Strategie & Management

Arbeitspsychologie

Bewältigungsstrategien für die Herausforderungen der Vuca-Welt

Eine (Berufs-)Welt, welche sich jeden Tag ändert und neue Herausforderungen bereit hält, verlangt von der Führungspersönlichkeit unorthodoxe Denkmuster und den Aufbau neuer Kompetenzen.
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Die meisten Unternehmen müssen heute fokussiert, schnell und flexibel entscheiden, agieren und reagieren. Und das in einem Umfeld, das geprägt wird von Vuca: Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Die Begriffe stehen für Unberechenbarkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit – und damit für einen ungeheuren Veränderungs- und Entscheidungsdruck. Altes muss zerstört und zerschlagen werden, damit Neues entstehen kann.

Grosse Unsicherheiten

Aber sind dies nicht einfach nur trendige Modebegriffe? Selbst wenn dem so wäre: Die dahinterstehende Unternehmensrealität mit all ihren Problemen bleibt existent. Und so beschreibt das Akronym Vuca recht anschaulich die veränderten Rahmenbedingungen und die drei gros­sen Herausforderungen der Gegenwart, mit denen Unternehmen zu kämpfen haben: Digitalisierung, Globalisierung und der Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels.

Vuca wird zu gewaltigen Veränderungen auf der organisationalen, strukturellen und strategischen Ebene führen. Was darüber häufig vergessen wird: Wie ergeht es eigentlich den Menschen, die in der Vuca-Welt zurechtkommen müssen? Welche Auswirkungen hat es für die Führungskräfte und Mitarbeiter, die in Situationen handeln müssen, in denen es keine eindeutigen Vorstellungen über die Wahrscheinlichkeiten möglicher Ereignisse mehr gibt? Die die Auswirkungen ihrer Entscheidungen aufgrund der zunehmenden Komplexität nicht mehr einschätzen können? Die anhand von zwei- und mehrdeutigen Entscheidungskriterien wichtige Weichenstellungen vornehmen, ohne die Richtung, in die es geht, genau einschätzen zu können?

Fünf Bewältigungsstrategien

Das wirkliche Problem bei Vuca lautet: Die meisten Menschen, und das gilt auch für Mitarbeiter sowie Führungskräfte, fühlen sich schlicht und einfach unwohl, wenn sie mit Unsicherheiten und allzu komplexen Gegebenheiten und Mehrdeutigkeiten umgehen müssen. Werden in der Vuca-Arbeitswelt vor allem die Krankenstände und Fehlzeiten steigen, wird das Burn-out der eigentliche Sieger sein? Nicht bei Umsetzung der Bewältigungsstrategien, die praxisorientierte Antworten in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Zeiten bieten und mit denen sich die Herausforderungen der Vuca-Welt meistern lassen.

Bewältigungsstrategie 1: Sich auf Wesentliches fokussieren

Es scheint zunächst ein Widerspruch, sich in einem komplexen und mehrdeutigen Umfeld zu fokussieren. Wäre nicht die Öffnung nach allen Seiten hin zielführender? Doch es geht darum, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen wir uns frei bewegen können. Gerade in unsicheren Zeiten brauchen wir einige unumstössliche Gewissheiten, an denen wir uns festhalten können.

Der Vorteil: Wer sich auf seinen Rahmen fokussiert, gewinnt zugleich die Freiheit, über den Tellerrand des Rahmens hinauszublicken. Wer im festen Rahmen seiner Werte, Überzeugungen und Einstellungen agiert, traut sich, den Rahmen auch einmal zu verlassen und das Ungewohnte zu denken und zu tun. Wer über Routinen verfügt, findet den Mut zur Grenzüberschreitung. Doch was könnte denn dieses Wesentliche sein, das zu einer stabilen Grundlage führt, von der aus eine Orientierung in der Vuca-Welt möglich ist? Zwei mögliche Antworten: Sie selbst und Ihr (unternehmerischer) Polarstern.

Bewältigungsstrategie 2: Die Polarsterne bestimmen

Wer sich fokussiert, landet stets am selben Ursprungsort – bei sich selbst. Versichern Sie sich Ihrer Persönlichkeit, arbeiten Sie das heraus, was Sie zu dem macht, der sie sind. Reflektieren Sie ständig, wer Sie sind und wohin Sie sich entwickeln möchten. Ihre Führungs-Persönlichkeit ist einer der Polarsterne, der Ihnen Orientierung bietet und es Ihnen erleichtert, Prioritäten zu setzen.

Wer sich selbst erkennt und kennt, verfügt über das Fundament, um darauf die zweite Stabilitätssäule zu errichten: Ihre unternehmerisch-berufliche Vision, Ihren Polarstern, der Ihrem Unternehmen, Ihren Mitarbeitern und vor allem Ihnen die Richtung vorgibt. Aufgrund seiner Helligkeit und seiner Position nahe dem Nordpol des Himmels dient der Polarstern dazu, die geografische Richtung festzustellen: Wer weiss, wo sich der Polarstern befindet, der weiss, wo Norden ist, der verfügt über einen Kompass und kann mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz besser umgehen.

Bewältigungsstrategie 3: Perspektivenwechsel trainieren

Letztendlich feiert eine bewährte Vorgehensweise Renaissance: Entwickeln Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern eine Vision, kreieren Sie Ihren Polarstern, an dem sich Ihre Entscheidungen und Handlungen orientieren. Leiten Sie daraus konkrete Ziele sowie Umsetzungsschritte ab. Seien Sie aber auch bereit, Ihre Ziele und Umsetzungsaktivitäten zu überdenken und neuen Entwicklungen anzupassen. Ihre Orientierungspunkte sind und bleiben Ihre zwei Polarsterne – Ihre Persönlichkeit und Ihre Vision.

Wer über jene Polarsterne verfügt und fokussiert agiert, ist eher in der Lage, in einem chaotisch-komplexen Umfeld die Perspektive zu wechseln und eine andere als die gewohnte Sichtweise einzunehmen. Die Kompetenz des kreativen Wechselns der Perspektiven basiert auf der Fä­higkeit, in Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten zu denken: «Es könnte auch alles anders sein!» Ihr Ziel sollte sein, ständig neue Wahrnehmungsbrillen aufzusetzen. Wenn Sie die rote Wahrnehmungsbrille gegen die grüne, gelbe, rosafarbene, blaue und selbst die schwarz-weisse austauschen, erhalten Sie einen vielschichtigen Blick auf Ihre Umgebung. Sie können komplexe Strukturen sowie Prozesse ganzheitlich und differenzierter betrachten.

Der Perspektivenwechsel lässt sich trainieren – dazu ein ungewöhnlicher Tipp: Beschäftigen Sie sich mit Literatur, Kunst und Philosophie, gehen Sie ins Theater, suchen Sie Stätten und Denk­räume auf, in denen Sie sich mit kreativen Perspektiven und innovativen Denkwelten konfrontieren. Tauschen Sie sich mit Menschen aus, die anders «ticken» als Sie. Verstehen Sie das «Anderssein» als Bereicherung. Versuchen Sie zunächst einmal, vorurteilsfrei in ein Gespräch einzusteigen, anstatt sofort eine Bewertung vorzunehmen.

Bewältigungsstrategie 4: Neue Methoden und Instrumente

Der Theaterbesuch als Überlebensmittel in der Vuca-Welt? Ist das ernst gemeint? Ja: Denn das Kunstwerk konfrontiert uns mit Bedeutungsvielfalt und sensibilisiert uns dafür, dass prinzipiell «alles» zwei oder mehrere Seiten hat. Es ist mehrdimensional aufgebaut und umfasst zahlreiche Sinnhorizonte – so machen Sie sich vertraut mit der Möglichkeit, Ihre standpunktverhaftete Sichtweise beiseitezuschieben und Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als dem üblichen.

In einer Umgebung, in der Informationen keine prognostische Aussagekraft mehr besitzen, Rahmenbedingungen schnell wechseln und Motivlagen sich oft verändern, funktionieren die bewährten Denk- und Handlungsinstrumente oft nicht mehr. Das heisst: Sie benötigen neue Methoden und Instrumente als die althergebrachten, die für die Vuca-Welt zu eindimensional ausgerichtet sind. Ob Design Think­ing, Agiles Management oder Scrum: Immer geht es um die Erweiterung Ihrer Wahrnehmungs- und Sehgewohnheiten.

Bewältigungsstrategie 5: Stärken und Potenziale

Einfache Antworten gibt es in der Vuca-Welt nicht. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit lassen sich jene Erscheinungsformen der Unberechenbarkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit nie ganz beherrschen. Umso relevanter ist es, ein intensives Stärkenmanagement zu betreiben, Ihre Potenziale zu entwickeln und auszuschöpfen und zu lernen, mit Unsicherheit, Misserfolgen und Rückschlägen umzugehen. Das erfordert den Aufbau sowie die Stärkung von Widerstandskräften, ein tagtägliches Lernen und den Erwerb neuer Fähigkeiten, wobei Sie Ihre Mitarbeiter und Ihre Teams mit auf die Reise nehmen sollten. Sie wissen ja: Auch in der Vuca-Welt geht es um die Menschen. Die Verunsicherung Ihrer Mitarbeiter dürfte noch grössere Dimensionen annehmen als die Ihre.

Das wertschätzende und achtsame Führen ist das stärkste Mittel, mit dem Sie Ihre Mitarbeiter unterstützen können, die Folgen der Veränderungswellen zu bewältigen. Bauen Sie darum ein systematisches Stärkenmanagement auf. Fokussieren Sie sich auf das, was Sie wirklich gut können. Ihre Stärken sind der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen in der Vuca-Welt.

Fazit

In der Vuca-Welt geht es disruptiv zu; das Unterste wird zuoberst gekehrt, es bleibt kein Stein auf dem anderen. Ohne die flexible Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen funktioniert fast gar nichts mehr. Sie benötigen Veränderungskompetenz und eine Unternehmenskultur, in der die Mitarbeiter und Sie den Change als Bereicherung empfinden. Sie stärken die Veränderungsbereitschaft sowie lösen die Veränderungsimmunität auf, indem Sie gegen den Strom anschwimmen, den Regel-Bruch wagen, Muster durchbrechen und unkonventionelle Entscheidungen treffen.

Porträt