Die Definitionen für Industrie 4.0 sind vielfältig. Für die einen ist es eine Revolution, für die anderen eine logische Konsequenz aus der Digitalisierung sowie der Vernetzung durch das Internet. Aber ganz gleich, wie man dies nun betiteln mag, Industrie 4.0 erhält Einzug in nahezu jede Branche und resultiert aus den technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Sie verändert Wertschöpfungsketten und ermöglicht die individuelle Fertigung, sprich kosteneffiziente Produktion bei kleinen Mengen.
Von 1.0 zu 4.0
Die westliche Zivilisation hat bereits drei industrielle Revolutionen erlebt. Mit Industrie 4.0 hat die vierte soeben begonnen, auch wenn zahlreiche Experten Industrie 4.0 eher als Evolution sehen. War die erste industrielle Revolution durch die Nutzung der Wasserkraft und der Dampfenergie sowie der Entwicklung von Werkzeugmaschinen gekennzeichnet, brachte die zweite Revolution die Elektrizität und die Massenproduktion. Die dritte industrielle Revolution beschleunigte dank der Elektronik und der IT die Automation markant. Angetrieben durch die Digitalisierung beobachten wir derzeit, wie sich eine vierte grosse Veränderung vollzieht. Maschinen kommunizieren zunehmend selbstständig miteinander, auf der Basis des Internets, der intelligenten Technologien, von Software sowie modernen Sensoren aller Art.
Vertikale Vernetzung
Industrie 4.0 bedeutet deshalb in erster Dimension eine stärkere sogenannte «vertikale» Vernetzung von intelligenten Produktionssystemen. Durch den automatischen Austausch aller Sorten von Daten organisieren sich Fabriken selbst. Kundenspezifische Anpassungen werden nicht nur in der Produktion möglich, sondern auch in der Entwicklung, Bestellung, Planung, Zusammensetzung und im Vertrieb der Produkte. Dadurch lassen sich Faktoren wie Qualität, Zeit, Risiko, Preis und Umweltverträglichkeit dynamisch und in Echtzeit verändern. Auf Basis der grossen Mengen an verfügbaren Daten prognostizieren statistische Berechnungen künftige Entwicklungen.
Das ergibt inspirierende Möglichkeiten für das internationale Geschäft. Die Nachfragesituation in einem ferneren Markt einzuschätzen, geschweige denn Prognosen dazu zu treffen, gehörte bisher zum Schwierigsten für Exporteure. In der idealen Welt der Industrie 4.0 wissen sie jedoch künftig, wann sie wie viel von ihrem Produkt nach China, Kanada oder Mexiko werden liefern müssen. Die Erzeugnisse lassen sich optimal zuschneiden auf die Bedürfnisse der chinesischen, kanadischen oder mexikanischen Kunden. Noch nie konnten sogar KMU so agil auf neue Kundenbedürfnisse am anderen Ende der Welt reagieren.
Neue Schnittstellen
Noch relevanter für das internationale Geschäft von KMU werden jedoch die Veränderungen sein, die von der zweiten Dimension der «horizontalen» Vernetzung ausgehen. Die klassische Wertschöpfungskette zwischen Unternehmen wird sich entwickeln zu einem Wertschöpfungsnetzwerk. Firmen werden über Organisations- und Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten an einem Produkt – denn mangelndes Know-how oder Erfahrungsverlust lassen sich ausschliessen durch den automatischen Datenaustausch und ein eingebautes «Gedächtnis» eines jeden einzelnen Erzeugnisses. Unternehmer werden ihre erfolgreichen Prozessmodule wie ein Produkt in internationalen Arbeitsgemeinschaften vermarkten können.
Dieses neue Prinzip ist auf alle Branchen anwendbar. Ob es sich um Kosmetika oder komplexe Medizintechnik handelt, alle benötigen Vorprodukte, Technologie, oftmals auch Maschinen, alle beliefern ihre Kunden, alle haben ein Marketing, einen Vertrieb und arbeiten mit Partnern zusammen. All diese Schnittstellen sind betroffen und lassen sich künftig automatisieren. So verschwindet aber auch der Vorteil, im Rahmen einer grossen, geschlossenen Organisation zu produzieren.
Wenn Reibungsverluste bei der Überquerung von Unternehmensgrenzen künftig vermieden werden können, weshalb sollten Wertschöpfungsnetzwerke sich in Zukunft nicht auch aus den vielen kleinen Firmen von überall aus der Welt zusammensetzen? Aus jenen Firmen, welche jeweils am besten auf eine einzelne Aufgabe spezialisiert sind, während parallel dazu die Montage oder sogar der 3D-Druck des Endproduktes jeweils in der Nähe des Konsumenten stattfindet? So wird die Internationalisierung der Wertschöpfungsketten ein heute unbekanntes Niveau erreichen.