmenszukunft. Die Frage, die uns regelmässig gestellt wird, ist: «An welchen Indikatoren erkenne ich, ob mein Unternehmen eine wachstumsfördernde oder eine wachstumshemmende Kultur hat? Worauf muss ich meine Beobachtung schärfen?» Klare Aussage: Man gehe in ein Meeting. Besser: Man gehe in mehrere Meetings in unterschiedlichen Abteilungen. Man gehe in Führungsmeetings, man gehe in Abteilungen und schaue sich an, wie miteinander gearbeitet wird. Bereits 2011 in meinem Buch «Profitabel wachsen» habe ich einige Elemente einer wachstumsfördernden Arbeitsweise zusammengestellt, die ich nachfolgend gerne noch einmal aufgreifen möchte:

In wachstumsfördernden, wachstumsorientierten Unternehmen ist Input weniger wichtig als Output. Es zählen Resultate, nicht die Tätigkeiten, die zu diesen Resultaten führen. Wird in einem Unternehmen stets darüber gesprochen, wie schwierig einzelne Vorgänge sind, führt dies zu nichts, zumindest nicht zu Wachstum. Wird darüber gesprochen, wie gut (oder schlecht) Resultate sind, kommt man auf einen wesentlich förderlicheren Weg. Wachstumsfördernde Unternehmenskulturen beachten eine strenge Reihenfolge, welche sich aus einem Top-down-Vorgehen erklärt, und dies meine ich nicht notwendigerweise unternehmenshierarchisch, sondern sachlich. Dies bedeutet: Erst wird über das «Ob» (z. B. «Wollen wir einen bestimmten Markt erobern?»), dann über das «Was» («Was genau wollen wir in diesem Markt anbieten?»), dann über das «Wie» («Wie gehen wir vor?») gesprochen. Mancher Leser mag nun meinen, das sei selbstverständlich. Zu häufig erleben wir aber, dass insbesondere das «Wie» die Diskussion dominiert. Beispiele? «Das ist schwierig, wie sollen wir das denn auch noch schaffen?», «Das hat der Wettbewerb auch schon versucht!», «Wir haben dafür nicht die erforderlichen Kompetenzen», man ergänze weitere Einwände auf der Wie-Ebene und sei willkommen in der Wachstumsverhinderungs-Kultur.

Argumente zählen mehr als persönliche Präferenzen

In wachstumsfördernden Unternehmenskulturen wird die Kraft des Argumentes geschätzt, nicht die Kraft der hierarchischen Position. Wohlgemerkt, ich bin kein Freund von Unternehmens-Anarchie, aber wenn es um die Verbesserung der Abläufe in der Kommissionierung geht, sollte man (auch) Kommissionierer fragen und die Entscheidung nicht dem Lagerleiter oder gar der Geschäftsführung überlassen. Und wenn ein Kommissionierer in einem Meeting nicht die gleiche Stimmkraft hat wie die anderen Anwesenden, braucht man ihn auch nicht einzuladen. Wachstumsfördernde Unternehmenskulturen geben den Argumenten den Vorzug, unabhängig davon, wer sie vorträgt und unabhängig von persönlichen Präferenzen. Dies hat weniger etwas mit Altruismus als mit Unternehmenserhalt und -ausbau zu tun. Weglassen ist ein wesentliches Prinzip einer wachstumsfördernden Unternehmenskultur. Wer in einem oder mit einem Unternehmen gearbeitet hat, das sich nicht über die Vielzahl von Aktivitäten, sondern über das bewusste Entscheiden über das Aufnehmen, Ablehnen oder Abbrechen von Aktivitäten definiert, hat einen wesentlichen Wachstumshebel kennengelernt. Dies korrespondiert sehr stark mit dem Input-vs.-Output-Prinzip, siehe oben.

Es gibt weitere Prinzipien, die hier nicht ausgeführt werden können. Ich bin aber bereit, sie geneigten Lesern zukommen zu lassen. Was mir wichtig erscheint – und hier schliesst sich der Kreis zum Titel dieser Kolumne: Ein dezidiertes Projekt zur Veränderung einer Unternehmenskultur ist ein Irrtum. Unternehmenskulturen lassen sich nicht mit einem Projekt verändern, dies ist Selbstzweck. Die Veränderung geschieht durch bewusstes Vorleben eines erwünschten Verhaltens. Sie geschieht durch Kommentieren, Explizieren, Sanktionieren. Die Veränderung einer Unternehmenskultur in ein Projekt zu fassen, mag manche HR-Abteilung faszinieren. Der Zweck, eine wachstumsfördernde Organisation zu schaffen, wird mit diesem Mittel aber nicht erreicht. Er wird nur erreicht durch eine Unternehmensführung, die den Wandel vorlebt.

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