Recht

Transportrecht

Was Reisende von den Beförderern erwarten dürfen

Im öffentlichen Verkehr – wie auch im Privatverkehr – kommt es häufig zu Verspätungen, die zu mehr oder weniger grossen Unannehmlichkeiten führen. Welche Rechte der Reisende hat und welche Pflichten die beteiligten Beförderer, zeigt dieser Beitrag.
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Mit jedem Kauf einer Fahrkarte wird ein Beförderungsvertrag abgeschlossen. Dieser verpflichtet den oder die an der Durchführung des Beförderungsvertrags beteiligten Beförderer – egal ob Bahn-, Schiff-, Flugzeug- oder Busunternehmen – den Reisenden vom Abgangs- bis zum Bestimmungsort zu befördern. Welche Rechte den Reisenden in Fällen von Abweichungen vom Beförderungsvertrag zustehen, hängt massgeblich vom gewählten Verkehrsmittel und Reiseweg ab; denn danach bestimmt sich letztlich die anwendbare Rechtsordnung unter Beachtung der internationalen, europäischen und den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften.

Insbesondere wird mit der Haftung bei Verspätungen und Ausfällen unterschiedlich umgegangen, je nachdem, ob man sich im Eisenbahn-, Schiffs-, Luft- oder im Strassenverkehr befindet. Dies lässt sich durch den historischen und politischen Kontext erklären, in welchem die verschiedenen Regelungen entstanden sind. Entsprechend sind die Vorschriften, wie sie heute für die unterschiedlichen Transportmittel gelten, nicht homogen. Auch das Recht auf Information, die Behandlung von Reklamationen, die Haftung bei Unfällen und die Rechte von Personen mit eingeschränkter Mobilität werden je nach Transportmittel unterschiedlich gehandhabt.

Wesentliche Rechtsgrundlagen

Während bei nationalen Transportmitteln und Transportstrecken in der Regel nationales Recht zur Anwendung kommt, sind bei grenzüberschreitenden Konstellationen verschiedene Normen anwendbar. So unterliegt die Eisenbahnbeförderung von Personen nach Massgabe den internationalen, europäischen und nationalen Bestimmungen:

a) den einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen (CIV: Convention Internationale pour le transport des Voyageurs);

b) der EU-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates von 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im
Eisenbahnverkehr (EG-Verordnung 1371/2007) und/oder

c) dem Landesrecht, in der Schweiz – darunter – die Verordnung über die Personenbeförderung [VPB] anwendbar.

Die EU-Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr wurde in der Schweiz zwar noch nicht übernommen, die Schweiz hat sich jedoch mit dem bilateralen Landverkehrsabkommen verpflichtet, langfristig die diesbezügliche Rechtsetzung der EU zu übernehmen.

Bei Schiffsreisen, welche von europäischen Häfen ausgehen, ist die analog zum Eisenbahnverkehr aufgebaute Verordnung über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr anwendbar (EG-Verordnung 1177/2010, mit Inkrafttreten in der EU im Dezember 2012).

Auch im Luftverkehr sind die massgeblichen Normen auf verschiedenen Ebenen zu finden:

a) Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal) von 1999;

b) diverse europäische Verordnungen, die die Schweiz gestützt auf das bilaterale Luftverkehrsabkommen Schweiz-EG übernommen hat, darunter insbesondere die Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder grosser Verspätung von Flügen (EG-Verordnung 261/2004) und/oder

c) die Verordnung über den Lufttransport (LTrV) von 2005, mit welcher die Schweiz zahlreiche Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal auch für Inlandbeförderungen als anwendbar erklärt hat, und die für die zivile Luftfahrt relevanten Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft werden in das schweizerische Recht integriert.

Passagierrechte

Durch das Bestreben im Rahmen der Verkehrspolitik die Nutzungsrechte der Passagiere zu schützen und die Qualität und Effektivität des öffentlichen Verkehrs zu verbessern, sind auf europäischer Ebene detaillierte Normierungen der sogenannten Passagierrechte entstanden. Zu den Rechten der Nutzer des öffentlichen Verkehrs gehört das Erhalten von Informationen über den Verkehrsdienst sowohl vor als auch während der Fahrt. Entsprechend sind im europäischen Verkehr sowohl Eisenbahn-, Schifffahrts- als auch Luftfahrtunternehmen verpflichtet, die Reisenden über ihre Rechte zu informieren.

Die EU-Verordnung sieht bei europäisch genehmigten Bahnunternehmen eine Reihe von Informationspflichten vor. Gleich wie im Schienenverkehr müssen im europäischen Seeverkehr Informationen über Annullierung oder Verspätung einer Schifffahrt so rasch wie möglich erfolgen. Wird durch die Verspätung der Anschluss an einen anderen Verkehrsdienst versäumt, so müssen die Schifffahrtsunternehmen alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um die Fahrgäste über alternative Anschlüsse informieren zu können. Wenn im Bahnverkehr der letzte Anschlusszug aufgrund einer Verspätung (von mindestens einer Stunde) verpasst wurde, ist das Eisenbahnunternehmen sogar gehalten, einen alternativen Beförderungsdienst für die Fahrgäste anzubieten.

Eisenbahnunternehmen sind verpflichtet, den Fahrgästen gewisse Mindestinformationen vor und während der Fahrt zur Verfügung zu stellen. Die EU-Verordnung enthält eine sehr detaillierte Auflistung, welche Informationen an die Reisenden weitergegeben werden müssen. Beispielsweise müssen vor Antritt der Fahrt der Fahrplan und die Bedingungen der Fahrt festgelegt sein sowie die kürzeste und günstigste Fahrt ersichtlich sein. Während der Fahrt muss der Reisende weiter über die Dienstleistungen im Zug, den nächsten Haltebahnhof und über Verspätungen informiert werden. Informationspflichten sind ebenfalls im Schiff- und Flugverkehr vorgesehen. Im Vergleich zum Schienenverkehr werden die Vorschriften für die Schiff- und Luftfahrtunternehmen um einiges kürzer gehalten.

Anderweitige Beförderung

Ist im Eisenbahnverkehr schon vor Reiseantritt absehbar, dass die Verspätung am Zielort mehr als eine Stunde betragen wird, so haben die Fahrgäste die Wahl zwischen: Fahrpreiserstattung, Weiterreise bei nächster Gelegenheit oder zu einem späteren Zeitpunkt, jeweils mit geänderter Streckenführung.

Im Schiffsverkehr haben die Fahrgäste, sofern die Abfahrt vom Hafen annulliert wird oder sich diese um mehr als eineinhalb Stunden verzögert, die Wahl zwischen: Fahrpreiserstattung und anderweitiger Beförderung.

Wenn ein Luftfahrtunternehmen einen Flug annulliert oder Reisenden den Einstieg verweigert, haben die Fluggäste die Wahl zwischen: Flugscheinkostenerstattung zu dem Preis, für welchen er erworben wurde (für die nicht zurückgelegten Reiseabschnitte) in Verbindung mit dem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt und Weiterreise bei nächster Gelegenheit oder zu einem späteren Zeitpunkt.

Entschädigung

Auch die Entschädigungen im Falle der Verspätung sind in der europäischen Verkehrslandschaft unterschiedlich geregelt. Je nach genutztem Transportmittel werden unterschiedliche Entschädigungen geleistet, wenn die Reisenden verspätet am Ankunftsort eintreffen. Verspäten sich Bahn- und Schiff­unternehmungen, bemessen diese ihre Verspätung am bezahlten Preis und geben dem Kunden eine prozentuale Preissenkung für das gekaufte Ticket. Bei einer Verspätung von ein bis zwei Stunden beträgt diese bei Eisenbahnunternehmen 25 Prozent und ab zwei Stunden 50 Prozent des Ticketpreises. Schifffahrtsunternehmen richten sich bei der Entschädigungsberechnung nach der Fahrtdauer. Bei einer Fahrtdauer von vier Stunden entschädigen sie die Passagiere mit 25 Prozent für eine Stunde Verspätung und mit 50 Prozent des Ticketpreises für zwei Stunden Verspätung. Im Unterschied dazu haben Flugzeugbetreiber Bussgelder zu leisten, deren Höhe von der Länge des Fluges abhängig ist.

Die europäischen Bestimmungen über die Passagierrechte in der Zivilluftfahrt gelten seit Ende 2006 auch in der Schweiz. Demnach verfügen die Fluggäste bei Verspätungen, Ab­sagen oder Überbuchungen über klare und verbesserte Ansprüche gegenüber den Fluggesellschaften. Je nach Art des Vorfalls, Länge des Fluges oder Umfang der Verspätung stehen den Passagieren Leistungen in Form von Getränken, Mahlzeiten und Übernachtungen oder Entschädigungen bis zu 600 Euro zu. Bei höherer Gewalt sind die Fluggesellschaften von Entschädigungszahlungen befreit. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Flug wegen heftiger Schneefälle oder Gewitterstürmen annulliert werden musste.

Weitere Ansprüche

Bei Verspätungen haben Reisende je nach genutztem Transportmittel und Dauer der Verspätung zusätzliche Rechte wie etwa Versorgung mit Essen und Getränken, Übernachtung etc. So haben Fahrgäste im europäischen Schienenverkehr ab einer Verspätung von mehr als einer Stunde Anspruch auf Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit. Diese Leistung erfolgt, sofern die Ware im Zug oder im Bahnhof verfügbar bzw. in vernünftiger Weise lieferbar ist. Wenn es notwendig ist, haben die Eisenbahnbetriebe eine Unterbringung in einem Hotel inklusive des Transports dahin anzubieten. Auf Schweizerboden ist die Regelung restriktiver: Wenn die Fahrt nicht am gleichen Tag fortgesetzt werden kann, werden die Übernachtungskosten von der Eisenbahnunternehmung übernommen.

Reisende im Schiffsverkehr, deren Abfahrt annulliert wird oder sich um mehr als 90 Minuten nach der fahrplanmässigen Abfahrtszeit verzögert, haben einen Anspruch auf Verpflegung. Den Fahrgästen sind kostenlose Imbisse, Mahlzeiten oder Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit anzubieten. Diese Pflicht obliegt dem Beförderer nur, sofern diese Sachen verfügbar oder in zumutbarer Weise beschaffbar sind. Wird durch die Annullierung oder die Verspätung eine Übernachtung notwendig, stehen den Reisenden angemessene Übernachtungsmöglichkeiten (an Bord oder an Land) sowie die Beförderung dahin zu.

Die Fahrgäste im Flugverkehr erhalten bei verweigertem Einstieg, Annullierung ihres Fluges oder ab einer Verspätung von zwei Stunden Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit sowie zwei unentgeltliche Telefongespräche. Liegt die erwartete Abflugzeit erst am Tag danach, ist den Fluggästen eine Übernachtung sowie der Transfer dahin zu organisieren.

Im Schiffs- und Flugverkehr können die Unternehmen von ihrer Pflicht entbunden sein, für eine Annullierung eine Entschädigung zu leisten, wenn diese auf aussergewöhnlichen Umständen beruht. Dazu zählen im Schiffsverkehr nicht nur extreme Wetterbedingungen, sondern auch Terroranschläge oder etwa die Verbringung von Kranken. Im Flugverkehr zählen zu diesen Vorkommnissen beispielsweise politische Instabilität, Sicherheitsrisiken oder Streiks. Flugunternehmen haben in dieser Situation nachzuweisen, dass die Vorkommnisse sich auch mit allen ergriffenen zumutbaren Massnahmen nicht haben vermeiden lassen.

Beschwerdemanagement

Die Transportunternehmungen sind gehalten nach der europäischen Gesetzgebung ein Beschwerdebearbeitungsverfahren bereitzustellen, damit die Reisenden, welchen aufgrund einer Verspätung ein Schaden entsteht, beim entsprechenden Unternehmen Beschwerde einlegen und eine Entschädigung verlangen können. Hierzu sieht das Gesetz vor, dass die Eisenbahnunternehmen einen Bericht über die Anzahl und Art der eingegangenen Beschwerden, der diesbezüglich getroffenen Massnahmen sowie der Antwortfristen erstellen.

Fazit

Im Zeitalter der Mobilität erfüllt der öffentliche Verkehr eine wichtige Rolle. Die Anforderungen sind dabei sehr gross. Wie bei jedem komplexen System sind Abweichungen von der Norm unvermeidbar. Für die Regelung der Folgen solcher Abweichungen hat der Gesetzgeber eine ganze Reihe von detaillierten Massnahmen zum Schutz der Passagiere vorgesehen. Die Regulierung in den verschiedenen Transportsystemen (Schiene, Strasse, Luft und Seeschifffahrt) ist sehr heterogen. Ein Vergleich der Rechte, welche den Reisenden je nach Transportmittel zustehen, ist nur schwer anzustellen, da die Fahrgastrechte teilweise sehr unterschiedlich ausgestaltet sind.

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